Читать книгу Die Sage der schwazen Rose - Joulie Summers - Страница 7

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Rückblick 2

Es waren nun schon drei Tage vergangen, seitdem meine Freundin mir die Nachricht von Dannys Unfall überbracht hatte. Ein paar Stunden später hatte sie mir sogar Beruhigungstabletten holen müssen, um mich zur Ruhe zu bringen. Jetzt allerdings ging es mir schon ein wenig besser, was aber vermutlich daran lag, dass ich die Medikamente noch immer nahm.

Die Ärzte machten einem etwas Hoffnung, dass es ihm bald wieder besser gehen würde. Er lag zwar noch immer im künstlichen Koma, aber sein Zustand war zumindest stabil und verschlechterte sich nicht weiter. Und die Blutwerte waren, wenn auch nicht viel, so doch wenigstens etwas besser geworden.

»Sagen Sie, können Sie denn abschätzen, wie lange er noch im Koma liegt?«

Der Arzt sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und schüttelte bedauernd den Kopf. »Entschuldigung, aber diese Frage kann man zum Zeitpunkt noch nicht beantworten. Die Werte müssen noch besser werden, und auch seine Verletzungen sind noch zu schwerwiegend, als dass wir ihn schon aus dem Koma holen könnten.«

Ich nickte, denn genau das hatte ich erwartet, und sah zu Danny, der völlig regungslos im Bett lag. Er wirkte sehr bleich und ausgezehrt, obwohl man ihn durch irgendwelche Schläuche ernährte. Welcher Schlauch wozu war, konnte ich nicht sagen, es gab einfach zu viele. Fast überall an seinem Körper schien ein anderer Schlauch zu verlaufen.

Noch nie zuvor hatte ich ihn so schwach und verletzlich gesehen und sein Anblick versetzte meinem Herzen immer wieder aufs Neue einen gewaltigen Stich. Und auf einmal bereute ich die Gedanken an eine Trennung. Ich bereute es sehr, dass ich doch tatsächlich so oft an unserer Beziehung gezweifelt hatte.

Der Arzt legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Sie sollten sich etwas ausruhen, immerhin waren sie jetzt jeden Tag hier. Ein bisschen Ruhe tut ihnen sicher auch ganz gut.«

Ich wusste ja, dass er Recht hatte, aber dennoch fragte ich mich, ob ich das tun konnte. Durfte ich ihn einfach alleine lassen? Was, wenn er doch noch aufwachte? Wenn seine Werte sich schnell besserten und ich dann nicht bei ihm war? Die Hand des Arztes lag noch immer auf meiner Schulter.

»Es wird ihnen sicherlich guttun, wenn sie sich etwas hinlegen und etwas zur Ruhe kommen.«

Ich seufzte.

»Ja, aber bitte halten sie mich auf dem Laufenden, ja?«

Er nickte freundlich.

»Natürlich, sobald es etwas Neues gibt, melden wir uns bei Ihnen.«

Ich lief zur Tür, dann sah ich noch einmal zurück. Es fiel mir mehr als schwer, Danny wirklich wieder alleine lassen zu müssen.

»Wir werden unverzüglich Bescheid geben, sobald sich etwas an seinem Zustand ändert …«, versicherte der Arzt noch einmal und begleitete mich zum Aufzug.

»Danke, das ist wirklich freundlich.«

Er schüttelte sanft lächelnd den Kopf.

»Das ist doch selbstverständlich. Sie legen sich jetzt erst einmal hin und ruhen sich aus, ja?«

Ich reichte ihm nickend die Hand, dann stieg ich in den Aufzug, ohne mich noch einmal umzudrehen. Er musste ja schließlich nicht sehen, dass ich schon wieder begonnen hatte zu weinen.

Mit einem ›Ding‹ öffneten sich die Metalltüren, als ich unten angekommen war, und ich wischte mir schnell die Tränen vom Gesicht. Mit flinken Fingern zog ich eine Sonnenbrille aus meiner Handtasche und setzte sie mir auf die Nase. Zwar sahen die Leute mich mit merkwürdigen Blicken an, doch das war mir egal. Auch wenn es draußen regnete, konnte man mein rotes Gesicht sehen, und das wollte ich einfach nicht.

»Ana?«

Schon von weitem erkannte ich Sues Stimme. Sie stand, trotz des strömenden Regens, vor ihrem Haus und schien tatsächlich auf mich zu warten. Ich sah kurz auf.

Ihr sonst so lockiges und glänzendes Haar hing strähnig an ihr hinunter und auch ihre Klamotten klebten nur noch an ihrem zitternden, völlig durchnässten Körper. Was machte sie hier? Ein Verdacht kam in mir auf.

»Hast du etwa hier draußen auf mich gewartet?«

»Ja, ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Du warst ziemlich lange weg.«

Ich blieb stehen, als ich sie erreicht hatte.

»Aber deswegen musst du doch nicht draußen im Regen warten.«

Sie hob beide Schultern und ging mit mir zusammen weiter zu meinem Haus. Sie fragte gar nicht nach, wo ich gewesen war, denn sie wusste es bereits. Erst, als wir im Hausflur waren, durchbrach sie das kurze Schweigen.

»Wie geht es ihm denn? Gibt es schon etwas Neues?«

Ich nahm die Sonnenbrille ab und schüttelte den Kopf.

»Zwar haben sich seine Blutwerte etwas verbessert, aber sie sind noch immer nicht gut genug, um ihn aufzuwecken«, entgegnete ich ihr traurig.

»Also liegt er immer noch im Koma?«

Ich nickte und konnte spüren, wie meine Lunge sich wieder eng zusammenzog bei dem Gedanken. Das Bild von ihm, wie er völlig hilflos und unfähig, irgendetwas zu tun, dalag, schien sich in meinen Kopf eingebrannt zu haben.

»Ja.«

Sie ging hinüber zum Kühlschrank und öffnete die Tür so weit, dass ich ebenfalls hineinsehen konnte.

»Schokolade?«

Ich sah sie stumm an.

Obwohl meine Antwort mir nicht einmal über meine Lippen gekommen war, antwortete sie darauf. »Ist ja bekanntlich das Wundermittel für alles, oder?«

Ich hatte zwar überhaupt keinen Hunger, aber dennoch nickte ich. Sie zog zwei Schokoriegel heraus und stieß die Tür wieder zu, dann drückte sie mir den einen der beiden in die Hand.

»Die beste Nervennahrung, die es gibt.«

Ich biss ab und bemühte mich, zumindest ein wenig zu lächeln, was mir allerdings nicht besonders gut gelingen wollte.

»Danke.«

Wir setzten uns auf die Couch und ich ließ meinen Kopf nach hinten fallen. Erst jetzt merkte ich, wie erschöpft ich tatsächlich war.

»Du siehst ziemlich fertig aus. Leg dich doch lieber etwas hin.«

Ich drehte mich etwas in die Richtung meiner Freundin.

»Ich finde doch eh keine Ruhe. Das ist im Moment einfach alles …«

Sie beendete meinen Satz, noch bevor ich es selbst tun konnte.

»Zu viel? Das ist doch verständlich.«

Ich nickte. Sue schien zu überlegen, ob es etwas brachte, die Situation gutzureden. Am liebsten hätte sie mir etwas Positives eingeflüstert und mir gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Sie ließ es dann doch gut sein, weil sie wusste, dass es nicht viel bringen würde.

Ich schloss kurz die Augen und sah wieder dieses Bild vor mir, wie Danny in meinem Zimmer war, obwohl er gar nicht wirklich da gewesen sein konnte und wie er meinen Namen gesagt hatte. Ich sah das Blut und zuckte unmerklich zusammen.

»Ana?« Ich riss die Augen auf, als ich merkte, dass dieses Zusammenzucken scheinbar nicht unbemerkt geblieben war. »Du bist gerade total zusammengefahren, was ist denn los? Alles in Ordnung mit dir?«

Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihr das alles zu erzählen, ihr von diesen merkwürdigen Vorfall zu berichten. Doch so schnell wie ich darauf gekommen war, verwarf ich es auch schon wieder, denn das hörte sich einfach zu verrückt an. Sie würde mir garantiert nicht glauben, dass Danny hier gewesen war und sich anschließend in Luft aufgelöst hatte. Ich selbst glaubte ja noch nicht einmal richtig daran. Ich schüttelte leicht meinen Kopf.

»Nichts, es ist alles in Ordnung. Mach dir nicht so viele Gedanken, ok?«

Sue musterte mich scharf.

»Das fällt mir wirklich schwer, nachdem du gerade so zusammengezuckt bist.«

»Das liegt wahrscheinlich an den Beruhigungstabletten«, sagte ich so glaubwürdig, wie es mir nur möglich war.

Sue runzelte die Stirn.

»Dann solltest du sie lieber nicht mehr nehmen, nicht, dass noch irgendwelche anderen Nebenwirkungen auftreten. Setz die Dinger so schnell wie möglich ab, ja Ana?«

Ich schüttelte den Kopf.

»So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Die Dinger tun mir gut, und im Moment glaub ich nicht, dass ich das alles ohne sie verkrafte.«

»Wenn du meinst, aber hoffentlich wirst du nicht noch abhängig von diesen Tabletten«, ermahnte sie mich.

Ich musste über diese Vorstellung einfach lächeln.

»Garantiert nicht. Im Moment ist es nur noch ziemlich schwer für mich, aber sobald es besser wird, setze ich sie wieder ab, versprochen.«

»Dann ist es ja gut. Aber pass bitte trotzdem gut auf, in Ordnung?« Ich nickte und atmete tief ein. »Gehst du morgen eigentlich wieder ins Krankenhaus zu Danny?«

»Ich denke schon.«

Ihr Gesicht wirkte angespannt, und sie schien nachzudenken.

»Glaubst du nicht, dass es dir etwas besser gehen würde, wenn du dich erst mal einen Tag ausruhst? Es belastet dich doch jeden Tag aufs Neue, und so schwer es sich anhört, aber im Moment kannst du doch eh nichts unternehmen.«

Natürlich hatte sie mit dem, was sie sagte, recht. Danny lag im Koma und bekam es vielleicht nicht einmal richtig mit, dass ich jeden Tag bei ihm am Bett saß und weinte. Außerdem hatten die Ärzte versichert, mir Bescheid zu geben, falls sich etwas an seinem Zustand ändern sollte - darauf musste ich einfach vertrauen.

»Du hast recht. Vielleicht sollte ich wirklich einen Tag aussetzen …«

Sie nickte.

»Ja, das machst du. Und ich komme dich besuchen, damit du nicht ganz alleine bist, einverstanden?«

Ich lächelte schwach.

»Danke. Das bedeutet mir wirklich sehr viel.«

»Ich mach das gern und außerdem ist dann keiner von uns allein.« Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter und war einmal mehr froh, sie zu haben. Ich wusste nicht, wie ich das ohne sie hätte überstehen können. »Willst du irgendetwas essen?«

Ich sah sie an und musste erneut lächeln. Sie benahm sich fast schon wie eine große Schwester. Sie versuchte, mich etwas zu verhätscheln und von der jetzigen Situation abzulenken. Das fand ich wirklich mehr als süß und lieb von ihr.

»Sag schon!«, wiederholte sie sich in schärferem Ton, als ich noch immer nicht geantwortet hatte. Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, aber danke trotzdem. Außerdem ist es meine Wohnung, da sollte ich dich fragen, ob du etwas essen möchtest, und nicht umgekehrt.«

»Nein, danke«, lächelte sie, als hätte ich ihr eine Frage gestellt.

»Dann wäre ja zumindest das geklärt.«

Sie nickte und ließ sich jetzt endgültig in die Couch sacken. Ein leises Stöhnen drang über ihre Lippen. Ich seufzte und erst jetzt spürte ich plötzlich die Müdigkeit, welche meinen Körper schon seit Tagen belastete.

»Müde?«, fragte Sue sofort, der das natürlich nicht entgangen war.

Ich nickte.

»Ja, wahrscheinlich bin ich doch etwas erschöpfter, als ich gedacht habe.«

»Jetzt kannst du dich ja etwas ausruhen. Dieser ganze Vorfall nimmt dich eben ganz schön mit«, sagte sie, »aber wen würde so etwas nicht mitnehmen?«

Ja, allerdings nahm mich das mit. Noch immer erschien mir das alles wie ein schlechter Traum, aus dem ich einfach nicht erwachte. In Wirklichkeit jedoch war es leider Danny, der nicht aufwachte.

»Pass auf, ich werde mich etwas hinlegen, ok? Wir sehen uns dann morgen, ja?«

Sie musterte mich kurz und als sie sich sicher war, dass ich das auch tun würde, nickte sie.

»Ok, ruh dich etwas aus.«

Die Tür schloss sich hinter ihr und ich war wieder allein. Ich legte mich auf die Couch und drehte mich zur Seite. Es war zu mühsam, jetzt extra ins Schlafzimmer zu gehen, und ich war einfach zu müde.

Als ich wieder erwachte, brauchte ich ein wenig, bis ich wusste, wo ich war. Ich war während des Schlafes scheinbar von der Couch gerutscht, denn jetzt lag ich auf dem harten Boden. Verwirrt rieb ich mir den Kopf und hievte meinen Körper wieder auf das Sofa. Wie lange hatte ich denn überhaupt geschlafen? Mein Blick suchte den Raum nach einer Uhr ab, doch es dauerte länger, sie auch zu finden.

Es war gerade kurz nach Mitternacht. Langsam stand ich auf und schleppte mich hinüber zum Schlafzimmer. Den restlichen Schlaf, den ich noch kriegen konnte, wollte ich nicht unbedingt auf dem Boden verbringen.

Es war schon ein gewaltiger Unterschied, das weiche Bett unter mir zu haben anstatt des harten Bodens des Wohnzimmers und es fiel mir auch gar nicht schwer, einzuschlafen. Alles um mich herum wurde innerhalb weniger Sekunden dunkel und als ich endlich wieder etwas erkennen konnte, sah ich Danny direkt vor mir im Bett liegen. Ich war nicht mehr zuhause, ich befand mich auf seiner Station, das war mir sofort klar.

Noch immer lagen viele Schläuche um ihn herum und noch immer sah er sehr bleich aus. Sein Zustand schien sich also noch nicht sonderlich gebessert zu haben. Aber wie auch? Ich war ja vor ein paar Stunden erst bei ihm gewesen.

Ganz langsam und mit kleinen Schritten ging ich näher an das Bett heran. Der Raum wirkte bis auf Danny und das Bett völlig leer und das verwirrte mich etwas. Ich fragte mich, wo all die Gegenstände des Krankenhauses - die Stühle, der kleine Tisch und der Rest - abgeblieben waren? Nichts mehr schien so zu sein wie bei meinem letzten Besuch.

»Oh Danny«, seufzte ich und stellte mich ganz dicht neben ihn.

Ich strich mit einem Finger über seine Haut und hatte das Gefühl, einfach nur eine Wand zu streicheln. Er fühlte sich so merkwürdig kalt und leblos an. Es machte mir Angst, ihn so zu sehen und nur Kälte zu fühlen, wenn ich seine Haut berührte. Normalerweise war er so impulsiv und warm, doch nun schien es, als wäre sein Körper schon längst nicht mehr am Leben. Diese Vorstellung ließ mich natürlich sofort stark zusammenzucken und ich hatte das Gefühl, dass man mir den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.

Eine Träne lief meine Wange hinunter und hielt an meinem Kinn kurz inne, bevor sie von meinem Gesicht tropfte.

»Danny, bitte wach wieder auf …«, flehte ich.

Mir war klar, dass es nichts brachte, aber dennoch redete ich mit ihm in der Hoffnung, dass er mich zumindest hören konnte. Ich griff seine Hand so fest, dass meine Adern hervortraten.

»Du musst wieder gesund werden, hörst du? Ich brauche dich hier! Du musst zu uns zurückkommen! »

Er regte sich nicht.

Aber was hatte ich auch erwartet? Dass er plötzlich aufsprang und mich umarmte? Dass sich meine Sorgen einfach in Luft auflösten oder zerplatzten wie Seifenblasen?

Ich schüttelte den Kopf und sah zu Boden. Mein Griff um seine Hand lockerte sich allmählich, bis ich wieder nur langsam mit den Fingern über seine Haut strich. Nach kurzer Zeit sah ich wieder auf, schreckte jedoch zurück, als ich jemanden wahrnahm. Da stand jemand auf der anderen Seite des Bettes, der vorher noch nicht dort gewesen war. Ich hatte nicht einmal bemerkt, wie er hereingekommen war.

Ich sah ihn mir genauer an. Er trug ein schwarzes, leicht aufgeknöpftes Hemd und eine dunkle Jeans. Seine schwarzen Haare wirkten ungezähmt und wild, seine Züge schienen wie in Stein gemeißelt. Seine Augen glänzten, obwohl sie schwarz zu sein schienen, und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, welches mir einen eisigen Schauer den Rücken hintertrieb. Er sah gefährlich, aber gleichzeitig auch unwirklich schön und anziehend aus. Aber: Wer war er? Und was wollte er hier? Was machte er in dem Krankenzimmer? Ich wollte etwas sagen und fragen, wie er hier hinein gekommen war, doch meine Stimme schien plötzlich einfach nicht mehr zu funktionieren. Ich konnte mich auch nicht mehr bewegen, sondern nur noch zusehen bei dem, was dann geschah …

Der Fremde stand direkt neben Danny und fing an, hämisch und irgendwie auch teuflisch zu grinsen.

Eine merkwürdige Wut stieg bei dem Anblick in mir auf. Wie konnte dieser Typ an einem Krankenbett nur so grinsen? Es kam mir fast so vor, als gefiel ihm der Zustand, in welchem sich mein Freund gerade befand. Ich wollte ihn anschreien und fragen, was er sich nur dachte, aber auch das gelang mir nicht. Mein ganzer Körper schien, seit er aufgetaucht war, wie gelähmt und in sich gefangen zu sein.

Der Fremde stand nun direkt neben Danny und legte seine Hand auf seinen Nacken. Er schloss sie langsam und erst allmählich kam ich dahinter, was er vorhatte. Dieser Verrückte wollte ihn umbringen!!

Ich schrie und versuchte, mich aus der Starre zu lösen, welche mich gefangen hielt, aber kein Laut und keine Bewegung, die ich machte, schien sich auf meinen Körper zu übertragen. Ich war hilflos in meiner Position gefangen.

Nein! Was machte dieser Verrückte da nur? Warum wollte er Danny nur umbringen? Was hatte er ihm denn getan? Und warum, verflucht nochmal, konnte ich mich nicht rühren? Ich spürte die Tränen, welche in mir aufkamen, und hörte einen leisen ›Knacks‹, dann wurde alles dunkel um mich herum.

Schweißgebadet saß ich aufrecht im Bett und vergrub mein Gesicht in den Händen. Mein ganzer Körper stand unter großer Anspannung, welche lediglich durch das starke Zittern etwas gelöst wurde. Nur langsam begriff ich, dass ich mich in meinem Zimmer befand und nicht im Krankenhaus bei Danny war. Ich hatte das alles also nur geträumt. Es war nur eine Einbildung gewesen, mehr nicht.

Aber warum machte mich das so fertig und warum konnte ich dann noch immer nicht aufhören zu zittern? Was war bloß in mich gefahren? Und warum um alles in der Welt war mir plötzlich so kalt? Das Fenster war geschlossen und noch nie zuvor war es in meinem Zimmer so kalt gewesen.

Ich legte mich langsam zurück und zog mir die Decke bis unters Kinn hoch, aber dennoch zitterte mein Körper noch immer genauso stark wie zuvor. Und auch nach Minuten änderte sich daran nichts.

Die Wärme der Decke schien überhaupt nichts zu bringen, was aber vielleicht daran lag, dass ich nicht richtig fror, sondern noch immer Angst und Panik verspürte. Dabei war es doch nur ein Traum gewesen. Ein Albtraum, mehr auch nicht …

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Mir war, als hätte ich gar nicht geschlafen und genau so sah ich auch aus. Tiefe schwarze Ränder umrahmten meine Augen und ich vermied es, öfters an irgendwelchen Spiegeln vorbei zu laufen.

Als Sue auftauchte, war es perfekt. Sie schlug bei meinem Anblick die Hände vors Gesicht und unterdrückte ein erschrecktes Keuchen und nach ein paar Minuten schaffte sie es nicht mehr, sich zurückzuhalten.

»Was hast du denn gemacht? Du siehst schrecklich aus!«

»Danke.«

»So ist es nicht gemeint, aber du siehst wirklich aus, als hättest du gar nicht geschlafen! Was ist denn bloß passiert?«

Ich setzte mich neben sie auf die Couch.

»Wenn ich ehrlich bin, dann fühle ich mich auch so, als hätte ich nicht geschlafen.«

»Was? So schlimm? Was ist denn los?«

Ich sah sie an und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Ich hatte einen Albtraum.«

»Von Danny?«

Manchmal fragte ich mich wirklich, wozu ich noch auf ihre Fragen reagierte. Sie schien meine Gedanken ja förmlich zu erraten und selbst auf ihre Frage zu antworten. Bevor ich nur ein Wort sagen konnte, sprach sie auch schon weiter.

»Das hab ich mir schon gedacht. Im Moment machst du aber auch viel mit, Süße, da ist es nicht verwunderlich, dass du auch davon träumst.«

»Ja, kann sein, aber dieser Traum war wirklich komisch«, sagte ich nachdenklich, denn er wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.

»Wie meinst du das?«

Ich hob beide Schultern kurz an, um sie sofort wieder fallen zu lassen.

»Ich weiß nicht genau, aber ich konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Und obwohl es in meinem Zimmer immer warm ist, war es plötzlich eisig kalt.«

»Hmm, das hast du dir sicher bloß eingebildet, meinst du nicht?«

»Ja, das glaube ich auch. Na ja, vielleicht ist es auch eine Nebenwirkung auf die Tabletten …«

»Was? Die Träume?«

»Nein, ich meine dieses Kältegefühl.«

Sie wiegte den Kopf.

»Das hört sich ziemlich logisch an. Du solltest diese Dinger wirklich lieber absetzen.«

Als ich nicht antwortete, wurde ihre Stimme ernster.

»Ana, bitte, ich will nicht zusehen, wie diese Dinger dich wirklich noch abhängig machen. Bitte, setz die Tabletten ab.«

»Sue!«, ermahnte ich meine Freundin ebenso ernst, »das sind nur Beruhigungstabletten und kein Betäubungsmittel. Im Moment brauche ich sie einfach …«

»Egal, spätestens nächste Woche wirst du diese Dinger nicht mehr nehmen. Hast du verstanden?«

Ich überlegte kurz, ihr zu widersprechen, ließ es jedoch schließlich sein und gab nickend nach. Mir war eingefallen, warum meine Freundin auf jegliche Art von Tabletten nicht gut zu sprechen war und sie darauf beharrte, dass ich sie absetzte. Vor einigen Jahren hatte ihre Mutter eine schwere depressive Phase gehabt, in der sie alle möglichen Tabletten in sich hineingestopft hatte. Sue hatte zwar versucht, ihr die Tabletten auszureden, aber da war es schon zu spät gewesen. Ein ganzes Jahr hatte ihre Mutter letztendlich in einer speziellen Klinik verbracht und seitdem hatte meine Freundin eine panische Angst, dass es ihren Freunden ähnlich ergehen könnte, wenn diese zu viele Tabletten schluckten. Sie sah mich noch immer mit besorgtem Blick an, fast so, als genügte ihr ein einfaches Nicken als Bestätigung nicht.

»Ist ja gut. Ich werde sie nur noch diese Woche nehmen, in Ordnung?«

Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht und sie nickte.

»In Ordnung.«

Auch ich lächelte, so gut es ging, und war froh, diese Diskussion schnell beendet zu haben. Normalerweise hätte es ewig gedauert, ihr klar zu machen, dass ich mich daran hielt. Ich seufzte und legte meinen Kopf schief, als das Telefon mich plötzlich wieder aufschrecken ließ. Ich sprang blitzschnell auf und nahm den Hörer in die Hand. Und noch bevor ich mich melden konnte, hörte ich schon eine männliche Stimme.

»Spreche ich mit Ana Summers?«

Ich schluckte.

»Ja, was möchten Sie?«

Der Mann am anderen Ende der Leitung schien zu schlucken.

»Miss Summers, hier spricht Dr. Hepburn.«

Ein unangenehmes Gefühl machte sich in mir breit, als mir klar wurde, dass es etwas Neues geben musste.

»Wie geht es ihm? Ist er etwa endlich aufgewacht?«

Ein Seufzen drang durch den Hörer und bestärkte das ungute Gefühl in mir noch weiter. Er war also nicht aufgewacht.

»Es tut mir leid, Ihnen das jetzt mitteilen zu müssen, aber …«

»Was? Was ist mit ihm?«, unterbrach ich ihn panisch.

»Heute Nacht hat er aufgehört zu atmen.«

Mir blieb das Herz stehen. Was hatte er gerade gesagt? Dass mein Freund aufgehört hatte zu atmen? Hatte ich das richtig gehört?

Der Arzt sprach in beruhigendem Ton weiter.

»Wir haben ihn noch intubiert und versucht, es zu verhindern, aber wir konnten leider nichts mehr für ihn tun. Es tut mir wirklich leid, Ihnen keine bessere Nachricht geben zu können.«

Es war wie ein Schlag in die Magengegend. Alles in mir verkrampfte sich, und ich spürte, wie meine Beine schwächer wurden und drohten, unter meinem Gewicht nachzugeben. War das ein Scherz? Ein alberner, schlechter Scherz? Das konnte, nein, es durfte einfach nicht wahr sein!

Mein Herz schlug so schnell, dass es mir schwerfiel zu atmen, und meine ganze Haut anfing zu brennen. Es war ein schreckliches Gefühl.

»Das meinen Sie nicht ernst? Das kann doch nicht ihr Ernst sein?«, schrie ich, in der Hoffnung, er würde seine Worte rückgängig machen. Aber er nahm die Worte natürlich nicht zurück.

»Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen. Wenn sie möchten, können sie ihn aber gerne heute noch einmal sehen …«

Ich ließ das Telefon fallen. Es schlug auf dem Boden auf und fiel augenblicklich auseinander.

»… Ha… Hallo …«, rauschte es noch aus dem Telefon, doch ich ging wie in Trance daran vorbei.

»Ana? Alles ok?«

Ohne weiter auf ihre Worte zu achten, ging ich geradewegs zur Treppe, schaffte es aber nicht, auch nur ein Bein zu heben. Am Ansatz brach ich zusammen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

Sue kam zu mir und setzte sich vorsichtig neben mich.

»Ana, wer war denn dran? Ist irgendetwas passiert? Was ist denn los?«

Meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Alles in mir verkrampfte sich und ich fing an zu weinen.

»Ana, bitte sprich mit mir! Was ist denn bloß passiert? Wer war da dran?«, fragte sie, fast schon verzweifelt, als ich ihr noch immer nicht geantwortet hatte.

Ich zwang mich, meine Freundin anzusehen und wusste nicht so recht, wie ich es sagen sollte. Wie sollte ich ihr sagen, dass er tot war? Danny, mein Freund, war nicht mehr am Leben. Er hatte einfach aufgehört zu atmen, einfach so …

»Das Krankenhaus hat angerufen …«, schluchzte ich, völlig am Ende, »es ging um Danny, er ist tot.«

Ihre Augen weiteten sich urplötzlich und sofort traten Tränen in ihre Augen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.

»Es ist wirklich kein guter Zeitpunkt, mich zu verarschen.«

Entsetzt sah ich sie durch den Schleier aus Tränen heraus an.

»Denkst du wirklich, ich würde darüber Scherze machen? Denkst du das wirklich?«

Sie schien sofort zu bereuen, dass sie das wirklich gesagt hatte, und senkte ihren Blick.

»Nein, natürlich nicht. Es tut mir leid …«

Ich nahm die Hände wieder vors Gesicht und dachte an den Traum. Wie dieser Fremde ihm die Luft abgedrückt und ihm schließlich dass Genick gebrochen hatte. Und ich dachte an das, was der Arzt gesagt hatte. Er hatte gesagt, dass Danny einfach aufgehört hatte zu atmen, einfach so. Er hatte nicht gesagt, dass ihm jemand das Genick gebrochen hätte.

Wie kam ich überhaupt darauf, dass es einen Zusammenhang geben könnte? Das war ein dummer Traum und ein schrecklicher Zufall gewesen, mehr auch nicht. Ich schluchzte und lehnte mich an der Schulter meiner Freundin an.

»Bitte sag mir, dass das alles nur ein böser Traum ist. Sag mir, dass ich aufwache und Danny noch immer schläft und bald aufwacht. Sag es mir!«

Sie sah mich kurz an, sagte aber kein Wort, sondern starrte stumm vor sich hin. Ich konnte es ihr nicht verübeln. In ihrem Gesicht spiegelte sich so viel Entsetzen und Fassungslosigkeit wieder, dass es mir noch einen zusätzlichen Schlag versetzte, wenn ich ihr nur in die Augen sah. Ihre Hand ruhte auf meinem Knie und verkrampfte sich allmählich.

»Ich werde zu ihm gehen …«

Sie hielt mich fest, als ich aufstehen wollte.

»Willst du das wirklich tun? Ich denke, du würdest dir nur noch mehr wehtun, wenn du ihn jetzt noch einmal sehen musst.«

Ich riss mich los.

»Du kannst ja hierbleiben, aber ich muss ihn einfach noch einmal sehen. Ich muss ein letztes Mal zu ihm.«

Ich konnte es einfach nicht glauben, und genau deshalb musste ich ihn noch ein letztes Mal sehen. Erst, wenn ich mir ganz wirklich sicher war, konnte ich mich auch irgendwann damit abfinden und es akzeptieren. Sie rappelte ihren Körper ebenfalls auf.

»Alleine gehst du nicht! Ich komme mit!«

Ich sah sie an und nickte, ohne meine Miene zu verziehen.

Als ich die Autoschlüssel jedoch an mich nehmen wollte, kam Sue mir zuvor.

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich fahre. Dich lasse ich in diesem Zustand nicht hinters Steuer.«

Ich war nicht einmal mehr in der Lage zu widersprechen, sondern nahm gleich auf dem Beifahrersitz Platz. Und wenn ich ehrlich bin, war ich sogar froh, dass Sue das tat. Ich war mit Sicherheit nicht in der Lage, in diesem Zustand ein Fahrzeug zu steuern. Vermutlich wäre ich in der ersten Kurve von der Straße abgekommen und in den Graben gefahren.

Während der Fahrt sah ich nur aus dem Fenster. Am Himmel über uns schob sich eine dichte Wolkendecke immer weiter zusammen, und aus dem weiß wurde schnell ein dunkles Grau. Jede Faser und jeder Muskel meines Körpers war nun zum zerreißen gespannt und schmerzte höllisch. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und schien in regelmäßigen Abständen aus dem Takt zu geraten. Es wollte nicht glauben und aus meinem Körper ausbrechen, genauso, wie ich aus diesem Albtraum ausbrechen wollte. Allerdings würde dies uns beiden nicht gelingen, denn wir waren beide gefangen in der Realität. Der Wagen hielt und unter der dichten Wolkendecke war das Krankenhaus, wie in grauen Nebel getaucht, zu sehen.

»Bist du auch sicher, dass du das wirklich tun möchtest?«, fragte sie mich, um sich noch einmal zu vergewissern.

Ich nickte und griff zur Tür.

»Ja, ganz sicher. Ich muss es sehen, um es glauben zu können.«

Sie schluckte und wischte sich mit dem Ärmel über die nassen Wangen, dann folgte sie mir. Schon als wir die große Eingangshalle betraten, kam jemand auf uns zu. Ein junger Arzt blieb direkt vor uns stehen und streckte mir die Hand entgegen.

»Miss Summers?«, fragte er vorsichtig. Es wirkte fast so, als hätte er Angst, etwas Falsches zu sagen. Ich nickte und biss auf die Lippen, um das Schluchzen zu unterdrücken. »Mein Beileid! Wollen Sie ihn noch einmal sehen?«

Ich nickte erneut, ohne nur ein Wort zu sagen, und folgte ihm. Der Flur schien sich endlos in die Länge zu ziehen, bis wir schließlich endlich vor dem Zimmer ankamen. Aber auf einmal war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich das wirklich wollte. Sue legte mir eine zitternde Hand auf die Schulter und sah mich an. Sie schien zu spüren, wie schwer mir dieser Schritt fiel.

»Bist du dir wirklich sicher? Ich sehe doch, wie schwer es dir fällt.«

Obwohl ich innerlich überhaupt nicht sicher war, nickte ich, denn ich wusste, dass es die einzig richtige Entscheidung war. Ich musste ihn einfach sehen, um es glauben zu können.

Der Arzt öffnete die Tür und lies mich vorbei. Jeder Schritt, den ich tat, fühlte sich schwer an. Es war fast so, als hätte man meine Schuhe mit Blei gefüllt und ich konnte nicht mehr richtig laufen.

Ich sah das Bett, auf dem jemand unter einer Bettdecke verborgen lag und mein Herz wurde augenblicklich wieder langsamer.

Der Arzt hob seine Hand und zog die Ecke der Decke so weit nach unten, dass ich kurz darauf Dannys Gesicht sehen konnte. Er war viel bleicher als beim letzten Besuch, schon fast weiß, und seine Augen waren geschlossen. Es wirkte fast so, als würde er einfach nur schlafen und jeden Moment aufwachen. Doch genau das würde er nie wieder tun. Ich schluchzte und es war schrecklich für mich, ihn anzusehen und zu wissen, dass ich das Strahlen seiner eisblauen Augen, in die ich mich damals so verliebt hatte, nie wieder sehen würde.

»Darf ich ihn anfassen?«, fragte ich ängstlich.

Der Arzt nickte.

»Natürlich.«

Ganz vorsichtig streckte ich meine Hand aus und legte sie erst auf seine kalte Stirn und fuhr dann mit einem Finger an seiner Wange entlang. Es war also wirklich kein Traum. Mein Freund war wirklich gestorben. Wieder bahnte sich ein Schwall Tränen den Weg nach oben, doch ich schaffte es, ihn mit Mühe einigermaßen zurückzuhalten.

»Warum?«, säuselte ich.

»Wir konnten nicht feststellen, warum er aufgehört hat zu atmen. Seine Lunge scheint einfach in sich zusammengefallen zu sein. Die einzige Vermutung, die wir haben, ist die, dass es sich um eine Spätfolge des Unfalls handeln könnte.«

Ich wischte mir über die Wangen, welche schon wieder völlig nass waren, und wollte gerade den Blick abwenden, als ich plötzlich etwas entdeckte. An seinem Hals war ein deutlich geröteter Abdruck abgezeichnet. Ich musste schlucken und führte meinen zitternden Finger zu der Stelle. Doch gerade als mein Finger genau diese berührte, durchzuckte mich ein starker elektrischer Schlag und ich wich vom Bett zurück. Ein Bild war vor meinen Augen aufgetaucht.

Es war genau dieselbe Situation wie in meinem Traum. Der Fremde stand an Dannys Bett und drückte ihm die Luft ab, bis es einen Knacks tat. Und die ganze Zeit über hatte er dieses hämische, selbstgefällige Grinsen auf den Lippen.

»Ah…«, stöhnend riss ich mich aus der Trance und taumelte noch einen Schritt zurück.

Was war das gewesen? Verdammt, was sollte das?

»Ana? Was ist los? Gehts dir gut?«

Ich konnte meiner Freundin nicht antworten. Der Schock über das, was gerade mit mir geschehen war, saß einfach zu tief. Der Arzt fasste an meinen Arm und versuchte, etwas zu sagen, doch ich zog ihn bei der Berührung schreckhaft zurück.

»Vielleicht war das doch keine so gute Idee …«

Sue sah mich besorgt an. Ich schüttelte den Kopf und fand endlich die Worte wieder.

»Nein, es war die richtige Entscheidung. Es ist nur ziemlich hart, weißt du?«

Dann wandte ich mich wieder dem Bett zu und seufzte in mich hinein. Das war im Moment einfach alles zu viel für mich und deswegen bildete ich mir das wahrscheinlich auch laufend ein. Ich wollte es nicht wahrhaben und deswegen dachte ich an diesen Albtraum, aber das hatte nichts zu bedeuten.

»Nein …«, flüsterte ich so leise, dass es niemand hören konnte. »Das war nur Einbildung, mehr auch nicht.«

Erneut liefen Tränen über meine Wangen und ich schaffte es nicht, weiter durchzuhalten. Mein Körper war einfach zu schwach, um gerade zu stehen. Er sackte zu Boden und brach völlig in sich zusammen.

Sue versuchte, mich zu stützen, doch auch sie wurde von meinem Gewicht mit nach unten gezerrt.

»Ana!«

Ich saß nun am Boden und hatte den Blick noch immer starr auf Danny gerichtet, der leblos auf dem Krankenbett lag. Die Tatsache, dass es wirklich real war, machte mich völlig fertig.

»Ana …«, drang Sues Stimme an mich heran. »Wir gehen jetzt, ok?«

Ich schüttelte unter Tränen den Kopf und raffte mich mit letzter Kraft erneut auf. Zitternd nahm ich seine Hand und hielt sie mir an die Wange, sodass die Tränen seine Haut benetzten.

Sue packte meine freie Hand und zog mich förmlich von ihm weg.

»Wir gehen jetzt!«

Ihre verweinte Stimme lies keine Widerrede zu. Sie zerrte mich aus dem Zimmer und ich sah noch so lange hin, bis die Tür sich geschlossen hatte. Im Flur war alles still.

Es war für mich klar, dass ich das Versprechen, welches ich meiner Freundin gegeben hatte, sicher nicht halten konnte. Die Tabletten brauchte ich ganz sicher, um die Beerdigung, welche drei Tage später folgte, zu überstehen …

Es war ein regnerischer und dunkler Tag, welcher wirklich perfekt zu meiner Stimmung passte. Alle Menschen waren in Schwarz gehüllt, sodass man nur noch ihre trauernden Gesichter erkennen konnte. Alle weinten laut, drückten sich und wünschten sich gegenseitig Beileid.

Ich ging zusammen mit Sue am Rand der Kirche entlang, um den vielen Menschen einigermaßen aus dem Weg zu gehen. Es fiel mir ja schon so schwer genug, hier zu sein, da half es nicht sonderlich, auch noch das Mitleid der Anderen zu spüren. Wir stellten uns etwas abseits auf den Friedhof und ich verschränkte fest die Arme vor der Brust.

Sue beugte sich etwas zu mir.

»Du hast die Tabletten genommen, stimmts?«

Ich sah sie an.

»Sorry, aber sonst wird mir das einfach zu viel. Es fällt mir einfach zu schwer, und ohne diese Dinger dreh ich momentan durch.«

Sie seufzte leise.

»Aber bitte sei vorsichtig, ja?«

»Ich nehme nur so viele, wie nötig sind, um das alles irgendwie zu überstehen«, beschwichtigte ich sie nickend.

Sie nickte und schloss kurz ihre Augen, dann erstarrte sie plötzlich. Sofort erkannte ich den Grund dafür. Acht Männer in den schwärzesten Anzügen, die ich jemals gesehen habe, trugen langsam den mit Blumen geschmückten Sarg an das offene Grab heran und wurden von leiser, unterschwelliger Musik begleitet. Eine Gänsehaut überkam mich bei dem Anblick und mein Körper verkrampfte sich. Die Sargträger liefen langsam an uns vorbei und ich erhaschte einen Blick auf ein Gesicht, welches mich zusammenfahren ließ. Fest presste ich die Augen zusammen und hoffte, mich geirrt zu haben. Doch auch, als ich die Augen ein paar Sekunden später wieder öffnete, sah ich ihn noch immer. Es gab keinen Zweifel für mich, dass es sich bei diesem Kerl um den Fremden aus meinem Traum handelte.

»Wer ist das?«, fragte ich mit unverkennbarem Zittern in der Stimme.

Sue sah mich an, dann folgte sie meinem Blick.

»Wen meinst du?«

»Wer ist der Letzte von den Sargträgern?«

Ich konnte meinen Blick, obwohl ich es wollte, einfach nicht abwenden. Sie kniff ihre Augen zusammen.

»Kyle, aber den kennst du doch!«

»Nein, den mein ich nicht. Da ist noch einer hinter ihm. Wer ist das?«

Sie sah wieder hin und schüttelte den Kopf.

»Nein Ana, Kyle ist der Letzte.«

Ich sah sie ernst an.

»Schau bitte genau hin. Hinter Kyle läuft noch jemand, oder bin ich etwa total bescheuert? Siehst du diesen Kerl etwa nicht?«

Sie legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Nein Ana, da läuft wirklich niemand mehr.«

Was? Aber da war ganz sicher jemand. Noch immer sah ich hin und erschrak sogar, als ich seinem Blick begegnete. Einen kurzen Moment spiegelte sich Verwunderung in seinem Blick, dann verzog er seine Lippen zu einem Grinsen und sah wieder auf den Sarg. Mein ganzer Körper stand unter Strom und ich fühlte mich schrecklich. Was sollte das? Warum konnte Sue diesen Kerl nicht sehen? Und warum sah ich ihn schon wieder? Und vor allem, was hatte das alles zu bedeuten? Was sollte das alles?

Ich erinnerte mich an den roten Abdruck an Dannys Hals und an den Traum. War das alles etwa doch nicht nur Einbildung gewesen? Gab es da vielleicht doch einen Zusammenhang? Oder drehte ich jetzt allmählich wirklich durch? Meine Beine drohten wieder einmal unter meinem Gewicht nachzugeben. Gerade so schaffte ich es, mich zusammenzureißen und einigermaßen standhaft zu bleiben. Sue jedoch schien den leichten Schwächeanfall bemerkt zu haben.

»Ana, alles in Ordnung mit dir?«

Ich sah sie an und spürte, wie eine Träne über meine Wange kullerte.

»Siehst du ihn wirklich nicht?«

Sie schüttelte den Kopf und packte fest meine Hand.

»Das ist bestimmt nur eine Nebenwirkung von den Tabletten. Du nimmst sie schon ziemlich lange, oder?«

In ihren Augen konnte ich Tränen und die große Angst um mich erkennen und ich bereute es plötzlich, sie gefragt zu haben.

»Ja, bestimmt hast du recht. Es tut mir leid.«

Sie strich vorsichtig an meinem Ärmel entlang.

»Ich verstehe ja, dass das alles ziemlich viel für dich ist.«

Ich lehnte mich etwas an sie heran, um einen besseren Halt zu bekommen, und atmete tief ein. Die kalte Luft tat mir gut. Der Pfarrer sprach die üblichen Worte und der Sarg wurde langsam in die Tiefe gelassen. Schon der Anblick allein tat mir unglaublich weh. Mir war nun endgültig klar, dass dies der Moment des Abschiedes war. Es war ein Abschied für immer. Sue drückte mir eine der Rosen, welche sie mit sich herumgetragen hatte, in die Hand und nickte mir zu. Als ich mich jedoch nicht rührte, zog sie mich einfach mit sich. Ihr schien das Ganze genau so schwerzufallen wie mir, doch sie überwand sich mir zuliebe. Schon nach ein paar Minuten standen wir direkt vor dem tiefen Grab, in dem schon einige Blumen und viel Erde auf dem Sarg lagen, und starrten auf ihn hinab. Sie schob mich vor sich, sodass ich mit zitternden Händen nun direkt vor dem großen Loch stand, und mir wurde leicht schwindelig.

»Du schaffst das«, sagte sie leise und mit zittriger Stimme.

Ich warf die Blume ins Grab und schaffte es nicht länger, mich zurückzuhalten. Die Tränen flossen nur so über mein Gesicht und mein Schluchzen wurde immer lauter und lauter. »Ich habe dich immer geliebt …«

Mir entging nicht, dass dieser merkwürdige Kerl noch immer neben dem Grab stand. Das Grinsen war während der gesamten Beerdigung nicht eine Sekunde lang aus seinem Gesicht gewichen. Sue war in die Knie gegangen und hatte ihre Rose ebenfalls hineingeworfen. Einen Moment blieben wir in unserer Position, dann zog sie mich wieder auf die Beine. Sie sah mich aus ihren verweinten Augen heraus an.

»Ich bin mir sicher, dass er das Gleiche für dich empfunden hat …«, sagte sie.

Ich drückte meinen Kopf an ihre Brust und schloss die Augen so fest, dass es fast schon schmerzte. Doch dieser Schmerz war nichts im Gegensatz zu dem, was ich tief in mir empfand.

Die Sage der schwazen Rose

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