Читать книгу Finnische Träume | Roman - Joona Lund - Страница 5

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3. Der Wandel (Inku)

Alles war anders geworden. Es waren nicht nur die körperlichen Veränderungen wie der Haarwuchs an Stellen, wo bisher glatte Haut war, der Ansatz des Busens, die länger werdenden Oberschenkel, der ausladende Popo, überhaupt die ganze Figur, die ihr zu schaffen machten ... Fast noch mehr verwirrte sie das sich ändernde Denken und ihre Gefühle. Es hatte sie geärgert, dass Jan als einzigem nicht aufzufallen schien, dass sie nicht mehr das kleine Mädchen war, auf das er Acht geben, deren Schularbeiten er kontrollieren sollte. Erst in den letzten Monaten hatte er nicht mehr übersehen können, dass sie nicht nur ein Stück gewachsen, sondern insgesamt erwachsener geworden war. Jungen waren eben Spätentwickler, hatte sie sich getröstet und Jan zugute gehalten, er habe sich deshalb wenig mit ihr beschäftigt, weil er mit der Schule und der Zeitung genug um die Ohren hatte.

Sein doofes Grinsen, als Mutter ihr erklärt hatte, es sei in ihrem Alter normal, vor anderen nicht mehr in Unterwäsche herumzulaufen, hätte er sich allerdings schenken können. Richtig wütend war sie geworden, als er bei ihrer ersten Regel gespottet hatte, und ihr sagte, deshalb müsse sie nicht gleich so ein Theater abziehen. Wie er wohl reagiert hätte, wenn er ohne äußeren Anlass auf einmal zu bluten begonnen hätte? Sie lachte auf, als sie daran dachte, dass bei ihm anatomisch einiges anders war, wie sie beim Umziehen am See gesehen hatte. Mutter hatte bei Inkus erster Monatsblutung schnell reagiert, hatte diese wohl erwartet, und schon Watte und Binden bei der Hand gehabt, als sie beruhigend auf Inku eingeredet hatte.

Jan hatte zuerst nicht kapieren wollen, dass es mit dem kleinen Mägdelein, das alles für bare Münze nahm, was er ihr erzählte, und das ihm überallhin nachlief, nun ein für alle Mal vorbei war, er nicht mehr tun konnte, als hätte sich nichts geändert, sich nicht mehr blind stellen konnte gegenüber dem, was offensichtlich war. Sein Vorwurf, sie sei zickig geworden, und das habe er bei ihr nicht erwartet, zeigte, dass er von Mädchen und Frauen nicht die blasseste Ahnung hatte. Sein Gemaule über versperrte Türen, wenn sie sich wusch oder duschte und er warten musste, ignorierte sie einfach.

Doch für sie gab es Anlass zum Umdenken, etwa damals, als sie unter der Dusche stand und sich einbildete, die Schwelle der Badezimmertür knacken gehört zu haben, als stünde jemand darauf, auch lautes Atmen. Schnell hängte sie sich ein Handtuch um und verhielt sich ganz ruhig, doch da war kein Geräusch mehr. Hatte sie sich vielleicht getäuscht? War wirklich jemand dagewesen, konnte es nur Jan gewesen sein. Sie grinste beim Gedanken, dass es nicht gerade komfortabel gewesen sein dürfte, minutenlang durchs Schlüsselloch zu schauen. Sie lachte und murmelte: »Na wenn schon, dann hat er wenigstens etwas zu sehen bekommen!«

Aber die Annahme, er könnte Interesse daran haben, so etwas zu tun, verwunderte sie, denn bisher hatte er nichts dergleichen erkennen lassen. An den folgenden Tagen hörte sie die verräterischen Geräusche nicht mehr und sie war, stellte sie überrascht fest, fast enttäuscht.

Manchmal spürte sie, wie Jan sie verstohlen musterte. Sie meinte, in seinem Blick ein Staunen zu erkennen, als sehe er sie zum ersten Mal. Und noch etwas erkannte sie in seinen Augen, einen fremden Ausdruck, den sie nicht entschlüsseln konnte und der ihre Neugier weckte. Und als sie feststellte, dass Jan ähnliche Gedanken zu hegen schien wie jene Männer und Halbwüchsige, die anerkennend pfeifen, wenn sie merken, dass ein Mädchen gewachsen ist und an Stellen zugelegt hat, die ins Auge springen, empfand sie Genugtuung. Lange genug hatte er es nicht beachtet. Sie spürte, Jan war unschlüssig, wie er mit der neuen Situation umgehen sollte. Sie wollte erproben, ob und wie er auf bestimmte Signale reagierte; hatte sie sich getäuscht, vergab sie sich nichts. In ihrem Zimmer ließ sie den Büstenhalter über der Stuhllehne hängen, legte die Strümpfe parallel daneben, die Füße nach innen. Beim Frühstück bat sie ihn, ein Heft zu holen, sie müsste die Seite fertigschreiben, hätte es gestern nicht mehr geschafft. Er unterdrückte die auf der Zunge liegende Bemerkung, wenn er ständig Kitsch läse, brächte er auch nicht viel zustande.

Durch die Wimpern beobachtete sie, als er zurückkam, wie er auf ihre Brust schielte. Sie setzte sich in Positur und beobachtete befriedigt, wie er die Ausbuchtungen ihres Pullovers musterte. Offensichtlich war er beeindruckt, sonst hätte er nicht Salz aufs Brot gestreut und erst beim Hineinbeißen gemerkt, dass es bereits mit Marmelade bestrichen war. Er sah ihr spöttisches Grinsen, würgte das Brot aber hinunter.

Kaum war sie nachmittags zu Hause, lief sie ins Zimmer. Der Büstenhalter lag auf einem Strumpf, Jan hatte ihn also hochgenommen, tat aber weiterhin, als sähe er nicht, wie sie zum Teenager heranwuchs. Sie entschied, weitere Köder auszulegen und hatte ihren Spaß daran, den großen Bruder bei kleinen Heimlichkeiten zu ertappen, der nicht ahnte, dass sie davon wusste.

Auf dem Pausenhof beobachtete sie, wie er ihr mit gerunzelter Stirn Blicke zuwarf, sobald sie mit Jungen sprach. Kaum spürte er, dass sie zu ihm schaute, blickte er zur Seite. Wie alle Mädchen in ihrem Alter suchte auch sie Bestätigung dafür, nicht mehr zu den Kindern gerechnet zu werden, war aber nur daran interessiert, seine Aufmerksamkeit zu erringen. Ein Lob der Eltern, Lehrer oder anderer Jungen zählte nicht viel, er musste sich äußern. Sie empfand es als angenehme Begleiterscheinung – die Lehrerin bezeichnete die tiefgreifenden Veränderungen nüchtern als normalen Reifeprozess –, dass Jan seine burschikose kumpelhafte Art ablegte und sie vielleicht sogar eine Spur höflicher behandelte als andere, sich manchmal sogar altmodisch ritterlich gebärdete. Neu war, dass seine Augen oft suchend umherschweiften und aufblitzten, sobald er sie entdeckte. Manchmal ruhte sein Blick nachdenklich fragend auf ihr, als suchte er nach einer Antwort, die nur sie geben könnte. Gegen ihren Willen stieg ihr Röte ins Gesicht, wenn sich ihre Blicke kreuzten, und er grinste.

Es gab Tage, da er schroff und abweisend war, sie anherrschte, als wollte er sie absichtlich verletzen. Zog sie sich zurück, kam er an und sagte, es täte ihm leid, manchmal ritt ihn der Teufel. Leise fügte er hinzu, es würde die Zeit kommen, da sie verstehen würde, was in ihm vorginge. Ging sie nicht gleich auf den Versöhnungsversuch ein, beschwerte er sich, sie brauchte nicht so kratzbürstig zu sein. Sie zuckte die Schultern, antwortete, wie man in den Wald hineinrief, so tönte es zurück.

Seine plötzlichen und unbegründeten Launen ärgerten sie, weil sie öfter die Ursache für Sticheleien und Streit wurden, und zu seinem sonstigen Verhalten in krassem Missverhältnis standen. Die gereizte Atmosphäre fiel auch Mutter auf, sie fragte, warum er so hässlich zu ihr sei, sie hätten sich doch bisher gut verstanden. Jan schwieg verstockt und Inku meinte, ihn dabei aus den Augenwinkeln musternd, es ginge nicht in seinen Schädel hinein, dass sie erwachsen würde.

Jan stieß ein verächtliches »Ha!« aus, fügte hinzu: »Dass ich nicht lache: erwachsen!«

Schon wollte sie kontern, da wurde sie gewahr, dass seine Blicke anderes ausdrückten als seine Worte, sie schluckte und schwieg. Bisweilen hegte sie den Verdacht, er behandelte sie manchmal, als wäre sie Luft, um sie zu provozieren. Nachdem ihn Mutter zurechtgewiesen hatte, es gehörte sich nicht, mit Mädchen in ihrem Alter zu raufen, balgten sie sich seltener. Doch sie reizte ihn nach wie vor, obwohl sie wusste, dass er grantig wurde, wenn sie ihn beim Schreiben eines Artikels störte.

Einmal klaute sie ihm den silbernen Kugelschreiber mit den eingravierten Initialen, mit dem er eben noch geschrieben hatte und lief in ihr Zimmer, hielt die Tür zu. Er stemmte sie mit der Schulter auf, sie steckte den Stift in den Ausschnitt, grinste siegessicher, als er sich abwandte. Sie war nicht darauf gefasst, als er sich ruckartig umdrehte, ihre Hände packte, sie mit einer Hand zusammenpresste und ihr mit der anderen unter den BH griff. Doch als seine Finger ihren Busen berührten – das empfand sie keineswegs als unangenehm – ließ er los und verließ das Zimmer. Kichernd kam sie nach und warf den Kuli auf den Schreibtisch.

Half er ihr bei den Aufgaben, merkte sie, dass er auf einmal vermied, ihr nahe zu kommen. Und als sie anfangs heimlich, später mit seinem Wissen, sein Tagebuch las, verstand sie, wie genau er sie beobachtet hatte: Wie sie sich bewegte, lachend ihren Zopf nach hinten warf oder aufstand, um etwas zu holen. Und sie fand den Hinweis, dass sich seine Gedanken verhedderten, wenn sie sich zu nahe kamen und ihm ihr Geruch in die Nase stieg, er sich dann zur Ordnung rufen musste.

Schon lange hatte sie vermutet, dass er Tagebuch schrieb. Trat sie überraschend ins Zimmer, schob er hastig ein Heft in die Schublade. Das ließ ihr keine Ruhe und als er in der Schule war und sie frei hatte, ließ sie suchend ihren Blick in seinem Zimmer umherschweifen und überlegte, wo er es versteckt hätte, fand es schließlich unter der Matratze.

Kam sie mit ihrer um zwei Jahre älteren Freundin zusammen – gleichaltrige fand sie kindisch – schilderte diese ihre Erfahrungen mit Jungen, auch das, was in Romanen meist angedeutet wird. Dabei kam Inku die Idee, auszuprobieren, wie Jan auf ähnliche Herausforderungen reagieren würde, er traute einer dreizehnjährigen Göre garantiert nicht zu, sich so etwas auszudenken.

Betrachtete sie sich im Spiegel, fand sie sich hübsch und zweifelte nicht daran, dass sie ihm gefiel, wollte es aber von ihm hören. Und plötzlich begriff sie, dass sie nur ihm und niemandem sonst gefallen wollte und dass sich das schon lange so verhielt. Ihre Gedanken kreisten ständig um ihn, das war mehr als die übliche Schwärmerei eines Mädchens, das in einem entlegenen Weiler wohnte und abgesehen von Schule und Fahrt im Schulbus wenig Gelegenheit hatte, andere Jungen kennenzulernen, vor allem solche, die ihr zusagten. Fragte sie sich, was Jan auszeichnete, fiel ihr zunächst – sah sie vom Äußeren ab, das manches Mädchen zum Schwärmen brachte – sein ruhiges selbstbewusstes Auftreten ein. Obwohl er den meisten Gleichaltrigen überlegen war, blieb er bescheiden und verfügte über eine Ausstrahlung, der sich kaum jemand entziehen konnte, wer mit ihm zu tun hatte. Und es gefiel ihr, dass er sich nicht darum kümmerte, wie er bei anderen ankam. Sie schätzte es, dass er sich nach der Arbeit die Hände wusch und duschte, wenn er verschwitzt war. Beim Mittagessen in der Schule hatte sie gesehen, dass manche Jungen keine Tischmanieren hatten. Einem, der glaubte, er sei der Schönste, hatte sie ins Gesicht gesagt, sie wollte nicht neben jemandem sitzen, der aß wie ein Schwein, da käme ihr das Essen hoch.

Mit Jan konnte sie über alles reden, ohne dass er seinen altersgemäßen Wissensvorsprung hervorkehrte. Er hatte sie als kleines Mädchen angefeuert, das Wissen zu erweitern und Gespräche mit Erwachsenen bestätigten, dass die Saat aufgegangen war. Sie hätte noch viele Gründe aufzählen können, doch ausschlaggebend war ein in den letzten Monaten entstandenes eigenartiges Gefühl, das sie mitunter glauben ließ, sie könnte fliegen, wenn sie es nur richtig wollte. Seit sie Grund hatte, anzunehmen, Jans suchender Blick galt nicht so sehr der Schwester, auf die er Acht geben sollte, sondern der heranwachsenden Frau, ahnte sie, dass sich seine Gefühle ebenfalls gewandelt hatten.

Mancher Vorfall bewies, dass sich nicht nur sein Verhalten geändert hatte, indem er mehr auf sie einging, sondern dass er sie nicht mehr als Neutrum betrachtete. Das hatte die Badezimmerszene gezeigt, als sie auf der Waage gestanden, einen Schrei ausgestoßen hatte und er mit der Frage hereingestürzt kam, ob sie sich verletzt hätte. Im Höschen auf der Waage stehend hatte sie sich umgedreht und während sie herausgesprudelt hatte, sie wiege ein halbes Kilo mehr, hatte sie registriert, dass seine Blicke mit einem Ausdruck auf ihren Brüsten ruhten, der sie erschreckte, aber auch frohlocken ließ. Die Szene hatte nur Sekunden gedauert, doch an seinen weit aufgerissenen Augen hatte sie etwas Neues gesehen. Etwas, das sie beunruhigte und nicht zu benennen wagte, aber aus Romanen wusste, was es war. Sie hatte sich ein Handtuch vorgehalten und war sich dennoch so nackt vorgekommen wie nie zuvor. Sein Blick und das aufgeregte Stottern, sie sei eben im Wachsen, da nähmen alle zu, sowie sein Hinauseilen hatten seine Irritation offenbart. Nachdenklich hatte sie sich angezogen und überlegt, ob sein überstürztes Wegrennen auf Überraschung zurückzuführen war oder weil er sie in einem anderen Licht sah und sich das nicht eingestehen wollte. Und als sie sich an seinen Ausspruch erinnerte, ihm gefielen eher mollige Mädchen, während er dürre hässlich fände, drehte sie sich vor dem Spiegel und lächelte sich zu. Deutlich zeichneten sich die Wangengrübchen ab, die er so mochte, wie er ihr auf der Baumhütte gestanden hatte. Und er hatte auch gesagt, ihr Lachen beim ersten Zwitschern der Vögel im Frühling müsse man einfach gern haben. Sie hatte ihm einen Schmatz auf die Wange gedrückt und sein warmes Lächeln hatte sie froh gestimmt.

In einem ihrer Lieblingsromane hatte sie den Satz gefunden, das Lächeln einer Frau sei ein Versprechen. Die Formulierung hatte ihr gefallen und vor dem Spiegel fand sie, ihr Lächeln war von der Sorte, wenn sie an ihn dachte.

Seit der Badezimmeraffäre, die irgendwie mit dem Beginn der Menstruation zusammenhing, hatte sich ihre Position grundlegend verändert. Der Gedanke berauschte sie, nun über Mittel zu verfügen, um ihn aus der Reserve zu locken und sein Blut in Wallung zu bringen. Wieder ein Ausdruck aus einem Roman, der ihr gefallen hatte. Er war voller Kraft und Saft. Im gleichen Buch stand, Neugier sei eine der stärksten Antriebskräfte des Menschen. Und als sie bei ihm Nabokovs »Lolita« gefunden – er hatte das Buch so schlampig versteckt, dass zu vermuten war, sie sollte es finden – und darin geschmökert hatte, nahm sie sich vor, ihre Möglichkeiten auszureizen.

Gelegenheit dazu ergab sich bereits am Abend, als sie es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich machte und las. Mutter schimpfte zwar ab und zu, dass sie so viel unnützes Zeug lese, aber Inku war in der Schule gut und Mutter hätte als Mädchen selbst gern gelesen, doch immer hatte es geheißen, dies oder jenes sei noch zu erledigen.

Jan saß am Tisch, ein Lehrbuch vor sich, erklärte, es sei so geschrieben, dass er jeden Satz dreimal lesen müsse. Inku drehte sich auf die Seite, legte ein Knie übers andere, ließ den Rock bis zu den Schenkeln hoch rutschen, beobachtete hinter dem Buch versteckt Jan. Er starrte auf ihre Schenkel, schaute kurz zu den von einem Krimi gefesselten Eltern. Inku ließ das Buch sinken und lächelte, drehte sich und hob das Knie an, der Rock spannte sich, er sah bis zum Zwickel. Sekunden verharrte sie in der Stellung, er war wie hypnotisiert, bis sie das Bein sinken ließ und gemächlich den Rock glatt strich, ihren Roman nahm und lachte, als hätte sie eine witzige Stelle gefunden. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Spannung in seinem Gesicht nachließ.

Seine schlechte Laune am nächsten Tag schob sie auf sein Unvermögen, mit der Situation fertig zu werden sowie auf seine Unsicherheit, wie er sich verhalten sollte. Das stimmte sie übermütig. Sie schlenderte in sein Zimmer, schoss mit dem Gummiband zu kleinen Haken gefaltetes Papier auf ihn. Mürrisch herrschte er sie an, ihn in Ruhe zu lassen, sie sähe doch, er arbeitete. Kichernd schoss sie weiter, bis er aufstand, sie am Arm packte. Auf ihren Ausruf hin, er tue ihr weh, ließ er los. Kaum dem Griff entkommen, nahm sie das Plastiklineal und ließ es auf seine Hand sausen.

»Du spinnst wohl«, schrie er, »das tut weh!«

Er packte sie und zog sie an sich. Früher hatte sie sich gewehrt und jedes Mal den Kürzeren gezogen, nun lachte sie herausfordernd. Er presste sie fest an sich und beim Versuch, sich zu befreien, rieben sich ihre Brüste an ihm, sie fühlte sein Hemd durch den dünnen Pullover und plötzlich spürte sie etwas Hartes und Pochendes in seiner Hose, ein unbekannter Sinnesreiz durchzuckte sie wie ein Stromschlag. Unvermutet ließ er sie los, beinahe wäre sie gestürzt.

Still verließ sie das Zimmer, stand vor dem Spiegel und murmelte: »Oh la la, ganz schön durchtrieben für dein Alter!«

Die Erfahrung war interessant, sie wollte mehr erfahren, versuchte, ihn aus der Reserve zu locken, um ihm zu beweisen, dass es endgültig vorbei war mit dem Ignorieren ihrer Weiblichkeit. Und wenn er ab und zu an die alte Tour anzuknüpfen suchte, zeigte sie ihm jenes Lächeln mit den gespitzten Lippen, das er mochte und gleichzeitig hasste. Und sie wusste warum.

Als sie der Freundin andeutete, dass ihr Jan gefiel und sie es schade fand, dass er ihr Bruder war, griente die Ältere. »Kein Wunder, du hast ja keine Gelegenheit, andere Jungen kennenzulernen.« Dann legte sie den Kopf schief, guckte Inku prüfend an und erkundigte sich, ob etwa was passiert sei.

Auf Inkus empörten Ausruf, was ihr einfiele, er wäre doch ihr Bruder, lachte die Freundin und meinte, es wäre schließlich nicht das erste Mal. Inku wollte das Thema wechseln, als ihr einfiel, sie könnte Eila fragen, was das für Flecken wären, die sie auf Jans Laken entdeckt hatte. Wieder lachte Eila hellauf, wollte sich schier nicht mehr einkriegen vor Lachen, erklärte schließlich, das wäre ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Jan dringend eine Freundin bräuchte. Als Inku nicht verstand, erklärte Eila, wie Männer ihre Lust befriedigten, wenn sie keine Frau hätten und sie fragte, ob Inku denn in Sexualkunde nicht aufgepasst hatte.

»Wäre die kostbare Flüssigkeit zur rechten Zeit ins richtige Gefäß gelangt, hätte ein Kind daraus entstehen können«, sagte Eila grinsend. »So gesehen sind die Flecken nichts anderes als nicht zustande gekommene Kinder.« Sie schlug Inku vor, Jan bei Gelegenheit einmal heimlich zuzusehen oder, das könnte sie sich durchaus vorstellen, vielleicht hätte er nichts dagegen, wenn sie zuschaute. Inku schaute die Freundin entsetzt an. Ihr war das alles überaus peinlich, dennoch nahm sie jedes Wort auf.

»Mein Gott, so tu doch nicht so, als wäre dir das alles völlig neu! So naiv kann man doch gar nicht sein!«, sagte Eila.

Als sie sich trennten, riet ihr Eila feixend, sich einen Freund zu suchen, Praxis wäre die beste Lehrmeisterin.

Inku nahm sich vor, nie wieder jemandem etwas über Jan anzuvertrauen. Aus der Anhänglichkeit und Zuneigung hatte sich ein Gefühl entwickelt, das ihr gesamtes Denken bestimmte, sie wagte aber nicht, es zu benennen und versuchte, es vor ihm zu verbergen.

Aus ihren schlauen Büchern hatte sie entnommen, dass Jungen länger brauchten, um zu verstehen, welche Folgen die körperliche Reifung nach sich zogen. Anfangs jagte ihr die Erkenntnis, dass sich seine Anziehungskraft nicht auf die Gefühlsebene beschränkte, sondern auch auf das Körperliche erstreckte, Schrecken ein. Doch als sie zunehmend von ihm träumte und im Schlaf spürte, wie etwas mit ihr geschah, wenn sie ihrer Sehnsucht nachgab und ihn zärtlich erlebte, ließ sie es gern zu, solange er nichts davon merkte. Verwirrend fand sie, dass die Bilder der Traumwelt auch tagsüber präsent blieben, doch nach kurzer Zeit wehrte sie sich nicht mehr gegen die verführerische Bilderwelt. War er in der Nähe und sie schaute ihn an, wurde ihr warm. Jan ahnte nichts davon und sie hütete sich, ihm gegenüber eine Andeutung zu machen. Sie nutzte jede Gelegenheit, mit ihm zusammenzusein und, obwohl sie das Bruchrechnen längst beherrschte, ließ sie es sich erneut erklären, machte Fehler, damit er mit ihr übte. Der Blick, mit dem er auf ihre Brust starrte, entging ihr nicht, sie hatte den BH ausgezogen, ihr Busen zeichnete sich deutlich unter der dünnen Bluse ab. Mit einem Lächeln zog sie die Bluse straff, wusste, der dünne Stoff betonte mehr als er verbarg. Jäh stand er auf, lief mit rotem Kopf in die Küche, verpasste den triumphierenden Ausdruck in ihren Augen. Auch wenn sie vier Jahre jünger war, hatte sie längst begriffen, dass es keine Kunst war, ihn zu reizen und zu manipulieren. Sie hängte sich die Strickjacke über, ließ gerade so viel sehen, dass sich der Fisch nicht vom Haken riss. Ihre dunkelblauen Augen musterten ihn verstohlen und als er den Kopf neigte zum Zeichen, ihren Sieg zu akzeptieren, lächelte sie stolz. Er hatte immer gepredigt, Radio hören störe beim Rechnen, nun drehte sie die Musik auf und summte mit. Er verließ ihr Zimmer, sie folgte und fragte, ob er böse sei.

»Nein, warum?«

»Nur so.«

Sie beugte sich zu ihm, als wollte sie sehen, was er las. Da rutschte ihm der Satz heraus: »Du riechst so gut.« Kaum ausgesprochen, schoss ihm das Blut in die Wangen.

Inku lachte auf und sagte: »Was du bloß für Unsinn im Kopf hast!«, und tänzelte hinaus. Sie war leichtblütiger als Jan, geriet dennoch bisweilen über ihr Verhältnis ins Grübeln, vor allem, als er begann, Fragen zu stellen, bei denen sie zunächst nicht erriet, auf was er hinauswollte. Er sprach Dinge an, über die sie noch nie geredet hatten, interessierte sich für ihre Kleidung und Körperpflege, fragte nach Gewohnheiten, tastete sich an Zonen heran, die sie nicht einmal mit der Freundin besprochen hätte, stellte oft mehrdeutige Fragen, die überraschende Reize auslösen konnten. Ihr gefiel es, wenn er gewagte Szenen, ob Fantasie oder Wirklichkeit, mit wenigen Worten andeutete. Sie liebte dieses Spiel, war gelehrig und verstand gleich, was er meinte, es war eine Sprache in der Sprache.

Einmal beim Frühstück ließ Mutter einen Satz fallen, der Inku nicht mehr aus dem Kopf ging: Sie hätte Jan am liebsten schlafen lassen, er habe entspannt gelächelt wie ein Baby. Am Nachmittag fragte Inku ihn, doch er wimmelte sie ab, war mit der Zeitung beschäftigt. Als er später kam und wissen wollte, was denn so wichtig gewesen sei, tat sie, als wäre sie ins Buch vertieft und hätte nichts gehört.

»Na, dann eben nicht.« Er ging zur Tür.

Sie lenkte ein. »Ich wollte nur etwas fragen.«

Schweigend wartete er und als er sich achselzuckend umdrehte, weil nichts kam, fragte sie, ob er, als Mutter sein zufriedenes Lächeln im Schlaf erwähnt hatte, von ihr geträumt hatte.

»Habe ich.« Er grinste. »Und das neugierige Mädchen will nun wissen was?«

Eifrig nickte sie.

»Na gut.« Einen Augenblick zögerte er. »Ich habe im Bett gelegen, nicht einschlafen können und plötzlich ist die Tür gegangen, du bist hereingeschlichen, hast geflüstert, dir sei kalt und bist zu mir gekrochen.«

Ob das alles gewesen sei, wollte sie wissen.

»Natürlich nicht, aber es wäre nicht klug, mehr zu erzählen.«

»Feigling!«

»Na schön, wenn du unbedingt willst ... Aber du darfst nie mit jemandem darüber reden, hörst du, nie!«

»Bin doch nicht blöd ...«

»Und nicht eingeschnappt sein wie letztes Mal.«

Sie sah auf, schüttelte den Kopf.

»Nun, ich habe dich an mich gedrückt und du hast gesagt: ›Du hast ja nichts an!‹ Ich antwortete, dass ich immer nackt schlafe und dann, es sei angenehm, dich zu spüren. Und du hast deine Arme um mich gelegt.«

Er legte die Hand auf ihren Kopf, strich sanft über die Haare. Inku spürte Röte ins Gesicht steigen, bestand darauf, auch das Ende zu erfahren. Mit dem Handrücken streichelte er ihre Wange.

»Deine Hand tastete sich nach unten und hat mein bestes Stück berührt. Du bist zurückgezuckt, als wäre es glühendes Eisen, aber die Hand ist wiedergekommen, hat es umklammert. Ich habe deine Hand geführt und es war wunderbar, bis du gerufen hast, du seiest auf einmal ganz nass. Da bin ich aufgewacht, das muss gewesen sein, als mich Mutter weckte.« Er lachte. »Jetzt bist du bis zu den Haarwurzeln rot geworden!«

Nicht immer verstand sie alle Details, zumal er manches absichtlich im Unklaren ließ, versäumte es aber nie, ihn nach seinen Träumen zu fragen. Er schmückte sie aus, ihr gefielen die Fantasien und Situationen aus der Scheinwelt, die er mit ein wenig Realität mischte. Manchmal rutschte sie unruhig auf dem Stuhl hin und her, wenn er einen Traum erzählte, selten unterbrach sie ihn mit einem: »Nun ist’s aber genug!«, oder mit: »Halt, nicht weiter!« Aber das nächste Mal wollte sie unbedingt hören, was er letztes Mal nicht fertig erzählt hatte.

Je tiefer er sie in seine Traumwelt führte und in der Fantasie Tabus verletzte, desto mehr genoss sie es. Er schilderte die Methode, die er sich angeeignet hatte, um Träume zu lenken, aber Inku wollte eigentlich nur hören, dass sie darin die Hauptrolle spielte.

An warmen Abenden radelten sie öfter zum kleinen See, um zu schwimmen. Die Badesachen hatten sie unter den Kleidern an. Jan stellte grinsend fest, ihr wäre der Badeanzug wohl schon zu eng. Inku lachte übermütig und meinte, es hätte ihn sonst nie gestört, wenn er mehr zu sehen bekäme als gut für ihn wäre. Er könnte es gern Mutter sagen, dann bekäme sie eher einen neuen.

»Es stört mich nicht, das weißt du. Aber wenn du ins Schwimmbad gehst ... Ich meine«, stotterte er, »du musst anderen nicht so viel zeigen.«

»Oh«, lachte sie auf, »daher weht der Wind! Du wirst doch nicht eifersüchtig sein?«

Jan schaute sie an, schwieg. Sie machte einen flachen Kopfsprung, ein Träger rutschte runter, eine Brust guckte frech in die Luft, als sie auf dem Rücken schwamm. Im seichten Gewässer stehend holte sie mit der Hand aus, wollte ihn nass spritzen, bemerkte ihre Blöße, schaute hoch, lachte und zog das Oberteil hoch, schwamm hinaus. Sonst war er ihr gefolgt, nun blieb er am Ufer. Sie überlegte, ob das mit den dunklen Blicken zusammenhing, mit denen er sie beobachtet hatte.

Sie stieg ans Ufer, Tropfen liefen vom Badeanzug über Schenkel und Beine. Abgewendet zog sie sich geschickt unter dem großen Badetuch aus, trocknete sich ab. Sie bückte sich, nahm Höschen und BH auf, das Tuch klaffte auseinander. Zwischen ihren Pobacken sah er die feuchten Härchen glänzen.

»He, das gehört sich nicht, schau gefälligst weg!« Ihre Zurechtweisung klang bestimmt, doch nicht unfreundlich.

Beim heimlichen Lesen in seinem Tagebuch dachte sie nach, wie sie ihn dazu bringen könnte, mehr zu wagen. Sie überließ sich der Fantasie, summte vor sich hin. Nun, da sie wusste, dass sie in seinen Träumen präsent war, wollte sie die Grenze, die er nicht zu überschreiten wagte, verschieben. Da er der Dreizehnjährigen eine solche Durchtriebenheit nicht zutraute, zumal sie sich vor anderen weiterhin kindlich gab und alle ihr die Naivität abnahmen, fiel es nicht schwer, ihr Vorhaben auszuführen. Jan merkte zuerst nicht, dass sie sich richtige Strategien ausdachte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn zu locken. Er hatte wohl überhaupt nicht erwartet, dass sie das Gesetz des Handelns an sich ziehen würde.

Bisher war es ein lässig-lockeres Spiel ohne Folgen, beide hätten der Behauptung, aus dem Spiel könnte Ernst werden und dann könnte es zu spät sein, vom fahrenden Zug abzuspringen, vehement widersprochen.

Die Wochen liefen im Sauseschritt, der kurze Sommer neigte sich dem Ende zu, das Laub der Birken und die Blätter der dichten Moos- und Preiselbeersträucher schmückten sich mit leuchtenden Farben. Der Abschied vom Sommer mit seiner Freiheit und Helligkeit bedrückte Inku. Einzig der Gedanke, in der langen winterlichen Dunkelheit würde Jan mehr Zeit für sie haben, schenkte ihr Trost.

Finnische Träume | Roman

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