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DER FALL VICARIO

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Man schrieb bereits das Jahr 1989. Es war Sonntag, der siebenundzwanzigste August. Ein heißer Sommertag an dem man sich alles vorstellen konnte, nur nicht arbeiten zu müssen.

Es war neunzehn Uhr, als das Telefon schellte. In der Carrer de Bany Nova, in der Nähe des alten Rathauses, war eine Frau ermordet in ihrem Apartment aufgefunden worden. José und Laura zogen sich legere Kleidung an und machten sich auf den Weg, Laura musste noch schnell an der Gerichtsmedizin vorbeifahren, um ihre Utensilien zusammenzusuchen.

»Dümmer kann man nicht sein, sich auf jedes Telefon zu stürzen, was klingelt«, hatte José erbost gesagt.

Als die beiden am Tatort ankamen und die Wohnung in der ersten Etage betraten, war der Gerichtsmediziner Angel Dominguez bereits vor Ort.

»Na, hat es dich auch erwischt?«, fragte Laura scherzhaft.

»So ein Mist, ich wollte mit meiner Frau noch eine Stunde zum Schwimmen an den Strand, daraus wird wohl heute nun nichts mehr.«

»Wer hat sie gefunden?, wollte José wissen.

»Der Nachbar, das ist der, der dort im Salon sitzt«, sagte Dominguez.

Laura begab sich in das Schlafzimmer, in dem das Opfer gefunden wurde, während sich José um den Mann kümmern wollte, der die Frau gefunden hatte.

»Mein Name ist José Maria Cardona. Sie haben die Frau gefunden?«

»Ja, mein Name ist Paco Bergans, ich habe sie gefunden.«

»Sie sind der Ehemann?«

»Nein, ich bin nur ein Freund der Familie Vicario.«

»Und was machen Sie dann im Schlafzimmer der Familie Vicario?«

»Der Ehemann ist der Fernsehkoch Francesco Vicario, er ist ein Freund von mir. Am Samstag in den frühen Morgenstunden ist er mit einem Freund zum Segeln aufs Meer hinausgefahren. Vor etwa einer Stunde hat mich die Hafenbehörde angerufen. Chisco (Francisco) hat den Hafenmeister gebeten, mich anzurufen.«

»Um Ihnen was zu sagen?«

»Um seiner Frau auszurichten, sie möge ihn um einundzwanzig Uhr zum Essen zu treffen. Dabei habe ich sie entdeckt.«

»Und wo ist der Ehemann jetzt?«

»Ich hoffe, dass er auf dem Weg hierher ist. Ich habe noch mal bei der Hafenmeisterei im Club Nautico angerufen und gebeten, ihn zu benachrichtigen.«

»Haben sie etwas angefasst, oder was verändert?«

»Ich glaube nicht, aber ich weiß es nicht genau«, sagte Bergans, der ziemlich bestürzt schien und aufgeregt an seinen Fingernägeln kaute.

Jose war zwischenzeitlich ins Schlafzimmer gegangen, in dem Laura nach verwertbaren Spuren suchte.

»Nun, Doc, wann glaubst du, ist sie gestorben?«, fragte José.

»Die Totenstarre ist gerade erst eingetreten und ich denke, gestern Abend. Aber bei den Temperaturen schwer zu sagen.«

»Todesursache?«

»Schau mal hier, die Würgemale am Hals, was glaubst du?«

»Wenn ich mir das Chaos hier so ansehe, der Täter hat alles durchwühlt. Sieht aus wie ein klassischer Raubmord.«

»Der Täter hat aber eines übersehen«, meldete sich Laura und zeigte auf den Arm des Opfers. »Sie trägt eine goldene Armbanduhr. Ein ziemlich teures Stück und wenn ich das richtig sehe, ist sie um siebzehn Uhr stehengeblieben. Das Datum zeigt den siebenundzwanzigsten, und den haben wir heute.«

Inzwischen war der Ehemann eingetroffen, der sich schwitzend und weinend auf seine Frau stürzte. Francesco Vicario war am Boden zerstört.

José hatte ihn sofort erkannt. Er war der Vorzeige – Koch der Katalanen, der in Barcelona zwei Restaurants betrieb, die nur für Leute mit Geld zugängig waren. Außerdem war er andauernd in verschiedene TV- Kochsendungen zu sehen.

José hatte sich noch einmal bei Vicario vorgestellt und begann seine Fragen zu stellen.

»Wann haben Sie am Samstag das Haus verlassen, Señor Vicario?«

»Ich habe um fünf Uhr dreißig mit meiner Frau noch einen Kaffee zusammen getrunken und einen Tostado (Toastbrot) gegessen. Um sechs Uhr habe ich das Haus verlassen. Um sechs Uhr fünfzehn war ich im Club Nautico, wo mein Freund bereits auf mich gewartet hat. Wir haben dann um sechs Uhr dreißig den Hafen verlassen. Wenn ich das alles gewusst hätte, wäre ich zuhause geblieben«, stammelte er.

»Schon gut, Señor Vicario, nur um Sie auszuschließen, wie heißt Ihr Freund und wo können wir ihn erreichen?«

»Er heißt Martinéz und ist mein Metre (Oberkellner).«

»Nun gut, wir werden das überprüfen«, sagte José und wandte sich Laura zu, die gerade dabei war, ihre Sachen zusammenzupacken.

Laura hatte dem Opfer die Uhr abgenommen, um sie zur Untersuchung mitzunehmen. Sie schaute noch einmal auf das teure Stück und musste feststellen, dass die Uhr wieder zu laufen begonnen hatte. ›Merkwürdig‹, dachte sie.

Inzwischen war die Leiche abtransportiert worden und es war bereits einundzwanzig Uhr geworden. Der Sonntag wäre fast dahin gewesen, aber es war gerade noch der richtige Zeitpunkt. Die Temperaturen waren ein wenig gefallen und die Restaurants waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht hoffnungslos überfüllt.

Am nächsten Morgen hatte Doktor Dominguez schon früh mit der Obduktion der Ana Vicario begonnen. Das Zungenbein war gebrochen, sie war erwürgt worden. Laura hatte sich darangemacht, die Fingernägel der Toten zu untersuchen, während Dominguez einen Abstrich machte, um zu sehen, ob Ana Vicario sexuell missbraucht worden war. Das Opfer war nur sehr spärlich bekleidet und außerdem war es reine Routine. Es gab keinerlei Spuren von Vergewaltigung.

Für den Gerichtsmediziner stand inzwischen fest, sie war erdrosselt worden und weitere Untersuchungen waren nicht vonnöten.

Laura war anderer Meinung. Ihr waren die Spuren am Tatort nicht ganz geheuer. Die durchwühlten Schränke und Schubladen sahen für sie ziemlich inszeniert aus. Dann war da die teure Rolex-Uhr, die in der Regel kein Täter zurücklässt, wenn er es auf Wertsachen abgesehen hat. Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Ich bin der Meinung, dass du sie öffnen solltest, Angel«, sagte Laura. »Möglicherweise kannst du dann den Todeszeitpunkt etwas genauer bestimmen.«

Dominguez hatte sich überreden lassen und war später froh, die Leiche doch noch geöffnet zu haben. Zunächst war da der Mageninhalt.

»Was hat der Vicario gesagt?«, fragte Laura, »was haben die beiden gefrühstückt, bevor er das Haus verlassen hat?«

»Kaffee und einen Tostado, soviel ich weiß.«

»Also, dieser Toast scheint aber noch ziemlich frisch zu sein. Das muss ich mir deshalb im Labor noch genauer ansehen.«

Doc Dominguez war noch etwas aufgefallen. Bei der Leichenöffnung stellte der Gerichtsmediziner fest, dass die inneren Organe bereits im fortgeschrittenen Verwesungsprozess waren, was äußerlich in dieser Form nicht zu erkennen gewesen war.

Die Forensikerin Laura Velasquez hatte die Fähigkeit, sich in kürzester Zeit den Tathergang vorstellen zu können, wenn sie einen Tatort betrat. In der Regel gab es dafür Psychologen, die dafür ausgebildet waren und deren Dienste man sich bei schwierigen Fällen bediente.

Laura hatte beim Betreten des Tatortes nicht sehr lange gebraucht, um festzustellen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Da waren die durchwühlten Schränke und die im Schlafzimmer verstreuten Kleidungsstücke. Laura glaubte, sie seien nachträglich da hingelegt worden, um es wie ein Raubmord aussehen zu lassen.

Dann war da noch die teure Uhr, die vermutlich das teuerste in der gesamten Wohnung war. Kein Täter, der es auf Wertsachen abgesehen hatte, ließe diese Uhr zurück. Darüber hinaus wollte sie wissen, warum die Rolex um siebzehn Uhr stehen geblieben war und als sie vom Arm der Leiche abgenommen wurde, wieder zu laufen begann.

Laura wollte eine Erklärung und begab sich in der Mittagszeit in die Gran Via, wo es einige Uhrenhändler gab, die diese hochwertigen Uhren verkauften.

Sie musste nicht lange suchen. Es gab eine Ansammlung von Uhrengeschäften, deren Produkte sich nicht jeder leisten konnte. Als Laura den klimatisierten Laden betrat, kam ein gut gekleideter junger Mann auf sie zu, um sie begrüßen.

»Mein Name ist Laura Velazquez«, sagte sie und zeigte ihren Dienstausweis. »Ich habe hier eine Damenuhr und würde gerne mehr über das gute Stück erfahren.«

»Dann darf ich davon ausgehen, dass Sie nicht die Eigentümerin der Uhr sind?«

»Die Uhr ist Gegenstand einer polizeilichen Ermittlung.«

Der Verkäufer schaute Laura eine Weile an und verschwand dann in einem angrenzenden Raum.

Es hatte einige Minuten gedauert, als der junge Mann mit einem älteren Herrn zurückkam, der sich als der Inhaber des Nobelgeschäftes vorstellte.

»Sie haben Glück, Señora, diese Uhr ist bei uns gekauft worden. Die Eigentümerin ist Señora Ana Vicario«, sagte der ältere Herr freundlich.

Laura schaut ungläubig. »Woher wissen Sie, dass die Uhr bei Ihnen gekauft wurde und wer der Eigentümer ist?«

»Weil alle Uhren der Marke Rolex auf dem Uhrenboden auf der Rückseite eine Zertifikatsnummer haben. Diese Nummer erlaubt uns, nachzuvollziehen, wo sie gekauft wurde und wem sie gehört.«

Laura war beeindruckt. »Die Uhr ist gestern um fünf Uhr Nachmittag stehen geblieben und dann, als wir die Uhr bewegt haben, hat sie wieder zu laufen begonnen. Können Sie mir das erklären?«

»Ganz einfach, Señora, diese Uhr stellt sich nach sechsunddreißig Stunden aus, wenn sie nicht bewegt wird.«

Laura schaute den älteren Herrn erschrocken an und verließ eiligst das Uhrengeschäft. Sie hatte in kürzester Zeit von siebzehn Uhr Sonntagnachmittag zurückgerechnet. Also hatte sich das Opfer um fünf Uhr Samstagvormittag das letzte Mal bewegt. Der Ehemann hatte aber gesagt, er habe um halb sechs Uhr noch mit ihr zusammen gefrühstückt und er habe um sechs Uhr das Haus verlassen.

Den Todeszeitpunkt bei Tötungsdelikten zu bestimmen, erweist sich oftmals als sehr schwierig. Witterungseinflüsse spielen dabei eine wesentliche Rolle. Erschwerend kommt hinzu, dass die Opfer meist erst Tage oder Wochen später entdeckt werden, wenn der Grad der Verwesung schon sehr weit vorgeschritten ist.

Hier aber schien alles anders zu sein. Ein absoluter Glücksfall, der in der Geschichte der Forensik nur selten vorkommt. Im Fall Ana Vicario war es somit möglich, den Zeitpunkt des Todes exakt zu bestimmen.

Laura fuhr sofort in die Gerichtsmedizin zurück, um ihrem Kollegen von ihren neusten Erkenntnissen zu berichten.

»Du wirst den Todeszeitpunkt überdenken müssen«, sagte sie voller Stolz zu Doktor Dominguez, der gerader dabei war, die Leiche wieder zuzunähen.

»Das habe ich bereits, die Dame ist nämlich von außen noch viel frischer als von innen.«

Laura kramte die Uhr aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Seziertisch. »Das ist eine automatische Uhr, die, wenn sie nicht bewegt wird, nach sechsunddreißig Stunden stehenbleibt. Als wir die Leiche untersucht haben, war sie auf siebzehn Uhr stehengeblieben.«

Dominguez überlegte einen Augenblick. »Das würde bedeuten, dass sie um fünf Uhr in den frühen Morgenstunden verstorben ist. Besser kann man einen Todeszeitpunkt nicht bestimmen.«

»Ich werde José mal anrufen, ich glaube, dass er bereits einen Verdächtigen hat.«

Es waren nur zwanzig Minuten vergangen, als Jorge Garau in der Rechtsmedizin auftauchte, um sich von den neuesten Erkenntnissen berichten zu lassen.

»Du hättest deinen Kollegen Raúl mal gleich mitbringen sollen. Holt euch mal den Nachbarn und den Vicario zur Befragung in die Jefatura (Präsidium). Es sieht so aus, als wolle uns jemand für dumm verkaufen.«

Am nächsten Morgen hatten die Ermittler den Zeugen Bergans und den Ehemann der Toten zum Verhör ins Präsidium gebracht. Zunächst wollte man den Zeugen verhören, der ziemlich aufgeregt an seinen Fingernägeln kaute.

José hatte ihn am Sonntag schon einmal befragt und begann das Verhör.

»Nun, Señor Bergans, erzählen Sie doch noch einmal, was Sie getan haben, als Sie die Wohnung betraten.«

»Ich habe mehrmals den Namen von Ana gerufen und habe überall nachgesehen, bis ich sie dann im Schlafzimmer gefunden habe.«

»Und wie sind Sie in die Wohnung gekommen?«

»Ich habe einen Schlüssel, meine Frau putzt hin und wieder bei den Vicarios.«

»Und dann sind Sie einfach so in das Schlafzimmer der Dame gegangen?«

»Ich habe ein Geräusch gehört, und wie sich dann herausstellte, war es die Klimaanlage. Ich habe sie ausgestellt und dann sofort die Polizei angerufen.«

»Klimaanlage? Ich habe Sie doch am Sonntag gefragt, ob Sie etwas angefasst oder verändert haben. Warum haben Sie mir das nicht schon am Sonntag gesagt?«

»Weil ich das in der Aufregung vergessen habe.«

José erhob sich und ging nachdenklich durch den Raum. Er hatte sich inzwischen mit dem Gerichtsmediziner unterhalten, der sich über den Verwesungsgrad des Opfers gewundert hatte.

Das war die Erklärung, warum der Körper der Toten von innen stärkere Zerfallsmerkmale aufwies als von außen. Der Täter hatte die Klimaanlage angeschaltet, um den Todeszeitpunkt zu vertuschen.

Inzwischen hatten sich die Beamten den prominenten Ehemann des Opfers vorgeknöpft. Francisco Vicario war ein selbstbewusster Mann von vierzig Jahren, der auftrat, als gehöre ihm die Welt.

»Was wollen Sie von mir, ich habe ein Alibi. Haben sie meinen Metre Martinez nicht befragt?«

»Haben wir, Señor Vicario. Sie haben ein perfektes Alibi«, sagte Raúl ironisch und schaute zu José herüber. »Sie haben noch mit Ihrer Frau um fünf Uhr dreißig gefrühstückt und haben dann um sechs Uhr das Haus verlassen, richtig?«

»Das habe ich Ihnen doch alles schon einmal erzählt«, sagte Vicario mit einem breiten Grinsen.

José hatte während des Verhörs den arroganten Promikoch beobachtet. Ihm war das siegessichere Lächeln von Vicario aufgefallen. Damit sollte augenblicklich Schluss sein. José wollte jetzt die schärferen Geschütze auffahren.

»Und wie erklären Sie sich, Señor Vicario, dass Ihre Frau bereits um fünf Uhr tot war, obwohl Sie behaupten, mit ihr noch eine halbe Stunde vorher gefrühstückt haben, bevor Sie um sechs Uhr das Haus verließen? Können Sie mir das einmal erklären?«

Francisco Vicario war innerhalb einer Sekunde so weiß im Gesicht wie die Wand, vor der er saß.

»Ich sage jetzt gar nichts mehr, ich will meinen Anwalt sprechen«, sagte Vicario mit zittriger Stimme.

»Genau das wollte ich Ihnen auch vorschlagen, aber heute bleiben Sie erst einmal bei uns, Señor Vicario. Sie sind vorläufig festgenommen!«

Raúl grinste, während Jorge dem Promikoch Handschellen anlegte, um ihn abzuführen.

»Den Nachbarn kannst du nach Hause schicken und sieh zu, dass wir den Bericht von der Forensik kriegen, sonst kommt so ein schlauer Anwalt und boxt den Kerl noch raus, bevor er dem Haftrichter vorgeführt werden kann.«

Vicario wurde des Mordes an seiner Frau angeklagt und obwohl er nie geständig war, wurde er auf Grund der Indizien zu zwanzig Jahren Haft verurteilt.

Die Ironie der Geschichte: Die goldene Uhr, die er seiner Frau zum Geburtstag geschenkt hatte, hatte ihn verraten. Der unverdaute Mageninhalt und der Grad der Verwesung des Opfers hatten dabei nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Ohne die Aufmerksamkeit der Forensik wäre Francisco Vicario wahrscheinlich davongekommen.

Im Oktober 1989 war es soweit. Laura und ihr Lebenspartner José Cardona hatten Post von der Generalidad, der Autonomieregierung Catalunya bekommen. Der Staatsekretär des Präsidenten Jordi Pujol i Soley hatte sie eingeladen, um mit ihnen das Protokoll für die Verleihung des »Orden Honor de la Provincia Catalunya« zu besprechen.

Laura wollte diese Auszeichnung ablehnen, wobei es José ziemlich egal war, ob er sich diesen Orden an die Uniform heften könnte. Er trug sie ohnehin nur bei offiziellen Anlässen.

Laura hingegen war der Meinung, dass um ihre Person in der letzten Zeit zu viel Wirbel gemacht wurde. Sie war in allen möglichen Klatschblättern abgelichtet und wurde auch ständig von irgendwelchen Fotografen belauert. Schuld waren die Pressekonferenzen, auf denen sie permanent dabei sein musste. Sie wollte als Forensikerin in Ruhe ihre Arbeit machen und nicht als eine Person des öffentlichen Lebens wahrgenommen werden. Allerdings war es dafür schon zu spät, aus der Sache kam sie nicht mehr raus. Inzwischen kannte sie jede polizeiliche Dienststelle im Land.

Überhaupt schauten alle Provinzen des Landes neidisch nach Katalonien. Die hatten sehr viel Geld in ihren Polizeiapparat investiert.

Laura wollte, wenn sie schon einmal in die Generalidad einbestellt wurde, dafür sorgen, dass die forensische Wissenschaft in Barcelona Einzug hielt.

Sie hatte von einem Präzedenz- Fall in England gelesen. Zwei Mädchen im Alter von fünfzehn Jahren waren vergewaltigt worden. Der Täter wurde auf Grund seines genetischen Fingerabdrucks, der sogenannten DNA überführt und verurteilt. Dieses Verfahren war noch weitgehend unbekannt und wurde selbst in den USA das erste Mal als Beweismittel zugelassen. Es sollte der Urknall in der forensischen Wissenschaft werden.

Laura wollte diese Methode erlernen und dafür musste sie nach London, zu Scotland Yard. Ob sie ihren Status dafür nutzen könnte, den Staatssekretär von ihrem Vorhaben zu überzeugen, würde sich herausstellen.

*

Am Montag, dem siebenundzwanzigsten Oktober waren Laura und José in das Regierungsgebäude bestellt worden. Der Staatssekretär des Präsidenten hieß Manuel Pons, ein dynamischer junger Mann, der den Ablauf der Preisverleihung mit den beiden Kriminalisten besprechen wollte. Es waren noch einige Andere nominiert worden, Sportler und solche, die sich in der Provinz Catalunya mit besonderen Leistungen hervorgetan hatten.

Manuel Pons kannte die beiden Kriminalisten, die vor ihm saßen. Die Zeitungen hatten in letzter Zeit oft genug über sie berichtet.

Laura kam sofort zur Sache. »Señor Pons«, begann sie, »um ehrlich zu sein, ich habe mir lange überlegt, ob ich die Ehrung nicht ablehnen sollte.«

»Sie wollten was?« Der Staatsekretär war es nicht gewohnt, dass man solche Ehrungen ablehnte. »Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Weil ich der Meinung bin, dass das Ganze der Ehre zu viel ist. Außerdem wird der Rummel um meine Person langsam zum Albtraum.«

Pons lächelte. »Das ist der Preis, den wir für unsere Arbeit bezahlen, Señora Velazquez.«

»Ich hätte noch ein besonderes Anliegen, Señor.«

»Und das wäre?«

»Ich würde es begrüßen, wenn wir unsere Forensik reformieren könnten.«

Pons überlegte einen Augenblick. »Sind wir da denn nicht schon ziemlich gut aufgestellt.«

»Nicht gut genug, ich würde gerne …«

Pons unterbrach Laura. »Señora Velazquez, bevor Sie mir jetzt etwas erzählen von dem ich nichts verstehe, arbeiten Sie ein Konzept aus und übergeben Sie es mir am nächsten Donnerstag bei der Ehrung. Ich übergebe es dem Minister. Ich bin sicher, dass wir was für Sie tun können.«

Drei Tage später sollte die Preisverleihung sein. Laura hatte auf die Schnelle ein Konzept ausgearbeitet, um es dem Staatssekretär bei der Gala zu übergeben.

Am Donnerstag, dem dreißigsten November hatten sich einige prominente Bürger der Stadt eingefunden, um solche zu ehren, die sich um die autonomen Provinz Catalunya verdient gemacht hatten. Ein großes Event, bei dem auch das Fernsehen nicht fehlen durfte. Der Minister, der Bürgermeister und einige Kommunalpolitiker waren anwesend.

Letztendlich wurde das Ganze eine gelungene Veranstaltung, obwohl Laura ihre Bedenken geäußert hatte.

In den folgenden Wochen überschlugen sich wieder einmal die Ereignisse. Es passierten Dinge, die Laura so nicht erwartet hatte.

Die Forensikerin bekam, was sie wollte. Der Minister hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass Laura sich bei den Engländern in London in die Methode der DNA einweisen lassen konnte. Zwei Wochen beim Scotland Yard waren für Laura wie ein Lottogewinn. Allerdings hatten die ehrgeizigen Katalanen auch einen Plan. Sie wollten im Land die Ersten sein, die eine DNA–Analyse erstellen konnten, um ihren Kontrahenten in Madrid ihre Überlegenheit zum Ausdruck zu bringen.

Am achten Januar machte sich Laura auf den Weg nach London, um in eine völlig neue Welt einzutauchen, wie sie später feststellen musste.

Was die Engländer machten, hatte nur annähernd etwas damit zu tun, was sie mit ihren Kollegen in Barcelona machte. In den nächsten zwei Wochen durfte Laura lernen, wie verblüffend einfach und zugleich, wie komplex die Forensik sein konnte.

Im Scotland Yard gab es Wissenschaftler, von denen sie zwar schon einmal gelesen hatte, aber sich darunter sehr wenig vorstellen konnte – Anthropologen, Toxikologen, Schussexperten, Ballistiker, Blutspuren – Analytiker und Labore, die alle mit der neusten Technik ausgestattet waren – und das alles unter einem Dach.

Laura erstarrte fast vor Ehrfurcht und musste sich schnell wieder daran erinnern, warum sie eigentlich hergekommen war. Sie wollte die Methode der DNA –Analyse erlernen, wobei ihr ihre Ausbildung als Laborantin zugutekam.

Anfang der neunziger Jahre steckte die Gewinnung eines genetischen Fingerabdrucks noch in den Kinderschuhen. Man benötigte dafür noch menschliches Zellmaterial, Blut oder anderes Gewebe. Dass die Forensik in den nächsten Jahren einen solchen Quantensprung machen würde, ahnte man noch nicht. Dass man selbst aus Speichel, Spermien und Kopfhaaren eine DNA erstellen konnte, daran arbeiteten Wissenschaftler in der ganzen Welt. Die Technik war nicht aufzuhalten und in den nächsten Jahren sollten sich Möglichkeiten in der Kriminaltechnik ergeben, von denen man einige Jahre zuvor noch nicht einmal etwas ahnte. Mit dem Computerzeitalter hatte auch die Telekommunikation begonnen. Die ersten Mobil-Telefone kamen auf den Markt, die in den Anfängen, so groß wie ein Kofferradio waren. Immerhin konnte man schon einmal schnurlos telefonieren.

Es sollte nur wenige Jahre dauern, bis sich jeder ein mobiles Telefon leisten konnte, das nicht viel größer als eine Zigarettenschachtel war.

Mala Sombra - Böser Schatten

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