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Der Vorfall mit dem Papageienkleid

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Der Abend wurde spannend, wir warteten in der Küche auf die ersten Meldungen von Alex’ Familienparty. Erstaunlicherweise passierte nichts. Um die Spannung zu erhöhen, bauten wir uns auf dem Küchentisch fast einen Alex-Schrein, voll mit Alex verdächtigem Zeugs, dazu die Bronzefiguren von Giacometti, aufgereiht wie Oscar-Statuen. Carl ließen sie eher kalt. „Was habt ihr denn da getrieben in Augsburg, dass ihr diese hässlichen Dinger hergeschleppt habt?“ Er drehte sie ein bisschen hin- und her, mit sowas dürrem, ungeschliffenen kann man Carl nun wirklich nicht beeindrucken. „Mh, wenn man denen Beutel umhängt könnten sie zumindest als Teekanne...“ „Nee, nee“, sagte ich, „die suchen keine Verwendung, das ist wieder so n Kunstwerk, aus der Not geborn, aus Materialmangel sozusagen. Zu der Zeit als die Dürr-Männchen entstanden sind, war Bronze am einfachsten verfügbar. Und ich finde, da hat er was geschaffen, das sich jeglichem Urteil entzieht, musste erstmal schaffen.“ Carl stimmte zu: „Die haben wirklich keine anachronistisch-nostalgische Ausstrahlung. Aber weshalb so dürre, und so geschlechtslos? Irgendwie deprimieren die mich.“ „Ach nee“, sagte ich, „ich find die lustig, wie die da in ihrer Verkrumpeltheit versuchen, gerade auf zwei Beinen zu stehen, so ganz aufrecht.“ „Na, aber“, sagte Carl, „wenn ich Skulpturen bauen würde, dann doch eher sowas wie die Griechen, in Lebensgröße, da könnte sich doch jeder Mann sein eigenes Modell zum Anfassen anfertigen.“ „Ja“, sagte ich, „ne Wichsvorlage in Echtzeit. Antike-porno. Michelangelo baut sich seine Männer, um ihnen ans Genital zu fassen. Alex würde natürlich die Hände und Füße weglassen.“ „Ja“, sagte Carl, „Torso“, „Nee, El Topo“(12), erwiderte ich. „Torso!“ bestand Carl drauf, „da waren die Griechen konsequent, die haben gleich nur noch den Rumpf belassen!“ „Genau, ohne Arme, das gefiele Alex, die beschwert sich doch andauernd über ihre Hängeärmchen.“ „Nee“, wusste Carl, „Konsequenz ist bestimmt nicht Alex’ Stärke.“ Dann klingelte Carls Telefon. Es war dieser Flutsch-Sendeton, als verschluckte sich die Elektronik. Alex schickte ein erstes Foto von ihrer Familienparty, dachten wir zumindest. Beim aus dem Fenster Sehen waren wir verblüfft, es war noch nicht mal dunkel, die hat’s aber eilig. Was wir da noch nicht ahnen konnten, das erste Foto von Alex würde auch das einzige bleiben, für den ganzen Abend. Dafür war es aber auch wirklich top. Es war das Foto von ihrem Kleid, dem Papageienkleid, wie ein Starschnitt sah sie aus, vertikal, von hinten aufgenommen. In diesem Kleid. Tatsächlich, sie stand an die Wand gelehnt, hatte ihr Papageienkleid an, die Arme hoch gebeugt wie zur Leibesvisitation, die flachen Hände angedrückt über Kopf an das Mauerwerk, links und rechts an der Wand. Die vom Nacken abwärts bis zum Po-Ansatz abfallenden Rüschen links und rechts brachten ihren Rücken gut raus, eine wirkliche Bereicherung des ansonsten schlichten Schnitts. Ich hatte das Kleid im Original viel farbenprächtiger in Erinnerung, die Rüschen glatt für Schleifen gehalten, naja, diese Handy-Fotos. Carl scrollte Alex am Handy runter wie ein Pin-up Girl, sogar die Schuhe, die roten Schuhe waren drauf. Wir sendeten ihr ein ‘sehr schick’. Aber Alex schien nicht zufrieden, sie wollte mehr. Wir drehten kleine Videos, in denen wir den Lagerfeld mit Fächer imitierten: Hach diese Alex, diese ultra, kaltblütig, versaute Kleine, lass mich mal durch Claudi, deine Zeit ist um, um-um-um-um und die Heidi – fächerte er, schmatzend mit den Lippen, in Paris kennt sie niemand, wobei ich das niemand so kopfabdrehend sagte, damit man meinen Zopf sieht, den wir aus Spaghettiresten bei mir angepappt hatten. Ich will jetzt zu der Alex! Stimme ungeduldig zittrig, dann Kamerawegschubs. Das machten wir mit spitzem Mund, alles sehr verwackelt. Sie sendete: Schon besser. Ein paar kurze Botschaften noch, der Sonntag, den Alex da verbringen würd, ist ihrer. Carl und ich tranken noch ein bisschen, reichte ja auch für heute. So hingen wir da noch zwei Stunden in der Küche herum. Als wir nicht mehr die Türen fanden, klingelte es plötzlich. Alex stand draußen. „Was?“ sagte Carl in überraschtem Ton, und jubelte: „Alles Scheiße, Alex da!“ Alex lachte, umarmte den Carl, drückte ihn weg. Sie wackelte in ihren roten Schuhen rein, ich stand natürlich blöd genau am anderen Ende wie ne Zielscheibe, und Alex, von ihrer Elternparty, schlupfte die roten High Heels ab, peng flogen die da rum, rannte quer durch den Raum und brüllte: „Leo, Leo!“ dann wackelte sie weiter, nicht mehr in ihren roten Schuhen, nicht mehr im Papageienkleid, sondern Schlabberlook, und ungeschminkt, sah nach Falscheinrichtung aus…sie kam mir mit ausgeweiteten Armen entgegen, als wollte sie zur Landung ansetzen: „Leo, Leo, alles super, alles Scheiße“, Alex aufgekratzt, übermüdet, und gottseidank alles an ihr noch dran, mir war das unangenehm, was sollte denn der Carl denken? „Kommt, ich zeig euch meine Fotos!“ Wir ab in die Küche. Umarmung, Fläschchen aufgemacht, Alex völlig durchgedreht, alkoholisiert, sie sei die Fahrt gerade noch so zurück, volles Gaspedal. Ich dachte, die Fahrt kenn ich. Dann mussten wir lauter gruselige Pärchen ansehen, wie bei einem Hans Moser Film und mittendrin auf den Fotos die durchgeknallte Alex im Papageienkleid. „Wer hat denn die Fotos gemacht?“ „Weiß nich“, kicherte sie, „die sahen alle gleich aus, hab mir von so nem Föni den Autoschlüssel geschnappt, drei, vier durchprobiert, vor’m Haus, keine Ahnung wem der Wagen gehört, der jetzt unten bei Carl geparkt steht. Und hier bin ich.“ „Na“, sagte ich, „meine Alex. Ruh dich aus.“ „Nee, nee, jetzt geht’s erst los. Wir sind doch das erste Mal zu dritt“, ob denn ihre Mami umgekippt sei? wollte ich wissen, Kleid und so. „Mami? Meine Mami?“ fragte Alex verwirrt. „Aber Leo, meine Mami kippt nie um!“ Und wir, das ganze durchspielend, landeten beim Thema Beziehungen. Ich bombardierte Carls Ansichten: Alles Schrott. Aber Alex verbündete sich mit Carl. Die meinten ernsthaft beide, dass eine Beziehung offen sein muss, jeder seinen Freiraum und dieser Blödsinn. Ich legte mich mächtig ins Zeug: Der Mensch ist dein Zuhause, und du bist ein Riesenidiot, wenn du das beschädigst. Irgendwie wurde das eigenartig, dass lustige war, dass die mir gar nicht zuhörten. Ich trank Bierchen und hielt Vorträge, dass Eifersucht auch Schwachsinn ist, ließ mich da hinreißen zu lauter wüstem Gequatsche, und Carl und Alex lobten ihr Dorf. „Aber Leo, so is das hier, ist klein und daher hat jeder schon mit jedem. Is doch alles nur ficki ficki, Leo, is doch egal. Wir kloppen uns doch nich den Kopf voll mit Beziehungsmist. Was?“ Ich dachte, was reden die denn da? Na, is eben schon vorgerückte Stimmung und ich setzte meinen Joseph Mallord William Turner (so heißt der!) ja auch immer ins falsche Jahrhundert. Mir wurde das irgendwann zu bunt, dann klapperte bei Alex die Müdigkeit durch, und Carl bot ihr gleich an, sich gemütlich auf die Couch am Ende des Korridors zu fläzen, war immerhin schon vier Uhr morgens. Carl und ich überlegten, ob wir noch in der Küche weiter saufen sollten, aber Alex gähnte da hinten, drehte sich gemütlich platschend in ihre Couch. Carl gähnte auch und ich schwankte ja eh schon. Als ich ne Weile im Bett lag, dachte ich mir, irgendetwas stimmt nicht, stand auf und ging durch die Räume um nachzusehen, ob Alex da wirklich auf der Couch lag. Tat sie aber nicht, da lag nur die Decke, ich ging durch die Tür auf den Flur von der anderen Seite in Carls Zimmer und da lagen sie. Alex auf der rechten Seite auf dem Bauch, ihre Schultern frei, was man so bei der hochgezogenen Decke erkennen konnte, daneben der Carl. Er blinzelt mich an. Ich sagte: „Ihr seid ja Idioten“, Carl hob den Kopf etwas an. „Musste das sein?“ fragte ich, „hättet ihr nicht die vier Tage warten können? Müsst ihr unbedingt ficken und dann noch im selben Raum, in dem ich bin?“ Ich drehte mich um und stapfte zurück. Aber natürlich konnte ich nicht schlafen, ging da wieder zu denen hin, hielt denen noch mal nen Vortrag, Alex wurd jetzt auch wach. „Leo…“ fing sie an, ich hielt ihr die Hand vor den Mund. „Mal gewinnt man, mal verliert man“, vervollständigte Carl, es klang eher wie irgendwas. „Mensch Leo, wir hatten eben Lust.“ „Ja, aber das könnt ihr doch alles machen, wenn ich weg bin, doch nicht während ich dabei bin“, jammerte ich. „Jetzt habe ich immer dieses Bild im Kopf, wie ihr beide da zusammen im Bett liegt. So…“, schloss ich, „ich komme jetzt alle 20 Minuten, damit ihr’s nur wisst.“ „Na hoffentlich nicht“, sagte Carl. Ich legte mich auf mein Bett und schlief ein.

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