Читать книгу Zorks Queste - Jonathan Turner E. - Страница 3

Kapitel 1: Die Taverne, in der das Abenteuer begann und in der Zork von einem traurigen Kapitel aus seinem Leben erzählte, welches ihn für immer zeichnete, und wo Zork dann auf einmal zum König gerufen wurde

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Seite 220

Magier Zork saß in seiner Lieblingstaverne namens ‚Gebrochener Schenkel‘ und trank, wie es für ihn um diese Uhrzeit üblich war, seinen Frust weg. Zork war einmal eine imposante Erscheinung gewesen, bevor er mit dem Trinken angefangen hatte. Wann, das konnte er einem schon gar nicht mehr mit Sicherheit sagen.

Zork war von schmaler Statur und beinahe zwei Meter groß. Sein weißer Bart samt Backenbart wirkte wenig gepflegt. Er nahm einen großzügigen Schluck nach dem anderen aus seinem Humpen. Einiges von dem Bier rann durch seinen Bart. Bei diesem Anblick hätte man ihn auch für einen Bettler halten können, der durch Zufall oder gar eine ruchlose Tat an ein gutes Kleidungsstück gekommen war. Er trug dieselbe abgewetzte blaue Magierrobe mit goldenen Sternen wie jeden Tag. Deren breiter Kragen ragte hoch über seinen Kopf hinaus. Mit seinen klauenähnlichen Fingern hielt Zork den Bierkrug fest umschlossen und setzte ihn nur manchmal ab, um kräftig in ein Taschentuch zu schnäuzen, das auch schon bessere Tage erlebt hatte. Zu Beginn dieses Abenteuers konnte man über Zork mit Fug und Recht behaupten: Er war mächtig heruntergekommen.

Zork schätzte das rauchgeschwängerte Ambiente der Taverne, deren dichte Wolken er mit Hochgenuss tief einsog. Eigenen Tabak konnte er sich nur selten leisten, da er meist pleite war. Hauptsächlich wegen seines hohen Alkoholkonsums.

Die Leute hier kannten Zork gut, denn der Magus weilte schon seit geraumer Zeit in der Stadt Nightport und war eigentlich unter den Einwohnern sehr beliebt. Wenn er nüchtern war, was – mit etwas Glück – gerademal die Morgenstunden betraf, konnte er nämlich so ziemlich jedes Gebrechen mit Hilfe seiner starken Magie behandeln. Die ärmeren Bürger durften Zork mit Naturalien bezahlen oder, genau genommen, Spirituosen jedweder Art. Es gab nur wenig Alkoholisches, das er ablehnte.

Der Wirt der Taverne, Roger Robur, beobachtete beides mit Missfallen: Weder teilte er die allgemeine Zuneigung der Menschen zu Zork, noch fand er es erbaulich, wenn Zork schon beim Eintreffen im Gastraum angetrunken war. Hätte Robur nicht Rücksicht auf seine anderen Gäste nehmen müssen, die es unangenehm gefunden hätten, den großen Magus vor den Kopf zu stoßen, wäre Zork schon längst von ihm des Hauses verwiesen worden. Denn Robur hatte schon mehrfach Zorks dunkle Seite kennengelernt, wenn dieser wieder mal getrunken hatte. Robur kannte den Magus sogar so gut, dass er Zorks Saufgelage inzwischen in verschiedene Phasen einteilte, die er unterschiedlich bewertete.

Derzeit befand sich Zork im ersten Stadium: Er soff wie ein Loch, man konnte aber noch halbwegs vernünftig mit ihm reden, oder anders formuliert: Der Magus schnatterte wie eine Gans und erzählte den Leuten seine Geschichten, die die Dorfbewohner auch noch, neugierig, wie sie nun einmal waren, wie Schwämme in sich aufsogen. Einige hatten sich bereits mit ihren Stühlen zu dem Magier gesellt.

Robur stöhnte. Wie konnten sie sich bloß immer und immer wieder an denselben, alten Geschichten und Übertreibungen des Magiers ergötzen? Höchstwahrscheinlich lag es daran, dass das Königreich Beaufort der hinterletzte Ort der Welt war und dort nie etwas Aufregendes geschah. Zork hatte es, während er nüchtern war, einmal so ausgedrückt: „Wenn das Zentrum der Welt ein helles Licht ist, war man hier am weitesten von ihm entfernt.“ Es geschah nicht oft, dass Robur Zork zustimmte, aber in diesem Falle hatte er es getan.

Die anderen beiden Phasen von Zorks Betrunkenheit waren: eine plötzlich ausbrechende, unbändige Streitlust und schließlich der totale Verlust jeglicher Hemmungen und seiner Selbstkontrolle. Bei dem letzten Punkt konnte wirklich alles passieren, denn wenn ein besoffener Magus seine Kräfte einsetzte, konnte im Ernstfall das gesamte Königreich gefährdet werden. Schlau, wie die Handwerker des Königs aber nun einmal waren, hatten sie sich dafür etwas Spezielles ausgedacht. Doch darüber werde ich später mehr berichten. Nachher wird der werte Leser auch noch mehr zur Person des Chronisten erfahren. Doch zurück zum Geschehen.

Robur seufzte erneut, schnappte sich ein Tablett und brachte den Männern am Tisch neue Biere.

Als er die Getränke ausgeliefert hatte, fasste Robur sich ein Herz. Er trat selbstbewusst dem Magus entgegen, um Zork von Phase zwei abzuhalten, die ihn womöglich seine schöne Taverne kosten konnte. „Ich glaube, Ihr habt genug, werter Magus Zork!“, meinte Robur mürrisch und versuchte, gleichzeitig dem älteren Magier den Bierkrug wegzuziehen, während er mit der anderen Hand die leeren Bierkrüge auf seinem Tablett balancierte. Das war ein ganz schöner Drahtseilakt, den er sogleich bereute, als einige der Krüge über die Kante des Tabletts tanzten und auf dem Boden aufschlugen.

„Genug?!“, tobte Zork kurzzeitig auf. „Was wisst Ihr oder die anderen hier von genug? Häh?“ Er rülpste lautstark.

„Igitt!“ Robur ließ Zorks Bierkrug los und trat angewidert einen Schritt zurück. Er rümpfte empört die Nase. „Was ist denn in Euch verendet?“ Wütend setzte er das Tablett am Nachbartisch ab und klaubte die Scherben vom Boden auf.

Zork ging auf diese Bemerkung nicht näher ein und fuhr lallend und mit seiner angeschlagenen Reibeisenstimme fort: „Ich habe noch lange nicht genug!“ Protestierend schlug er mit der Faust auf den Tisch und stand auf. Die andere Hand hob er mit gestrecktem Zeigefinger, betrachtete diesen eine Zeit lang irritiert und meinte dann: „Ich könnte Euch Geschichten erzählen … dann …“ Schon hatte er wieder den Faden verloren und sank zurück auf seinen Platz.

Robur verdrehte die Augen und legte die Scherben auf das Tablett.

Zwei Kinder rempelten ihn von hinten an. Sie hatten offenbar den magischen Satz von Zork vernommen und stürmten nun zu ihm.

„Oh ja!“, meinte ein kleines Mädchen, offenbar in freudiger Erwartung einer Geschichte.

„Verschwindet, ihr Ratten!“, blaffte Zork sie ungehalten an.

„Aber wir wollen zuhören“, entgegnete der kleine Junge, der mit dem Mädchen gekommen war.

Zork winkte sie weg, was aber nicht funktionierte. Die Kinder blieben. „Wie die Schmeißfliegen! Wobei wollt ihr denn zuhören?“

Das Mädchen antwortete kleinlaut: „Du hast gesagt, du könntest Geschichten erzählen.“

„Oh ja! Erzähl uns eine Geschichte!“, freute sich der Junge.

Zork nickte. „Soso, Geschichten will die Brut hören.“

„Ja, niemand hat so viel erlebt wie Ihr!“, vermutete eines der Kinder.

„Da habt ihr ausnahmsweise mal recht. Also gut …“

Robur wollte schon protestieren. Was hatten hier diese Kinder zu suchen? Er sah, dass einige der anderen Trunkenbolde in seiner Taverne ihre Söhne und Töchter mitgebracht hatten und hier mit ihnen gemeinsam auf die Rückkehr der anderen Familienmitglieder von den Feldern vor der Stadt warteten. Nach Feierabend schleiften diese dann betrübt ihre Väter, Onkel und Großväter nach Hause.

Robur seufzte erneut. Diese Stadt war nicht nur am weitesten vom Zentrum der Welt entfernt, nein, sie war das dunkelste Dreckloch, das er jemals kennengelernt hatte.

Ich war mit Robur gut befreundet. Er wollte seinen Laden schon immer woanders eröffnen, aber er hatte es nie getan. Sprach ich ihn darauf an, stöhnte er und fragte: „Warum ist der Mensch nur so ein Gewohnheitstier?“ Wäre er es nicht, hätte Robur sein Heil schon längst in einer anderen Stadt gesucht, die womöglich etwas mehr dem Zentrum der Welt zugewandt war. Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf, schnappte sich sein Tablett und ging zum Tresen zurück, wo er es auf demselbigen absetzte.

Zork hingegen wirkte aufgemuntert. Das Interesse der Kinder behagte ihm offenbar. Mit bedeutungsvollem Nicken sagte er: „Ich habe in der Tat höchst Erstaunliches erlebt und kann euch alles erzählen. Wunderbare Geschichten, sage ich euch. Wirklich wunderbare Geschichten.“ Er riss die Augen in Vorfreude auf und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er mochte es, seine Geschichten zum Besten zu geben. „Die kann ich euch alle erzählen.“

Die Kinder sahen sich staunend an. „Wow!“

„Oh, nein!“ Robur schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Ich kann deine ollen Kamellen nicht mehr hören!“

„Schnauze!“, blaffte ihn Zork ungehalten an und knallte, um seine Beleidigung noch zu unterstreichen, den Bierkrug auf den Tisch. In alle Richtungen spritzte der Gerstensaft.

Die Kinder lachten, da sie von dem Getränk nassgespritzt wurden.

Zork wandte sich an eines der Kinder. In seinen Augen stand eine gewisse Erwartung: „Du kleines Balg, Papa braucht noch ein bisschen Alkohol, damit die Geschichte wie geölt von meinen Lippen läuft.“

„Wein?“, hakte das Kind unschlüssig nach.

Der kleine Junge sah ratlos aus, stimmte dem Mädchen dann aber schnell zu. „Ja, nur Wein ist gut genug für einen Magier. Das sagen Mama und Papa immer.“

Zork nickte verschmitzt grinsend. „Wein! Ganz genau!“

„Kommt sofort, Onkel … Magus … Zork“, bestätigten die Kinder und rannten zu ihrem Vater, der bei der fröhlichen Runde saß, die sich in der Nähe des Eingangs niedergelassen hatte.

Robur wollte dieses Mal Zorks Sauferei einen Riegel vorschieben und eilte wieder zu Zorks Tisch. Einige der Dorfbewohner waren neugierig zu ihm hinüber gekommen. Der Vater der Kinder bestellte großzügig eine Flasche Wein für den Magus.

Robur schüttelte den Kopf. „Von mir kriegt er nichts mehr.“

„Hier!“ Jemand reichte dem Dorfbewohner eine Flasche. „Die ist noch fast voll.“

„Viel?“, fragte Zork.

„Das geht so nicht!“, begehrte Robur auf.

„Wieso?“, hakte Zork nach.

„Weil … weil … der Wein noch gar nicht bezahlt ist!“

Der Dorfbewohner, der den Wein hatte bestellen wollen, fingerte eine Münze aus seiner Tasche. „Aber dafür will ich eine Antwort haben.“

„Was für eine Antwort?“

„Doch nicht von dir, du Bierpanscher! Von ihm!“ Er wies auf Zork.

„Von mir?“ Zorks Gesicht verzog sich abweisend. „Ich bin doch kein Lexikon!“

Robur atmete auf. „Genau, er ist doch kein Lexikon“, hieb in dieselbe Kerbe, hoffend, dass damit sein Problem gelöst würde.

Dummerweise hielt jemand Zork die Weinflasche vor die Nase, woraufhin jener feststellte: „Na ja, ich weiß schon so einiges …“ Er griff nach der Flasche und goss sich seinen Becher voll. „Na dann!“ Er setzte den Becher an und trank ihn in einem Zug aus.

„Hat er eben den Wein in sein Bier geschüttet?“, hörte Robur jemanden fragen und griff wütend nach der Münze, die der Dorfbewohner noch immer in seine Richtung gehalten hatte.

Zork setzte den Becher ab und rülpste genüsslich. Er griff nach der Weinflasche, um sich nachzuschenken. Der Dorfbewohner schnappte sie ihm weg. „Erst die Frage!“, verlangte er.

Zork grummelte. „Also gut, die Frage.“

„Warum seid Ihr eigentlich immer so verbal ausfallend zu Kindern?“

Die anderen Dorfbewohner nickten beipflichtend einander zu. „Ja, das ist eine gute Frage.“

„Diese Frage ist eine Flasche Wein wirklich wert“, lobte ihn ein anderer und prostete ihm zu.

„Ich?“ Zork wirkte erstaunt. „Ich soll verbal ausfallend zu Kindern sein?“

Die Leute nickten.

Der edle Magus war verblüfft. Wie konnte man nur so von ihm denken? Er runzelte die Stirn und stellte für alle klar: „Ich bin auf keinen Fall immer verbal ausfallend zu Kindern. Das könnt ihr definitiv nicht behaupten.“ Er überlegte kurz. „Vielleicht war ich es ein einziges Mal. Passt auf! Ich werde euch nun von meiner Ankunft in Nightport erzählen und ihr sagt mir dann einfach, ob ich da …“ Er setzte die folgenden Worte mit seinen Fingern in Anführungszeichen. „… verbal ausfallend war.“

Die Dorfbewohner erklärten sich damit einverstanden und prosteten dem Magier gut gelaunt zu. Dieser nahm selbstgefällig die ihm von einem Gast gereichte angebrochene Weinflasche und goss deren halben Inhalt in seinen Humpen. Gierig blieben seine Blicke auf dem Wein haften und er leckte sich genießerisch mit der Zunge über die Lippen.

„Also!“, meinte Zork und scheuchte den Wirt davon, der wutschnaubend seinen Tisch verließ und ihm von hinter dem Tresen giftige Blicke zuwarf.

Zork begann noch einmal. „Also, ich war mit meinem getreuen Esel und meiner Eselskarre auf dem Weg durch die Lande, als ich von dem weit abgeschiedenen Dorf Nightport hörte. Der Fluss, an dem euer Kaff liegt, war schon lange ausgetrocknet und einen Port hatte es sowieso nie gegeben, aber gut … Ihr braven Menschen wusstet sicherlich, warum ihr euer Dorf so nanntet.“

„Jawohl!“, prosteten ihm die Männer zu und die Kinder taten es ihnen mit imaginären Bechern nach. Ich bezweifelte allerdings, dass auch nur einer den Ursprung des Stadtnamens hätte erklären können.

„Wie dem auch sei“, fuhr Zork fort. „Ich döste auf dem Bock meiner Eselskarre und ließ Victor die ganze Arbeit tun.“ Bevor einige stirnrunzelnde Bauern ihre Frage stellen konnte, kam ihnen Zork zuvor: „Victor ist mein Esel, das ist ja wohl klar.“

Wieder kam zustimmendes Gemurmel auf. Die Männer nickten wissend und prosteten Zork erneut zu.

Zork verdrehte die Augen, fuhr aber ohne einen weiteren Kommentar fort: „Als ich meine Augen öffnete, blickte ich in einen wunderschönen, roten Sonnenuntergang. Ein Geruch von Jasmin lag in der Luft und einige emsige Bienchen summten an mir vorbei, während ich, noch ein wenig schlaftrunken, nach Victors Zügel fischte.“

„Was für eine schöne Bildmalerei!“, lobte ihn einer der Männer. Die Kinder setzten sich im Schneidersitz vor dem Tisch des Magus hin und lauschten aufmerksam der Erzählung.

„Da kamen auf einmal einige Kinder über einen saftigen, saphirfarbenen Grashügel gerannt“, fuhr Zork in seiner Erzählung fort. „Die Kinder riefen mir etwas zu. Sie erwarteten anscheinend von mir irgendetwas Besonderes. Das hörte ich aus dem Klang ihrer Rufe heraus. Und dann verstand ich sie.“ Zork äffte in dem Tonfall der Kinder nach: „Wenn ein Magier vorbeikommt, muss er uns ein Feuerwerk zeigen!“ Zork trank einen kleinen Schluck Wein. „Was hättet ihr da gemacht?“

Die Leute zuckten mit den Schultern und sahen sich gegenseitig fragend an.

„,Packt euch, ihr Bälger! Seht zu, dass ihr Land gewinnt!‘, fauchte ich sie vom Bock meiner Eselskarre an. ‚Ich werde doch nicht meine teuren Zutaten für euch Kanaillen verschwenden!‘“

Die Leute starrten Zork verständnislos an.

„,Och, so ein Mist‘, meinte eins der Bälger“, fuhr Zork fort. Er hatte jedoch mitbekommen, dass es um ihn herum seltsam still geworden war. „‚Was für ein Reinfall‘, beschwerte sich ein anderes Kind.“ Zork nahm einen weiteren tiefen Schluck und setzte dann den Humpen geräuschvoll ab. „Als diese Bälger immer noch um meine Eselskarre herumschwirrten und mich sogar einer von ihnen mit einem Kiesel bewarf, um mich auf diese Art zum Zaubern zu bewegen, ließ ich dann doch noch ein Feuerwerk los.“

Die Leute klatschten Beifall. Ich konnte mir zweifelsfrei vorstellen, dass sie den Magier für seine gute Ader und sein edles Gemüt bewunderten, doch leider lagen sie damit völlig falsch.

Zork kicherte vor sich hin. „Das Feuerwerk ließ ich los! Jawohl! Direkt in ihre verdammten Hintern! Mann, ihr hättet ihre fassungslosen Gesichter sehen müssen! Diese Bälger!“ Zork sah lebhaft die Erinnerung vor seinem geistigen Auge. Seine magischen Raketen sausten, einen Schweif hinter sich herziehend, in langen Schlangenlinien durch die Luft. Als sie schließlich ihr Ziel fanden, zerstoben sie mit einer orange-roten Flamme und einem Haufen Funken. „Und dann ihr Schmerzensgeschrei!“ Zork konnte ein weiteres Kichern nicht unterdrücken.

„Toll!“, lobten ihn die sitzenden Kinder. „Wir wollen auch mal so was sehen.“

Die Erwachsenen verstanden Zorks Gerede sehr wohl und wussten, was der Magus da veranstaltet hatte.

„Hey, Zork!“, rief ein mutiger, dicker Mann aus ihrer Mitte. „Was ist dein Problem?“

„Häh?“ Zork sah sich unsicher um. „Wie zum Geier meint Ihr das? Das war doch gar nicht …“

„Du quälst sie!“, fielen ihm die Männer ins Wort. „Das war ja wohl so richtig mies, was du da gemacht hast! Richtig mies! Richtig, richtig mies!“

„Aber …“ Zork öffnete den Mund zu einem weiteren Protest ansetzend, schaute dann verlegen zu Boden und murmelte: „Na ja, das mit den Raketen war wohl doch etwas übertrieben.“

„Aha! Da seht ihr, wozu der Magier fähig ist!“, mischte sich Robur vom Tresen her ein. „Jetzt stellt euch mal vor, was er mit euch macht, wenn er so richtig betrunken ist!“ Für einen dramatischen Abschluss seiner Rede feuerte er ein Handtuch auf den Tresen.

„Ach“, winkte einer ab. „Die zwei Mal im Jahr! Mach deswegen nicht immer so einen Wirbel!“

„Zweimal im Jahr!?“ Robur warf erneut die Hände gen Decke. „Diese einfältigen Dorfbewohner!“

Zork blickte betreten zu Boden und nahm dann noch einen Schluck Wein. „Kinder nerven mich eben immer und überall, wo ich ihnen begegne.“

„Pah!“, meinten die Dorfbewohner im Chor. „Da steckt doch mehr dahinter!“

„Mehr?“, wunderte sich Zork.

„Was hast du gegen Kinder? Niemand hat was gegen Kinder, warum du?“, wollte ein zittriger Tattergreis von dem Magus wissen.

Ein schlimmes Ereignis aus Zorks Jugend keimte in ihm auf. Er hatte es mit aller Macht verdrängen wollen, doch, wie ich glaubte, da die Menschen Anteil an seinem Schicksal nahmen, kehrte diese schlimme Erinnerung wieder an die Oberfläche zurück. Zork fing an zu weinen.

Robur sah befremdet den Magus an. „Was habt Ihr?“

„Es hat alles mit einem tragischen Schicksalsschlag aus meiner Jugend zu tun!“ Mit dem Ärmel wischte sich Zork die Tränen und was so an Wein am Kinn entlang gelaufen war, aus dem Gesicht und beschmierte sich dabei die Robe. „Mein Vater …“, jammerte Zork. „Er ist an allem schuld … nein … nicht nur …“

„Ja!“, frohlockten die Kinder. „Eine neue Geschichte! Erzähle sie uns doch bitte!“

„Nun … gut …“ Er nahm noch einen weiteren Schluck Wein und leerte dann die restliche Flasche in den Humpen. „Ohh … leer …“, stellte er fest. Er deutete einem ihm nahestehenden Mann an, dass er unbedingt noch mehr Wein brauchte. Der Dorfbewohner nickte verstehend und eilte hinter den Tresen.

Robur versuchte zwar den Mann aufzuhalten, doch es gelang ihm einfach nicht. Dafür kassierte er wenigstens einen Teil der Summe für die Flasche gleich von ihm ab. Daraufhin war der Mann blank.

Zorks Stimme wurde wieder eine Spur weniger weinerlich. „Dieses Ereignis hat mich für immer gezeichnet, deswegen bin ich immer so verbittert und schlecht gelaunt.“

„Hört, hört!“, meinten die Dorfbewohner. Neugierig rückten sie ein Stück näher an Zork heran, denn sie hingen ihm förmlich an den Lippen.

Zork seufzte und öffnete halb seine glasigen Augen. Seine Wangen waren mittlerweile puterrot geworden. Obwohl er direkt auf seine Zuhörer schaute, blickte er in Wirklichkeit weit zurück in die Vergangenheit. „Ich war klein, vielleicht gerade einmal sechs Lenze alt. Garantiert nicht mehr. Ich wollte es damals allen meinen Zweiflern zeigen. Ich fühlte mich schon immer zum Magier berufen, auch wenn es die anderen Kinder, mit denen ich aufgewachsen war, nicht glauben wollten.“ In Gedanken glitt er zurück in die Vergangenheit, und während er weiter erzählte, sah er alles wieder vor sich …

Damals lebte er mit seinen Eltern am Rande des Dorfes Castlerock. Sie wohnten in einer Hütte und besaßen auch sonst nicht viel. Sein Vater verdiente sein Geld mit ehrbarem Handwerk: Er war ein geachteter Schmied. Seine Mutter wusch für reiche Leute die Wäsche. Für Klein-Zork war das Schreinerhandwerk von seinem Vater auserkoren worden. Wenn er geschickt genug war, um es auszuüben, sollte er damit auf eigenen Beinen stehen und eine Familie gründen. Doch Zork wollte schon seit frühester Jugend ein Magier werden.

„Schlag dir das aus dem Kopf!“, entgegnete sein Vater immer ungehalten, für den Magie kein richtiges Handwerk darstellte, und schalt ihn dafür mit einem Schlag auf den Kopf. Zork ließ sich aber davon nicht entmutigen.

Im Hausinneren hielt er sich eine kleine Eidechse, die er liebevoll ‚El Ringo‘ nannte. Sie füllte gerade einmal die Hand des Jungen aus; er liebte sie aber abgöttisch. In dieser Welt war sie sein einziger Freund. Wie lachten die Nachbarskinder ihn immer hämisch aus! Sie besaßen Katzen – er durfte keine ihm zugelaufene behalten – oder Hunde, die die Eidechse liebend gern gefressen hätten. Einmal hatten die Nachbarskinder versucht, einen ihrer Hunde auf El Ringo anzusetzen.

„Ihr seid ja sooo gemein!“, rief Zork, schnappte sich sein Haustier und rannte so schnell davon, wie er nur konnte und wie weit ihn seine Füße trugen. Meist schaffte er es nur bis zur Mühle. Dort hockte er dann allein im Schatten des Mühlrades und heulte vor Frust und Enttäuschung. Was konnte er dafür, dass sich seine Familie, trotz all der Arbeit seiner Eltern, keine größeren Haustiere leisten konnte? Sein Traum von einem Pony war schon lange zuvor geplatzt. Obwohl sie rund um die Uhr schufteten, reichte das Geld nur, um über die Runden zu kommen und neue Werkzeuge für die Schmiede seines Vaters zu kaufen.

Eines Tages hatte Zork die ständigen Hänseleien satt und er beschloss, seine größten Probleme mit einem Zauberspruch zu lösen. Er wollte seinem Vater beweisen, dass er zum Zauberer taugte, und den Kindern wollte er ein Haustier präsentieren, das ihres würde auffressen können, wenn es das gewollt hätte. Er forschte also nach einem Vergrößerungszauber, der ihm den gewünschten Erfolg bringen sollte.

Dazu wanderte er in die nächste Stadt, die nur wenige Stunden von Castlerock entfernt war, und besuchte den dortigen Buchladen. Durch einen Zufall hatte er in einem Gespräch zweier Erwachsener von ihm erfahren. Bisher hatte er nämlich nicht gewusst, wo dieser Laden eigentlich zu finden war.

Im Inneren des Buchladens staunte der angehende Magier nicht schlecht. All die vielen Stapel mit prächtig gebundenen, dicken Büchern ließen ihn von einer grandiosen Magierkarriere träumen. Hier musste er einfach finden, wonach er suchte!

Zork durchforstete zielstrebig einen Stapel mit Magiebüchern. Als der Ladenbesitzer Klein-Zork musterte und sah, wofür der sich interessierte, rieb er sich über seine Knollennase, bückte sich zu dem Jungen hinunter und meinte: „Kleiner, du willst also ein Magier werden?“

Zork sah den Erwachsenen erstaunt an. Er hatte seinen Herzenswunsch auf Anhieb erraten.

„Möchtest du eines der Bücher vielleicht kaufen?“, wollte der Buchladenbesitzer wissen und deutete auf die Bücher.

Klein-Zork folgte seinem Blick und nickte schließlich heftig.

„Gut“, sagte der Ladenbesitzer knapp. „Du kannst sie gerne haben.“

„Oh, danke!“, rief Zork ihm zu und strahlte über das ganze Gesicht.

„Wenn du mir eine Münze als Bezahlung für jeweils eins davon geben kannst. Das ist ja klar!“

Klein-Zork starrte den Ladenbesitzer mit weit aufgerissenem Mund an, so als wollte dieser ihn ausrauben. „Was denn? Eine ganze Münze?“

Für Zork war es bisher eigentlich üblich gewesen, Münzen zu teilen, da sie bei uns gemäß ihrem Materialwert als Zahlungsmittel dienten.

„Nun ja …“, meinte der Ladenbesitzer, richtete sich wieder auf und lachte ihn an. „Für Kinderhände sind sie eigentlich nicht unbedingt geeignet. Daher würde ich sie dir auch normalerweise gar nicht verkaufen, aber in dir sehe ich etwas … etwas Besonderes, das mich dir diese Bücher verkaufen lässt. Ich kann es selbst nicht genau erklären.“ Er grinste Klein-Zork verschlagen an. „Lass sie hier und komm wieder, wenn du das Geld hast! Aber ich kann dir natürlich nicht versprechen, ob sie dann noch da sein werden.“ Der Ladenbesitzer zwinkerte ihm vielsagend zu. „Das ist klar, oder?“ Er legte, als sich Klein-Zork nicht rührte, den Kopf schief und meinte: „Kommt darauf an, wie wichtig sie für dich sind.“

Klein-Zork nickte zu dem letzten Satz und betonte: „Und ob sie wichtig für mich sind!“ Er kramte in seinen Taschen herum. Für eine Auslieferung einer wertvollen Waffe, die sein Vater angefertigt hatte, hatte er vorletzte Woche einen ganzen Silberling von dem großzügigen und reichen Empfänger erhalten. Als Trinkgeld. Das war der größte Verdienst, den er jemals als Bote bekommen hatte. Den Besitz der Münze hatte er jedoch seinen Eltern verschwiegen.

Zork brauchte nicht lange zu überlegen, denn er wusste, dass er mit den Magiebüchern sein Leben verändern konnte. Er musste es sich nur leisten. So reichte er dem Buchladenbesitzer die Münze und dieser hob erstaunt die Augenbrauen.

„Was? Einen ganzen Silberling besitzt du? Nun, in dem Fall kannst du dir zwei Bücher aussuchen.“ Er biss zur Sicherheit noch einmal auf die Münze, um auf diese Art deren Echtheit zu überprüfen, und nickte dem Jungen bestätigend zu.

„Juchhu!“, freute sich Klein-Zork, suchte sich noch ein Buch heraus, hob dann triumphierend beide Bücher hoch und stürmte aus dem Laden.

Des Abends, seine Mutter war von ihrer Arbeit noch nicht zurückgekehrt und sein Vater lieferte gerade selbst einen Gegenstand aus, las er parallel in beiden Büchern im Schein einer herabgebrannten, flackernden Kerze. Diese hatte Klein-Zork einmal bei einem anderen Botengang geschenkt bekommen. Richtige Fenster besaß ihre Hütte noch nicht. Nur kleine Vorhänge waren vor zwei Öffnungen in der Wand gezogen worden. So kam es, als er sich nun in das eine Buch vertiefte, dass der Wind, der durch ein offenes Fenster in die Stube strich, im anderen Buch unbemerkt einige Seiten nach vorn blätterte. Das Ende vom Lied war, dass Klein-Zork, anstatt nun den von ihm gesuchten Vergrößerungszauber zu konstruieren, mir nichts dir nichts den Verwandle-eine-beliebige-Kreatur-in-einen-Drachen-und-vergrößere-sie-dann-Zauber ™ erschuf, der heute noch Patentschutz in der Magiergilde genießt, aber nur im hoch gesicherten Archiv der Gilde zu finden ist.

Zork sah auf. Er schaute in die Gesichter der Dorfbewohner, die ihm sichtlich beeindruckt lauschten. „Nun ja“, räumte er ein, „mit diesem Drachenzauber schoss ich wohl ein klein wenig übers Ziel hinaus. Aber ich war ein Knabe, ich wusste es nicht besser.“ Dann nahm er einen tiefen Schluck aus dem Weinglas. Seine Hände zitterten dabei, seitlich lief ihm die Flüssigkeit am Kinn herunter. Achtlos wischte er sie mit dem schmutzigen Ärmel seiner Robe ab, die er auf diese Art und Weise noch weiter besudelte. Dann erfasste ihn erneut die Erinnerung und die Dorfbewohner bekamen angesichts seines Blickes eine dumpfe Vorahnung von dem, was der Magus ihnen nun erzählen sollte …

Der Tag, an dem Zork es den Nachbarkindern heimzahlen wollte, kam nur wenige Wochen nach dem Kauf der Bücher. Als Klein-Zork auf die hänselnden Kinder traf, trat er ihnen mutig und selbstbewusst entgegen, was die anderen so von ihm nicht gewohnt waren. Dann gab er vor ihnen an: „Meine Echse wird heute von mir vergrößert. Sie wird noch größer werden als dein Hund Benno!“ Klein-Zork deutete auf den stolzen Hundebesitzer, der bloß süffisant lächelte.

Kichernd folgten sie Zork. Sie hielten seine Angeberei für einen lahmen Trick, der in die Hose gehen würde, wonach sie ihn ordentlich hänseln konnten. Sie hätten nicht falscher liegen können …

Klein-Zork öffnete die Tür zu seinem bescheidenen Zuhause und führte seine Zweifler hinein. Nach einem besonders lohnenswerten Auftrag hatte sich sein Vater heute einen freien Tag gegönnt, war aber im Moment nicht da. Er holte gerade einen Eimer Wasser und solange hatte Zork das Haus für sich allein. Die anderen tuschelten und kicherten bereits wieder hinter seinem Rücken.

„Nun, du Null?“, wollte einer der Jungs wissen und sah sich um. „Was willst du können?“

Die anderen Jungs mussten unweigerlich lachen.

Zork begann, im Inneren vor Wut still vor sich hin zu kochen.

„Du warst ein Versager, du bist einer und du wirst auch immer einer sein!“, spottete ein anderer Junge, der wesentlich größer war als er.

„Nein!“, widersprach Zork zornig, hielt sich aber im Zaum. Vor jenem denkwürdigen Tag hatte er einige Zauber geprobt. Dabei hatte er festgestellt, dass sie fehlschlugen, wenn er sich zu sehr auf Wut oder Rache konzentrierte. Er durfte sich keinesfalls bei diesem Zauber von seinen Gefühlen ablenken lassen, wenn er es ihnen wirklich allen zeigen wollte. So nahm er, bevor er loslegte, El Ringo in die Hand und streichelte ihn liebevoll.

Die anderen sahen ihn verständnislos an.

„Was willst du mit dieser kleinen Ratte?“, fragte einer und schüttelte den Kopf.

„Die kennen wir schon!“, meinte ein anderer. „Mach’ jetzt endlich hin!“

„Er ist keine Ratte“, bemerkte Zork und hob eine Hand, „und heute werde ich El Ringo vor euren Augen vergrößern.“

Die anderen brachen in schallendes Gelächter aus.

Der größere Junge beruhigte sich als erster und meinte grinsend: „Na, dann mach mal! Wir bleiben bei dir. Wenn es schiefgeht … Dann weißt du ja, was dich erwartet, Freundchen … äh … großer Magus!“ Bei seiner letzten Bemerkung machte er eine gespielte Verbeugung vor Klein-Zork.

„Ja, lacht ihr nur, ihr Dummschwätzer!“ Zork setzte die Eidechse vorsichtig und sehr bedacht auf dem Fußboden ab, wo sie auch brav sitzen blieb, und rief sich seine zusammengebastelte Zauberformel ins Gedächtnis. Bisher hatte er diese noch nie ausprobiert. Mit den Händen fuchtelte er in Richtung der Eidechse. Wie von selbst suchte sich die magische Energie ihren Weg und dann wirkte Zork schließlich den Zauber auf El Ringo aus.

Das Erste, was passierte, war, dass ein erstauntes Raunen durch die Gruppe der Kinder ging. Klein-Zork hatte mit geschlossenen Augen gezaubert und er öffnete nun eines, um seine Eidechse zu begutachten. Er hatte die Befürchtung, dass er nicht richtig gezielt hatte und der Zauberspruch daneben gegangen war.

Doch vor den Augen der anderen Kinder hatte sich El Ringo verwandelt. Die Eidechse hatte winzige Flügel bekommen. Nun wurde ihr Kopf größer und das kurze Maul zog sich in die Länge. Die Kinder konnten sogar sehen, wie sich in dessen Innerem, wie aus dem Nichts, blitzende, scharfe Zähne bildeten. Das Letzte war, dass El Ringo einen Schuppenpanzer wie ein Drache bekam. Erst nach dieser kompletten Verwandlung wuchs El Ringo rapide zur vollen Größe eines Drachen an.

Nun hielten es die Kinder nicht mehr aus. Sie rannten schreiend aus dem Haus. Dabei stießen sie laut die Tür auf, die gegen die Hauswand krachte. Klein-Zork konnte sich nur noch eines seiner beiden Zauberbücher greifen und lief dann den anderen hinterher. Als sie draußen angekommen waren, suchten die Kinder trotzdem nicht das Weite. Zu groß war ihre Neugierde. Sie blieben in einem respektvollen Abstand vor Zorks Elternhaus stehen und warteten gespannt ab, was nun wohl geschehen würde.

Etwas brüllte laut und dieses Etwas krachte im Inneren des Hauses geräuschvoll gegen die Wände. Zu diesem Zeitpunkt hatten einige Dorfbewohner etwas mitbekommen, die von ihren Feldern heimkehrten, und blieben ebenso wie die Jungen vor dem Haus stehen. Tobte darin etwa Zorks Vater? Wenn ja, dann war es für den armen, kleinen Zork bestimmt besonders schlimm.

Plötzlich barsten die Seitenwände des Hauses, die Splitter stoben auseinander wie Konfetti im Wind und es wuchsen mächtige, lederhäutige Schwingen aus beiden Löchern.

„Oh, oh!“, sprach Klein-Zork besorgt. „Das gibt Ärger.“

Die ersten Dorfbewohner gingen in Deckung, während die Gruppe der Kinder mit offenen Mündern einfach nur wie angewurzelt dastand und staunte. So etwas hatten sie wirklich noch nie zuvor gesehen.

Die Haustür wurde aufgesprengt und der riesige Schwanz des Drachen kam zum Vorschein. Es krachte noch einmal. Aus der anderen Seite des Hauses schaute nun der lange Hals mit dem Kopf des Drachen heraus. El Ringo, oder El Ravager, wie er später von den anderen Kindern umgetauft wurde, glotzte Zork noch einmal perplex an, brüllte auf und flog mitsamt Zorks Elternhaus einfach so davon. Einige Bruchstücke fielen in stetem Regen auf den Erdboden herunter.

Klein-Zork glotzte gemeinsam mit den anderen Anwesenden dem Drachen hinterher. Kurz vor den nahen Bergen schwebte El Ravager auf einmal auf der Stelle, schüttelte sich kräftig und ließ so das ihn umgebende Haus, in dem er noch immer feststeckte, an den Berghängen in Trümmerstücken herabregnen. Daraufhin fauchte er noch ein letztes Mal kräftig, spie eine Stichflamme und verschwand dann auf Nimmerwiedersehen.

Die Dorfbewohner starrten ihm nach. Sie glotzten in die Ferne, als erwarteten sie, dass der Drache zurückkam. Oder dass jemand auftauchte, der alles zu einem Scherz erklärte.

Stattdessen kehrte Zorks Vater zurück. Ein Kind, das ihn bemerkte, flüsterte einem anderen zu: „Der wird bestimmt durchdrehen!“

Das riss Zork wieder in die Wirklichkeit zurück. Erst jetzt sackte zu ihm durch, was er da angerichtet hatte, und es bildete sich in seinem Hals ein dicker, fester Kloß. Er konnte sich nicht rühren und nichts sagen. Also blieb er weiterhin an Ort und Stelle stehen. Was hätte er, außer auszuwandern, jetzt auch noch unternehmen können?

Die anderen warfen ihm mitleidvolle Blicke zu. Jeder war gespannt darauf, wie Zorks Vater wohl auf die Hausvernichtung reagieren würde.

Nun, zunächst öffnete er bei seiner Rückkehr seelenruhig die nicht mehr vorhandene Eingangstür, setzte den Eimer Wasser wie gewohnt am Boden neben dem nicht mehr vorhandenen Herd ab und blickte durch das nicht mehr vorhandene Fenster auf den Dorfplatz. Erst jetzt stellte er fest, dass etwas nicht stimmte. Er konnte von den Leuten auf der Straße wesentlich mehr als für gewöhnlich sehen. Das war seltsam. Er sah sich um und stellte fest, dass die gesamte Inneneinrichtung, alle Wände und … ja … das ganze Haus nicht mehr vorhanden war.

Er begann zu schreien. Während er aus dem nicht mehr vorhandenen Haus heraus rannte – nicht ohne vorher ordnungsgemäß die nicht mehr vorhandene Tür zu öffnen – suchte er nach dem Vandalen, der das Haus wohl abgerissen haben konnte.

Schließlich fanden seine wild herumspringenden Augen einen fixen Punkt. Die Pupillen beruhigten sich und er fokussierte diesen Punkt. Dann fing er an zu knurren. Seine Gesichtsfarbe wechselte zu rot und dann zu purpurrot. Er schrie: „ZORK! WAS HAST DU WIEDER ANGESTELLT?“ Er rannte ohne Umwege auf Zork zu – die anderen Kinder sprangen entsetzt zur Seite – und verpasste seinem Sohn eine schallende Ohrfeige. „DU SCHEIß-BALG! DU UNNÜTZES SCHEIß-BALG!“

Zork rieb sich die Wange. Die Dorfbewohner waren tief bestürzt über die tragische Geschichte und klopften dem Magus aufmunternd auf die Schulter.

Zork begrub das Gesicht in seinen Händen und heulte. Ihn in diesem Zustand zu sehen, machte mir stark zu schaffen. Der legendäre Magier, der beinahe im Alleingang die großen Kriege unseres Landes gewonnen hatte, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich konnte es nicht fassen.

An dieser Stelle sei nun endlich etwas zur Person des Chronisten angemerkt, welcher in seiner bescheidenen, aber äußerst akribischen Art und Weise die aufregenden Abenteuer des Magiers Zork und seiner Queste wiedergeben darf.

Mein Name ist Clavius Berrywell und ich bin seit frühester Jugend im Kloster St. Michael des Heiligen Ordens der Brüder der reinen weißen Feder aufgewachsen und nach ihren Regeln aufgezogen worden. Nun, da ich 45 Jahre alt geworden bin, habe ich endlich das Recht, nein, das Privileg erlangen können, in der Bibliothek des Ordens als Schreiber und Chronist tätig zu sein.

Wie es die Vorsehung so wollte, schickte mich der oberste Bruder der Schreibstube an diesem denkwürdigen Abend vor über einem Jahr in die Taverne des Wirts Robur, der einige Tintenfässer von herumreisenden Händlern als Bezahlung ihrer Zeche erhalten hatte. Diese sollte ich für einen günstigen Preis erstehen.

Während ich mit dem Wirt um den Preis der Fässchen feilschte, fielen meine Blicke unweigerlich auf den legendären Magier Zork, dem alle Anwesenden zu diesem Zeitpunkt gebannt bei seiner Erzählung lauschten. Sein Anblick lenkte mich etwas ab, letztlich wurde ich mit Robur aber doch einig.

Just als wir den Handel mit Handschlag besiegelten, beendete Zork seine Erzählung. Ich ergriff die Gelegenheit und stellte mich dem Magus vor.

Er musterte mich und sprach dann zu mir: „Bleib’ bloß weg von mir, du religiöser Spinner!“ Dann schüttelte er den Kopf, als vertriebe er düstere Gedanken, und fragte mich in freudiger Erwartung: „Hast du vielleicht etwas Wein?“ Er deutete auf die leere Flasche auf seinem Tisch. „Sie ist leer und diese Burschen hier haben kein Geld mehr, mir eine neue zu besorgen. Anschreiben geht bei Robur nicht. Ganz besonders ich darf das nicht.“ Er schaute mir von unten her hoffend in die Augen, es war ein treuherziger Hundeblick. „Aber wie ist es mit dir? Ihr Brüder habt doch immer Wein dabei, nicht wahr?“

Ich versuchte, dem Magus kurz und bündig zu erklären, dass die Mönche des heiligen Ordens nur in der nahen Stadt den Wein verkauften und dass niemand Probeflaschen des Weines bei sich trug.

Zork starrte mich verständnislos an und fragte, als ich geendet hatte: „Also, hast du jetzt Wein bei dir oder nicht?“

Während ich noch versuchte, mich Zork verständlich zu machen, trat Joseph Rankour ein. Der Abgesandte des Königs John Tallgood des Ersten wurde von vier Männern der Palastwache eskortiert. Zielstrebig schritten sie durch die ehrfürchtig zurückweichende Menge auf Zork zu, wo der Abgesandte sich vor ihm aufbaute und eine Pergamentrolle ausrollte. Er setzte seinen güldenen Zwicker auf und verlas ohne weitere Umschweife oder Höflichkeitsfloskeln: „Das heilige Orakel hat Eurem König eine Queste aufgetragen. Und Ihr …“ Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Zork, der ihn fragend anstarrte. „… müsst sie für Euren Herrscher erfüllen! So wurde es geweissagt, so muss es geschehen und so wird es auch vonstattengehen!“

Zork stierte den Abgesandten angriffslustig an. „Verpiss dich!“

Der Abgesandte warf einen vernichtenden Blick auf Zork. „Darf ich den Magus vielleicht daran erinnern, dass er nach seinem letzten Saufgelage eine riesige Menge an Sozialdienststunden für seinen König abzuleisten hat? Er steht also in dessen Schuld!“

Zorks Gesicht verfinsterte sich immer weiter. Sein Körper war zudem so angespannt wie der einer sprungbereiten Katze.

Der Abgesandte fuhr fort: „Es dürfte ihm wohl auch nicht entfallen sein, dass ihn die königliche Wache splitterfasernackt im Palastbrunnen aufgegriffen hat, als er im Begriff war, es mit einem Paar …“

„Schon gut! Scheiße noch mal!“, unterbrach ihn Zork unwirsch, stand auf und hieb aufgebracht den Bierkrug auf den Tisch, der daraufhin seinen Inhalt auf demselbigen verteilte. „Ich mach’s ja!“

Ein genüssliches, süffisantes Lächeln umspielte die Lippen des Abgesandten.

Zork knurrte wütend. Er hätte dem Lackaffen liebend gern eine in die Kauleiste gegeben und mit den Worten „Ach, scheiß drauf!“ tat er’s dann auch.

Unnötig zu erwähnen, dass die Palastwachen Zork daraufhin ergriffen, noch ehe der hochnäsige Abgesandte zu Boden gegangen war. Unnötig auch zu erwähnen, dass Zork sich bei seiner Gefangennahme aufs Heftigste widersetzte, er Zeter und Mordio schrie, während einige betrunkene Dorfbewohner erfolglos versuchten, ihn aus den Fängen der Wachen zu befreien. Es ist ebenso unnötig zu erwähnen, dass die Gesetzeshüter den armen Magus gegen seinen Willen zur Burg mitnahmen, wo er die Nacht dann in der Ausnüchterungszelle verbringen musste. Warum dies hier dennoch geschrieben steht? Der Vollständigkeit halber. Dieser Chronist legt nämlich äußerst viel Wert auf Genauigkeit und eine schonungslos ehrliche Darstellung der Begebenheiten. Daher fasse ich am Ende mancher Kapitel für den Leser einige selbstverständliche Abläufe kurz zusammen.

Noch ein Nachtrag: Dieser Chronist wurde soeben vom obersten Bruder seines Ordens ermahnt, die Überschriften weniger ausufernd ausfallen zu lassen und den Inhalt der einzelnen Kapitel mit ihnen kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen. Nun, so sei es denn. Also! Wie man im Theater sagen würde: Vorhang auf für …

Zorks Queste

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