Читать книгу Achtsamkeit Bd. 1 - Joseph Goldstein - Страница 32
Einatmend weiß ich, dass ich einatme …
ОглавлениеWir beginnen unsere Praxis mit der schlichten Wahrnehmung: »Einatmend weiß ich, dass ich einatme, ausatmend weiß ich, dass ich ausatme.« Wir kontrollieren unseren Atem nicht und üben keinen Druck aus. Beim Einatmen wissen wir, dass wir einatmen; beim Ausatmen wissen wir, dass wir ausatmen. Das ist ganz einfach und doch am Anfang nicht so leicht. Der Geist neigt dazu, sich von Plänen, Erinnerungen, Bewertungen und Kommentaren davontragen zu lassen – alles Varianten geistiger Abschweifungen. Doch sobald wir merken, wir sind nicht beim Atem, lassen wir bei diesem Teil der Praxis einfach sanft los und fangen wieder an.
In der zweiten Gruppe von Anweisungen zum achtsamen Atmen sagt der Buddha: »Lang einatmend weiß ich, dass ich lang einatme. Kurz einatmend weiß ich, dass ich kurz einatme.« Die Idee hierbei ist, den Atem auf keine Weise zu beeinflussen, sondern einfach zu bemerken, wie er ist. Allein diese Übung kann helfen, die Gewohnheit der Atmungskontrolle loszulassen. Wir bemerken einfach achtsam, wie sich jeder Atemzug zeigt, ob er kurz oder lang ist. Diese Anweisung erinnert uns, dass es hier nicht um eine Atemübung geht, sondern um Achtsamkeit. Jede Art von Atmung passt dazu.
Wie bei vielen Anweisungen in diesem Sutta wird auch diese von verschiedenen Lehrern und Lehrerinnen unterschiedlich interpretiert. Der burmesische Meister der Mahasi-Tradition Sayadaw U Paṇḍita spricht davon, wie der Geist auf sein Objekt zustürmt, es machtvoll ergreift und tief durchdringt. Andere Lehrer betonen eher eine empfängliche Herangehensweise, als ob man lauscht (nicht in dem Sinne, dass man die Geräusche des Atems hört, sondern im Sinne einer lauschenden, empfangenden Haltung).
Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, welcher Ansatz richtig ist, auch nicht innerlich. Wir können vielmehr all diese Ansätze als geschickte Mittel betrachten, Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht zu entwickeln. Wenn sich der Geist zu sehr bemüht und sich anspannt, müssen wir etwas weicher und entspannter werden; wenn er viel abschweift oder schläfrig ist, kann das machtvolle Auf-das-Objekt-Zustürmen sehr hilfreich sein.
Der hoch verehrte Lehrer der thailändischen Waldtradition Ajahn Chaa verwendete ein bekanntes Beispiel für diese Art von Balance. Einmal kam jemand zu ihm und beschwerte sich über die widersprüchlichen Empfehlungen, die er seinen Schülern gab. Manchmal riet er zu einer Sache und etwas später zu genau dem Gegenteil. Ajahn Chaa antwortete: »Es ist so. Wenn ich sehe, wie jemand einen Weg entlangwandert und links in den Graben zu fallen droht, rufe ich: ›Geh rechts!‹ Geht später dieselbe Person oder jemand anderes einen Weg entlang und droht rechts in den Gaben zu fallen, rufe ich: ›Geh links, geh links!‹ Es dreht sich immer darum, auf dem Weg zu bleiben.«
Manchmal kann der Atem sehr fein werden, manchmal sogar nicht mehr wahrnehmbar sein. Wir sollten den Atem dann nicht verstärken, um ihn zu spüren, sondern eher den Geist von unserem Atem auf seine subtile Ebene sinken lassen. Es ist, als lauschte man auf das Flötenspiel von jemandem, der allmählich in der Ferne entschwindet. Die Feinheit des Atems kann genutzt werden, um den Geist zu verfeinern. Wenn der Atem tatsächlich verschwindet und wir ihn gar nicht mehr spüren, können wir einfach unseres sitzenden Körpers gewahr bleiben, bis der Atem von alleine wieder auftaucht.