Читать книгу Mala Sombra - Böser Schatten - José R. Brunó - Страница 8
DAS DRITTE OPFER
ОглавлениеDer Alltag war wieder eingekehrt. Laura und José waren nach Barcelona zurückgekommen, als am Montag, dem dreiundzwanzigsten September in der Rechtsmedizin um neun Uhr das Telefon schellte. Nichts Außergewöhnliches, aber dieser Tag sollte es in sich haben.
In Grácia, einem Stadtteil Barcelonas, in der Avenida del Litoral, war ein Verbrechen gemeldet worden.
Laura packte rasch ihre Sachen zusammen, informierte den Gerichtsmediziner und machte sich mit zwei weiteren Kollegen auf den Weg.
Als die Spurensicherung dort ankam, war bereits der Ermittler Raúl Alonso vor Ort. Raúl war ein langer schlaksiger Katalane aus Girona, der aus der Abteilung Departamento I kam, der Mordkommission, in der der Lebensgefährte von Laura der Leiter war.
Raúl Alonso war der Stellvertreter und enger Vertrauter von José Cardona.
Als Gerichtsmediziner war Doktor Montes gekommen. Montes hatte mit Laura zusammen seine Karriere bei der Rechtsmedizin begonnen.
Als Laura mit ihren Kollegen dort ankam, mussten sie sich erst einmal einen Weg durch die Neugierigen bahnen, die sich im Treppenhaus versammelt hatten. Es schienen die Bewohner des Hauses zu sein. In der ersten Etage angekommen, bemerkte Laura einige Beamte der Policia Municipal, der Stadtpolizei. Sie waren offensichtlich die Ersten, die informiert worden waren. Auf dem oberen Treppenabsatz stand Juan Medina.
Laura schaute den Ermittler vom Kommissariat II verwundert an.
»Was willst du denn hier?«, fragte Laura erstaunt.
»Ich dachte, wir sollten hier ermitteln.«
»Ihr solltet euch mal einig sein. Ich dachte, für den Stadtbezirk ist das K1 zuständig. Wäre sonst Raul Alonso hier?«
Medina war der spezielle »Freund« von Laura. Sie mochte ihn nicht. Nach der Geschichte mit dem Politiker Casillas, bei der Medina für etwas Schmiergeld einen Mord vertuschen wollte, hatte sie nichts mehr mit ihm zu tun gehabt.
Raúl knöpfte sich als erstes einmal den Dienstältesten der Stadtpolizei vor.
»Kannst du mal dafür sorgen, dass die Leute, die hier nichts zu suchen haben, vom Tatort verschwinden?«
Der Polizist tat wie ihm geheißen. Laura und ihre Kollegen hatte sich inzwischen ihre Schutzkleidung angelegt. In dem spärlich eingerichteten Salon war es passiert.
Das Opfer hing, am Hals aufgeknüpft, am Fensterkreuz und seine Hose war heruntergelassen. Zunächst hätte man glauben können, das Opfer hätte sich selbst erhängt, Laura hatte aber sofort erkannt, dass es kein Suizid war. Auf dem Boden war eine Blutlache zu sehen, in der etwas Seltsames zu sehen war.
»Was ist das Laura?«, fragte Raúl neugierig.
»Der Täter hat ihm die Hoden abgeschnitten.«, antwortete Laura.
»Ja Raúl«, mischte sich Doktor Montes ein, »wenn dich deine Frau mal beim Fremdgehen erwischt, dann weißt du wenigstens schon einmal, wie so was aussieht.« Montes lachte lauthals und steckte sich erst einmal eine Zigarette an.
Der Doc war Kettenraucher und schaffte spielend sechzig Zigaretten am Tag.
»Kann denn hier mal jemand helfen, den Mann abzuhängen?«, fragte Laura. »Und öffnet doch bitte mal die Persianas (Fensterklappen).«
Ihr war aufgefallen, dass etwas auf einer Fensterscheibe geschrieben stand. Es war eine mit Blut geschriebene große Drei.
Zwei Beamte der Stadtpolizei waren herbeigeeilt, den Körper des Opfers anzuheben, während einer der Polizisten auf einen Stuhl stieg, um das Seil zu lösen. Raúl Alonso entfernte sich zunächst einmal, um seine Arbeit zu machen.
»Weiß hier jemand, wer ihn gefunden hat?«, fragte er.
»Die Nachbarin gegenüber auf dem Flur«, meldete sich ein junger Polizist.
Raúl klopfte an die große verschlissene Wohnungstür gegenüber der Wohnung des Opfers. Nach einigen Minuten öffnete sich der Wohnungseingang und vor ihm stand eine ältere Dame, die am ganzen Körper zitterte.
»Mein Name ist Raúl Alonso von der Policia National. Haben sie den Toten gefunden?«
Die alte Dame nickte mit dem Kopf.
»Sind sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
»Fragen Sie! Mein Name ist übrigens Mercedes, sie können Merce zu mir sagen.«
»Okay, Merce, zunächst einmal, wer ist der Tote und was hatten Sie für ein Verhältnis zu ihm?«
»Ich kenne ihn nur als meinen Nachbarn. Er ist vor drei Jahren hierhergezogen, nachdem seine Frau gestorben war.«
»Und wie heißt er?«
»Sein Name ist Emilio Gonzalez und er war pensionierter Guardia-Civil-Mann. Ich verstehe nicht, warum er sich umgebracht hat. Der hatte doch so eine gute Pension«, jammerte Mercedes und zog ein Taschentuch aus ihrer Kitteltasche, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
»Hatte er des Öfteren oder gestern Besuch?«
»Die letzten Tage kam ab und zu ein Mann zu ihm, ich glaube, es war ein Kamerad aus seiner Militärzeit.«
»Könnten Sie den Mann beschreiben, Merce?«
»Nicht wirklich, ich habe ihn nur einmal hier im Hausflur gesehen. Aber warum fragen Sie das alles?«
»Weil das möglicherweise ein Verwandter war, den wir benachrichtigen müssen«, log Raúl.
»Wie alt war der Mann, Señora?«
»Schlecht zu sagen, ich schätze, nicht viel älter als fünfzig.«
Raúl nickt nachdenklich mit dem Kopf. »Okay, Señora, wenn ich noch Fragen habe, melde ich mich wieder bei Ihnen.«
Inzwischen hatten die Leute der Spurensicherung ihre Arbeit in der gegenüberliegenden Wohnung getan und der Leichenwagen war eingetroffen.
Laura hatte unzählige Fotos gemacht und es waren überall eingeschwärzte Stellen zu sehen, an denen die Spurensicherung Fingerspuren zu finden versucht hatte. Auf dem Tisch hatten ein voller Aschenbecher und eine halbvolle Weinflasche mit zwei Gläsern gestanden. Laura hatte all diese Dinge akribisch untersucht und eingepackt.
Der Gerichtsmediziner Doktor Montes hatte schon vor geraumer Zeit den Tatort verlassen. Er war immer der Erste, der den Ort des Geschehens verließ.
Die Leute der Spurensicherung waren in der Regel immer die Letzten, die den Ort des Verbrechens verließen. Inzwischen war auch ihre Arbeit getan und Laura drängte zum Aufbruch.
Am nächsten Tag sollten bereits in der frühen Morgenstunde die Leichenschau und die anschließende Obduktion sein.
Als Raúl Alonso die Gerichtsmedizin betrat, war Doktor Montes gerade dabei, seine medizinischen Instrumente zu reinigen.
»Nun Doc, wie sieht es aus?«, fragte Raúl.
»Wenn du den da meinst«, Montes zeigte mit der rechten Hand auf den Seziertisch, »kann ich dir nur sagen, der arme Kerl hat sich nicht selbst an das Fensterkreuz gehängt.«
»Habt ihr Abwehrspuren entdecken können?«
»Nichts, gar nichts. Ich glaube, dass der Täter das Opfer vorher betäubt hat.«
»Und mit was?«
»Das kann ich dir leider nicht sagen, Raúl, ich bin kein Toxikologe. Möglicherweise K. O.–Tropfen oder so was, die lassen sich spätestens nach fünf Stunden sowieso nicht mehr nachweisen.«
»Okay, Ramon, ich geh dann mal ins Labor. Schauen wir mal, was die KTU so sagt.«
Als Raúl das Labor betrat, war Laura gerade dabei, die mitgebrachten Weingläser abzukleben, um die darauf befindlichen Fingerabdrücke zu sichern.
»Dieses«, sagte sie, »hat der Täter benutzt und das andere das Opfer. So was ist mir ja noch nie untergekommen. Erst saufen sie zusammen und dann bringt der Eine den Anderen um.«
«Du weißt schon, dass das Opfer ein pensionierter Guardia-Civil-Mann war, oder?«
»Das war nicht schwer zu erraten, Raúl. Die große »Drei«, die der Täter auf die Fensterscheibe geschmiert hat, war kaum zu übersehen.«
»Also wieder unser Freund, der es auf die pensionierten Malas Sombras abgesehen hat?«
»Davon kannst du ausgehen, Raúl. Ich frage mich nur, was hat der Kerl für ein Motiv?«
»Motive gibt es vermutlich eine Million, aber wenn die Taten keinen terroristischen Hintergrund haben, wer kann denn so einen Hass auf die »Grünen« haben?«
Laura schaute ihren Kollegen ratlos an und zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir sicher, dass die Opfer sich alle aus der Vergangenheit kannten und was mich erstaunt, der Kerl macht sich nicht einmal die Mühe, Spuren zu verwischen.«
»Und ich frage mich, wenn das sein drittes Opfer war, wie viele werden es noch?«
»Wir werden es erleben, wobei ich nicht besonders scharf darauf bin, dass der Kerl weitere Taten vor unserer Haustür verübt.«
Es waren nur wenige Tage nach der Unterhaltung mit Raúl vergangen, als eines Morgens der Journalist Iñaki Etxebarria bei Laura anrief.
»Das ist aber eine Überraschung«, sagte Laura, »sonst hört man von dir das ganze Jahr nichts und dann gleich so kurz hintereinander?«
Iñaki kam sofort zur Sache. »Ich bin übermorgen in Barcelona, kann ich mit dir reden?«
»Natürlich kannst du mit mir reden, José freut sich bestimmt. Aber was ist denn so wichtig?«
»Na, du weißt schon, euer neuer Fall in Barcelona.«
»Woher hast du die Information über unsern neuen Fall? Außerdem, du weißt hoffentlich, dass ich nicht über meine Arbeit sprechen kann und dass ich nicht der Ermittler bin.«
»Nun ja, vielleicht kann ich euch ein wenig helfen und so hätten wir alle was davon.«
»Und was hast du davon, Iñaki?«
»Ich schreibe darüber, mit – oder ohne eure Hilfe und du weißt, wir können ziemlich flexibel sein.«
»Okay, wenn du hier ankommst, rufe José an, der holt dich dann vom Flughafen ab.«
Am übernächsten Morgen schellte schon sehr früh das Telefon. Iñaki war angekommen und hatte bereits in der Cafeteria des Flughafens den zweiten Kaffee getrunken. José Cardona zog sich rasch an und fuhr zum Flughafen.
Iñaki Etxebarria hatte einen Anschlussflug nach Valencia für fünfzehn Uhr. José sollte es nur recht sein, denn er hatte nachmittags Termine und seine Arbeit stapelte sich bereits auf seinem Schreibtisch.
»Komm Iñaki, lass uns in meine Stammkneipe gehen, ich habe nämlich noch nicht gefrühstückt. Du hast mich fast aus dem Bett geschmissen. Laura kommt dazu.«
Der Journalist lächelte und nickte zustimmend mit dem Kopf. Als die beiden in der Cafeteria ankamen, war Laura bereits da. Sie saß an einem Tisch im hintersten Teil des Gastraumes und hatte sich bereits ihren obligatorischen Café con Leche mit einem Croissant bestellt.
»Na, das ist ja mal eine Überraschung, Iñaki, dass wir uns so schnell wiedersehen«, sagte Laura lächelnd.
»Ich würde euch gerne einen Deal vorschlagen.«
José schaute Laura an und fragte: »Einen Deal? Was meinst du damit?«
»Kurzum, ihr wisst, dass ich an der Sache mit den »Mala Sombra«-Morden bin. Vielleicht könnt ihr mir ein wenig bei meinen Recherchen helfen.«
»Und du glaubst, dass wir dir weiterhelfen können?«, fragte Laura. »Du weißt sicherlich, dass wir über die Ermittlungen nicht reden dürfen.«
»Ach komm, Laura, ein paar Informationen und ich sage euch, was ich herausbekommen habe.«
»Was weißt du, was wir nicht wissen?«, mischte sich José ein. Außerdem bringt der Täter offensichtlich nicht nur vor unserer Haustür seine Opfer um.«
»Genau das meine ich, José. Es gab bereits das vierte Opfer – in Zaragoza.«
Laura schaute José eine Weile an. »Das ist aber Sache der Ermittlungsbehörden in Aragon, Iñaki. Du siehst, dass wir hier zwei ungelöste Fälle haben, aber ansonsten, was nicht gerade um Barcelona herum passiert, ist nicht unser Problem.«
»Aber ich kann euch dabei helfen, gerade diese beiden Fälle zu lösen. Möglicherweise gibt es noch Mordfälle in naher Zukunft, von denen ihr noch nichts ahnt.«
»Sag mal, Iñaki, um wie viel Geld geht es eigentlich dabei?«, fragte Laura neugierig.
»Willst du das wirklich wissen? Wenn die Geschichte gut wird und sie sich gut verkaufen lässt, drei Millionen Pesetas.«. (seinerzeit 36.000 D-Mark)
José schaute ungläubig und konnte sich einen leisen Pfiff nicht verkneifen. »Drei Millionen? Soviel Geld geben die Boulevardblätter dafür aus?«
»Tja, mein Freund José, die Zeiten haben sich geändert. Heute werden Geschäfte gemacht, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren.«
»Nun«, sagte Laura, »lass doch mal hören, vielleicht kannst du uns ja etwas über das Motiv dieses Täters sagen.«
»Einen pensionierten Mala Sombra umzubringen, da gibt es viele Gründe. Ich bin Baske – und ein Motiv hätte jede dritte Familie im Baskenland. Diese alten Säcke hatten alle Dreck am Stecken.«
»Kannst du uns das mal etwas genauer erklären, Iñaki?«, fragte Laura neugierig.
»Gerne, in der Zeit nach dem Bürgerkrieg hat sich Franco diese Typen zunutze gemacht, Stärke zu zeigen und Menschen, die anders dachten, zu verhaften und wegzusperren. Viele sind gefoltert worden und wenn sie Glück hatten, kamen sie nach einiger Zeit wieder frei. Dabei sind viele Männer nie wieder aufgetaucht.
Über Nacht standen die Familien ohne ihren Ernährer und die Kinder ohne ihre Väter da.«
»Und du glaubst, das ist eines der Kinder, das sich für das, was ihnen angetan wurde, rächen will?«
»Natürlich, warum sonst glaubst du, hat er es nur auf pensionierte Guardia Civiles abgesehen?«
Was Iñaki gerade sagte, klang ziemlich logisch und entsprach ohne weiteres den Tatsachen. Die Malas Sombras, die »bösen Schatten«, waren im Franco Regime überall gefürchtet. Mit ihren grünen Uniformen und ihren schwarzen Lackhüten machten – und nahmen sie sich, was sie wollten. Dass es Menschen gab, die sich, nachdem der böse Schatten seine Macht verloren hatte, rächen wollten, war nachvollziehbar.
»Denkst du, dass der Täter Baske ist, Iñaki?«, fragte Laura.
»Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden.«
»Sag mal, Iñaki«, fragte José, »hast du außer diesen drei Millionen noch ein anderes Motiv, dass du dich so intensiv mit der Geschichte befasst?«
Der Journalist schaute seine Gegenüber eine Weile an.
»Ja, ich werde euch eines Tages davon erzählen. Jetzt wäre ich dir dankbar, José, wenn du mich zum Flughafen fahren würdest, sonst verpasse ich noch meinen Flieger.«
Die Zeit war wie im Fluge vergangen und es war bereits viertel vor zwei Uhr. Zeit, sich Gedanken zu machen wo man zu Mittag essen wollte. Laura blieb einfach sitzen, um in ihrem Lieblingsrestaurant zu speisen, während José seinen Freund zu Airport brachte.
José und Laura diskutierten noch tagelang über die merkwürdige Unterhaltung mit dem Journalisten aus dem Baskenland. Fest stand, in Barcelona gab es zwei unaufgeklärte Morde, die es lösen galt. Immerhin hatte das Gespräch mit Iñaki etwas Gutes gehabt. Die beiden konnten sich eine Vorstellung über das Motiv des Täters machen.
Rache ist eines der ältesten Motive der Welt und die Tatsache, dass der Mörder sich nur ehemalige Guardia Civil – Pensionäre aussuchte, ließ Iñakis Theorie durchaus logisch erscheinen.
Monate waren vergangen und Barcelona schickte sich an, wieder eine Großstadt mit Niveau zu werden. Die katalanische Metropole hatte den Zuschlag für die Olympiade 1992 bekommen. Gebäude, die vierzig Jahre keine Farbe gesehen hatten, wurden renoviert und erstrahlten nach und nach im neuen Glanz. Auf dem Montjuic, dem Hausberg, wurde ein Schwimmstadion gebaut, ein neuer Jachthafen musste her und das Autobahnnetz wurde erweitert.
Wer die Katalanen und ihren Ehrgeiz kannte, wusste, dass sie sich besonders gründlich auf das Großereignis vorbereiten würden. Die Verantwortlichen der katalanischen Metropole waren ohnehin der Meinung, dass es Barcelona verdient hätte, die Hauptstadt Spaniens zu sein.
Man befand sich in einer Zeit, in der sie Leute brauchten, die sie vorzeigen konnten. Sportler und Menschen, die sich in der Provinz Katalonien verdient gemacht hatten, sollten den »Orden de Honor de la Provincia Catalunya« bekommen, eine Auszeichnung, die mit dem Bundesverdienstkreuz vergleichbar war.
Diese Ehre sollte später auch noch Laura und ihrem Partner zuteil werden.