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Wenn Andrea Pasolini auch ein Eigenbrötler und Einzelgänger ist, bemüht er sich doch, dem Ruf eines Sonderlings, der unweigerlich die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht, nicht noch mehr Nahrung zu geben.

In seinem Bestreben, nicht aufzufallen, hat er getan, was von ihm erwartet wurde; anders gesagt, das Mindestmaß, das von ihm erwartet wurde. Er hat geheiratet und Kinder bekommen. Und er hat den geerbten Gutshof erhalten, ohne jeden Ehrgeiz, ihn weiter auszubauen. Der Honigherstellung widmet er sich mit geringem Elan und voller Skepsis; er hat die unumgänglichen Veränderungen im Blick, jedoch ohne jeglichen kaufmännischen Biss. Während andere danach trachten, Märkte zu erweitern und neue Produkte anzubieten, hält er sich an die Methoden seines Vaters, weniger aus Verbundenheit mit der Tradition denn aus Trägheit. Das unternehmerische Fieber, das manch andere Imker erfasst, erscheint ihm ordinär und sinnlos. Seit mehreren Jahren hat er eine Geliebte in Grosseto, wohin seine Geschäfte ihn mindestens einmal pro Monat führen. Dort versorgt ein Buchhändler ihn mit seinem wahren Lebenselixir.

Pasolini liest und schreibt in der Nacht. Seine Bücher und Hefte verwahrt er in einem Kellerraum, zu dem nur er den Schlüssel besitzt. Im Lauf der Jahre hat er diesen Raum weiter ausgeschachtet, um Platz für immer neue Bücher und Flugschriften zu schaffen, da die vorhandenen das Gewölbe schon bis zum Rand füllten. Niemand weiß um die Existenz seiner geheimen Bibliothek.

Seine Obsession, sich unsichtbar zu machen, könnte man für ein wenig wunderlich halten. Wenn seine Frau ihn an manchen Abenden, die Nase dicht an die Kerze gedrückt, beim Lesen ertappt, behauptet er, er könne nicht schlafen und habe die Psalmen an einer zufälligen Stelle aufgeschlagen, um wieder in den Schlaf zu finden. Nichts im Haus kann ihn verraten. Dem Anschein nach gibt es dort alles, was sich in jeder anderen elbanischen Wohnstätte ebenfalls antreffen lässt, zusätzlich aber noch einige wenige lateinische Bände, aneinandergereiht auf einem Regalbrett in der Schlafkammer, welche ihm sein Mentor, der Pfarrer, anvertraut hatte, bevor er die Insel verließ.

Der Imker spricht wenig. Seine Frau klagt, man müsse ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. In seiner Jugend dagegen führte er angeregte Gespräche mit seinem Lehrer, und einige der Floskeln von damals sind bei ihm hängen geblieben, wie auch ein gewisser Tonfall zwischen persuasorisch und mahnend. Bei seinen Ausflügen auf den Monte Capanne hatte er Gefallen daran gefunden, seine Lieblingsverse auswendig zu lernen und sie laut zu deklamieren. Heute spricht er nur mehr noch das Nötigste und beendet seine Sätze nur selten. Es gibt da einen Punkt, an dem er ihrer müde wird, als merkte er mit einem Mal, dass sie keinen Sinn ergeben. Gelegentlich hat seine Stimme dann einen hohlen Nachhall und klingt wie das Geplapper eines Bauchredners.

Eines Bauchredners, der um die geheime Beziehung zwischen Bonaparte und den Bienen weiß, seit ihm einmal die Chronik der Schlacht bei Marengo aus der Feder eines unbekannten Dragonerhauptmanns in die Hände gefallen ist. Darin steht, dass Napoleon seine Generäle überraschte, als er einen am Vorabend befohlenen Angriff wieder abblasen ließ, nachdem er im ersten Morgenlicht einen riesigen, vom Ast einer Eiche hängenden Bienenschwarm eingehend beobachtet hatte.

Der Bienenleser

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