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Erstes Kapitel, in dem Vlad Dracula wieder Single ist und Oma Stoica sich an ihrer Schwiegertochter festbeißt

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Dorian Dracula hasste Geburtsnächte, ausgenommen seine eigenen. Noch schlimmer waren Gedenkfeiern. Aber diesmal konnte er sich nicht davor drücken. Schließlich war es die Gedenkfeier zu Ehren seiner Mutter. Aida Dracula war vor drei Jahren spurlos verschwunden.

»Sie wird niemals wiederkommen«, sagte Vlad Dracula, Dorians Vater, und kippte den letzten Rest Blutburger Teufelstropfen in sein Glas. »Aida ist nicht mehr. Was würde ich dafür geben, dass meine Liebste bei meiner fünfhundertsten Geburtsnacht dabei sein könnte.«

Seine Zunge war schon etwas schwer und sein Blick noch glasiger als sonst. Die Kerzen warfen zuckende Schatten auf sein Gesicht. Dorian fand, dass Papa ziemlich schlecht aussah.

»Du solltest nicht so viel trinken, mein Freund«, meinte Victor Frankenstein und legte Vlad beruhigend die Hand auf die Schulter. »Es ist nicht das richtige Mittel, deinen Schmerz zu betäuben.«

Professor Frankenstein war als einziger Mensch bei der Feier zugelassen. Weil er ein Mittel für Langlebigkeit erfunden hatte und immerhin schon mehr als zweihundert Jahre alt war, durfte er sich in Vampirkreisen bewegen. Er war ein guter Freund von Vlad Dracula, und die beiden Männer standen sich in Krisenzeiten bei.

Seit Aidas Verschwinden benötigte Vlad den Zuspruch seines Freundes mehr denn je.

Dorian erinnerte sich noch genau an die Nacht vor drei Jahren. Eigentlich hatte Aida nur schnell neue Zigarren für ihre Schwiegermutter holen wollen. Oma Stoica hatte schon die ganze letzte Zeit deswegen gequengelt.

»Ich dachte, du hast mir die Zigarren längst bestellt! Wahrscheinlich hast du es wieder vergessen. Auf dich ist nie Verlass! Vlad hätte dich niemals heiraten dürfen. Es war ein großer Fehler …«

»Beruhige dich, Schwiegermama«, hatte Aida gesagt. »Der Händler hat doch diesen neuen Lieferanten, seit der alte meinte, er müsste einen Döner mit extra starker Knoblauchsoße versuchen. Er ist noch immer in der Reha. Deine Zigarren kommen aus dem fernen Kuba, und das dauert eben einige Wochen. Ich kann auch nichts dafür, dass die vorige Sendung irgendwo in den Karpaten verloren gegangen ist.«

Doch Oma Stoica war nicht überzeugt gewesen. »Lügen, nichts als Lügen!«, hatte sie gekeift. »Wahrscheinlich hast du die Zigarren selbst geraucht!«

Aida war sehr geduldig und ließ sich nicht so schnell von ihrer Schwiegermutter provozieren. Um des lieben Friedens willen war Aida schließlich losgegangen, um in dem kleinen Tabaklädchen am Ende der Straße nach den Zigarren zu fragen. Nachdem sie nach vier Stunden noch nicht zurückgekehrt war, hatte Vlad begonnen, sich Sorgen zu machen. Und nicht nur er. Auch Dorian war sehr beunruhigt. Opa Andreji, der Aida sehr mochte, war ebenfalls total durch den Wind. Er verließ sogar sein Turmzimmer, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Mit seinen damals siebenhundertdreizehn Jahren war Opa Andreji noch immer zu stolz, um eine Brille aufzusetzen. So stolperte er auf der schmalen Wendeltreppe und brach sich das Genick. Hinterher behauptete er, Oma Stoica hätte ihn geschubst – was natürlich nicht stimmte. Oma Stoica war zum Zeitpunkt des Unfalls längst unten im Salon gewesen. Zum Glück war Opa ein Vampir, und ein Vampir stirbt nicht an einem Genickbruch. Opa Andreji musste nur einige Wochen lang einen unbequemen Halskragen tragen.

Alle waren wegen Opas Unfall und Aidas Verschwinden voller Sorge. Aida blieb leider verschwunden, während Andrejis Genickbruch wieder heilte. Trotzdem nutzte Opa jede Gelegenheit, um zu jammern.

»Dieser verdammte Kragen bringt mich noch um! Kein Wunder, dass das verfluchte Ding Vatermörder heißt. Ich werde den Kragen in meine Sammlung aufnehmen!«

Opa Andreji besaß eine stattliche Sammlung mittelalterlicher Folterinstrumente. Er war sehr stolz darauf und staubte die Teile jede Woche liebevoll ab. Ab und zu kam ein neues Stück dazu, das Dorian in Opas Namen im Internet ersteigern musste.

Auch in der heutigen Nacht waren die Großeltern aus ihrem Turm herabgestiegen, allerdings ohne Bruchlandung. Opa Andreji war aufgrund seins hohen Alters so zusammengeschrumpft, dass ihm sein Anzug zwei Nummern zu groß geworden war und um seine dürren Glieder schlotterte. Nichtsdestotrotz hielt sich Andreji kerzengerade. Er benutzte einen Gehstock mit Elfenbeinknauf. Jedes Mal, wenn die Stockspitze auf dem Parkett aufsetzte, erklang ein autoritäres »Klack«, und so machte man dem uralten Vampir bereitwillig Platz.

Oma Stoica trug ein langes schwarzes Kleid aus mottenzerfressener Seide und ein kleines Hütchen mit einem Trauerschleier. Ihr Mund war blutrot geschminkt und färbte die Spitze ihrer kubanischen Zigarre rot. (Sie kaufte die Zigarren inzwischen auch im Internet.) Wo sie ging und stand, umhüllte Oma Stoica eine dichte Rauchwolke.

Opa Andreji hustete. »Du wolltest dir doch das verflixte Rauchen abgewöhnen, Stoica! Du bringst mich damit noch ins Grab!«

»Da bist du doch schon längst, Andreji«, lachte Oma Stoica. Ihre Stimme war noch tiefer als die von Vlad. Die Jahrhunderte des Rauchens und Trinkens hatten Spuren hinterlassen.

Dorian verdrehte genervt die Augen. Die meisten der Gäste benahmen sich etwas daneben, und es fiel Dorian unter diesen Umständen schwer, feierlich an seine Mutter zu denken. Was auch daran lag, dass er nicht wirklich daran glaubte, dass sie umgekommen war. Tief im Innern war er überzeugt, dass es einen wichtigen Grund für ihr plötzliches Verschwinden gab und dass er diesen irgendwann herausfinden würde.

Immerhin hatte Vlad Dracula heute zum ersten Mal seine Trauerkleidung abgelegt. Stattdessen trug er – Schwarz. Schwarzer Anzug, schwarze Weste, ein schwarzes Seidenhemd und schwarze handgenähte Hirschlederschuhe. Nur seine Socken waren weiß – ein Zeichen dafür, dass Vlad Dracula wieder Single und allmählich bereit für eine neue Beziehung war. Oma Stoica machte ihm diesbezüglich ständig Vorschläge. Auch jetzt stand sie wieder dicht hinter Vlad und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf Dorians Vater nur traurig den Kopf schüttelte.

Immer wieder klopfte es an dem großen Eichenportal des Schlosses, und neue Gäste trafen ein. Allmählich füllte sich der Salon, allerbeste Vampirgesellschaft von edler Abstammung.

Dorian begann sich zu langweilen. Es war niemand da in seinem Alter. Nur die nervige Sarina mit ihrem schrillen Gelächter und ihrer unmöglichen modischen Aufmachung stand einige Meter entfernt von ihm. Sie war schon neunzehn und um zig Ecken mit Dorian verwandt. Sarina hatte straßenköterbraunes Haar, eine lange Nase und so schiefe Zähne, dass jede Zahnspange Reißaus nahm. O Schreck, jetzt kam sie auf Dorian zu. Zu spät, um sich zu verdrücken!


»Hallo, Dorian«, begrüßte sie ihn. »Auch da?«

Was für eine blöde Frage! Eine Antwort erübrigte sich. Schließlich war es die Gedenkfeier für Dorians Mutter. Wie hätte er da nicht dabei sein können!

»Was machst du denn so?«, fragte Sarina weiter, während sie an einem Glas Blutorangensaft nippte.

Dorian war ganz schlecht im Small Talk. »Nichts Besonderes.«

»Gehst du noch zur Schule?«

»Klar.«

»Du Ärmster.« Sie schüttelte ihr Haar nach hinten. Vermutlich sollte die Geste sexy wirken, aber es sah nur affig aus. Außerdem merkte sie nicht, dass ihre Haarspitzen dabei in ihr Glas tauchten. »Ich bin ja so froh, dass ich die Schule hinter mir habe.«

Ja, mit einem Abschluss von 4,4, dachte Dorian. Er erinnerte sich noch genau, wie Sarinas Eltern vor einigen Jahren stolz verkündet hatten, dass ihre Tochter hochbegabt sei. Daraufhin besuchte sie das Mitternachtsinternat, eine exquisite Privatschule für Mädchen. Dort kostete das Schulgeld pro Monat mehr, als Onkel Nicodim, der alte Zocker, in einer Woche mit seinen Aktienspielereien verdiente. Wahrscheinlich beteiligte er sich an den Kosten, denn Sarina war sein Patenkind.

»Und was hast du jetzt vor?«, fragte Dorian, obwohl es ihn nicht wirklich interessierte.

»Ich nehme mir erst mal ein Sabbatical«, antwortete Sarina. »Ein bisschen reisen und etwas von der Welt sehen. Über den Tellerrand zu gucken, tut jedem gut.« Sie lachte wieder ihr schrilles Lachen. Dann fixierte sie ihn. »Du siehst ziemlich unentspannt aus, weißt du das?«

Dorian lächelte mühsam. »Na, da bist du die Erste, die das sagt.«

»Glaub mir, ich hab einen Blick dafür.« Sie schüttelte wieder ihr Haar. »Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen, sonst kommt dein Burn-out, bevor du deinen Abschluss hast.« Sie begann, in ihrer Handtasche zu kramen, und zog einen Stapel Prospekte hervor. »Guck mal, ich hab da was für dich. Wellness-Reisen für Vampire. Es gibt da eine Hotelkette, die sich darauf spezialisiert hat: Steigenbeißer. Diese Hotels bieten dir jeden Komfort, beispielsweise Lunarien, weil Mondlicht total gut für den Teint ist. Ansonsten das Übliche: Sauna, Schwimmbad, Hot-Bone-Massagen, Schlammbäder mit Heimaterde und so weiter. Alle Hotels haben Einzel- und Doppelsargzimmer, Blutwurstfrühstück inbegriffen.«

»Danke, kein Bedarf«, wollte Dorian sagen, aber da hatte sie ihm schon die Faltblätter in die Hand gedrückt.

»Hier, nimm! Und gib die Prospekte, die du nicht brauchst, ruhig weiter. Vielleicht wär das auch was für deinen Vater. Auf so einer Reise trifft er bestimmt einige Singlefrauen.«

»Eh, bekommst du vielleicht Prozente?«, fragte Dorian und grinste.

»Ein bisschen extra Taschengeld kann ja jeder brauchen, oder?«, erklärte Sarina schulterzuckend. »Du würdest doch auch nicht Nein sagen, wenn dein Onkel eine Hotelkette hätte!«

»Hat er ja auch«, wollte Dorian sagen, aber dann war er sich nicht sicher, ob Onkel Nicodim seine Hotels nicht schon wieder abgestoßen hatte. Nicodim kaufte und verkaufte auf Teufel komm raus. Hauptsache, er machte Kohle.

Dorian überlegte, wie er Sarina loswerden konnte, doch da kam unerwartet Hilfe. Professor Frankenstein schlug mehrmals leicht mit einem Messer gegen sein Glas.

»Ich bitte alle Anwesenden um Aufmerksamkeit. Jetzt kommt der Höhepunkt unserer Feier.«

Hinter ihm wurde langsam ein schwarzer Vorhang zur Seite gezogen, während Onkel Nicodim ein trauriges Trompetensolo blies.

Im ersten Augenblick glaubte Dorian, dass seine Mutter zurückgekommen war. Aida stand da, ein strahlendes Lächeln auf ihren blutroten Lippen. Sie trug das dunkelblaue Kleid, das sie bei ihrer Hochzeit mit Vlad angehabt hatte. Aida sah keine Nacht älter aus, als Dorian sie in Erinnerung hatte.

Erst nach fünf Sekunden merkte er, dass es sich nur um ein lebensechtes Gemälde handelte. Plötzlich spürte er wieder den Druck in der Brust, den er viele Monate lang gehabt hatte und der erst im letzten Jahr schwächer geworden war.

Transsilvanischer Karpatenschafsmist!

Auch Vlad Dracula blickte das Bild an wie eine Erscheinung. Sein Gesicht drückte erst Überraschung, dann Trauer und zuletzt Sehnsucht aus.

»Aida, ich werde dich nie vergessen«, sagte er und seufzte. »Es gibt keine Nacht, in der ich dich nicht vermisse! Ich kann mir nicht vorstellen, dass je eine andere Frau den Sarg mit mir teilt.«

»Aber ich kann es mir durchaus vorstellen«, zeterte Oma Stoica. »Aida hat dir nicht gutgetan, Vlad. Wenn du erst einmal …« Ein Hustenanfall unterbrach den peinlichen Auftritt. Opa Andreji schlug ihr mit seinem Gehstock auf den Rücken, dann packte er sie am Ärmel, um sie ein Stück zurückzuziehen. Sie wehrte sich, Opa verlor das Gleichgewicht, stolperte und fiel rücklings auf die gedeckte Tafel. Gläser klirrten, und eine Schüssel mit Blutpudding ging zu Bruch. Einige Umstehende kreischten erschrocken.

Aida Dracula verzog keine Miene und sah trotz des Tumults wunderschön aus. Es war jammerschade, dass man Vampire immer noch nicht fotografieren konnte, trotz digitaler Revolution.

Bei Aidas Bild war zweifellos ein Meister am Werk gewesen, und er hatte nach alter Tradition Pinsel und Leinwand verwendet.

Dorian starrte auf das Bild. Seine Augen begannen zu brennen. Es war, als würde seine Mutter ihn direkt ansehen.

Glaub nicht, was alle denken, schien ihr Blick zu sagen. Ich lebe noch, und eines Nachts werden wir einander wiedersehen!

Dorian drückte Sarina sein Glas Granatapfelsaft in die Hand, murmelte etwas von »Das Essen nicht vertragen« und stürzte aus dem Saal.

Dracula junior

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