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Kapitel Drei Erbarmen

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Den ohne Wurzeln wird der Wind davontragen. (Unbekannt)

Die Frau im Café trug Trauer und haderte mit sich selbst, dabei starrte sie in ihren Latte Macchiato mit Sojamilch. Sie saß zurückgezogen in der hintersten Ecke bei den Toiletten, was nicht bedeutete, dass sie nicht mitbekam, was um sie herum vorging.

Beobachten gehörte zu ihrer Natur.

Da war diese junge Kellnerin, die Zoff mit ihrem Macker hatte, einem äußerst unangenehmen Typ, der aus seinen Eifersüchteleien keinen Hehl machte. Sie fragte sich, wie verkommen die Welt war. Als Vorgesetzte hätte sie den Störenfried längst nach draußen befördert.

Sie rührte noch einmal in ihrem allenfalls lauwarmen Getränk. Wie hatte sie hier landen können?

Eine rhetorische Frage, auf die sie die Antwort nur zu gut kannte. Sie war nach Wien gereist, um Abschied von ihrer großen Schwester zu nehmen. Die Geschwister hatten sich nicht sonderlich nahe gestanden, nicht wie es Schwestern sollten. Zwar telefonierten sie regelmäßig, aber die Distanz war einfach zu groß. Die Frauen lebten in verschiedenen Zeitzonen. Aber sie erschien als Letzte in der Anruferliste der Verstorbenen, der Grund, warum sie jetzt in Österreich war und nicht zu Hause oder wenigstens in einer pulsierenden Metropole wie Berlin oder Hamburg. Sie musste Hellen die letzte Ehre erweisen.

Aktuell betrat ein Mann das Café und bewegte sich zielstrebig auf die WCs zu. Mit dem hatte es Gott, oder wer auch immer dafür die Verantwortung trug, nicht gut gemeint. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und war bemühte, nicht aufzufallen, was völlig unmöglich war, denn allein seine Erscheinung mutete wie aus einer anderen Zeit an. Das Auffälligste am ihm war ein altertümlicher Hut, ein Stetson, wie sie als Amerikanerin wusste, den er tief ins Gesicht gezogen trug und auch nicht abzusetzen gedachte, als er am Nachbartisch platz nahm, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Zum Glück. Sie wollte nicht reden.

Ein merkwürdiger Kauz. Irgendetwas stimmte mit seinem Gesicht nicht. Deshalb wahrscheinlich der Hut. Er blickte auf, um die Bestellung bei der genervten Bedienung aufzugeben, und sie sah Blutergüsse und Schwellungen. Wie ein Preisboxer wirkte der Mann nicht, auch die besten Jahre lagen schon hinter ihm. Aber als er sprach, fiel ihr die angenehme Stimme auf, auch wenn er leicht gereizt klang.

»Was darf`s sein?« Die grellrot gefärbte Servierkraft trug ihre Nase ziemlich weit oben, als sie mich das fragte.

»Eine Tasse Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne, bitte.«

»Also, ein Schümli und ein Apfelschlangerl mit Obers. Na, Sie könn`s noch vertragen«, und ging von dannen, die blöde Kuh. Sie entsprach so gar nicht meinem Typus Frau. Obwohl, ich war selbst kein Frauenschwarm. Bei diesem Gedanken legte sich ein leichtes Grinsen über mein lädiertes Gesicht. Die Kellnerin, die daheim einen Namen wie Chantalle, Mandy oder Jaqueline tragen würde, hieß Solveig und stellte den Pott Kaffee und meinen geliebten Apfelkuchen mit Sahne auf den Tisch, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

»Bitt`schö. Haben`s auch Geld dabei?«

Es stand ergo noch böser um mich, wie befürchtet. Ich war gewappnet: Triumphierend wedelte mein letzter Hunderter Barvermögen unter ihrer Nase und meine Schlagfertigkeit holte zum Finale aus.

»Ach, und Schätzchen, keine Sorge, dich könnte ich auch bezahlen!« Die Gesichtsfarbe ihrer Haarpracht angepasst, knallte sie mir das Wechselgeld von 91,55€ auf den Tisch und verschwand schnaubend. Schlürfend genoss ich den dampfenden Kaffee, verfeinerte ihn mit Sahne vom Teller. Der Kuchen war ausgezeichnet.

»Wo ist der Dämlack?« Ein Schrank von einem Mann stürmte das Café, fegte die Stühle in seinem Weg an die Seite, wie Streichhölzer. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, die Sicht auf ihn versperrte meine Hutkrempe. Eine weibliche Reibeisenstimme vom Nachbartisch stellte unmissverständlich klar, sollte er Hand an mich legen, würde Mr. Gipskopf sich tot auf dem Boden liegend wiederfinden.

»War`n Missverständnis«, murmelte der Koloss handzahm und trat den Rückzug an. Was wurde hier gespielt?

»Vielen Dank, aber das hätte ich locker allein geschafft«, behauptete ich, dann voller Wehmut: »Für mich hat sich noch nie jemand eingesetzt!«

»Doch, ich soeben. Das würde ich auch wieder tun, seien Sie gewiss!«, erwiderte die Dame vom Nebentisch mit einem leichten Akzent, während sie in ihrem Latte Macchiato herumrührte und den Löffel abschleckte. »Es sei denn, Sie erweisen sich als Arschloch.«

Nun wollte ich sehen, wer da eine starke Etikette vertrat. Als ich den Kopf hob, dachte ich zu träumen; eine zierliche Frau, wie ein Engel, mit langen kastanienbraunen Haaren, die sie zu einem strengen Dutt trug, in konservativen Schwarz gekleidet. So ein Persönchen hatte den Neandertaler in seine Schranken verwiesen? Ein schiefes Lachen huschte über mein geschundenes Gesicht. Kopfschütteln. Doch das Schießeisen, das sich hart in meine Eier schob, rückte mein Weltbild wieder zurecht. Natürlich hatte ich keine Angst, sie hatte die gleichen Augen wie meine schöne Unbekannte. Kitty? Ein alter Sack saß einer traumhaften Frau gegenüber, die mit ihrem Schießeisen genau auf seine Kronjuwelen zielte. Meine Aufmerksamkeit war ihr zu 100 Prozent gewiss, so viel stand fest.

Sie berichtete mir vom Verlust ihrer geliebten Schwester, dabei kullerten der harten Lady Tränen der Trauer über das makellose Gesicht. Im Roman käme jetzt mein Einsatz, doch ich trug nur selten Taschentücher mit mir herum. Sollte ich ihr erzählen, dass ich möglicherweise ihre Schwester gepimpert hatte? Ich hörte lieber weiter geduldig zu. Zu meiner Beruhigung wanderte ihre Knarre in die geräumige Marken-Handtasche. Meine Eier hätten ihr auf der Stelle huldigen können. Sie setzte sich um, links neben mich, lehnte sich an meine Schulter. Sie erzählte mir, ihre Schwester habe sie in der fraglichen Nacht noch angerufen und berichtet, dass sie endlich den Mann gefunden habe, der sie so mochte, wie sie war.

»Was habe ich mich gefreut für meine Schwester! Sie müssen wissen, seit ihrer Scheidung überkam sie nach und nach die Einsamkeit. In der Nacht klang sie glücklich, wie ewig nicht mehr. Sie hat zwei Kinder ... Ach, entschuldigen Sie bitte, ich heule Ihnen die Ohren voll und habe mich noch nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Audrette Miller.«

»Audrette? Was für ein hübscher Name. Ausgefallen. Ich bin Amos Cappelmeyer aus Thüringen, aus der verträumten Gemeinde Floh-Seligental.«

»Hocherfreut, Herr Cappelmeyer aus Floh-was?«

»Floh-Seligental. Keine Sorge, das kennt kaum jemand. Sind Sie eine echte Amerikanerin? Ich meine nur, Sie sprechen hervorragend Deutsch.« Ihr Schmunzeln ließ mir das Herz aufgehen.

»In der Tat besitze ich die amerikanische Staatsbürgerschaft. Liegt daran, dass ich im Alter von elf Jahren mit meinem Vater in die Staaten gegangen bin. Meine Schwester blieb bei unserer Mutter.«

»Interessant. Dürfte ich nach dem Namen Ihrer werten Schwester fragen?«

»Meine Schwester hieß Hellen, Hellen van Dijk. Wieso?«

Der Tränenfluss war nicht mehr zu bremsen, wie ein alter Köter heulte ich das Lokal zusammen. Schließlich hatte sie doch noch einen echten Namen bekommen.

Das Schießeisen bohrte sich zum zweiten Mal unerbittlich in meine Eier. Jetzt war ich geliefert.

»Was soll der Bullshit?« Ihr Blick wurde eiskalt, hasserfüllt.

»Oh nein, das ist ein Missverständnis! Hören Sie ...« Es gab nur den einen Ausweg, nämlich ihr alles anzuvertrauen. Ich begann mit den Ereignissen im Verlag. Dass ich ein drittklassiger Autor war, einen packenden Roman innerhalb von sieben Tagen abzuliefern hätte und dafür eine stattliche Summe einstreichen konnte. Im Falle meines Scheiterns, verlöre ich mein Haus im Grünen. Sie legte nachdenklich den Zeigefinger an ihre Nasenspitze.

»Was ist das für ein Quatsch? Warum dein Haus? Verstehe ich nicht.«

»Was weiß ich. War mir egal, habe nur die verdammten Euros gesehen.«

»Na schön. Aber soll das ein Zufall sein? Von einem solchen Vertrag habe ich noch nie gehört. Ist was Besonderes an deinem Haus, Cappelmeyer?«

»Nein, ganz und gar nicht. Es ist alt. Ich habe ein nettes Grundstück, die Luft ist sauber, mehr nicht.«

»Klingt aufregend«, grinste Audrette. »Schön blöd, in einer Woche einen kompletten Roman schreiben zu wollen.«

»Finde ich nicht. Na ja, also ...«, stotterte ich betreten. »Der schon wieder.« Der Hüne kreuzte erneut auf, mit hochrotem Schädel, hatte sich wohl am Kiosk um die Ecke Mut angetrunken.

»Der nervt.« Audrette spannt den Hahn ihrer Knarre. Sie war es leid, von dem hirntoten Mammut unhöflich von der Seite angequatscht zu werden, und richtete den Lauf auf seinen rasierten Schädel.

»Sehen Sie nicht, dass hier zwei kultivierte Erwachsene ernsthafte Gespräche führen?« Mit gewichtiger Stimme forderte sie den Neandertaler auf, lieber seine Alte anständig zu vögeln, dann würde die auch keine alten Säcke derart herablassend behandeln.

Bravo. Meine Meinung. - Bis auf den Teil mit den alten Säcken ...

Der Koloss brüllte zur Abwechslung sein Mädchen an. Es endete mit einer schallenden Ohrfeige, welche die Bedauernswerte gegen die nächste Wand beförderte. Da platze meiner neuen Bekanntschaft der Kragen.

»Das darf doch nicht wahr sein!« Sie platzierte ihre Waffe neben der Kaffeetasse, winkte Mr. Schrankwand zu sich, der aufs Wort gehorchte und antrabte, nur um von Audrette einen ordentlichen Tritt in die Kronjuwelen verpasst zu bekommen. Alleine das Zusehen schmerzte. Der zweite Tritt mit den Highheels quer durch die Hackfresse bescherte ihm ein breites Joker-Grinsen, dann sackte er zu Boden, wie ein gefällter Baum. Audrettes Gesicht spiegelte keinerlei Emotionen. Sie zupfte an ihrem Kleid rum und setzte sich wieder neben mich, als wäre es das Normalste der Welt.

»Also, wo waren wir eben stehengeblieben?« Trocken antwortete ich:

»Kleines, du hattest deine Knarre in meine Eier gebohrt, wolltest den Verdacht ausschließen, dass ich der Mörder deiner geliebten Schwester bin.«

»Richtig.« Der Hahn rastete zwar ein, was als Erfolg gewertet werden mochte, doch sie fixierte mich weiter mit ihren Blicken. Kein Wimpernzucken, nichts ... Das rief mir folgendes chinesische Sprichwort ins Bewusstsein: »Frauen tragen die Hälfte des Himmels.« Bei Audrette konnte ich mir das überhaupt nicht vorstellen. Plötzlich lächelte sie wie ein Honigkuchenpferd:

»Du stehst auf chinesische Sprichwörter?«

Ich nickte. Im Stillen keimte die Frage auf, ob diese Person mein Gegenstück sein sollte? Der Kaffee war längst erkaltet, meine Augen klebten an der Amerikanerin. Schwermütig meinte sie:

»Ein Weg entsteht erst, wenn man ihn geht.« In dieser Sekunde stand für mich fest, sie war mein YIN. Audrette, so zierlich und zerbrechlich sie wirkte, war in Wahrheit ein Vulkan. Sie wünschte sich von mir, sie zu der Beerdigung ihrer Schwester zu begleiten.

»Ist doch eine Frage der Ehre!«

»Die Leiche ist freigegeben und wird Morgen zur Mittagszeit beigesetzt. Allerdings gibt es ein kleines Problem. Ich habe versäumt, für heute Nacht ein Zimmer zu buchen. So was Blödes.« Ich zuckte die Achseln.

»Also, ich sehe da kein Problem. In meiner Unterkunft sind gewiss noch Zimmer frei. Wenn du keinen Wert auf Luxus legst, meine ich.«

»Du hast nicht zufällig ein Doppelzimmer? Ich dachte bloß, das würde Zeit und Geld sparen. - Bilde dir nichts darauf ein. Ich bin praktisch veranlagt.«

»Das bin ich auch.« Ungläubig deutete ich in Richtung meiner Unterkunft. »Sind nur ein paar Gehminuten.«

»Na dann, worauf wartest du noch?« Wir plauderten angeregt über das eine Thema, das uns verband, Hellen, auch als wir längst vor dem Hotel standen. Es war eine meiner unlogischsten Entscheidungen. Einerseits liebte ich ihre Schwester Hellen, – ein merkwürdiges Wort in Bezug auf eine Frau, die ich nur einige Stunden kannte, – doch andererseits fühlte ich mich von Beginn an zu Audrette hingezogen. Dennoch blieb da dieses Unbehagen in meiner Magengegend. Alldieweil hätte ich eine Person an meiner Seite, die in der Lage wäre, mich zu beschützen. Mich beschlich dumpf das Gefühl, dass dieser Faktor nicht ganz unerheblich sein würde.

»Wollen wir reingehen?« Ich ergriff ihre Hand und stolzierte mit ihr an meiner Seite ins Foyer. Kurz meldete ich meine Eroberung an. Der Rezeptionist trug Frau Miller vorschriftsmäßig in den Computer ein.

»Gerne, der Herr. Ich setzte den zweiten Gast auf die Rechnung.«

»So soll es sein.« War das etwa Ungläubigkeit in seiner Mine? Ich nahm den Zweitschlüssel in Empfang, tippte mir an den Hut, dann erklommen wir die abgewetzten Stufen zur dritten Etage.

»Kein Aufzug?«, kam die unweigerliche Frage. Doch schon waren wir im passenden Flur. »Ist das nicht dein Zimmer da vorne links, die Nummer 6?«

»In der Tat.« Die Zimmertür stand einen Spalt weit offen. Ich könnte Stein und Bein schwören, das ich die Türe fest zugezogen hatte, und zuckte die Schultern. Kein Licht. »Da ist doch was faul!« Audrette hielt mich am Arm zurück, den Zeigefinger an die Lippen gelegt, dann kramte sie ihre Bleispritze aus den Tiefen der Tasche hervor und stöckelte selbstsicher voran. Zuerst knipste sie das Licht an.

»Damn, ich hab`s gewusst.« Eine Verwüstung meiner Wohnlandschaft konnte nicht übersehen werden, doch für Audrette legte sich im Chaos ein Muster dar, welches sie mit dem Smartphone fototechnisch dokumentierte.

»Oh nein! Nicht der Computer!«, entfuhr es mir beim Anblick der auf dem Boden entleerten Notebooktasche, dabei glich der tragbare Computer einem gefalteten Buch.

»Das ist zu nichts mehr zu gebrauchen«, diagnostizierte meine Begleiterin. Ja, das zu erkennen bedurfte keines Genies. Wie sollte ich jetzt auf die Schnelle ein Buch schreiben? Mit der Hand, auf die alte Art? Lachhaft. Panik keimte in mir auf, alles Blut sackte in meine Füße.

»Hey, Amos! Alles klar? Du bist plötzlich so bleich geworden. Du hast doch deine Daten gesichert?« Nicken. Keine Lüge. Nichts multipliziert mit nichts ist dann wohl - nichts. Aber das brauchte sie nicht zu wissen. »Na dann.«

Audrette kickte die Pumps in den Raum, entkleidete sich bis auf die Haut, um dann in Windeseile die gesamte Wohnlandschaft aufzuräumen. Sie war mit einem traumhaften Apfelarsch gesegnet und Titten, klein und knackig. Zum Anbeißen, nur der Urwald ihrer Scham brannte mir einen Schauder auf die Netzhaut. Kaum fertig mit Aufräumen, ließ sie sich mit der Hotelleitung verbinden, der sie ein Ultimatum auferlegte.

»Entweder ist in einer Stunde ein neues modernes Notebook auf den Namen Amos Cappelmeyer auf diesem Zimmer, oder ...« Nur Minuten später klopfte es, wer hätte das gedacht? Unsere vielsagenden Blicke waren schon jetzt die eines eingespielten Teams. Die Waffe verborgen hinter dem Rücken, blieb sie ansonsten, wie Gott sie geschaffen hatte. Aus ihrer Position hatte sie den Tisch im Rücken und die Tür im Blick.

»Mach auf«, befahl sie. Ich weiß, sie wollte das Überraschungsmoment auf ihrer Seite wissen. Dem Hoteldirektor klappte, wie zu erwarten, die Kinnlade hinunter, als er die Frau im Evakostüm erblickte. So lag die gesamte Aufmerksamkeit bei ihr, ich war nur schmückendes Beiwerk. Das Handy in der einen Hand und die neun Millimeter in der anderen, trat sie so nah an den Hotelier heran, dass der hätte eigentlich erblinden müssen. Selbst ich konnte von der rassigen Lady noch etwas lernen, obwohl ich von dieser speziellen Methode absehen würde, nach meiner peinlichen Erfahrung.

»So meine Lieber, schau dir die Fotos an. Na? Das gefaltete Notebook kannst du mitnehmen und entsorgen. Ich gebe dir exakt eine Stunde Zeit, um den Schaden zu beheben. Ansonsten findest du dein Hotel in der Presse wieder.« Sein frisch rasiertes Gesicht begann zu glühen.

»Was? Nein, nein, ich meine ...« Dann schmetterte sie ihm die Tür vor der Nase zu. Er hatte gar keine Chance.

»Eine Stunde!!« Mich lächelte sie an: »Fortan ticken die Uhren anders in deinem Leben. Das ewige Herunterputzen findet mit diesem Tage ein Ende!« Mich packte die Ehrfurcht und ihre resolute Art machte mich an. Jedoch fuchtelte sie mit der Waffe vor meiner Nase rum, was ich überhaupt nicht leiden mochte.

»Könntest du vielleicht ... Was ist das überhaupt für eine Verbindung zwischen dir und dem Schießprügel?« Sie legte ihr Werkzeug auf dem Tisch ab, aber sollte ich auf eine Antwort gehofft haben, war ich schief gewickelt.

»Wir haben eine Stunde. Willst du bloß quatschen?« Sie sprühte vor Elan. Mein Blick traf unweigerlich auf ihren Urwald, damit schrumpfte mein Verlangen nach ihrem Schoß auf ein Minimum. Doch ihre Lippen suchten die meinen. Mich traf ein Blitzschlag der Sinnlichkeit, von nur einem Kuss. Sie warf einen diskreten Blick auf das Oberhaupt in der Hose, der einen Versuch unternahm, sich durch den Stoff zu bohren.

»Bin gleich zurück. Nicht weglaufen.« Sie verschwand im Bad. Keine Viertelstunde später stolzierte eine majestätische Gazelle heraus. Audrette zelebrierte ihren Auftritt. Heiliger Strohsack! Sie war vollends rasiert. Ein Traum von einer Frau, nur einen Zentimeter vor meiner Nase, die den Duft einer Blumenwiese versprühte. Ein fester Handgriff in meine Hoden unterstrich ihren Anspruch.

»Uns bleiben fünfundvierzig Minuten. Die Uhr tickt.« Ich küsste sie zärtlich, verzog aber schmerzvoll das Gesicht. Momentan keine gute Idee. Meine Finger tänzelten über ihren Rücken, wir verloren uns in der Glückseligkeit. Der Blick nach unten musste von ihr kommentiert werden:

»Nicht schlecht, mein Lieber.«

»Nicht schlecht? Du wirst noch dein blaues Wunder erleben.« Ich trieb die Lady vor mir her, bis der finale Stoß meiner Lenden den kläglichen Rest ihres Verlangens aus ihr herausgepresst hatte. Ihr erster Orgasmus seit Langem, wie sie mir später gestand. Ich vermochte kaum Vergleiche zu ziehen, aber es war mindestens genauso grandios wie mit ihrer Schwester.

»Wer hat dich überhaupt so zugerichtet? Sieht übel aus«, kam die Sprache letztlich auf mein entstelltes Gesicht.

»Ach das, sieht schlimmer aus, als es ist. Das war ein Dämlack von Polizist. In meinem Hotel - einem anderen - gab es einen Mord. Danach noch der Vorfall mit Hellen, da ist er ausgerastet.«

»Stop! Was, redest du da? Ein Polizist? Mord? Seltsam. Davon hätte man doch in den Nachrichten hören müssen. Also, ich habe nichts mitbekommen. - Diese Österreicher sind ein eigenwilliges Völkchen.« Da konnte ich nur zustimmen. »Ich werde gleich mal im Netz nachlesen, was da passiert sein könnte. Sowas gibt`s doch gar nicht.«

Sie griff nach ihrem Smartphone und tippte die entsprechenden Suchbegriffe ein. Ohne Ergebnis. »Sag ich doch, da ist was oberfaul. Warte, ich probiere noch was anderes.« Sie ließ sich die Schlagzeilen der letzte Tage anzeigen und schüttelte den Kopf. »Fehlanzeige. Alles dreht sich um dieses Zugunglück bei Wels mit mehreren Toten und zig Verletzten. Wie sowas geschehen kann? Die Zahl der Toten hat sich auf fünf erhöht. Traurig.«

Es klopfte. Sie las die Uhr vom Display ab. »Auf die Minute. Hätte ich nicht erwartet.« Audrette nahm ihre Knarre auf, positionierte sich vor der Tür. Ihr Nicken gab mir zu verstehen, dass ich die Tür mit einem Ruck öffnen sollte. Der Hoteldirektor starrte Frau Miller auf die Hupen.

»Ich darf sehr bitten!« Ob das wohl noch ein Nachspiel habe. »Aber wenigstens pünktlich.« Sie öffnete den Notebookkarton auf seinem Arm, überprüfte den Inhalt auf Vollständigkeit. »Warum nicht gleich?« Als Entschädigung für das Anstarren, verlangte sie freie Essenswahl für die Dauer unseres Aufenthalts.

»Was Sie wünschen, gnädige Frau.«

»Danke und auf Wiedersehen.« In diesem Fall knallte ich dem Lackaffen die Tür vor der Nase zu. Audrette stellte mit einem Anflug von Stolz den Karton auf dem Tisch ab. »Das hast du prima hinbekommen«, lobte ich.

»Habe ich dann nicht auch eine Belohnung verdient?«

»Hast du.«

Liebevoll zog ich die Decke über ihren zarten Körper. Sie war das Schönste, was ich bisher gesehen habe. Dabei war ein Kuss auf ihre knackigen Brüste Pflicht. Sie schnurrte, wie ein Kätzchen.

»Mmh, wie schön. - Mist, habe was vergessen. Ich muss noch mal aufstehen. Aber du darfst mich anschließend wieder zudecken.« Audrette schälte sich aus dem Bett, schraubte einen Schalldämpfer auf den Lauf der Waffe, welche sie dann unter dem dicken Kopfkissen deponierte. Das war eine neue Erfahrung für mich, ich schlief neben Miss America und einer geladenen Pistole. Dann süße Träume.

Mitten in der Nacht knarzte der Fußboden. Ich hatte einen sehr porösen Schlaf und war sofort da, wagte aber nicht, mich zu rühren. Ich lag wie in Leichenstarre. Außerdem war es dank der Verdunklungsschals stockfinster. Ein weiterer Schritt, ich hielt den Atem an, lauschte und überlegte, was zu tun sei. Wer meinte, der Schönheit an meiner Seite entginge etwas, sollte schmerzhaft eines Besseren belehrt werden. Meine Angebetete feuerte unter der Bettdecke die Waffe ab, vermutlich ohne die Augen zu öffnen. Denn wenn sie keine Eulengene besaß, konnte sie genauso wenig erkennen wie meinereiner. Dumpfes Aufschlagen eines schweren Körpers auf dem Laminat war die Konsequenz ihrer Tat. Hastig knipste ich das Licht an, wollte wissen, welcher Hirni gewagt hatte, unsere nächtliche Ruhe zu stören, die wir uns so schwer erarbeitet hatten. Audrette war nicht scharf darauf, ihre Beute in Augenschein zu nehmen und kuschelte sich schon wieder in die Decke. »Licht aus!«

»Ich muss doch sehen, wer das ist«, protestierte ich.

»Aha. Und, bist du jetzt zufrieden? Ich hätte darauf wetten sollen«, kommentierte sie. Denn, wer hätte das gedacht, es war der Kleiderschrank aus dem Café. Der Neandertaler. Hatte anscheinend nicht verknusen können, von einer zierlichen Frau verdroschen zu werden. Jetzt lag er leblos vor unserem Bett, die blicklosen Augen starrten uns an. Vorwurfsvoll. Unheimlich.

Irgendwie tat er mir ein bisschen leid.

»Und nun? Was machen wir mit ihm?« Mir fehlte die Übung, was derlei Situationen betraf und ich neigte gelegentlich zu leichter Panik. »War das wirklich nötig? Ich meine, ...«

»Ganz ruhig, Amos. Ist alles gar kein Problem.«

»Oh, fantastisch. Ich fing gerade an, mir Sorgen zu machen.«

»Ach, Amos«, seufzte sie. Sie stand auf und griff zum Telefon.

»Was tust du? Rufst du etwa die Polizei«, rief ich aus, aber Audrette winkte nur ab. Das war gewiss nicht die Polizei. Sie knallte verärgert den Hörer auf die Gabel und schaute grimmig.

»Haben wir jetzt ein Problem?«

»Nein. Zieh dir was über. Du erkältest dich.«

Wir warfen uns Bademäntel über. Das Fenster im Bad lag in Richtung Hof. Unter dieser Öffnung stand, oh Wunder, eine Mulde, zur Hälfte gefüllt mit blauen Säcken. Sie öffnete es, murmelte leise, mit unverhohlenem Vergnügen:

»Ach, wie einfach. Fass mit an. Außer uns schlafen alle.« Sie schnappte die Füße der Leiche und ich den Oberkörper. Schwer. »Du musst dich schon ein bisschen anstrengen. Allein schaffe ich das nicht.« Mit einem kräftigen Schwung war der Tote entsorgt, dabei hatte er nur einen winzigen Blutfleck hinterlassen, der rasch von Miss Perfect fachmännisch entfernt wurde. Sie war zufrieden.

Wie betäubt stand ich auf einer Stelle, starrte auf einen imaginären Punkt hinter der Milchstraße.

»Amos? Hallo?« Eine schallende Ohrfeige erreichte mein Gesicht und riss mich aus meiner Starre. Mit kräftigem Griff hielt ich sie fest.

»Hey! Was sollte das?«

»Wer nicht hören kann, muss fühlen.« Das war mein Stichwort.

Audrettes Emotionen spielten ihr Streiche. Sie gestand mir, der Sex mit mir sei etwas Besonderes. Ich alter Sack hätte alles vermutet, doch dieses Eingeständnis von der schönsten Frau der Welt zu hören, traf mich unvorbereitet.

»Sag das nochmal«, forderte ich sogleich.

»Das hättest du wohl gerne.« Unsere Bademäntel rutschten zu Boden, welche sie völlig unromantisch in der Mulde entsorgte. Vorsichtshalber.

Mittlerweile war ich hellwach. Das Tröpferlbad (wie die Wiener sagen) musste herhalten für meine Fantasien. Ich seifte die Traumfrau genüsslich ein, dabei kontrollierten meine Augen die ihren.

Diese Seifenoper hatte es in sich gehabt. Sie legte sich auf meinen Bauch und heimste abermals einen Gutenachtkuss ein.

Es blieben nur dreieinhalb Stunden bis zum Aufstehen, denn ein dunkler Anzug und ein Trauerkleid mussten besorgt werden. Mit einem letzten Blick zu Audrette löschte ich das Licht. In diesen Stunden des Schlafes rodete ich die Alleen Wiens ...

Der Fall - Amos Cappelmeyer

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