Читать книгу Die Stadt der Sehenden - Жозе Сарамаго - Страница 5
ОглавлениеSchlechtes Wetter zum Wählen, schimpfte der Vorsteher des Wahllokals Nummer vierzehn, klappte ungestüm den klatschnassen Schirm zu und zog den Regenmantel aus, der ihm wenig genützt hatte auf seinem atemlosen Spurt vom Auto bis zur Tür, durch die er gerade mit hängender Zunge eingetreten war. Ich hoffe, ich bin nicht der Letzte, sagte er zum Schriftführer, der ihn aus sicherer Entfernung begrüßte, um sich vor den Wassermassen zu schützen, die, vom Wind hereingepeitscht, den Boden überschwemmten. Ihr Stellvertreter fehlt noch, aber wir haben Zeit, beruhigte ihn der Schriftführer, Bei diesem Regen grenzt es wirklich an ein Wunder, wenn wir hier alle heil ankommen, sagte der Wahlvorsteher auf dem Weg in den Raum, in dem die Wahl stattfinden sollte. Zunächst begrüßte er die Kollegen am Tisch, die als Wahlhelfer fungieren würden, danach die Parteienvertreter und ihre jeweiligen Stellvertreter. Er bemühte sich, alle gleich zu behandeln und weder durch seine Mimik noch durch seinen Tonfall die eigenen politischen und ideologischen Neigungen preiszugeben. Ein Wahlvorsteher, selbst der eines so unbedeutenden Wahllokals, muss in jeder Situation strengste Neutralität oder zumindest den Schein wahren.
Neben der Feuchtigkeit, die die ohnehin stickige Luft in dem nach innen gelegenen Raum mit den zwei schmalen, auf einen selbst an sonnigen Tagen dunklen Innenhof blickenden Fenstern noch drückender machte, war es die Unruhe, die dazu führte, dass die Luft im wahrsten Sinne des Wortes zum Schneiden war. Man hätte die Wahl verschieben sollen, sagte der Vertreter der Partei der Mitte, der PDM, seit gestern regnet es ununterbrochen, überall gibt es Überschwemmungen und Erdrutsche, die Zahl der Nichtwähler wird diesmal drastisch ansteigen. Der Vertreter der Partei der Rechten, der PDR, nickte zustimmend, meinte jedoch, sich mit einem behutsamen Kommentar ebenfalls in das Gespräch einbringen zu müssen, Ich will dieses Risiko natürlich keineswegs herunterspielen, dennoch glaube ich, dass der bei so zahlreichen Gelegenheiten bewiesene Gemeinsinn unserer Mitbürger unser volles Vertrauen verdient, zumal sie sich der außerordentlichen Bedeutung dieser Kommunalwahlen für die Zukunft unserer Hauptstadt bewusst sind, jawohl, sehr bewusst. Nach diesem Ausspruch wandten sich die Vertreter von PDM und PDR, beide mit halb skeptischem, halb ironischem Gesichtsausdruck dem Vertreter der Partei der Linken, der PDL, zu, gespannt, was für eine Ansicht dieser wohl vertreten werde. Just in diesem Augenblick platzte jedoch, nach allen Seiten Wasser verspritzend, der stellvertretende Wahlvorsteher zur Tür herein und wurde erwartungsgemäß, schließlich war die Wahlmannschaft nun komplett, überaus herzlich, ja, begeistert begrüßt. Dadurch ist uns der Standpunkt des PDL-Vertreters entgangen, doch aufgrund früherer Erfahrungen können wir vermuten, dass er sich auf jeden Fall im Sinne eines klaren historischen Optimismus geäußert hätte, wie etwa, Die Wähler meiner Partei lassen sich nicht so leicht abschrecken, gehören nicht zu denen, die wegen vier lächerlicher Wassertropfen zu Hause bleiben. In Wahrheit waren es jedoch keine vier lächerlichen Wassertropfen, sondern Eimer und Krüge voll, es waren ganze Nile, Iguazus und Jangtses, doch der Glaube, gesegnet sei er für alle Zeit, lässt jene, die ihn haben, nicht nur Berge versetzen, sondern auch trockenen Fußes aus reißenden Strömen hervorgehen.
Sie setzten sich an den Tisch des Wahlvorstands, jeder an seinen Platz, der Wahlvorsteher unterschrieb die Wahlbekanntmachung und trug dem Schriftführer auf, sie wie gesetzlich vorgeschrieben an der Eingangstür anzubringen, doch der Angesprochene gab, praktischen Sachverstand beweisend, zu bedenken, dass das Papier dort keine Minute halten werde, nach zwei Sekunden wäre bereits die Tinte verlaufen und nach drei hätte der Wind es abgerissen. Dann hängen Sie es eben drinnen auf, wo der Regen nicht hinkommt, das Gesetz hat sich in dieser Hinsicht nicht festgelegt, wichtig ist nur, dass der Aushang für alle sichtbar angebracht wird. Er fragte in die Runde, ob alle einverstanden seien, was bejaht wurde, nur der Vertreter der PDR forderte zur Vorbeugung späterer Anfechtungen, die Entscheidung in der Akte zu vermerken. Als der Schriftführer von seiner feuchten Mission zurückkehrte, fragte der Wahlvorsteher, was das Wetter mache, worauf dieser achselzuckend antwortete, Nichts Neues an der Wetterfront, Irgendwelche Wähler in Sicht, Kein einziger weit und breit. Der Wahlvorsteher erhob sich und forderte Wahlvorstand und Parteienvertreter auf, mit ihm die Wahlkabine zu inspizieren, die sich als frei von Elementen, welche die Makellosigkeit der an diesem Tag stattfindenden Wahlen hätten beeinträchtigen können, erwies. Nach diesem förmlichen Ritual kehrten sie an ihre Plätze zurück, um das Wählerverzeichnis zu kontrollieren, das seinerseits keinerlei Unregelmäßigkeiten, Lücken oder Verdachtsmomente aufwies. Jetzt war der gewichtige Augenblick gekommen, da der Wahlvorsteher den Deckel der Urne abnimmt und den Wählern zeigt, dass sie leer ist, damit diese später nötigenfalls bezeugen können, dass nicht zu nächtlicher Stunde irgendwelche illegalen Handlungen stattgefunden haben, falsche Stimmzettel abgegeben wurden, die den freien und souveränen politischen Willen der Bürger unterlaufen könnten, und dass sich an diesem Ort nicht jener historische Wahlbetrug wiederholt, dem man den malerischen Namen Hütchenfüllen gegeben hat und der, das dürfen wir nicht vergessen, sowohl vor als auch während oder nach einer Wahl stattfinden kann, je nach Gelegenheit und Geschick seiner Betreiber. Die Urne war leer, rein und unbefleckt, doch gab es im ganzen Saal keinen Wähler, keinen einzigen Vorzeigewähler, dem man sie hätte vorführen können. Vielleicht irrt ja doch einer draußen herum, kämpft gegen die Wassermassen an, stellt sich dem peitschenden Wind, das Dokument, das ihn als wahlberechtigten Bürger ausweist, fest ans Herz gepresst, aber so, wie der Himmel aussieht, kann es noch lange dauern, bis er hier ankommt, falls er nicht gar lieber nach Hause zurückkehrt und die Geschicke der Stadt denen überlässt, die in einer schwarzen Limousine zum Wahllokal befördert und dort auch wieder abgeholt werden, wenn die Bürgerpflicht des im Fond Sitzenden erfüllt ist.
Nach erfolgten Prüfungen, so schreibt das Gesetz dieses Landes vor, wählen der Wahlvorsteher, die Wahlhelfer und die Parteienvertreter sowie deren jeweilige Stellvertreter, vorausgesetzt natürlich, sie sind für das Wahllokal, in dem sie am Tisch des Wahlvorstands sitzen, eingetragen, was hier der Fall ist. Obwohl sie nach Kräften Zeit zu schinden versuchten, dauerte es nur vier Minuten, bis die Urne ihre ersten elf Stimmen in Empfang nahm. Und das Warten, das unvermeidliche Warten begann. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, da schlug der unruhig gewordene Wahlvorsteher einem der Wahlhelfer vor, doch einmal nachzusehen, ob nicht doch jemand käme, vielleicht seien ja bereits Wähler aufgetaucht und schimpfend wieder gegangen, weil sie eine vom Wind verschlossene Tür vorgefunden hatten, Man hätte ja wenigstens so freundlich sein können, die Bevölkerung davon in Kenntnis zu setzen, dass die Wahl verschoben wurde, über Radio oder Fernsehen, für derlei Informationen sind sie schließlich da. Der Schriftführer sagte, Wir wissen doch alle, dass eine Tür, die der Wind zuschlägt, einen Höllenlärm macht, und hier war nichts zu hören. Der Wahlhelfer zögerte, Geh ich oder geh ich nicht, doch der Wahlvorsteher insistierte, Gehen Sie schon, tun Sie mir den Gefallen, und seien Sie vorsichtig, machen Sie sich nicht nass. Die Tür stand offen, der Bremsklotz saß ganz fest. Der Wahlhelfer streckte den Kopf hinaus, einen Augenblick nur, sah kurz in die eine, dann in die andere Richtung und zog ihn tropfnass, als hätte er ihn unter die Dusche gehalten, wieder ein. Er wollte ein guter Wahlhelfer sein, es seinem Vorgesetzten recht machen, und da er zum ersten Mal zu dieser Aufgabe herangezogen worden war, wollte er für seine Schnelligkeit und Effizienz belobigt werden, wer weiß, vielleicht käme ja einmal, wenn er mehr Erfahrung hätte, der Tag, an dem er selbst einem Wahllokal vorstand, es soll schon höhere Flüge am Zukunftshimmel gegeben haben, wundern tut das keinen mehr. Als er in den Saal zurückkam, rief der Wahlvorsteher halb bekümmert, halb belustigt aus, Aber mein Lieber, so nass hätten Sie sich doch nicht machen müssen, Halb so wild, Herr Wahlvorsteher, sagte der Wahlhelfer und fuhr sich mit dem Ärmel seiner Jacke übers Kinn, Haben Sie jemanden entdeckt, So weit meine Augen reichten, war niemand zu sehen, die Straße ist eine einzige Wasserwüste. Der Wahlvorsteher stand auf, spazierte unentschlossen vor dem Tisch auf und ab, trat an die Wahlkabine, blickte hinein und kam wieder zurück. Der PDM-Vertreter ergriff das Wort, um erneut zu bemerken, dass die Zahl der Nichtwähler drastisch ansteigen würde, der PDR-Vertreter schlug abermals einen beschwichtigenden Tonfall an, die Wähler hätten doch den ganzen Tag Zeit zum Wählen, bestimmt warteten sie nur, bis das Unwetter sich legte. Nur der PDL-Vertreter zog es vor zu schweigen, er dachte daran, wie er sich blamiert hätte, wäre ihm in dem Moment, als der stellvertretende Wahlvorsteher den Saal betrat, tatsächlich dieser Kommentar herausgerutscht, Von vier lächerlichen Wassertropfen lassen sich die Wähler meiner Partei doch nicht abschrecken. Der Schriftführer, den nun alle erwartungsvoll anblickten, entschied sich für einen praktischen Vorschlag, Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, mal beim Ministerium anzurufen und nachzufragen, wie denn die Wahl sonst verläuft, hier in der Stadt und auch in anderen Regionen, so erführen wir, ob diese patriotische Kurzschlussreaktion allgemeiner Natur ist oder ob wir die Einzigen sind, die die Wähler nicht mit ihrer Stimmabgabe beehrt haben. Da erhob sich der PDR-Vertreter, Als Vertreter der Partei der Rechten möchte ich aufs Energischste gegen diese respektlose Wortwahl und den unzulässig spöttischen Tonfall protestieren, in dem sich der Herr Schriftführer soeben über unsere Wähler geäußert hat, und dies auch im Protokoll vermerkt wissen, denn die Wähler sind die größten Stützen der Demokratie, ohne sie hätte längst die Tyrannei, eine der vielen, die es auf dieser Welt gibt, von der Heimat, die wir unser Eigen nennen, Besitz ergriffen. Der Schriftführer fragte achselzuckend, Soll ich den Antrag des Herrn Vertreters der PDR aufnehmen, Herr Wahlvorsteher, Ich glaube, das wird nicht nötig sein, wir sind einfach alle nervös, betroffen, verwirrt, und bekanntermaßen sagen wir, wenn wir in einer solchen Gemütsverfassung sind, leicht etwas, das wir gar nicht so meinen, ich bin mir sicher, der Herr Schriftführer wollte niemanden beleidigen, ist er doch selbst ein verantwortungsbewusster Wähler, was sich allein darin zeigt, dass er wie wir alle diesem Unwetter getrotzt hat und gekommen ist, seine Pflicht zu tun, dennoch hindert mich diese aufrichtige Anerkennung nicht daran, den Herrn Schriftführer zu ersuchen, sich streng auf die Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe zu konzentrieren und Kommentare, die persönliche oder politische Empfindlichkeiten anwesender Personen verletzen könnten, zu unterlassen. Der PDR-Vertreter reagierte mit einer wegwerfenden Handbewegung, die der Wahlvorsteher wohlwollend als Zustimmung interpretierte, wodurch sich der Konflikt nicht ausweitete, was in hohem Maße auch dem PDM-Vertreter zu verdanken war, der auf den Vorschlag des Schriftführers zurückkam, Eigentlich sind wir hier so etwas wie Schiffbrüchige im Ozean, ohne Segel und Kompass, ohne Mast und Ruder und ohne Treibstoff im Tank, Sie haben vollkommen Recht, sagte der Wahlvorsteher, ich werde im Ministerium anrufen. Auf dem Nebentisch stand ein Telefon, und dorthin begab er sich nun, das Blatt mit den vor einigen Tagen erhaltenen Instruktionen in der Hand, die neben vielen nützlichen Hinweisen auch die Telefonnummern des Innenministeriums enthielten.
Das Gespräch dauerte nicht lange, Hier spricht der Wahlvorsteher des Wahllokals Nummer vierzehn, ich bin sehr beunruhigt, hier tut sich etwas höchst Merkwürdiges, bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch kein einziger Wähler erschienen, obwohl wir seit über einer Stunde geöffnet haben, keine Menschenseele hat sich blicken lassen, ja natürlich, das Unwetter will kein Ende nehmen, Regen, Wind, Überschwemmungen, ja natürlich harren wir hier standhaft und geduldig aus, deshalb sind wir ja gekommen, das ist doch selbstverständlich. Von da an trug der Wahlvorsteher nur noch mit mehrmaligem Kopfnicken, ein paar unterdrückten Ausrufen und drei oder vier angefangenen und nicht beendeten Sätzen zu dem Gespräch bei. Als er den Hörer auflegte, blickte er seine Tischkollegen an, doch in Wirklichkeit sah er sie gar nicht, es war, als hätte er ein Bild mit lauter leeren Sälen vor Augen, mit unberührten Wählerverzeichnissen, wartenden Wahlvorstehern und Schriftführern, Parteienvertretern, die sich misstrauisch beäugten und ausrechneten, wem wohl die Situation zum Vorteil und wem zum Nachteil gereichte, und im Hintergrund ein durchnässter, diensteifriger Wahlhelfer, der gerade von der Eingangstür zurückkommt und verkündet, es sei niemand in Sicht. Was hat das Innenministerium gesagt, fragte der PDM-Vertreter, Sie wissen auch nicht, was sie davon halten sollen, natürlich bleiben bei dem schlechten Wetter viele zu Hause, aber dafür, dass überall in der Stadt praktisch das Gleiche passiert wie hier, haben sie keine Erklärung, Warum sagen Sie praktisch, fragte der PDR-Vertreter, In einigen Wahllokalen, allerdings nur in ganz wenigen, sind Wähler erschienen, aber der Zulauf ist äußerst gering, so etwas hat es noch nie gegeben, Und im übrigen Land, fragte der Vertreter der Linken, es regnet doch nicht nur in der Hauptstadt, Das ist ja das Beunruhigende, an manchen Orten regnet es genauso stark wie hier, und trotzdem gehen die Menschen wählen, natürlich sind es in Gegenden, wo schönes Wetter herrscht, mehr, und wenn wir schon beim Thema sind, es heißt, der Wetterbericht hat eine Besserung für den späten Vormittag vorausgesagt, Trotzdem kann es auch noch schlimmer kommen, denken Sie nur an das Sprichwort, Am Mittag zieht’s sich zu, oder es klart auf, warf der zweite Wahlhelfer ein, der bis dahin noch nicht den Mund aufgemacht hatte. Es wurde still. Da fasste der Schriftführer in die Außentasche seines Jacketts, holte ein Mobiltelefon heraus und wählte eine Nummer. Während er auf die Verbindung wartete, sagte er, Das ist ungefähr so wie die Geschichte vom Berg und dem Propheten, da wir die Wähler, die wir nicht kennen, nicht fragen können, warum sie nicht wählen kommen, fragen wir eben die Familienangehörigen, die wir kennen, Hallo, Liebes, ich bin’s, du bist also zu Hause, warum bist du noch nicht wählen gekommen, dass es regnet, weiß ich wohl, meine Hosenbeine sind immer noch nass, ja, das stimmt, entschuldige, ich habe vergessen, dass du mir gesagt hast, du würdest nach dem Mittagessen kommen, natürlich, ich ruf dich an, weil das hier ganz schön vertrackt ist, wenn ich dir sage, dass bisher kein einziger Wähler erschienen ist, um seine Stimme abzugeben, dann glaubst du mir womöglich gar nicht, ist gut, dann warte ich hier auf dich, Küsschen. Er legte auf und bemerkte süffisant, Zumindest eine Stimme ist gesichert, meine Frau kommt heute Nachmittag. Der Wahlvorsteher und die übrigen Mitglieder des Wahlvorstands sahen einander an, es war klar, dass sie dem Beispiel folgen mussten, doch keiner von ihnen wollte der Erste sein, denn damit hätten sie indirekt zugegeben, dass der Schriftführer hinsichtlich Einfallsreichtum und Beherztheit in diesem Wahllokal den Sieg davongetragen hatte. Dem Wahlhelfer, der zur Tür gegangen war, um nachzusehen, ob es noch regnete, fiel die Einsicht nicht schwer, dass er noch viel lernen musste, um an einen Schriftführer wie diesen hier heranzureichen, der mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt einem Mobiltelefon eine Stimme abringt, so wie ein Zauberkünstler ein Kaninchen aus dem Hut zaubert. Als er sah, dass der Wahlvorsteher sich in eine Ecke zurückgezogen hatte und mit seinem Mobiltelefon zu Hause anrief und dass die anderen es ihm in diskretem Flüsterton mit wiederum eigenen Telefonen gleichtaten, würdigte der Wahlhelfer von der Tür insgeheim den Anstand seiner Kollegen, nicht die dort installierten, für den offiziellen Gebrauch bestimmten Festnetzapparate zu benutzen und somit dem Staat Geld zu sparen. Der Einzige, der, da er kein Mobiltelefon besaß, wohl oder übel darauf warten musste, was die anderen erzählten, war der PDL-Vertreter, wobei noch hinzugefügt werden muss, dass der arme Mann allein in der Hauptstadt wohnte, seine Familie hingegen auf dem Land, und er daher niemanden hatte, den er hätte anrufen können. Eins nach dem anderen wurden die Gespräche beendet, am längsten dauert das des Wahlvorstehers, der offensichtlich die Person, mit der er spricht, zwingen will, auf der Stelle zu kommen, was soll das noch werden, eigentlich hätte ja er als Erster anrufen müssen, doch da der Schriftführer ihm nun einmal zuvorgekommen ist, sei es auch recht, schließlich haben wir bereits gesehen, dass dieser zum Schlag der forschen Menschen zählt, hätte er die Hierarchie gewahrt, so wie wir das tun, hätte er die Idee einfach an seinen Vorgesetzten weitergegeben. Der Brust des Wahlvorstehers entrang sich ein tiefer Seufzer, er steckte das Telefon ein und fragte, Nun, haben Sie etwas erfahren. Die Frage war nicht nur überflüssig, sondern auch, wie sollen wir sagen, ein klein bisschen unfair, erstens, weil man, so wie das Wort Erfahren zu verstehen ist, immer etwas erfährt, selbst wenn es uns nichts nützt, und zweitens, weil der Fragende eindeutig seine Amtsautorität missbrauchte, um von seiner eigenen Pflicht, nämlich höchstpersönlich den Informationsaustausch einzuleiten, abzulenken. Wenn wir also diesen Seufzer und den fordernden Nachdruck, den wir zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Telefongespräch herauszuhören meinten, noch nicht vergessen haben, müssen wir folgerichtig annehmen, dass das Gespräch mit der betreffenden Person, vermutlich einem Familienmitglied, nicht so angenehm und ergebnisreich verlaufen ist, wie es seinem berechtigten Staatsbürger- und Wahlvorsteherinteresse gebührte, und dass er sich nun, da er nicht die Nerven hat, auf die Schnelle etwas zu erfinden, aus der Affäre zieht, indem er seine Untergebenen auffordert, sich zu äußern, was, wie wir ebenfalls wissen, eine andere, moderne Art ist, den Chef zu spielen. Die Wahlvorstandsmitglieder und Parteienvertreter, mit Ausnahme des Vertreters der PDL, der in Ermangelung eigener Neuigkeiten nur zuhörte, erklärten, dass ihre Familienangehörigen keine Lust hätten, nass zu werden, und lieber darauf warteten, dass der Himmel endlich aufklarte und das Volk zum Wählen animierte, oder dass sie, wie die Frau des Schriftführers, ohnehin vorgehabt hätten, am Nachmittag wählen zu gehen. Der Wahlhelfer von der Tür wirkte als Einziger zufrieden, man sah seinem gefälligen Gesichtsausdruck an, dass er auf seine Verdienste stolz sein konnte, was in Worte übersetzt Folgendes ergab, Bei mir hat niemand abgenommen, und das kann nur bedeuten, dass sie bereits unterwegs sind. Der Wahlvorsteher setzte sich auf seinen Platz, und das Warten begann von neuem.
Eine knappe Stunde darauf erschien endlich der erste Wähler. Entgegen der allgemeinen Erwartung und zum Bedauern des Wahlhelfers von der Tür war es ein Unbekannter. Er stellte den triefnassen Regenschirm am Eingang ab und trat, mit einem nass glänzenden Plastikregencape und Gummistiefeln bekleidet, an den Tisch. Mit einem Lächeln auf den Lippen hatte der Wahlvorsteher sich erhoben, dieser Wähler, ein Mann in fortgeschrittenem Alter, indes noch rüstig, kündigte die Rückkehr zur Normalität an, zur üblichen Schlange pflichtbewusster Bürger, die langsam und ohne Ungeduld vorwärts schritten und sich der außerordentlichen Bedeutung dieser Kommunalwahlen bewusst waren, wie der PDR-Vertreter es ausgedrückt hatte. Der Mann reichte dem Wahlvorsteher seinen Personal- und Wählerausweis, dieser las mit zitternder, regelrecht glücklicher Stimme Ausweisnummer und Name des Besitzers vor, die für das Ankreuzen zuständigen Wahlhelfer blätterten die Wählerverzeichnisse durch, wiederholten, als sie sie gefunden hatten, Namen und Nummer und machten ihr Kreuz, anschließend ging der Mann, noch immer triefend, mit seinem Stimmzettel in die Wahlkabine, kam kurz darauf mit dem doppelt gefalteten Zettel wieder, reichte ihn dem Wahlvorsteher, der ihn mit feierlicher Miene in die Urne steckte, der Mann erhielt seine Papiere zurück und ging hinaus, den Regenschirm in der Hand. Der zweite Wähler tauchte erst zehn Minuten später auf, doch von da an fielen die Stimmzettel regelmäßig, wenngleich tröpfchenweise und ohne große Begeisterung in die Urne, wie Herbstblätter, die sich nur langsam von den Zweigen lösen. Sosehr der Wahlvorsteher und die Wahlhelfer auch die einzelnen Schritte der Wahl in die Länge zogen, es wollte sich einfach keine Schlange bilden, es waren höchstens drei bis vier Personen, die anstehen mussten, und aus drei bis vier Personen lässt sich, sosehr diese sich auch anstrengen, nie im Leben eine Schlange bilden, die diesen Namen auch verdient. Ich hatte doch Recht, bemerkte der PDM-Vertreter, die Zahl der Nichtwähler wird immens sein, absolut extrem, und danach wird es nur Uneinigkeit geben, die einzige Lösung wird sein, die Wahl zu wiederholen, Vielleicht lässt der Sturm ja nach, sagte der Wahlvorsteher mit Blick auf die Uhr und murmelte, als wollte er beten, Es ist fast zwölf. Entschlossen stand der, dem wir den Namen Wahlhelfer von der Tür gegeben haben, auf, Wenn Sie gestatten, Herr Wahlvorsteher, sehe ich mal nach dem Wetter, jetzt, wo wir niemanden zum Wählen hier haben. Es dauerte nur einen Augenblick, mit dem linken Fuß war er losgegangen, mit dem rechten wieder zurückgekehrt, und glücklich verkündete er die gute Nachricht, Es regnet kaum noch, und der Himmel klart schon ein wenig auf. Es fehlte nicht viel, und Wahlvorstand und Parteienvertreter hätten in einer Umarmung zusammengefunden, doch die Freude war nur von kurzer Dauer. An dem gleichförmigen, tröpfelnden Eintreffen der Wähler änderte sich nichts, es kam einer, es kamen zwei, es kamen die Frau, die Mutter und eine Tante des Wahlhelfers von der Tür, es kam der ältere Bruder des PDR-Vertreters, es kam die Schwiegermutter des Wahlvorstehers, die ihren niedergeschlagenen Schwiegersohn ohne den gebührenden Respekt gegenüber der Wahlhandlung wissen ließ, dass ihre Tochter erst gegen Abend käme, Sie will vielleicht noch ins Kino, fügte sie unbarmherzig hinzu, es kamen die Eltern des stellvertretenden Wahlvorstehers, es kamen andere, nicht zu diesen Familien zählende Personen, gleichgültig kamen sie herein, gleichgültig gingen sie wieder hinaus, die Stimmung hob sich erst, als zwei PDR-Politiker und wenige Minuten später einer der PDM erschienen und zur allgemeinen Freude auch noch eine Fernsehkamera aus dem Nichts auftauchte und später ins Nichts zurückkehrte, ein Journalist bat, eine Frage stellen zu dürfen, Wie läuft die Wahl, und der Wahlvorsteher antwortete, Es könnte besser laufen, aber jetzt, da sich das Wetter offensichtlich bessert, wird der Wählerzustrom sicherlich zunehmen, Wir haben in den übrigen Wahllokalen der Stadt den Eindruck gewonnen, dass die Wahlbeteiligung diesmal sehr gering ausfallen wird, bemerkte der Journalist, Ich sehe die Dinge lieber optimistisch, verlasse mich auf den positiven Einfluss des Wetters auf das Wählerverhalten, es braucht nur am Nachmittag nicht zu regnen, und schon haben wir das, was der Sturm uns heute Morgen zu rauben versucht hat, wieder aufgeholt. Der Journalist zog zufrieden von dannen, der Ausspruch war hübsch gewesen und würde zumindest den Untertitel für eine Reportage abgeben. Und da es an der Zeit war, dem Magen etwas Gutes zu tun, teilten sich Wahlvorstand und Parteienvertreter in Schichten ein, um an Ort und Stelle, ein Auge auf das Wählerverzeichnis, das andere auf das Sandwich gerichtet, zu Mittag zu essen.
Es hatte aufgehört zu regnen, doch nichts deutete darauf hin, dass die patriotischen Hoffnungen des Wahlvorstehers auf eine volle Urne in Erfüllung gehen würden, bedeckten doch derzeit die Stimmzettel kaum deren Boden. Alle Anwesenden dachten das Gleiche, nämlich dass die Wahl bereits ein riesiger politischer Misserfolg war. Die Zeit verging. Die Turmuhr hatte gerade halb vier geschlagen, als die Frau des Schriftführers zum Wählen kam. Ehemann und Ehefrau lächelten sich diskret, doch auch irgendwie verschwörerisch zu, ein Lächeln, das dem Wahlvorsteher einen Stich versetzte, vielleicht war es die schmerzliche Erkenntnis, dass er niemals an einem solchen Lächeln teilhaben würde. Mit irgendeiner Faser seines Körpers, in irgendeinem Winkel seines Geistes schmerzte es ihn immer noch, als er dreißig Minuten später auf die Uhr sah und sich fragte, ob seine Frau wohl tatsächlich ins Kino gegangen sei. Bestimmt taucht sie erst in allerletzter Minute auf, wenn überhaupt, dachte er. Es gibt viele Arten, das Schicksal zu beschwören, und fast alle sind müßig, doch diese hier, eine der gängigsten, nämlich vorsätzlich das Schlimmste anzunehmen in der Hoffnung, dass das Beste eintrifft, könnte ein ernst zu nehmender Versuch sein, nur wird er im vorliegenden Fall nicht zum Erfolg führen, da wir aus äußerst zuverlässiger Quelle wissen, dass die Frau des Wahlvorstehers tatsächlich ins Kino gegangen ist und sich zumindest bis jetzt noch nicht sicher ist, ob sie überhaupt wählen geht. Glücklicherweise bestimmt das bereits früher erwähnte Gleichgewichtsstreben, welches das Universum in den Fugen und die Planeten in den Bahnen hält, dass, wann immer auf der einen Seite etwas weggenommen wird, auf der anderen etwas in Menge, Qualität und Größe annähernd Entsprechendes hinzugefügt wird, und das möglicherweise, damit die Beschwerden über Ungleichbehandlung nicht überhand nehmen. Sonst würde man auch nicht verstehen, weshalb um vier Uhr nachmittags, zu einer Zeit, die nicht früh und nicht spät, nicht Fisch und nicht Fleisch ist, die Wähler, die bis dahin lieber in ihrem stillen Zuhause geblieben waren und die Wahl offen zu ignorieren schienen, plötzlich auf die Straße gingen, die meisten von ihnen eigenständig, andere mit der verdienstvollen Hilfe von Feuerwehrleuten und Freiwilligen, da ihre Wohnorte noch überschwemmt und unbegehbar waren, und alle, alle, die Gesunden wie die Kranken, Erstere eigenständig, Letztere in Rollstühlen, auf Tragen oder in Krankenwagen, wie Flüsse, die einzig den Weg zum Meer kennen, zu ihren jeweiligen Wahllokalen strömten. Die skeptischen oder auch nur misstrauischen Geister, jene, die nur an Wunder glauben, aus denen sie irgendwie Profit schlagen können, werden den Eindruck gewinnen, dass das zuvor erwähnte Gleichgewichtsstreben hier schamlos verfälscht wurde, dass der fiktive Zweifel, ob die Frau des Wahlvorstehers wohl wählen kommt oder nicht, vom kosmischen Standpunkt aus betrachtet in jeder Hinsicht zu unbedeutend ist, um dadurch aufgewogen zu werden, dass in einer der vielen Städte dieser Erde plötzlich Tausende und Abertausende von Menschen jeglichen Alters und sozialer Herkunft beschließen, das Haus zu verlassen, um wählen zu gehen, ohne sich vorher über ihre politischen und ideologischen Differenzen zu verständigen. Wer so argumentiert, vergisst, dass das Universum für die unterschiedlichen Träume und Sehnsüchte der Menschheit nicht nur seine eigenen, befremdlichen Gesetze hat und dass wir zu deren Formulierung lediglich mit den Begriffen beitragen, mit denen wir diese mehr schlecht als recht belegen, sondern dass es diese Gesetze auch allem Anschein nach für Ziele einsetzt, die unser Verständnis übersteigen und von jeher überstiegen haben, und fällt es uns im Augenblick auch schwer, das eklatante Missverhältnis zwischen dem, was der Urne vielleicht, vorläufig nur vielleicht, geraubt wird, nämlich der Stimme der vermeintlich unsympathischen Gattin des Wahlvorstehers, und der Flut von Männern und Frauen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, als elementare statistische Gerechtigkeit zu akzeptieren, so verlangt doch die Klugheit, dass wir uns eine Zeit lang jeglichen endgültigen Urteils enthalten und mit zuversichtlicher Aufmerksamkeit der Entwicklung der Dinge harren, die sich gerade erst abzuzeichnen beginnen. Und genau das tun, von professioneller Begeisterung und unstillbarem Informationsdurst gepackt, gerade die Journalisten von Presse, Rundfunk und Fernsehen, sie rennen hin und her, halten den Menschen ihre Aufnahmegeräte und Mikrophone unter die Nase, fragen, Was hat sie dazu veranlasst, um vier Uhr das Haus zu verlassen und wählen zu gehen, finden Sie es nicht unglaublich, dass alle zur gleichen Zeit auf die Straße gegangen sind, sie müssen sich harsche oder gar aggressive Antworten anhören wie zum Beispiel, Weil das genau die Uhrzeit ist, zu der ich gehen wollte, Als freie Staatsbürger verlassen und betreten wir unser Haus, wann es uns passt, wir schulden niemandem eine Erklärung für unsere Handlungen, Wie viel bezahlt man Ihnen für diese dummen Fragen, Wen geht es etwas an, um welche Uhrzeit ich das Haus verlasse, In welchem Gesetz steht geschrieben, dass ich verpflichtet bin, auf diese Frage zu antworten, Ich rede nur im Beisein meines Anwalts. Es gab auch wohlerzogene Menschen, die nicht in diesem scharfen Ton antworteten, doch nicht einmal sie konnten die unersättliche journalistische Neugier befriedigen, zuckten doch auch sie nur die Achseln und sagten, Ich habe den größten Respekt vor Ihrer Arbeit und würde Ihnen liebend gern zu einer guten Reportage verhelfen, aber leider kann ich Ihnen nur sagen, dass ich auf die Uhr geschaut und gesehen habe, dass es vier ist, und zu meiner Familie gesagt habe, Los, wir gehen, jetzt oder nie, Jetzt oder nie, warum, Das ist genau der springende Punkt, der Satz ist mir einfach so herausgerutscht, Denken Sie nach, strengen Sie sich an, Das bringt nichts, fragen Sie jemand anders, vielleicht weiß der ja mehr, Ich habe bereits fünfzig Personen befragt, Und, Niemand kann es mir beantworten, Da sehen Sie’s, Aber halten Sie es nicht für einen merkwürdigen Zufall, dass Tausende von Menschen genau gleichzeitig ihre Häuser verlassen haben, um wählen zu gehen, Sicher war es ein Zufall, aber vielleicht kein merkwürdiger, Warum, Ach, was weiß ich. Die Kommentatoren der verschiedenen Fernsehanstalten, die den Wahlhergang begleiteten und mangels klarer Bewertungskriterien wagten, aus Flug und Gesang der Vögel ihre Schlussfolgerungen zu ziehen, die beklagten, dass Tieropfer, mittels derer man in den noch warmen Gedärmen die Geheimnisse von Zeit und Schicksal lesen konnte, nicht mehr erlaubt waren, erwachten plötzlich aus der Starre, in die sie die mehr als düsteren Aussichten für diese Wahl versetzt hatten, und stürzten sich, ohne sich weiter mit Zufällen aufzuhalten, die sie als unvereinbar mit ihrem erzieherischen Auftrag erachteten, wie Löwen auf dieses außergewöhnliche Exempel für Gemeinsinn, das die Hauptstadtbevölkerung dem Land darbot, indem sie zuhauf an die Urnen strömte, wo doch gerade noch das Schreckgespenst einer in der Geschichte der Demokratie nie da gewesenen Wahlenthaltung die Stabilität des Regimes und, was weitaus schwerwiegender war, die des Systems ernsthaft bedroht hatte. Die vom Innenministerium abgegebene offizielle Erklärung klang nicht ganz so dramatisch, doch auch bei ihr war aus jeder Zeile die Erleichterung der Regierung herauszuhören. Was die drei konkurrierenden Parteien betraf, die der Rechten, der Mitte und der Linken, so rechneten sich diese bereits die Gewinne oder Verluste aus, die diese unerwartete Bürgerbewegung ihnen einbringen würde, sprachen öffentlich Gratulationen aus, in denen es, neben anderen Stilblüten, zum Beispiel hieß, die Demokratie sei zu beglückwünschen. In ähnlicher Manier äußerten sich, die Nationalflagge im Rücken, zunächst der Staatschefin seinem Palast und dann der Premierminister in seinem Palästchen. Vor den Türen der Wahllokale bildeten sich dreireihige Wählerschlangen, die ganze Häuserblocks umrundeten und deren Ende gar nicht mehr zu erkennen war.
Wie alle anderen Wahlvorsteher der Stadt war sich der des Wahllokals Nummer vierzehn sehr wohl bewusst, dass er einem einzigartigen historischen Augenblick beiwohnte. Zu fortgeschrittener Stunde, als das Innenministerium bereits eine zweistündige Verlängerung der Wahlzeit zugestanden hatte, die später noch einmal um eine halbe Stunde ausgedehnt werden musste, damit all die Wähler, die sich in dem Gebäude drängten, ihr Wahlrecht ausüben konnten, als der erschöpfte und hungrige Wahlvorstand zusammen mit den Parteienvertretern endlich vor dem Berg von Stimmzetteln stand, die der Inhalt der beiden Urnen ergeben hatte, wobei die zweite auf die Schnelle beim Ministerium hatte angefordert werden müssen, ließ sie die Dimension der bevorstehenden Aufgabe erzittern, in einem Gefühl, das wir ohne Scheu als episch oder heroisch bezeichnen wollen, als seien die guten Geister der Heimat auf magische Weise in diesen Zetteln wiedererstanden. Einer dieser Zettel stammte von der Frau des Wahlvorstehers. Ein Impuls hatte sie bewogen, das Kino zu verlassen und wählen zu gehen, zwei Stunden brachte sie in einer Schlange zu, die im Schneckentempo voranschritt, und als sie endlich vor ihrem Mann stand, als sie ihn ihren Namen aussprechen hörte, verspürte sie in ihrem Herzen etwas, das vielleicht der Hauch eines alten Glücks war, lediglich der Hauch, dennoch dachte sie, dass sich allein deswegen das Kommen gelohnt hatte. Es war bereits nach Mitternacht, als die Auszählung abgeschlossen war. Die gültigen Stimmen machten nicht einmal fünfundzwanzig Prozent aus und verteilten sich auf die Partei der Rechten mit dreizehn, auf die der Mitte mit neun und die der Linken mit zweieinhalb Prozent. Es gab nur sehr wenige ungültige Stimmen, sehr wenige Nichtwähler. Alle anderen Stimmzettel, über siebzig Prozent, waren leer und weiß.