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Während Göbel im Boot lag und durch die ungewohnte Aufregung ermattet, bald einschlief, marschierte Rinseler mit festen und raschen Schritten auf Bergeggi zu.

Der Himmel war mit Sternen besät und einige Male fielen wunderbare Sternschnuppen ins Meer. Eine Feuergarbe schoß hinterher.

Der Mond legte eine glitzernde Straße durch das Wasser des Golfes.

Irgendwo bellte ein Hund.

Nur nicht denken müssen. Kein Heimweh aufkommen lassen!

Schlanke Pinien strebten himmelwärts. Der starke Duft von Jasmin drang aufdringlich aus einem Gärtchen. Ein einsam stehendes Haus. Dunkel und trüb die Fenster mit den geschlossenen Holzjalousien.

Hinter dem Haus, hügelwärts, ein Olivenhain.

Horch!

Eine schöne Männerstimme summt ein neapolitanisches Lied:

»Oh povero Merlo mio!«

Es glüht im Herzen Rinselers.

Die Gedanken wandern gewaltsam in die Heimat zurück. Nicht meistern ließ sich die Sehnsucht.

1912 verlebte er den letzten Urlaub in Schönau bei Neckarsteinach.

Von Kiel war er nach Heidelberg durchgefahren.

»Alt Heidelberg, du Feine …«

Sein Herz weitet sich, als ihm die Gedanken das wunderbare Bild vorgaukeln.

Sein erster Besuch galt dem Schloßberg. Auf der Terrasse unterm Schloßhotel stand er und blickte auf das herrliche Bild zu seinen Füßen. Der Abend dämmerte herauf und Lichter sprangen hoch. Silbrig floß der Neckar dahin.

Welchen Zauber übte das Wort Neckar auf ihn aus!

»Neckar«. Immer wieder flüstert er es vor sich hin, als er die staubige Straße an der italienischen Riviera dahinschritt.

Zurück wandern die Gedanken.

Wie er am nächsten Morgen sein Billett nach Neckarsteinach verfallen ließ und den Weg zu Fuß antrat.

Zwei Stunden hätte er bis zum Abgang des Zuges warten müssen.

Über Ziegelhausen, Neckargemünd ging’s nach Neckarsteinach. Die alten kleinen Häuschen grüßten. Die Jugend kehrte in ihm zurück. Bub war er wieder, als er die alten Burgen oberhalb Neckarsteinach erblickte.

O goldene, schöne Kinderzeit! Wie der Vater ihn überall herumgeschleppt und ihm die herrlichen Sachen mit faustdicken, lachenden Lügen erklärte. Wie die Mutter den Vater zurechtwies, damit er den Buben nicht verderbe.

In drei Viertelstunden, übern Brünnlberg, wanderte er der Heimat, seinem lieben Schünau zu. Unten lagen die saftigen Wiesen im vollen duftigen Grün. Überall durchzogen Wässerlein die Felder.

Die Leute waren schon tätig. Er begegnete Bekannten. Frauen, Schäffer auf dem Kopf balancierend, stiegen bergauf.

Jedes Frühjahr mußte Erde und Dünger auf die Hänge geschleppt werden.

»Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot verdienen …«

Am Anfang des Ringmauerweges, vor dem Pfälzerhof, stand der alte Großvater und blickte mit halbblinden Augen blinzelnd in den Morgen. Er wußte, daß der Ausreißer, der Gustl, sein Lieblingsenkel, auf Besuch kam. Ihm schöne Geschenke bringend und so wundervolle Geschichten erzählend, von der Welt, die er niemals gesehen.

Gewaltsam schüttelt Rinseler die Gedanken ab, verdoppelt seine Schritte.

Ein kleines Wäldchen säumt links und rechts die Straße. Ein Bahnwärterhäuschen mit lichtblinkenden Fensterlein. Das Weinen eines Säuglings ertönt.

Schwer atmet Rinseler. O Gott, wie schön ist die Welt! Wie wunderbar das Leben!

Fünf Jahre das Dasein eines Maulwurfes gelebt.

Nun liegt das Leben wieder in seiner Pracht vor ihm. Er breitet beide Arme aus, als wolle er die ganze Welt an sein pochendes Herz drücken.

Lautes Johlen und Lachen schreckt ihn aus seinen Gedanken. Ein Wagen mit einer Anzahl Männer und Frauen fährt vorbei. Die Männer rufen dem Wandernden zu, doch aufzusteigen und mitzufahren. Rinseler wehrt ab. Da halten sie an und heben ihn unter Lachen und Scherzen gewaltsam auf den Wagen.

Ein Bursche hält ihm eine Flasche mit blutrotem Chianti hin, schreit:

»Trink’! Bei der Heiligen Madonna, trinke! Du brauchst es. Bist weiß wie eine Leiche. Trink’! Das gibt dir Leben und Farbe!«

Rinseler setzt die Korbflasche an den Mund und trinkt in durstigen Zügen. Mitten im Trunk setzt er ab. Um Gottes willen, Vorsicht! Er ist des Alkohols entwöhnt.

»Mille Grazie.« Er reicht die Flasche weiter.

In Bergeggi, am Eingang des Ortes, wird das Namensfest »Johannes« gefeiert.

Man zwingt Rinseler, mit in den Garten der Wirtschaft zu treten.

Lampions, Lachen, Kreischen, Schreien, Wein, Kuchen und Obst. Die Tische sind mit Wein und Speiseresten bedeckt. Ein quietschendes Orchestrion macht Lärm zum Tanz.

Keine italienischen Nationaltänze. Tango, Twostep, Boston. Schrecklich steif.

Die Tänzer bewegen sich eckig und stolz.

Die Mädels hingebend, ganz am Tänzer liegend, lassen sich schleppen. Zeigen wunderbare oder häßliche Beine.

Salomé! Salomé! Alle brüllen den Schlager, der die Welt verpestet.

Rinseler sieht dies alles, wie durch ein Kaleidoskop. Ein Mann drückt ihn auf eine Bank. Ein Teller mit einem stark duftenden Schweinebraten steht vor ihm. Knoblauch! Eine Schüssel mit Spaghetti. Ein üppiges Weib streut einen Schöpfer voll Parmesan auf die Nudeln, stubbst Rinseler und schreit ihm ins Ohr:

»Mangiare!«

Langsam und vorsichtig ißt der bleiche Mann. Die Üppige steht kopfschüttelnd vor ihm. Nur von Zeit zu Zeit nimmt er einen leichten Schluck des schweren unverfälschten Weines.

Orangen, Datteln, Rosinen, Nüsse, Bananen werden vor ihn hingeschoben. Er nimmt die Orange und riecht lange daran. Ein brennender Wunsch wird in ihm laut. Einen Apfel, einen gut riechenden deutschen Apfel möchte er jetzt gern.

In einem unbewachten Augenblick schleicht er aus dem Garten.

Wie er draußen weiter will, sieht er Herdigerhoff mit weit offenen, brennenden Augen am Zaun lehnen.

Langsam berührt er des Staunenden Schulter. Erschrocken wendet sich dieser um. Als er den Kameraden erkennt, folgt er ihm.

In einem engen Gäßchen bleibt Rinseler stehen.

»Vorsicht, mein Junge! Nicht wieder so gaffen. Leicht kannst du so auffallen.«

Sie kommen an einer Laterne vorbei. Herdigerhoff erblickt die Orange in Rinselers Hand. Er greift danach.

»Laß mich kosten, Rinseler.«

»Du kannst sie ganz haben; ich hab’ schon eine gegessen«, lügt Rinseler und drückt dem Kameraden die goldige Frucht in die Hand.

Mit den Zähnen reißt der die Schale vom Fleisch der Frucht und saugt den süßen Saft in sich. Der andere schaut ihm bedauernd zu.

»Du«, flüstert Herdigerhoff, »morgen kauf’ ich einen ganzen Korb. Die Kameraden müssen auch welche haben.«

Gleich darauf trennen sich die Beiden.

Herdigerhoff schleicht durch die Gassen und erhält in einer kleinen Herberge Unterkunft.

Rinseler marschiert kräftig auf dem Weg nach Savona weiter. Er hat noch achtzehn Kilometer zu marschieren und will um fünf Uhr in Savona sein, um noch ein bis zwei Stunden der Ruhe zu pflegen.

Die Stadt unter dem Meere (Roman)

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