Читать книгу Die Geschichte der Belagerung von Lissabon - José Saramago - Страница 5
ОглавлениеDer Korrektor sagt, Jawohl, dieses Zeichen heißt Deleatur, wir verwenden es, wenn es etwas zu streichen und zu tilgen gilt, das Wort selbst drückt es aus, und es gilt sowohl für einzelne Buchstaben als auch für ganze Wörter, Mutet mich wie eine Schlange an, die, im Begriff, sich in den Schwanz zu beißen, im letzten Augenblick davor zurückschreckt, Gut beobachtet, Herr Doktor, o ja, wir hängen sehr am Leben, sogar eine Schlange würde im Angesicht der Ewigkeit zaudern, Malen Sie mir das Zeichen auf, aber langsamer, Ist kinderleicht, es langt, die Bewegung zu verfolgen, wer unachtsam schaut, wird meinen, die Hand zieht einen schrecklichen Kreis, aber nein, sehen Sie, mein Schwung führte nicht zum Ausgangspunkt, sondern dran vorbei, einwärts, und nun fahre ich weiter hinab, bis ich den unteren Teil der Kurve schneide, und was da schließlich zustande kommt, ähnelt nur dem Großbuchstaben Q, sonst nichts, Schade, die Zeichnung versprach so viel, Begnügen wir uns mit der Illusion von Ähnlichkeit, doch wahrlich, ich sage Ihnen, Herr Doktor, mit Verlaub, der prophetische Stil, das Besondere des Lebens bestand schon immer in den Unterschieden, Was hat das mit typographischer Korrektur zu tun, Die Herren Schriftsteller leben in den oberen Sphären, sie vergeuden ihr kostbares Wissen nicht an so läppische, unerhebliche Dinge, als da wären unreine Buchstaben, Fische oder Fliegenköpfe, so klassifizierten wir die Fehler zu Zeiten, als noch mit Hand gesetzt wurde, Unterschied und Fehlerhaftigkeit, das war damals eins, Ich gestehe, meine Deleaturs geraten mir weniger entschieden, allemal krähenfüßig, da verlasse ich mich auf das geübte Auge der Setzer, denn diese Sippschaft steht gleich neben der im Rätsellösen versierten Familie der Apotheker, die gar noch das Ungeschriebene entziffern können, Und dann mögen die Korrektoren kommen und die Probleme lösen, Ihr seid unsere Schutzengel, bei euch geben wir uns in Obhut, Sie, beispielsweise, erinnern mich an meine peinlich genaue Mutter, die mir den Haarscheitel so lange bearbeitete, bis er wie mit dem Lineal gezogen wirkte, Besten Dank für diesen Vergleich, doch sofern Ihre liebe Mutter schon gestorben ist, sollten Sie sich nun höchstselbst perfektionieren, es kommt allemal der Tag, da ernsthaftere Korrektur vonnöten ist, Korrigieren, das tue ich ja, größere Schwierigkeiten aber behebe ich mit leichter Hand, indem ich ein Wort über das andere schreibe, Das habe ich gemerkt, Sagen Sie es nicht in diesem Ton, ich gebe mein Mögliches, und wer sein Bestes gibt, Der ist zu mehr nicht verpflichtet, jawohl, vor allem wenn er, wie in Ihrem Falle, nicht gern ändert, wenn ihm die Lust am Austauschen, das Gespür für das Verbessern, abgeht, Wir Autoren bessern immerzu, wir sind mit dem Erreichten nie zufrieden, kann auch nicht anders sein, die Vollkommenheit hat Heimstatt nur in Himmelsgefilden, Allerdings ist ein Verbessern seitens der Autoren von anderer Natur, ist problemhaft, weicht sehr ab von unserem Korrigieren, Sie wollen sagen, die Korrektorengilde hat Gefallen an ihrem Tun, So weit wage ich nicht zu gehen, es ist eine Frage von Berufung, und Korrektor aus Berufung, so etwas gibt es nicht, bewiesen aber scheint, wir Korrektoren sind in tiefster Seele Wollüstlinge, Das höre ich zum ersten Mal, Jeder Tag beschert Freuden und auch Kummer, obendrein nutzbringende Lektionen, Aus Ihnen spricht die Erfahrung, Sie beziehen sich auf die Lektionen, ich auf die Wollust, Freilich spricht aus mir persönliche Erfahrung, und die werden Sie mir ja nicht absprechen wollen, doch hat mir auch die Beobachtung von fremder Leute Betragen, die in nicht geringerem Maße erbauliche Moralunterweisung ist, Nutzen gebracht, Unter Ihrem Kriterium könnte man manche Autoren der Vergangenheit als Männer Ihrer Gilde bezeichnen, als bewundernswerte Korrektoren, ich denke da nur an Balzacs Korrekturbögen, die ein sprühendes Feuerwerk an Verbesserungen und Hinzufügungen sind, So auch unser einheimischer Eça, damit das Vaterland nicht unerwähnt bleibe. Fürwahr, Eça und auch Balzac würden sich heute die glücklichsten Menschen wähnen, wenn sie so vor einem Computer säßen, interpolierend, transponierend, Zeilen überfliegend, Kapitel austauschend, Und wir, die Leser, würden erfahren, welche Wege und Irrwege sie gingen, bis sie zur Endfassung gelangten, sofern es so etwas gibt, Aber, aber, entscheidend ist nicht das Ergebnis, was nutzte es, die tastenden, zögerlichen Versuche eines Camões oder Dante zu kennen, Der Herr Doktor sind ein praktischer Mensch und leben bereits im zweiundzwanzigsten Jahrhundert, Sagen Sie, die anderen Zeichen, haben auch die lateinische Namen, wie das Deleatur, Ob sie haben, oder hatten, weiß ich nicht, entzieht sich meiner Kenntnis, vielleicht waren die so schwer auszusprechen, dass sie untergegangen sind, In der Nacht der Zeiten, Verzeihen Sie, wenn ich dagegenhalte, diesen Ausdruck würde ich nicht verwenden, Wohl weil er ein Gemeinplatz, Keineswegs deshalb, die Gemeinplätze, die gestanzten Sätze, die Floskeln, die Salbadereien, die Almanachsentenzen, die stehenden Wendungen und Sprichwörter, all das kann auch den Eindruck von etwas Neuem erwecken, sofern man das vorausgehende und das folgende Wortgut richtig handhabt, Und warum würden Sie nicht Nacht der Zeiten sagen, Weil die Zeiten von sich aus aufhörten Nacht zu sein, als die Menschen zu schreiben anfingen, oder, wie gesagt, zu korrigieren, was von anderer Quintessenz ist, und andere Transfiguration, Der Satz gefällt mir, Mir auch, besonders weil ich ihn grad eben zum ersten Mal vorgebracht habe, beim zweiten Mal wirkt er gewiss weniger originell, Ist dann wohl bereits Gemeinplatz, Oder Topos, das ist der wissenschaftliche Ausdruck, Ich meine, aus Ihren Worten eine gewisse skeptische Bitterkeit herauszuhören, Ich nenne es eher bitteren Skeptizismus, Wer das eine sagt, meint auch das andere, Oder doch nicht, die Schriftsteller pflegen eigentlich ein gutes Ohr zu haben für diese Unterschiede, Vielleicht sind meine Trommelfelle hart geworden, Verzeihung, es war keine Absicht, Ich bin nicht empfindlich, also sagen Sie mir erst einmal, warum Sie so verbittert sind, oder skeptisch, wie auch immer, Nun, Herr Doktor, führen Sie sich das Tagwerk des Korrektors vor Augen, bedenken Sie die Tragödie, dass er einmal, zweimal, dreimal, oder vier- oder fünfmal Bücher lesen muss, die, Die nicht einmal eine einzige Lektüre verdienten, Mit Verlaub, diese harten Worte stammen nicht aus meinem Munde, ich weiß sehr gut, wo mein Platz in der Gesellschaft des gedruckten Wortes ist, wollüstig zwar, o ja, eingestandenermaßen, doch auch achtungsvoll, Was sollte daran so schrecklich sein, im Übrigen schien mir dies die einleuchtende Folgerung Ihres Satzes, jene beredte Unterbrechung da, auch wenn die Gedankenstriche nicht erkennbar waren, Falls Sie es genau wissen wollen, wenden Sie sich an die Schriftsteller, reizen Sie sie halb mit dem, was ich, und halb mit dem, was Sie da sagten, und Sie werden erleben, wie Ihnen Bescheid getan wird mit der berühmten Anekdote von dem Maler Apelles und dem Schuster, der zufolge Letzterer den Künstler auf einen Fehler an der Sandale einer Figur hinwies und sich hernach, als der Künstler diesen erkennbar beseitigt hatte, dazu verstieg, Urteile über die Anatomie des Knies abzugeben, worauf Apelles den Dreistling ergrimmt zurechtwies, Schuster bleib bei deinem Leisten, ein historischer Ausspruch, Niemand lässt sich gern in seinen Garten spähen, In diesem Falle hat Apelles recht, Mag sein, doch nur solange kein Gelehrter der Anatomie die Prüfung des Gemäldes vornimmt, Sie sind bis ins Mark ein Skeptiker, Jeder Autor ein Apelles, doch die Versuchung des Schusters ist sehr menschengemäß, und nur ein Korrektor hat gelernt, dass die verbessernde Arbeit als Einziges auf der Welt nie aufhört, Des Schusters Versuchung mögen Sie beim Korrekturlesen meines Buches oft gespürt haben, Das Alter beschert uns ein Gutes, das ein Schlechtes ist, es besänftigt uns, und die Versuchungen, wiewohl unabweislich, sind dann weniger drängend, Mit anderen Worten, Sie sehen den Fehler an der Sandale, schweigen aber, Nein, ich übersehe den Fehler am Knie, Gefällt Ihnen das Buch, Es gefällt mir, Klingt aber gar nicht begeistert, Von Begeisterung habe ich in Ihrer Frage ebenso wenig verspürt, Das ist Taktik, der Verfasser, so schwer es ihm auch fällt, hat doch ein bisschen bescheiden zu tun, Bescheiden sein ist dem Korrektor stetes Gebot, und sollte er eines Tages unbescheiden sein, so zwingt er sich, als Mensch, dennoch höchst vollkommen zu sein, Sie haben den Satz unkorrigiert gesprochen, haben in einem Atemzug das Verbum sein dreimal verwendet, gestehen Sie nur, das ist unverzeihlich, Bleiben Sie mir fort mit dem Leisten, beim freien Reden ist alles erlaubt, Aber unverziehen ist Ihnen, dass Sie mit Ihrem Urteil so zurückhaltend sind, Ich erinnere Sie, Korrektoren sind nüchtern besonnene Menschen, sie haben viel erlebt an Literatur und an Leben, Mein Buch, erinnere ich Sie, ist ein Geschichtswerk, So, in der Tat, würde ich es bezeichnen, gemäß klassischer Einteilung der Gattungen, jedoch, und weitere Gegensätzlichkeiten, Herr Doktor, möchte ich, bei meiner Zurückhaltung, nicht hervorkehren, alles, was nicht Leben ist, ist eben Literatur, Etwa auch die Geschichte, Die vor allem, ohne Sie beleidigen zu wollen, Und die Malerei, und die Musik, Die Musik widerstrebt, seit es sie gibt, mal so, mal so, sie möchte sich vom Wort befreien, wohl aus Neid, und fügt sich doch immer wieder, Und die Malerei, Nun, die Malerei ist weiter nichts als mit Pinseln verfasste Literatur, Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass die Menschheit, lange bevor sie des Schreibens kundig war, bereits malte. Sie kennen die Redensart, Hast keinen Hund du, jag mit der Katz, anders gesagt, wer nicht schreiben kann, der malt, oder zeichnet, eben das tun die kleinen Kinder, Sie möchten, mit anderen Worten, sagen, es gab die Literatur schon vor ihrer eigenen Geburt, O ja, genauso wie, mit anderen Worten, auch der Mensch davor schon ein solcher war, Das scheint mir eine recht originelle Betrachtung, Mitnichten, Herr Doktor, schon König Salomo, in fernen Zeiten, versicherte, unter der Sonne gäbe es nichts Neues, nun, wenn das schon damals, in jenen versunkenen Epochen, galt, was dann heute sagen, dreißig Jahrhunderte später, sofern ich mich recht daran erinnere, was in der Enzyklopädie steht, Ist schon seltsam, ich, und gar noch Historiker, fände auf Anhieb nicht, dass es schon so lange her ist, Das ist der Zeit halt eigen, sie verrinnt unmerklich, ein Mensch ist mit seinen alltäglichen Dingen befasst, plötzlich besinnt er sich und ruft aus, Mein Gott, wie die Zeit verfliegt, grad eben noch lebte König Salomo, und nun sind schon dreitausend Jahre vergangen, Sie haben den verkehrten Beruf, will mir scheinen, Philosoph müssten Sie sein, oder Historiker, denn Sie haben, was solche Künste an Anstrich und Gepräge erfordern, Mir fehlt die Ausbildung, Herr Doktor, was verlangen Sie von einem schlichten Menschen ohne Ausbildung, hatte ja schon viel Glück, dass ich mit ordentlichen natürlichen Anlagen auf die Welt kam, aber, sozusagen, im Rohzustand, als Schliff fernerhin nur die Grundunterweisung, mehr nicht, Sie könnten sich als Autodidakt ausgeben, als Produkt Ihrer eigenen, ehrbaren Anstrengung, das ist keine Schande, die Gesellschaft in alten Zeiten rühmte sich ihrer Autodidakten, Das ist vorbei, es kam der Fortschritt, und vorbei war’s damit, heute wird ein Autodidakt scheel angeschaut, nur wer Gedichte und Geschichten zur Zerstreuung schreibt, darf sich weiterhin Autodidakt nennen, er ist fein heraus, mir aber, gesteh ich Ihnen, fehlt zum literarischen Schöpfen die Gabe, Werden Sie doch Philosoph, Mann, Der Herr Doktor ist ein Spaßmacher von feinem Humor, meisterlich beherrschen Sie die Ironie, ich frage mich, wieso Sie auf die Geschichte verfallen sind, die doch eine ernste, tiefschürfende Wissenschaft ist, Ironisch bin ich nur im realen Leben, Das wollte auch mir so scheinen, dass die Geschichte nicht reales Leben ist, sondern Literatur, jawohl, mehr nicht, Aber die Geschichte war reales Leben, war es in einer Zeit, als man sie noch nicht Geschichte nennen konnte, Sind Sie sich da so sicher, Herr Doktor, Wahrlich, mich dünkt, Sie sind ein wandelndes Fragezeichen mit Beinen und ein Zweifel mit Armen, Fehlt mir nur der Kopf, Alles zu seiner Zeit, als Allerletztes wurde das Hirn erfunden, Der Herr Doktor ist ein Gelehrter, Bester Freund, übertreiben Sie nicht, Möchten Sie die neuesten Korrekturbögen sehen, Nicht nötig, die Autorkorrekturen sind eingebracht, der Rest ist routinemäßige Abschlusskorrektur, und die ist in Ihre Hände gelegt, Danke für Ihr Vertrauen, Ein wohlverdientes, Also Herr Doktor meinen wirklich, dass die Geschichte und das wahre Leben, Jawohl, meine ich, Dass die Geschichte einst reales Leben war, will ich sagen, Da hege ich nicht den geringsten Zweifel, Was würde aus uns, gäbe es das Deleatur nicht, seufzte der Korrektor.