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Am Vortag, einem Samstag, war ein Lakai im Haus von Andrea Pasolini vorstellig geworden und hatte ihm verkündet, dass der Kaiser ihn am Montagmorgen um sechs Uhr dreißig zu besuchen beabsichtige und fest mit ihm rechne, um die Bienenvölker von Elba kennenzulernen.

— Wer ist dieser Pasolini, Majestät?, hatte Méneval zu fragen gewagt, als er den Namen des Imkers zum ersten Mal hörte.

Bonaparte hatte erwidert, dass er diese Antwort eben gerade von ihm erwarte.

Folgender Bericht, abgefasst in Ménevals präzisem, zuweilen ausschweifendem Stil, gibt also wieder, was der Kaiser von Elba dank der Auskünfte seiner diskret auf der Insel ausgeschwärmten Spione über den Imker Pasolini in Erfahrung gebracht hat:

Nachkomme von Bauern aus der Maremma, die auf der Flucht vor der Malaria vor über hundert Jahren auf die Insel übergesiedelt sind. Pasolini führt den von seinem Vater gegründeten Bienenhof weiter. Ein Erbe, das er nicht hat ausschlagen können. Anfangs fand die Honigernte im Wechsel mit anderen Landarbeiten statt, doch inzwischen nehmen die Bienenstöcke fast seine gesamte Zeit in Anspruch. Der Honig von Elba genoss ab 1750, als ein Arzt aus Grosseto ihm heilende Wirkung zuschrieb, einen immer größeren Ruf. Schließlich wurde er zu einem guten Geschäft. Besser als der Bergbau, der Wein und der Anbau verschiedener Hülsenfrüchte, neben dem Fischfang die jahrhundertealten Erwerbstätigkeiten auf der Insel, und selbstredend weniger mühevoll als letzterer. Dank dem Honig, den sie auf das italienische Festland exportierten, brachte es die Familie Pasolini zu beträchtlichem Wohlstand. Der Vater erwarb mehrere Grundstücke auf der Insel und baute das Geschäft aus. Ohne weiteres hätte er sich das Honigmonopol für ganz Elba sichern können, hätte eine Lähmung ihn nicht zwei Jahre lang ans Bett gefesselt, die schließlich zu seinem Tode geführt hat.

Der Lebensweg von Andrea Pasolini blieb mit den Bienen verbunden. Zwischen zwei Schwestern geboren, war er ein stiller Junge, ein unermüdlicher Beobachter, der in Gedanken immer anderswo zu sein schien. Seine Neugierde, was es wohl mit dem Summen im Bienenstock auf sich hatte, verflüchtigte sich bald wieder. Nun faszinierten ihn die Lektionen und Geschichten des Dorfpfarrers und die seltsamen Worte aus dessen Mund. Und Padre Anselmo, der in den wachen Augen des Jungen das Aufschimmern einer außergewöhnlichen Intelligenz erkannte, machte ihn mit zwölf Jahren zu seinem Schüler. Wer weiß, wohin Andrea Pasolini es noch gebracht hätte, wenn ihm durch den Tod des Vaters nicht das Schicksal eines Imker beschert worden wäre.

Die sieben Jahre, die er unter der Obhut von Padre Anselmo verbrachte, sollten reiche Früchte tragen. Der Pfarrer lehrte ihn Latein und Griechisch. Und er lernte das Französische, zumindest das schriftliche, das als die kultiviertere Sprache vor dem Italienischen galt, welches auf der Insel mit toskanischem Akzent gesprochen wurde. Padre Anselmo war kein gewöhnlicher Priester. Seine Lektüren hätten jeden Provinzkaplan empört.

Wie unser Kaiser heute, war auch der Priester nach Elba verbannt worden; sein übermäßiger Wissens- und Tatendrang hatte den Bischof veranlasst, ihn aus der Diözese von Siena zu entfernen. Dank ihm lernte Pasolini die römischen und griechischen Klassiker lieben. Er las Apuleius und Platon, Terenz und Aristoteles. Von Voltaire und Diderot war er überwältigt; er gab sich den scharfsinnigen Gedankengängen von Montaigne und den befreienden Ideen Rousseaus hin; er ließ sich von der maßvollen Ekstase Pascals rühren. Er verschlang die Bücher, in fiebriger Begeisterung.

Eine Nachbarin wusste zu berichten, dass es ihm mit achtzehn Jahren offenbar größte Befriedigung bereitete, sich einen ganzen Tag lang vom Hof davonzustehlen. Ein Bündel mit Büchern auf dem Rücken machte er sich auf den Weg zur höchsten Erhebung der Insel, den Monte Capanne, und las dort stundenlang, an den Stamm eines Feigenbaums gelehnt, über den die Ameisen krabbelten.

Manchmal überraschte ihn die Nacht, dann musste er in einer Höhle schlafen. Von diesen Ausflügen kehrte er mit entrücktem Blick und einem Tick um die Lippen zurück, über die unablässig auf Französisch und Latein gemurmelte Sätze kamen.

Der Bericht endet mit einer Statistik über die Honigproduktion auf dem Hof von Pasolini im Vergleich mit der seiner Konkurrenten auf der Insel.

Bonaparte aber weiß nicht, dass der heutige Imker seinerzeit, als sein Vater sich noch um die Bienen kümmerte und er selbst ganz in seinen Studien aufging, das Schreiben für sich entdeckt hatte. Anfangs kopierte er Abschnitte aus Büchern, später schrieb er sie aus dem Gedächtnis nach, variierte dabei gewisse Formulierungen und fügte eigene Beispiele hinzu. Bis er zu einem eigenen und eigenwilligen, lebendigen Stil fand. Im Alter von etwa dreiundzwanzig schrieb er – unter der Last der ihm zugefallenen neuen Verpflichtungen und weil seine Zeit tagsüber äußerst knapp bemessen war – des Nachts kurz und pointiert nach Art von La Rochefoucauld. Seine Schreibweise blieb unmittelbar und modern, neigte kaum zur Rhetorik, was ein Verdienst war, wenn man bedenkt, dass seine Bildung von der Kanzel kam.

Er schrieb über das, was er erlebte und was er empfand, aber auch darüber, was andere erlebten und was diese vermeintlich empfanden: Nur im Spiegel der Anderen, so glaubte er, drückt sich das eigene Leben in der Welt aus. Mit der Zeit machten die verdichteten Beobachtungen dessen, was anderen Menschen widerfuhr, Platz für ebenso dichte Beobachtungen dessen, was mit seinen Bienen geschah. Sie und ihr geschäftiges Treiben zogen seinen aphoristischen Eifer auf sich, bis sie fast zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen wurden.

Blättert man zum Beispiel Pasolinis Hefte von 1805 durch und vergleicht sie mit denen von 1790, fällt auf, dass der zuvor weitschweifige und emphatische Schreibstil an Überhang verliert: die Wörter werden kürzer, die Sätze sind gewollt knapp gehalten. Und insbesondere in den Heften nach 1812 finden sich zuweilen ganze Seiten voll rätselhafter Sätze mit unbekanntem Subjekt, wie diese hier:

Sie kommen und gehen, verweigern sich der Erfahrung des allgegenwärtigen Schreckens. In den Momenten ohne Zeit kennen sie kein Erbarmen. Halten sich für einzigartig und unsterblich. Der Genuss schmerzt sie. Sie übertreiben. Saugen.

Der Bienenleser

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