Читать книгу Die Sage der schwazen Rose - Joulie Summers - Страница 9

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Verhängnisvoller Augenblick

Ein paar Tage später saß ich bereits frühmorgens um 05:30 Uhr vor dem Fernseher, weil es mir irgendwie einfach nicht gelang, länger zu schlafen. Die Beerdigung von Jenny, ein paar Tage zuvor, hatte mich ziemlich geschlaucht, und obwohl ich sie nicht lange gekannt hatte, irgendwie auch total mitgenommen. Immer wieder hatte ich die Bilder vom Unfall im Kopf. Ich sah vor mir, wie das Auto um die Ecke fuhr, ausbrach, sie erwischte, und sie mit einem dumpfen Geräusch auf dem Asphalt aufprallte.

Eine kurze Zeit hatte ich mich sogar gefragt, ob ich vielleicht Schuld daran hatte. Immerhin hatte ich sie vor dem Ersticken retten können, also warum nicht auch davor? Ich hatte sie nicht einmal richtig gekannt und durfte mir an ihrem Tod keine Schuld geben. Sie war auf die Straße gelaufen und ein Auto hatte sie angefahren. Das passiert so oft auf der Welt und jetzt war es eben auch einmal bei uns passiert. Zufälligerweise war ich gerade in der Nähe gewesen und musste alles mit ansehen. Aber mittlerweile ging es mir schon wieder etwas besser.

Doch die Tatsache, dass ich mir diesen Fremden schon wieder eingebildet hatte, hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Aber dieser Fremde, den ich gesehen hatte, den gab es ja nicht wirklich. Er war nur eine bescheuerte Einbildung, die mich seit dem Tod von Danny immer wieder verfolgte. Ein Phantom, das mir ab und an noch immer ziemlich zusetzte, wie es schien.

Ich seufzte kurz in mich hinein und obwohl ich mir immer wieder einredete, dass es sich bei dem Kerl nur um eine Fantasievorstellung handeln musste, blieb dennoch ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Aber das verdrängte ich schnell und konzentrierte mich wieder auf den flimmernden Bildschirm vor meinen Augen. Es lief fast nichts, was mich wirklich interessierte, deswegen blieb ich bei einem der vielen Nachrichtensender hängen. Es lief das Übliche. Ein paar News aus der Welt der Schönen und Reichen, ein paar politische Neuigkeiten, die eigentlich keinen wirklich interessierten, und ein Unfall, dem jedoch besondere Beachtung geschenkt wurde. Ein Reporter stand mit dem Rücken zur Kamera, während er sprach.

»Sarah S. wurde vor zwei Stunden in ihrem Zimmer leblos aufgefunden. Ob es sich hier um einen Unfall oder um ein Gewaltverbrechen handelte, das steht noch nicht fest. Sicher ist nur, dass das Mädchen nicht, wie zuerst vermutet, erstickt ist, sondern auf einem anderen Weg ums Leben kam. Zwar zeigten sich starke Würgemale am Hals der Toten, aber laut den Spezialisten sind diese nicht der Grund für den Tod des jungen Mädchens, denn außer den Würgemalen wurden auch etliche tiefe Schnittwunden am gesamten Körper des Mädchens gefunden.«

Das ungute Gefühl steigerte sich und ich schaffte es nicht, die Fernbedienung wegzulegen oder den Fernseher auszuschalten. Wie gebannt starrte ich weiter auf den Bildschirm. Der Reporter drehte sich etwas zur Seite, sodass man seine Umrisse erkennen konnte, und sprach weiter.

»Die Eltern werden psychologisch betreut und haben ihre Aussage bereits gemacht.«

Ich musste schlucken.

Dieses Mädchen war in ihrem Zimmer gestorben, vielleicht sogar umgebracht worden, ohne dass jemand es mitbekommen hatte? Das war ja schrecklich! Ich hielt mir die Hand vor den Mund und sog die Luft zischend ein.

»Wie schrecklich …«

Der Reporter drehte sich nun vollständig in Richtung der Kamera und atmete sichtlich schwerer. Im Hintergrund sah man deutlich, wie der Boden des Hauses noch immer voller Blut war. Nun schaltete ich den Fernseher ab. So etwas wollte ich jetzt wirklich nicht weiter ansehen. Langsam ging ich zum Kühlschrank und machte mir eine Schüssel Müsli.

Während ich die Milch eingoss, waren meine Gedanken dennoch wieder bei dieser Nachrichtensendung, welche ich gerade gesehen hatte. Innerhalb von wenigen Tagen waren zwei Mädchen ums Leben gekommen. Bei dem ersten war ich selbst dabei gewesen und bei dem zweiten wusste man nicht, ob es ein Unfall oder vielleicht sogar ein Gewaltverbrechen gewesen war. Dem Gesichtsausdruck des Reporters nach zu urteilen war allerdings Zweiteres wahrscheinlicher. Es fehlten nur noch die Beweise, welche es scheinbar einfach nicht zu geben schien.

»Aber wer würde so etwas nur tun?«, fragte ich mich kopfschüttelnd, während ich zurück zur Couch ging.

In unserer Gegend waren zwar schon einige kleinere Diebstähle begangen worden und es hatte auch ein paar Schlägereien gegeben, aber ein Mord? Das war dann doch ein bisschen zu heftig. Ich nahm einen Löffel Müsli in den Mund und schluckte die kalte Milch hinunter. Es war ein angenehmes, kühles Gefühl. Ich legte meine Beine hoch und meinen Kopf in den Nacken.

Als ich wieder erwachte, brummte mir der Schädel und ich lag nicht mehr auf der Couch, sondern auf dem Boden. Vermutlich war ich im Schlaf mal wieder vom Sofa gefallen, aber das passierte mir in der letzten Zeit des Öfteren. Langsam stand ich auf und sah zur Wanduhr. Es war gerade einmal Sieben. Ich hatte also gerade mal eine gute Stunde geschlafen.

Ich rieb mir die Stirn und strich mein verwuscheltes Haar beiseite. Erst jetzt bemerkte ich ein leises Geräusch, welches vom Regen kam, der auf den Fensterscheiben abprallte. Wann hatte es denn zu regnen begonnen?

Ich stellte mich ans Fenster und legte meine Hand auf das kühle Glas, auf dem sich dicke Regentropfen gebildet hatten. Ich schloss die Augen und genoss das Geräusch einen Moment lang, als mich plötzlich ein lauter Schrei aufschrecken ließ.

Ich riss die Augen auf und starrte in die dunkle Nacht hinunter, um herauszufinden, woher der Schrei gekommen war. Doch die Straßen waren nur schwach beleuchtet und man konnte durch die Dunkelheit nichts erkennen bis auf die schwache Beleuchtung der Straßenlaternen.

»Verdammt! Was war das?«

Ich zögerte, entschloss mich aber, trotz der Zweifel nach unten zu gehen. Ich nahm meine Jacke, stieg die Treppen hinunter und hielt vor der Haustür kurz inne, dann öffnete ich sie und starrte in die immer noch düstere Gegend. Die Sonne würde sicher bald aufgehen, doch im Moment sah man sie noch nicht. Alles lag dunkel vor mir.

»Hallo? Ist da irgendjemand?«

Der Regen traf meine nackte Haut und ich fing an, leicht zu zittern. Ein leises, kaum vernehmbares Keuchen war zu hören, doch ich brauchte ein wenig, um zu erkennen, woher es kam. Ganz langsam ging ich ein paar Schritte und sah vorsichtig in eine enge Gasse, konnte aber dennoch nichts erkennen.

»Hallo?«

Das Keuchen wurde immer stärker. Ich blieb stehen, denn große Angst überkam mich auf einmal. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen? Warum war ich nur nicht in der Wohnung geblieben und was dachte ich mir dabei, früh morgens bei dieser Finsternis hinaus zu gehen? Hatte meine Vernunft mich nun etwa völlig verlassen?

»Hilf … Hilf mir, bitte …«

Ich kniff die Augen zusammen und erkannte plötzlich einen Umriss. Es sah fast so aus, als lag da jemand auf dem Boden.

»Was ist passiert?«

Ich warf alle Zweifel über Bord und ging vorsichtig auf die Person zu. Es war eine ältere Dame. Sie lag am Boden und schaffte es nicht mehr, sich aufzurichten. Ihr Körper zitterte stark und sie schien nur schwer Luft zu bekommen. Schnell griff ich ihr unter die Arme und versuchte, sie auf die Beine zu bringen.

»Ganz langsam, ich werde Ihnen helfen.«

Die Dame stützte sich an meine Schulter und atmete schnell und unregelmäßig.

»Danke sehr.«

»Was ist passiert? Sind Sie hingefallen?«

Sie sah mich an, doch es war so düster, dass ich die Umrisse ihres Gesichtes nur schwach erkennen konnte. »Mein Herz …«, stotterte sie nur und presste sich eine zitternde Hand auf die Brust.

»Ich bringe sie ins Krankenhaus, in Ordnung?«

Sie nickte und sah mich erneut an.

»Danke.«

Ich versuchte zu lächeln.

»Überhaupt kein Problem.«

Doch gerade als wir abbiegen wollten, blieb die Dame plötzlich steif stehen und verkrampfte. Ihr Körper zitterte immer stärker und ihre Hand klammerte sich an dem dünnen Stoff ihrer Bluse fest. Verzweifelt sah ich auf und bemerkte den Fremden, der seinen Blick eindeutig auf die Dame gerichtet hatte. Doch davon ließ ich mich jetzt nicht ablenken. Er war ja immerhin nur Einbildung. Der Zustand der Frau allerdings war real.

»Bitte halten Sie noch ein wenig durch, ja?«, redete ich ihr zu und bemühte mich, das mulmige Gefühl weitestgehend zu unterdrücken.

Sie nickte, doch ihre zusammengekniffenen Augen verrieten mir, dass sie schon jetzt kämpfte. Ich sah zum Haus von Sue hinauf.

»Hilfe! Bitte, hilf uns doch jemand! Wir brauchen Hilfe!« Aber nichts tat sich. Allerdings wunderte mich das auch nicht, denn ihr Zimmer lag auf der anderen Seite des Hauses. Und wenn Sue erst einmal schlief, dann schlief sie richtig. »Bitte!«, schrie ich erneut, dieses Mal noch lauter. »Hilfe! Hört mich denn niemand!?«

Doch auch nach weiteren Rufen tat sich nichts. Sue konnte mich einfach nicht hören und auch sonst schien niemand etwas mitzubekommen. Das Gewicht der Frau lastete nun förmlich auf meinen Schultern und schien mit jedem Schritt, den ich tat, schwerer zu werden.

»Ich … ich kann nicht mehr …«, stotterte die Frau nun.

»Bitte halten sie noch ein wenig durch.«

Ein düsteres, leises Lachen ließ mich aufblicken. Der Fremde schien sich über die Situation herrlich zu amüsieren und das machte mich wütend. Doch meine Wut brachte nichts, weil er ja nur eine Einbildung war.

Ich beachtete ihn also nicht weiter und versuchte, den steifen Körper der Frau weiter zu bewegen, doch es half nichts. Sie war einfach zu schwer.

»Kommen Sie mit in die Wohnung, dann kann ich einen Krankenwagen rufen.«

Sie nickte schwach und zumindest gelang es mir, sie bis zur Treppe zu bringen.

»Halten Sie noch einen Augenblick durch ja?«

Ich rannte die Treppen nach oben und stürmte in die Wohnung. Schnell schnappte ich mir das Telefon und während ich die Nummer des Notrufs wählte, raste ich wieder hinunter. Gerade als ich ihren Körper erblickte, der noch immer stark zitterte, musste ich mich allerdings erneut beherrschen. Denn schon wieder stand dieser Kerl da, mitten in meinem Hausflur, und grinste hämisch auf die alte Dame hinab.

»Notrufzentrale Boston, Sie sprechen mit Jill Meyers.«

Ich fing an zu stottern, denn ich konnte den Blick nicht mehr von meiner Einbildung nehmen, konnte dann aber doch meinen Namen nennen und fuhr hastig fort.

»Kommen Sie bitte sofort in die Ofroudstreet 12! Eine Frau … ich glaube, Sie hat einen Herzanfall …«

Jill versuchte, mich zu beruhigen.

»Ein Rettungswagen ist unterwegs. Bleiben Sie bitte bei ihr, halten Sie sie wach.«

Mit einem lauten Knall fiel das Telefon zu Boden. Langsam setzte ich mich neben die Frau und nahm ihre Hand in meine. Erst jetzt merkte ich, dass auch ich angefangen hatte, leicht zu zittern.

»Halten sie noch ein wenig durch, ja? Der Rettungsdienst wird gleich hier sein.«

Nur sehr schwer gelang es der Frau, das Gesicht zu heben und mich anzusehen.

»Danke sehr …«

Ich drückte fest ihre Hand und betete, dass die Sanitäter nicht zu lange brauchen würden. Während ich meine Augen fest geschlossen hielt, hörte ich wieder dieses Lachen, und erneut machte sich starke Wut in mir breit. Dieses Hirngespenst nervte allmählich wirklich. Warum tauchte dieser Fremde immer dann auf, wenn andere in Todesnot waren? Immer dann, wenn ich ihn überhaupt nicht gebrauchen konnte? Was sollte das? ›Verschwinde einfach‹, dachte ich mir. Aber der Fremde blieb und trat sogar noch einen Schritt näher an uns heran. Seine linke Hand hatte er zur festen Faust geballt. Die Frau schnappte augenblicklich nach Luft und fasste sich wieder an ihre Brust.

»Ich … ich bekomme … keine Luft mehr …«, keuchte sie und fing an zu hyperventilieren. »Mein Herz …«

Noch immer hatte ich ihre Hand in meiner und drückte sie nun so fest, wie ich nur konnte.

»Sie schaffen das! Bitte, halten Sie noch ein wenig durch!«

Doch die Frau ächzte immer schlimmer und verkrampfte sich immer mehr. Für eine Sekunde war mir, als hätte ich sogar ihren Herzschlag gehört, der allerdings immer schwächer wurde, aber das hatte ich mir sicher genauso wie diesen Fremden nur eingebildet. Nein, da war kein Herzschlag!

Noch immer lachte der Fremde und seine Hand schien sich immer weiter anzuspannen. Die Venen traten leicht durch seine helle Haut hervor.

Verdammt! Was sollte das? Warum bildete ich mir so etwas nur ein, noch dazu in einer solch schrecklichen Situation? Warum spielten mir meine Gedanken diesen Streich ausgerechnet jetzt?

Wieder schloss ich die Augen so fest, dass es fast schmerzte, und verdrängte die Tränen. In den letzten Tagen war ein junges Mädchen in meiner Nähe gestorben und ich wollte nicht, dass diese Frau ebenfalls den Tod fand.

»Halten Sie bitte noch ein wenig durch!« Von weitem konnte man die Sirenen des Krankenwagens bereits hören und ich atmete erleichtert auf. »Hören Sie? Der Rettungswagen ist gleich da. Sie werden wieder gesund werden.«

Noch immer grinste der Fremde hämisch, doch das war mir egal. Sollte er doch grinsen, bis er tot umfiel. Ein lautes Klopfen an der Tür lies mich sofort aufspringen. Ich riss den Hauseingang auf und sah zu, wie die Sanitäter sich sofort um die Frau kümmerten. Ganz vorsichtig führten sie die Dame hinaus zum Krankenwagen.

»Ihrer Großmutter wird geholfen werden«, versicherte mir einer der Männer.

»Es ist nicht meine Großmutter. Ich habe die Dame nur zufällig getroffen, aber schön zu wissen, dass es ihr besser gehen wird«, sagte ich erleichtert. Der Fremde streckte seine Hand nach der Dame aus, doch ich stellte mich geschickt dazwischen und lächelte sie an. »Gute Besserung!«

Dann sah ich zu, wie der Krankenwagen aus der Straße fuhr und mit Blaulicht davonraste. Ich war zwar nun pitschnass und durchgefroren, aber das war mir egal. Ich hatte zum ersten Mal seit der letzten Stunde ein gutes Gefühl und war mir sicher, dass diese Frau den nächsten Tag überleben würde. Langsam drehte ich mich um und ging wieder ins Haus, als ich plötzlich ein leises Murmeln hörte. Ich brauchte mich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass diese auch von dem Fremden kam.

»Verdammt!«

Ich sah ihn aus den Augenwinkeln heraus scharf an und knurrte etwas in mich hinein.

»Ja, verdammte Einbildung! Verfluchtes Trugbild!«

Einen Moment hatte ich das Gefühl, dass er mich ansah, doch als ich mich wieder umdrehte, war er schon wieder verschwunden. Er hatte sich in Luft aufgelöst. Ich rieb mir die Stirn und ging langsam wieder hinauf in die Wohnung. Das war ja wirklich ein toller Morgen …

Gerade hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, als es auf einmal schon wieder klopfte. Verwirrt drehte ich mich um, öffnete die Tür einen Spalt breit und atmete auf, als Sue sich panisch durch den zentimeterbreiten Spalt zwängte und mich panisch ansah.

»Ana! Was ist passiert? Ich hab dich schreien hören und gerade eben war doch ein Rettungswagen bei dir im Hof, oder? Was ist los? Ist irgendetwas passiert?«

Ich sah sie an und merkte erst jetzt, dass sie noch ihren Schlafanzug trug und ihre Haare total zerzaust waren. Dennoch schien sie hellwach zu sein. Na ja, bei meinem Geschrei eben war das auch kein Wunder.

»Das kommt jetzt ein wenig zu spät, Sue …«, sagte ich. »Der Krankenwagen war gerade hier und hat sich schon darum gekümmert.«

Ich setzte mich auf die Couch.

»Aber was war denn los?«

Sie sah mich mit großen Augen an.

»Da war eine alte Frau auf der Straße und ich glaube, sie hatte irgendetwas mit dem Herzen.«

»Und wie hast du sie gefunden?«

Ich seufzte.

»Ich habe sie schreien gehört und direkt zwischen uns in der Gasse lag sie auf dem Boden. Ich hab gleich den Notdienst gerufen.«

»Wird sie es überstehen?«, fragte sie.

Ich nickte.

»Bestimmt. Die Sanitäter waren ziemlich zuversichtlich.«

»Dann ist es ja gut.«

Ich sah sie an, dann lehnte ich mich bequem zurück und schlug die Beine übereinander.

»Sag mal, machst du deine Couch nicht nass, wenn du dich da jetzt so hinsetzt?«

Ich sah an mir hinunter und sprang auf. Wie konnte ich bloß vergessen, dass es regnete und ich völlig durchnässt war? Verflucht nochmal!

Schnell ging ich ins Schlafzimmer, zog meine Schlafsachen aus und zog mir einen warmen Pulli sowie eine lockere Jeans über. Meine Haare ließ ich schnell unter einem Handtuch verschwinden.

»Und?«

»Schon viel besser …«, grinste ich. »Jetzt ist es auch schon viel wärmer.«

»Das hab ich mir fast gedacht«, lachte sie und machte mir Platz.

Sie nahm die Schüssel Müsli, welche noch auf dem Tisch stand, und begann davon zu essen. Ich sah sie an. Sue grinste.

»Was denn? Ich hab noch nicht gefrühstückt.«

»Ich merk es schon.«

Sie aß weiter und ließ ein genüssliches Geräusch von sich hören, was mir zeigte, dass es ihr schmecken musste.

»Na, wenigstens schmeckt es dir.«

Sie nickte und schlürfte die restliche Milch aus der Schale heraus, sodass sich ein weißer Milchbart um ihre Lippen herum bildete.

»Willst du noch etwas?«

Sie überlegte kurz und sah noch einmal in die völlig leere Schüssel, dann schüttelte sie den Kopf. Ich nahm ihr die Schüssel aus der Hand und ging hinüber in die Küche. Mit einem Handgriff stellte ich sie in die Spülmaschine.

»Und? Was machen wir nun?«

Ich sah zur Uhr.

»Es ist halb neun Uhr morgens, was wollen wir um diese Uhrzeit denn großartig machen?«

»Keine Ahnung.«

Den ganzen Vormittag über verbrachten also wir hauptsächlich damit, uns zu fragen, was wir wohl machen könnten. Allerdings hatten wir selbst um zwölf Uhr Mittag keine Entscheidung getroffen. Sue war ab und zu eingeschlafen, während ich mir immer wieder die Fernbedienung geschnappt hatte und die Fernsehsender durchsah. Allerdings war es mir nach spätestens zehn Minuten immer zu langweilig geworden und ich hatte den Fernseher wieder abgeschaltet.

Jetzt saßen wir am Küchentisch und hatten uns Nudeln mit Spinat und Spiegelei gemacht. Etwas Besseres war uns auf die Schnelle nicht eingefallen, und Pasta war gut und vor allem einfach zu machen.

Sue stellte die Nudeln auf den gedeckten Tisch und grinste mich voller Vorfreude an. Aber diesen Blick kannte ich nur zu gut von ihr. Sie war immerhin oft genug zum Essen hier bei mir gewesen.

»Oh Mann, ich hab so einen Hunger.«

Sie nahm am Tisch Platz und griff gleich zu den Nudeln.

»Das ist doch nichts Neues«, grinste ich und wartete, bis meine Freundin fertig war, dann nahm auch ich die Nudeln und häufte sie auf meinem Teller. Sue hatte schon ein paar Löffel gierig hinunter geschluckt und seufzte auf.

»Das schmeckt wirklich ausgezeichnet, meine Liebe. Ich muss uns loben.«

»Das machst du jedes Mal, wenn du der Meinung bist, dass du kurz vor dem Hungertod stehst«, erinnerte ich sie, noch immer grinsend.

»Aber nur, wenn es gut schmeckt«, sagte sie ernst.

Ich sah sie an, während ich kaute. Ihre Begeisterung für das Essen steckte mich sogar ein wenig an, aber wahrscheinlich auch nur, weil ich selbst auch wirklich großen Hunger hatte. Nach weiteren unzähligen Löffeln legte sie ihr Besteck an die Seite und lehnte sich zurück.

»Ich bin voll.«

»Ist ja auch kein Wunder, wenn du so schnell isst.«

Sie schob den Teller zur Seite und sah mich zufrieden an.

»Es ist immer wieder schön, mit dir zu Mittag zu essen.«

Ich nickte lächelnd. Eigentlich war ich ganz froh, dass Sue öfters mal zum Essen vorbei kam. So wirkte die Wohnung nicht allzu leer und ich hatte außerdem noch Gesellschaft. Sie war in den letzten Jahren wirklich so etwas wie eine zweite Familie für mich geworden.

»Jetzt wissen wir aber noch immer nicht, was wir heute noch machen«, stellte ich fest, als wir die Spülmaschine einräumten.

Sie ging zum Kühlschrank, nahm sich ein Wasser heraus und spielte mit dem Verschluss.

»Vielleicht haben die Anderen ja jetzt endlich mal wieder Zeit für uns!? Was meinst du? Sollen wir sie fragen?«

»Wäre schon cool. Wir können sie ja dann einfach mal anrufen und nachfragen, oder?«

»Du hast doch sturmfrei, oder?«, fragte sie mich plötzlich, ohne auf meine Äußerung reagiert zu haben.

Ich sah sie mit verdrehten Augen an.

»Was ist denn das jetzt für eine dumme Frage? Du weißt doch ganz genau, dass ich immer sturmfrei habe.«

»Also bei dir?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, nicht schon wieder. Du kannst doch nicht immer gleich meine Wohnung in Beschlag nehmen, wenn du irgendetwas planst.«

»Warum denn nicht? Wir andere wohnen nun mal noch bei unseren Eltern …«, sagte sie schmollend.

Das war ein Argument! Sturmfreie Bude siegte nun mal über aufpassende Eltern. Das war schon immer so und würde auch immer so sein.

»Ist ja gut, dann ruf sie eben an …«, gab ich seufzend nach.

Sie grinste zufrieden und lehnte sich an die Kücheneinrichtung.

»Das ist toll. Ich hab mir überlegt, dass wir den Kellner ja auch …«

Ich unterbrach sie.

»Nein! Lass deine Kuppelversuche bitte sein, ok? Sonst kannst du das mit der sturmfreien Bude bei mir gleich wieder vergessen!«

»Warum denn? Er hat dich so süß angesehen, da würde bestimmt was gehen …«

»Und fragst du mich vielleicht auch mal, ob ich das möchte?« Sie hob nur die Schultern und schüttelte ihren Kopf. »Das heute wird ein reiner Mädelsabend. Er wäre also alleine unter uns und ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee für ein erstes Treffen wäre, oder?«

Sie dachte kurz darüber nach, dann schüttelte sie lachend den Kopf.

»Vermutlich wäre es das wirklich nicht.«

»Na also. Ruf die anderen ruhig an, aber das mit dem Kellner schlag dir bitte aus dem Kopf, verstanden?«

»Na gut, ich ruf dann mal rum.«

Sie ging zur Tür und winkte mir noch kurz zu, dann war sie verschwunden.

Am Abend standen die anderen schon überpünktlich vor der Wohnungstür. Jessy hatte zwei Flaschen Sekt sowie eine Flasche Wein mitgebracht und ein breites Lächeln auf den Lippen, während Lia ein paar Chipstüten mit sich herumtrug. Sue hatte eine Flasche Rum in der Hand.

»Hey!« Ich sah sie an. »Seit wann trinkst du denn bitte Rum?«

Sie sah erst die Flasche und dann mich an.

»Das war das Einzige, was wir noch zu Hause hatten. Sei froh, dass ich überhaupt etwas mitgebracht habe.«

»Ist ja gut«, sagte ich und ließ sie in die Wohnung.

Sue nahm gleich auf der Couch Platz und stellte die Flasche klirrend auf den Glastisch.

»Ich sehe es schon, das heute wird ein richtig schöner Mädchenabend werden.«

»Wenn man euch so sieht, denkt man eher, es wird der Totalsuff …«, lachte ich.

»Ach was, du weißt doch, dass wir nicht viel trinken. Wir machen uns den Abend nur ein bisschen schöner«, kicherte Lia und kniff beide Augen zusammen. Sie ahnte ja gar nicht, wie ironisch sich ihre Stimme bei diesem Satz anhörte.

»So kann man das natürlich auch sehen, wenn man will, aber wehe, jemand kann sich nicht beherrschen. Ich wisch eure Sauerei garantiert nicht weg.«

»Hat sich jemand von uns schon mal übergeben?«

Ich überlegte, doch mir fiel tatsächlich kein einziger Zwischenfall ein.

»Nein, aber es gibt ja bekanntlich immer ein erstes Mal oder?«

Sie sahen mich alle drei ernst an.

»Wir versprechen hoch und heilig, dass wir uns heute beherrschen werden, in Ordnung?«, grinste Jessy mit fragendem Blick.

Ich nickte.

»Ist gut.«

Lia öffnete die Weinflasche und seufzte.

»Jetzt hab ich auch noch die Gläser vergessen. Verflucht!«

Ich lächelte.

»Bleib sitzen. Ich hol sie schon.« Ich ging hinüber zum Glasschrank und holte ein paar Weingläser heraus, dann setzte ich mich wieder zu den anderen auf die Couch. Lia fing sofort an, jedes der Gläser halbvoll zu schenken. »Aber wir machen langsam, ja?«

Alle drei nickten und versuchten, ein möglichst ernst gemeintes Gesicht zu machen, was allerdings keiner von ihnen so richtig gelingen wollte. Schon eine halbe Stunde später schienen die ganzen guten Vorwürfe allerdings wieder über den Haufen geworfen worden zu sein. Sue saß am Boden und kicherte, während sie sich ein viertes Glas einschenkte. Lia hatte zwar nur zwei Gläser Wein intus, aber da sie zuvor nichts gegessen hatte, zeigten die ihre volle Wirkung. Sie war total überdreht und schaffte es einfach nicht, stillzusitzen, genau wie auch Jessy. Und ich bemühte mich, meine Tollpatschigkeit, welche vor allem im angetrunkenen Zustand in mir hervorkam, so gut es ging zu unterdrücken. Ein Glas hatte ich schon umgeschüttet, doch ein zweites Mal hatte ich es, zum Glück, verhindern können.

»Haben wir nicht vorhin gesagt, dass wir es nicht übertreiben?«, fragte ich, leicht lallend.

Sue verdrehte lachend die Augen und es schien, als wäre sie wieder hellwach.

»Das hast du dir bestimmt nur eingebildet, Süße.«

Ich seufzte und nahm das zerbrochene Glas, dann ging ich in die Küche, um es wegzuräumen. Die anderen kicherten derweil noch immer lauthals, und tranken aus ihren Gläsern, ohne davon müde zu werden. Lia machte sich über Jessy lustig, weil die sich beim Trinken verschluckte und losprustete.

»Trinken muss gelernt sein!«

»Du brauchst überhaupt nichts sagen!«, wehrte sich Jessy. »Immerhin warst du diejenige, die vor kurzer Zeit so gelacht hat, dass ich alles direkt ins Gesicht bekommen habe!«

Auch ich musste jetzt lachen, denn ich erinnerte mich nur zu gut daran. Lia hatte sich vor lauter Lachen nicht mehr beherrschen können und das Wasser ausgespuckt, direkt in Jessys Gesicht.

Ich musste kichern, während ich die Scherben in den Müll warf. Als ich wieder aufsah, war mir für einen kurzen Moment schwindelig. Vielleicht hätte ich trotzdem nicht so viel und vor allem so schnell trinken sollen.

Ich rieb mir die Stirn und drehte mich etwas zur Seite, da sah ich ihn plötzlich wieder. Der hübsche dunkelhaarige Fremde stand nur ein paar Meter von mir entfernt und schien den Anderen beim Herumalbern zuzusehen. Er beobachtete sie. Ein hämisches Grinsen lag auf seinen Lippen, welches mir sofort wieder einen Schauer den Rücken hinunter trieb. Ich konnte nicht verhindern, dass ich dabei schreckhaft zusammenfuhr.

Sofort sah er zu mir und ich wich seinem Blick aus. Diese Einbildung machte mir langsam wirklich große Angst, denn immer, wenn er in der Nähe war, passierte etwas Schlimmes und jemand verlor sein Leben. Mein Körper fing an zu zittern und ich bemühte mich, die Ruhe zumindest einigermaßen zu bewahren.

»Ana? Alles in Ordnung mit dir? Ist dir schlecht? Du siehst blass aus.«

Sue sah mich an. Ich nickte.

»Ja, ich glaube, ich habe nur etwas zu viel getrunken. Ich komme gleich wieder rüber, ok?«

Sie lachte nickend und wandte sich wieder ihrem Glas zu. Ich war wirklich froh, dass sie im betrunkenen Zustand nicht zu viele Fragen stellte und nicht ganz so aufmerksam war wie sonst. Ganz langsam drehte ich meinen Kopf wieder etwas zur Seite und bemerkte sofort, dass er mich noch immer ansah. Es sah fast so aus, als versuchte er, etwas herauszufinden. Ein leises Lachen durchschnitt die Luft und eine seltsame Wut erfüllte mich.

Seit Dannys Tod verfolgte mich dieses Hirngespenst und ließ mir einfach keine Ruhe mehr. Er war immer da, wenn etwas Schlimmes geschah, und wollte einfach nicht mehr verschwinden. Und egal, wie sehr ich mir einredete, dass es sich nur um Einbildung handelte, die letzten Geschehnisse ließen mich ernsthaft daran zweifeln.

Wieder lachte er.

»Armes Mädchen, so süß und doch naiv. Wenn du nur wüsstest …«

Ich wusste nicht, ob es der Alkohol war, der mich dazu brachte, oder einfach nur die Wut, aber ich konnte nicht anders. Ich konnte es nicht länger zurückhalten. Ich fuhr herum und funkelte ihn wutentbrannt und genervt an.

»Was ›wenn ich wüsste‹? Warum lässt du mich nicht in Ruhe? Warum verschwindest du nicht endlich wieder aus meinem Leben? Sag, was willst du von mir?«

Sein Blick veränderte sich und er schien völlig überrascht und verwundert zu sein. Das Lachen war ihm im Halse stecken geblieben, sodass er mich einfach nur noch fassungslos und völlig perplex anstarrte. Ich zischte ihn förmlich an.

»Ich brauche solche Einbildungen nicht! Ich will das nicht mehr sehen und ich will dich nicht mehr sehen! Verschwinde endlich!«

Noch immer schien er völlig verdutzt und überrascht.

»Das kann nicht …«

Es war das erste Mal, dass ich ihn klar und deutlich sprechen hörte. Seine dunkle und doch angenehme Stimme trieb mir erneut einen Schauer den Rücken hinunter, jedoch hielt sie mich nicht davon ab, weiter zu schreien.

»Geh weg! Ein Jahr ist mehr als genug! Verschwinde hier und lass mich endlich in Frieden! Hau ab!«

»Ana?« Ich fuhr erschrocken herum und sah die Anderen vor mir, wie sie mich verdutzt musterten. »Was soll das? Mit wem sprichst du denn da?«

Ich sah zur Seite und merkte, dass er nicht mehr hier war. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben und ich war voller Hoffnung, dass mein Wutausbruch etwas gebracht hatte. Ich versuchte zu lachen und schüttelte, fast schon hysterisch klingend, den Kopf.

»Sorry, ich hab nur Selbstgespräche geführt. Ihr wisst ja, der liebe Alkohol …«

Lia schüttelte nun ebenfalls laut lachend den Kopf.

»Jaja, der blöde Alkohol.«

Ich nickte erleichtert, als ich merkte, dass sie es mir abkauften.

»Ja, der blöde Alkohol …«

Auch Sue und Jessy lachten jetzt und ich war froh, dass sie mich nicht mehr mit ihrem besorgten Blick ansahen. Und noch erleichterter war ich, dass ich das alles dem Alkohol in die Schuhe schieben konnte …

Die Sage der schwazen Rose

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