Читать книгу Die Stadt der Sehenden - Жозе Сарамаго - Страница 7

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Dem Verteidigungsminister, einem Zivilen, der nicht beim Militär gedient hatte, war der Ausnahmezustand zu milde, er hatte sich einen echten, authentischen Belagerungszustand vorgestellt, einen Ausnahmezustand im wahrsten Sinne des Wortes, hart und unerbittlich wie eine bewegliche Mauer, mit der man den Aufstand isolieren und anschließend in einem fulminanten Gegenschlag niederwerfen könnte, Ehe die Pest und das Verderben auf den gesunden Teil des Landes übergreifen, warnte er. Der Premierminister gab zu, die Lage sei äußerst ernst, das Vaterland sei Opfer eines schändlichen Anschlags auf die Grundfesten der parlamentarischen Demokratie geworden, Ich würde es eher einen Tiefschlag gegen das System nennen, erlaubte sich der Verteidigungsminister zu widersprechen, So ist es, doch bin ich der Meinung, und der Staatschef stimmt in diesem Punkt mit mir überein, dass wir uns, auch wenn wir die Gefahren des Augenblicks keinesfalls aus den Augen verlieren und unsere Mittel und Ziele stets darauf abstimmen sollten, trotzdem zunächst behutsamer, weniger auffälliger und dennoch vielleicht wirkungsvollerer Methoden bedienen sollten, als die Straßen der Stadt von den Streitkräften besetzen zu lassen, den Flughafen zu schließen und an den Ausgängen der Stadt Sperren zu errichten, Und was sollen das für Methoden sein, fragte der Verteidigungsminister, ohne in irgendeiner Weise seinen Unmut zu verbergen, Keine, die Sie nicht bereits kennen, wie Sie wissen, verfügen die Streitkräfte über eigene Spionagedienste, Wir nennen die unseren Gegenspionagedienste, Das ist doch dasselbe, Ja, aber jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen, Ich wusste, dass Sie es verstehen würden, sagte der Premierminister, während er gleichzeitig dem Innenminister ein Zeichen gab. Dieser ergriff das Wort, Ohne hier auf Einzelheiten der Operation eingehen zu wollen, die, wie Sie bestimmt verstehen werden, geheim sind, um nicht zu sagen top secret, basiert der von meinem Ministerium ausgearbeitete Plan im Wesentlichen auf einer weiträumigen, systematischen Infiltrierung der Bevölkerung, durchgeführt von entsprechend ausgebildeten Agenten, die uns Erkenntnisse über die Gründe für das Vorgefallene verschaffen und in die Lage versetzen soll, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, damit wir das Übel gleich an der Wurzel packen können, Von Wurzel kann hier wohl keine Rede sein, eher von einem ausgewachsenen Problem, bemerkte der Justizminister, Das war doch nur eine Redensart, antwortete der Innenminister in leicht gereiztem Ton und fuhr fort, An dieser Stelle soll dem Ministerrat auch mitgeteilt werden, und diese Information ist streng vertraulich, dass die Spionagedienste, man verzeihe mir die Wiederholung, die meinem Kommando unterstehen, oder besser gesagt, die meinem Ministerium zugeordnet sind, nicht ausschließen, dass die Wurzel der Geschehnisse in Wahrheit im Ausland steckt, dass das, was wir hier erleben, nur die Spitze des Eisbergs einer gigantischen internationalen Verschwörung zum Zwecke der politischen Destabilisierung ist, vermutlich anarchistischen Ursprungs, die sich aus bislang ungeklärten Gründen unser Land als erstes Versuchskaninchen ausgesucht hat, Merkwürdige Vorstellung, sagte der Kulturminister, meines Wissens strebten die Anarchisten nie Aktionen dieser Art und Tragweite an, nicht einmal theoretisch, Das liegt vielleicht daran, gab der Verteidigungsminister sarkastisch zurück, dass sich das Wissen unseres geschätzten Kollegen zeitlich noch immer auf die idyllische Welt seiner Großeltern bezieht, doch seitdem, so merkwürdig Ihnen das vorkommen mag, hat sich einiges verändert, es gab die Zeit eines teils romantischen, teils blutigen Nihilismus, aber womit wir uns heute konfrontiert sehen, ist blanker, purer Terrorismus, anderer Ausprägung zwar, doch identisch in seinem Wesenskern, Vorsicht mit den Übertreibungen und leichtfertigen Verallgemeinerungen, mischte sich der Justizminister ein, es erscheint mir riskant, um nicht zu sagen unzulässig, ein paar weiße Stimmzettel in den Urnen als Terrorismus und noch dazu als blanken und puren zu bezeichnen, Ein paar weiße Stimmzettel, ein paar weiße Stimmzettel, stammelte der Verteidigungsminister nahezu sprachlos vor Empörung, wie kann man dreiundachtzig von hundert Stimmen ein paar nennen, sagen Sie mir das, wo wir doch endlich begreifen und uns klar machen sollten, dass jede dieser Stimmen ein unter Wasser abgefeuerter Torpedo war, Mag sein, dass mein Wissen über den Anarchismus nicht ganz aktuell ist, das will ich gar nicht bestreiten, sagte der Kulturminister, aber soweit mir bekannt ist, auch wenn ich mich keineswegs als Spezialist für Seeschlachten bezeichnen möchte, werden Torpedos immer unter Wasser abgefeuert, was anderes bleibt ihnen gar nicht übrig, denn genau dafür wurden sie gebaut. Der Innenminister sprang wie von der Tarantel gestochen auf, wollte seinen Kollegen von der Verteidigung gegen diese scherzhafte Bemerkung verteidigen, vielleicht auch den Mangel an politischem Taktgefühl in diesem Ministerrat anprangern, doch da schlug der Regierungschef, Einhalt und Ruhe gebietend, mit der flachen Hand auf den Tisch, Die Herren Kultur- und Verteidigungsminister können den akademischen Disput, auf den sie sich offensichtlich eingelassen haben, draußen zu Ende führen, doch möchte ich daran erinnern, dass wir uns hier in diesem Saal, der nicht nur das Parlament, sondern auch das Herz der Macht und der Demokratie repräsentiert, versammelt haben, um Entscheidungen zu treffen, die unser Land aus der schwersten Krise seit Jahrhunderten führen sollen, das ist unsere Herausforderung, und deshalb meine ich, wir sollten angesichts dieser immensen Aufgabe die unsinnigen Wortklaubereien und Haarspaltereien einstellen, die unserer Verantwortung unwürdig sind. Er machte eine Pause, die niemand zu unterbrechen wagte, und fuhr fort, Dem Herrn Verteidigungsminister sei jedoch mit aller Deutlichkeit gesagt, dass die Tatsache, dass der Regierungschef sich in dieser ersten Phase der Krisenbewältigung für die Ausführung des von den zuständigen Diensten des Innenministers entworfenen Plans entschieden hat, nicht bedeutet und auch niemals bedeuten kann, dass das Mittel des Belagerungszustands endgültig verworfen wurde, alles wird vom weiteren Verlauf der Ereignisse abhängen, von den Reaktionen der Hauptstadtbevölkerung, von der Stimmung im übrigen Land, von dem nicht immer berechenbaren Verhalten der Opposition, in diesem Fall vor allem der PDL, die kaum noch etwas zu verlieren hat und daher möglicherweise das bisschen, das ihr noch bleibt, in riskanter Weise aufs Spiel setzt, Ich meine, wir müssen uns nicht groß sorgen wegen einer Partei, die gerade mal ein Prozent der Stimmen erlangt hat, bemerkte der Innenminister mit einem verächtlichen Achselzucken, Haben Sie ihr Kommuniqué gelesen, fragte der Premierminister, Selbstverständlich, politische Kommuniqués zu lesen ist Bestandteil meiner Arbeit, zählt zu meinen Pflichten, zwar gibt es Leute, die ihre Assistenten dafür bezahlen, ihnen das Essen vorgekaut auf dem Teller zu servieren, aber ich gehöre zur alten Schule, vertraue nur auf meinen eigenen Kopf, selbst wenn der sich irrt, Sie vergessen, dass die Minister letztlich die Assistenten des Regierungschefs sind, Das empfinde ich als Ehre, Herr Premierminister, doch der Unterschied, der große Unterschied besteht darin, dass wir Ihnen das Essen bereits verdaut vorsetzen, Nun denn, lassen wir das Thema Gastronomie und Verdauung beiseite und kommen wir zurück zu dem Kommuniqué der PDL, sagen Sie mir, was Sie davon halten, Es handelt sich hierbei um eine plumpe, naive Abwandlung des alten Mottos, lässt sich der Feind nicht besiegen, so verbünde man sich mit ihm, Und auf den vorliegenden Fall angewandt, Auf den vorliegenden Fall angewandt, Herr Premierminister, wenn die Stimmen nicht dir gehören, dann sieh zu, dass es wenigstens so aussieht, Trotz allem empfiehlt es sich, wachsam zu sein, der Trick kann bei der eher links gerichteten Bevölkerung durchaus Wirkung zeigen, Von der wir im Augenblick gar nicht recht wissen, wer sie eigentlich ist, sagte der Justizminister, ich stelle fest, dass wir uns nicht laut und ehrlich eingestehen wollen, dass die große Mehrheit besagter dreiundachtzig Prozent Wähler unserer Partei und der PDM sind, und eigentlich sollten wir uns fragen, warum sie weiße Stimmzettel abgegeben haben, darin liegt das Hauptproblem und nicht in der geschickten oder naiven Argumentation der PDL, In der Tat, genau genommen ist unsere Taktik nicht viel anders als die der PDL, antwortete der Premierminister, sprich, wenn du schon nicht die Mehrheit der Stimmen erlangt hast, dann tu zumindest so, als hätten deine Gegner sie auch nicht erlangt, Mit anderen Worten, sagte von einer Ecke des Tischs der Verkehrs- und Kommunikationsminister, wir haben alle dasselbe Ziel, Das ist vielleicht eine zu vorschnelle Definition unserer derzeitigen Lage, ich betrachte das Ganze wohlgemerkt gerade von einem rein politischen Standpunkt, dennoch ist sie nicht ganz von der Hand zu weisen, sagte der Premierminister und erklärte die Debatte für beendet.

Der umgehend verhängte Ausnahmezustand zerschlug wie ein salomonisches, von der Vorsehung diktiertes Urteil den gordischen Knoten, den die Massenmedien und insbesondere die Zeitungen seit dem unglückseligen Ausgang der ersten Wahl und dem noch dramatischeren der zweiten mehr oder weniger geschickt, mehr oder weniger subtil, doch stets betont beiläufig zu lösen versucht hatten. Einerseits war es ihre unverkennbare, ihre elementare Pflicht, mit patriotisch gefärbter Empörung sowohl in den eigenen Leitartikeln als auch den von außen angeforderten Stellungnahmen das unerwartete, unverantwortliche Verhalten einer Wählerschaft zu verdammen, die im Zuge einer seltsamen, unheilvollen Entartung blind geworden war für die höchsten Interessen der Heimat, die das politische Leben des Landes auf nie da gewesene Weise gelähmt und in eine dunkle Gasse geführt hatte, aus der nicht einmal der Klügste mehr einen Ausweg fand. Andererseits musste jedes Wort, das geschrieben wurde, vorsichtig abgewogen, mussten Empfindlichkeiten berücksichtigt werden, man tat sozusagen stets zwei Schritte vor und einen zurück, damit die Leser nicht ihrer Zeitung, die sie wie Verräter oder Irre behandelte, nach all den Jahren perfekter Harmonie und fleißiger Lektüre die Freundschaft kündigten. Die Verhängung des Ausnahmezustands, welcher der Regierung entsprechende Machtbefugnisse einräumte und mit einem Federstreich sämtliche Verfassungsrechte aufhob, erlöste die Chefredakteure und Verwaltungsleiter schließlich von dieser unbequemen Last und finsteren Bedrohung. Die eingeschränkte Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, die Zensur, die dem Redakteur stets über die Schulter linste, bot die perfekte Entschuldigung und beste Rechtfertigung, Natürlich würden wir unseren geschätzten Lesern liebend gern eine von missbräuchlicher Einmischung und unhaltbaren Beschneidungen freie Informations- und Meinungsbildung ermöglichen, hieß es, denn das ist ihr gutes Recht, vor allem in so heiklen Situationen wie dieser, doch die Lage ist, wie sie ist, und nur wer stets dem ehrbaren Journalistenhandwerk nachgegangen ist, weiß, wie schmerzlich es ist, wenn die eigene Arbeit praktisch rund um die Uhr überwacht wird, außerdem, und das sage ich hier ganz im Vertrauen, sind doch in erster Linie die Hauptstadtwähler für diese ganze Misere verantwortlich und nicht die anderen, die aus der Provinz, aber leider gestattet uns die Regierung trotz inständiger Bitten nicht eine zensierte Ausgabe für hier und eine freie für das übrige Land, gestern erst sagte uns ein hoher Beamter vom Ministerium, die richtige Zensur sei wie die Sonne, wenn sie aufgeht, dann geht sie für alle auf, für uns ist das nichts Neues, wussten wir doch, dass so die Welt funktioniert, dennoch zahlen immer die Gerechten für die Sünden der anderen. Trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen, in Bezug auf die Form wie auch den Inhalt, wurde bald deutlich, dass das Interesse an der Zeitungslektüre drastisch zurückgegangen war. Aus dem verständlichen Bedürfnis, in alle Richtungen aktiv zu werden, meinten einige Zeitungen, den Lesermangel dadurch bekämpfen zu können, dass sie ihre Seiten mit nackten Leibern in neuartigen Gärten der Lüste füllten, weiblichen und männlichen, in Gruppen oder einzeln, mit oder ohne Partner, ruhend oder in Aktion, doch die Leser, dieser farblich und ästhetisch nur minimal variierenden und zudem noch wenig stimulierenden Bilder überdrüssig, die bereits vor Urzeiten als billige Stereotypen im Geschäft mit der Libido galten, ließen durch ihre Gleichgültigkeit, durch Desinteresse und letztlich sogar Ekel die Auflagen und Verkaufszahlen immer weiter sinken. Auch das Aufspüren und Ausplaudern unschöner Geheimnisse, Skandale und Peinlichkeiten hatte keine positive Auswirkung auf die im Dauertief befindliche Bilanz von Soll und Haben der Zeitungen, vergebens drehte man am alten Rad der öffentlichen Tugenden, hinter dem sich die persönlichen Laster verbargen, jenes fröhliche Karussell der als Tugenden getarnten persönlichen Schwächen, dem es bis vor kurzem weder an Zuschauern noch an Kandidaten zum Mitfahren gemangelt hatte. In der Tat konnte man meinen, die Hauptstadtbevölkerung hätte mehrheitlich beschlossen, ihr Leben, ihre Vorlieben und ihren Stil zu ändern. Ihr großer Fehler, wie sich bald herausstellen wird, hatte darin bestanden, einen weißen Stimmzettel abzugeben. Sie hatten nach Sauberkeit verlangt, die sollten sie nun bekommen.

So lautete die strenge Devise der Regierung und insbesondere des Innenministeriums. Die Auswahl der Agenten, die heimlich in den Schoß der Massen eindringen sollten und sich teils aus den Geheimdiensten, teils aus öffentlichen Institutionen rekrutierten, ging schnell und effizient vonstatten. Nachdem diese, als Beweis für ihren beispiellosen Gemeinsinn, unter Eid den Namen der von ihnen gewählten Partei verraten hatten, nachdem sie, ebenfalls unter Eid, ein Dokument unterzeichnet hatten, in dem sie ihre tiefe Abscheu vor dieser moralischen Pest zum Ausdruck brachten, die einen beachtlichen Teil der Bevölkerung befallen hatte, war die erste Amtshandlung dieser Agenten, welche wohlgemerkt beiderlei Geschlechts waren, damit es hinterher nicht wieder hieße, alles Böse sei Männerwerk, die in Vierzigergruppen eingeteilt waren und von Tutoren mit einer Spezialausbildung in Erkennung und Interpretation elektronischer Bild- und Tonaufzeichnungen angeleitet wurden, ihre erste Amtshandlung war also, sagten wir, die Sichtung dieser enormen Masse von Material, das die Spione bei der zweiten Wahl gesammelt hatten, sowohl jene, die sich zum Abhören der Gespräche in die Schlangen geschmuggelt hatten, als auch die anderen, die mit versteckten Videokameras und Mikrophonen an den Schlangen vorbeigefahren waren. Beginnend mit dieser Nachleseoperation in den Gedärmen des Geheimdienstes, vermittelte man den Agenten, bevor sie sich mit Eifer und dem Riecher von Spürhunden in die Feldarbeit stürzten, hinter verschlossenen Türen eine schnelle Forschungsgrundlage, und worum es dabei ging, haben wir ein paar Seiten weiter oben mit unseren kleinen, aber aussagekräftigen Beispielen bereits angedeutet. Einfache, gängige Sätze wie die folgenden, Normalerweise wähle ich gar nicht, aber heute hat’s mich hierher verschlagen, Mal sehen, ob das zu irgendwas gut ist, Der Krug geht zum Brunnen, bis der Henkel bricht, Beim letzten Mal habe ich auch gewählt, aber ich kam erst um vier Uhr aus dem Haus, Das ist wie bei der Lotterie, man geht fast immer leer aus, Trotzdem muss man durchhalten, Die Hoffnung ist wie das Salz, es nährt nicht, verleiht aber dem Brot seinen Geschmack, stundenlang wurden diese und tausend andere gleichermaßen harmlose, gleichermaßen neutrale, gleichermaßen unschuldige Sätze bis in die letzte Silbe zerstückelt, zerkrümelt, umgekehrt, im Mörser unter dem Stößel der Fragen zermahlen, Erklären Sie mir doch, was das für ein Krug ist, Warum ist der Henkel am Brunnen abgegangen und nicht auf dem Weg oder zu Hause, Wenn Sie normalerweise gar nicht wählen, warum haben Sie dann diesmal gewählt, Wenn die Hoffnung wie das Salz ist, was sollte man dann Ihrer Meinung nach tun, damit das Salz wie die Hoffnung wird, Wie würden sie den Farbunterschied zwischen der Hoffnung, die grün ist, und dem Salz, das weiß ist, erklären, Glauben Sie wirklich, der Wahlschein sei so etwas wie ein Lottoschein, Was wollten Sie damit sagen, als Sie das Wort leer benutzten, und erneut, Was für ein Krug ist das, Gingen Sie zum Brunnen, weil Sie Durst hatten, oder wollten Sie dort jemanden treffen, Wofür steht der Henkel des Kruges, Wenn Sie Salz in Ihr Essen geben, glauben Sie dann, Sie legen Hoffnung hinein, Warum tragen Sie ein weißes Hemd, Was war das nun für ein Krug, ein echter oder ein metaphorischer, Und der Ton, welche Farbe hatte er, war er schwarz, war er rot, War er glatt oder verziert, Gab es Einlegearbeiten aus Quarz darauf, Wissen Sie, was Quarz ist, Haben Sie schon mal im Lotto gewonnen, Warum sind Sie bei der ersten Wahl erst um vier Uhr aus dem Haus gegangen, wenn es doch schon seit über zwei Stunden nicht mehr regnete, Wer ist die Frau neben Ihnen auf dem Foto, Worüber lachen Sie so herzhaft, Meinen Sie nicht, ein so gewichtiger Akt wie der des Wählens hätte eine würdige, ernste und überzeugte Haltung der verantwortungsbewussten Wähler verdient, oder sind Sie der Meinung, die Demokratie sei eher was zum Lachen, Oder denken Sie, sie sei etwas zum Weinen, Eher zum Lachen oder zum Weinen, Sagen Sie mir noch was zu dem Krug, warum kamen Sie nicht auf die Idee, den Henkel wieder anzukleben, dafür gibt es doch Spezialkleber, Bedeutet dieses Zögern, dass Ihnen auch ein Henkel fehlt, Welcher, Gefällt Ihnen die Zeit, in der Sie leben, oder würden Sie lieber in einer anderen leben, Kommen wir noch einmal auf das Salz und die Hoffnung zurück, welche Menge an Hoffnung nimmt man am besten, damit das, was man sich erwartet, nicht ungenießbar wird, Sind Sie müde, Wollen Sie nach Hause, Werden Sie nicht ungeduldig, Ungeduld ist der schlechteste Ratgeber, man überlegt nicht mehr gut, was man antwortet, und das kann fatale Folgen haben, Nein, Sie sind nicht verloren, wo denken Sie hin, Sie haben nur offensichtlich noch nicht verstanden, dass man hier drin nicht verloren gehen, sondern nur gefunden werden kann, Ganz ruhig, wir bedrohen Sie nicht, wir wollen doch nur, dass Sie nicht ungeduldig werden, mehr nicht. An diesem Punkt, an dem das Opfer bereits in die Enge getrieben und ausgeliefert war, wurde ihm schließlich die verhängnisvolle Frage gestellt, Und jetzt sagen Sie mir doch, wie Sie gewählt haben, das heißt, welcher Partei Sie Ihre Stimme geschenkt haben. Da zu diesem Verhör fünfhundert in den Wählerschlangen aufgespürte Verdächtige geladen worden waren, wobei jeder von uns sich in dieser Lage befinden könnte, da die Vorwürfe absolut haltlos waren, wie wir anhand der armseligen, von den Richtmikrophonen und Aufnahmegeräten eingefangenen Beispielsätzen überzeugend belegen konnten, wäre es in Anbetracht der relativen Größe des befragten Universums nur logisch, dass die Antworten annähernd der Stimmenverteilung bei der Wahl entsprächen, mit einer kleinen Fehlertoleranz natürlich, das heißt, dass vierzig Personen voller Stolz erklärten, die Partei der Rechten, nämlich die Regierungspartei, gewählt zu haben, dass dieselbe Anzahl von Personen mit leisem Trotz behauptete, die einzige wirklich diesen Namen verdienende Oppositionspartei gewählt zu haben, nämlich die Partei der Mitte, und dass fünf, lediglich fünf in die Ecke gedrängte, an die Wand gedrückte Personen mit fester Stimme, doch zugleich auch in einem Ton, als wollten sie sich für einen Starrsinn entschuldigen, für den sie nichts konnten, erklärten, Ich habe die Partei der Linken gewählt. Die übrigen, dieser enorme Rest von vierhundertfünfzehn, hätte nach Logik der Meinungsforschung sagen müssen, Ich habe einen weißen Stimmzettel abgegeben. Diese klare Antwort, ohne dünkelhafte oder diplomatische Zweideutigkeit, würde ein Computer oder eine Rechenmaschine geben, und es wäre die einzige, die ihr unveränderliches, rechtschaffenes Wesen, nämlich das informatische und das mechanische, zuließe, doch wir haben es hier mit Menschen zu tun, und die Menschen gelten allgemein als die einzigen Lebewesen, die imstande sind zu lügen, wobei sie dies nachweislich aus Angst oder Eigennutz tun, manchmal jedoch auch, weil sie rechtzeitig erkannt haben, dass es der einzige Weg zur Verteidigung der Wahrheit ist. Allem Anschein nach war der Plan des Innenministeriums also gescheitert, und in der Tat herrschte in dieser ersten Zeit eine peinliche Ratlosigkeit bei den Assistenten, es wollte schier unmöglich scheinen, den unerwarteten Widerstand zu brechen, außer man ließe all diese Leute foltern, was, wie wir alle wissen, nicht gern gesehen wird in demokratischen Staaten, die über die entsprechenden Rechtsmittel verfügen, um diese Ziele zu erreichen, ohne auf so primitive, mittelalterliche Methoden zurückgreifen zu müssen. In dieser komplizierten Lage bewies schließlich der Innenminister seine ganze politische Größe und zudem eine ungewöhnliche taktische und strategische Gewandtheit, weshalb ihm vielleicht Höheres winkt im Leben, wer weiß. Er traf zwei Entscheidungen, und beide waren wichtig. Die erste, die später für ausgesprochen machiavellistisch erklärt werden sollte und Bestandteil einer offiziellen, von der staatlichen Presseagentur herausgegebenen Mitteilung des Ministeriums an die Medien war, stellte eine rührende Danksagung der Regierung an die fünfhundert Musterbürger dar, die sich in den letzten Tagen aus freien Stücken bei den Behörden gemeldet hätten, um ihre loyale Unterstützung und die uneingeschränkte Mitarbeit bei den derzeit laufenden Untersuchungen der bei den letzten Wahlen festgestellten Unregelmäßigkeiten anzubieten. Zusammen mit diesem Dank bat das Ministerium, Fragen vorgreifend, die Familien dieser Personen, sich nicht zu wundern oder zu sorgen über fehlende Lebenszeichen ihrer lieben Angehörigen, läge doch genau in diesem Schweigen der Schlüssel für deren persönliche Sicherheit, da diese heikle Mission mit der höchsten Sicherheitsstufe, nämlich rot/rot, belegt worden sei. Die zweite, nur intern bekannt gegebene und umgesetzte Entscheidung, beinhaltete die vollkommene Abkehr von dem zunächst entwickelten Plan, der, wie wir uns sicher erinnern werden, das massive Eindringen von Agenten in den Schoß der Massen als das probateste Mittel zur Aufdeckung des Geheimnisses, Rätsels, Mysteriums, oder wie immer man es nennen will, der weißen Stimmzettel erachtete. Von nun an sollten die Agenten in zwei unterschiedlich großen Gruppen arbeiten, wobei die kleinere für die Feldarbeit zuständig wäre, von der man sich, ehrlich gesagt, kaum noch etwas erhoffte, und die größere mit den Verhören der fünfhundert in Gewahrsam genommenen, wohlgemerkt nicht inhaftierten Personen fortfahren und nötigenfalls den körperlichen und psychischen Druck, dem sie bereits ausgesetzt waren, noch erhöhen sollte. So wie das alte Sprichwort es jahrhundertelang gelehrt hat, Lieber fünfhundert Spatzen in der Hand als fünfhundertundeine Tauben auf dem Dach. Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten. Als der Agent fürs Feld, sprich, für die Stadt, nach langen diplomatischen Bemühungen, nach ausgiebigem Herumreden und vorsichtigem Herantasten es endlich geschafft hatte, erstmals die Frage zu stellen, Wären Sie so nett, mir zu sagen, was Sie gewählt haben, erhielt er, als handelte es sich um eine auswendig gelernte Botschaft, wortwörtlich das zur Antwort, was im Gesetzestext steht, Niemand kann unter welchem Vorwand auch immer gezwungen werden preiszugeben, was er gewählt hat, und auch von keiner Behörde darüber befragt werden. Und als er in einem beiläufigen Ton, als messe er der Sache keinerlei Bedeutung bei, die zweite Frage stellte, Entschuldigen Sie meine Neugier, aber Sie haben nicht zufällig einen weißen Stimmzettel abgegeben, blieb die Antwort, die er zu hören bekam, in ihrer Kernaussage geschickt akademisch, Nein, mein Herr, ich habe keinen weißen Stimmzettel abgegeben, aber hätte ich das getan, wäre es ebenso legal, wie wenn ich eine der vorgegebenen Listen gewählt oder eine ungültige Stimme mit der Karikatur des Präsidenten abgegeben hätte, weiß wählen, mein lieber Herr Fragesteller, ist ein uneingeschränktes Recht, das das Gesetz den Wählern wohl oder übel zugestehen musste, und dort steht unmissverständlich geschrieben, dass niemand verfolgt werden kann, nur weil er einen weißen Stimmzettel abgegeben hat, doch zu ihrer Beruhigung kann ich Ihnen erneut versichern, dass ich nicht zu denen gehöre, die weiß gewählt haben, ich habe nur geredet um des Redens willen, habe eine abstrakte Hypothese aufgestellt, mehr nicht. In einer gewöhnlichen Situation wäre nichts dabei, eine solche Antwort zwei- oder dreimal zu hören, zeigte dies doch lediglich, dass einige Menschen auf dieser Welt die Gesetze kennen, denen sie unterstehen, und Wert darauf legen, doch wenn man sich gezwungen sieht, sich diese Antwort wie eine auswendig gelernte Litanei ungerührt und ohne mit der Wimper zu zucken hundertmal, tausendmal hintereinander anzuhören, übersteigt das eindeutig die Geduld eines Menschen, der für eine äußerst sensible Aufgabe ausgebildet wurde und sich nun nicht in der Lage sieht, diese zu erledigen. So ist es nicht verwunderlich, dass angesichts des systematischen Widerstands der Wähler einige der Agenten die Nerven verloren und zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten übergingen, was sie nicht immer heil überstanden, zumal sie alleine agierten, um das gejagte Wild nicht zu erschrecken, und nicht selten, vor allem in den so genannten schlechteren Gegenden, andere Wähler dem Beleidigten zu Hilfe eilten, die Folgen lassen sich leicht ausmalen. Die Berichte, die die Agenten an die Zentrale übermittelten, waren erschreckend mager, niemand, nicht ein Einziger, hatte gestanden, einen weißen Stimmzettel abgegeben zu haben, manche hatten sich dumm gestellt, gesagt, sie würden ein andermal antworten, wenn sie mehr Zeit hätten, sie hätten es gerade sehr eilig, die Geschäfte machten gleich zu, doch am allerschlimmsten waren die Alten, der Teufel soll sie holen, es war, als habe eine Taubheitswelle sie alle in eine schalldichte Kapsel verbannt, und schrieb der Agent die Frage schließlich mit entwaffnender Naivität auf ein Blatt Papier, behaupteten sie frech, sie hätten ihre Brille zerbrochen, könnten die Schrift nicht lesen oder hätten schlichtweg nie lesen gelernt. Es gab jedoch andere, geschicktere Agenten, die den Gedanken der Infiltration wörtlich nahmen, diese trieben sich in Kneipen herum, gaben Getränke aus, liehen mittellosen Pokerspielern Geld, gingen regelmäßig ins Stadion, vor allem zu Fußball- oder Basketballspielen, wenn auf den Zuschauerrängen am meisten los war, kamen mit ihren Nachbarn ins Gespräch, und wenn ein Fußballspiel mit einem torlosen Unentschieden endete, nannten sie es, o welch erhabene Schläue, mit zweideutigem Unterton ein Blanko-Ergebnis, um die Reaktionen zu testen. Doch gab es keine Reaktionen. Früher oder später kam dann stets der Augenblick, da die Frage gestellt wurde, Wären Sie so nett, mir zu sagen, welche Partei Sie gewählt haben, Entschuldigen Sie meine Neugier, aber Sie haben nicht zufällig weiß gewählt, und dann wiederholten sich die bekannten Antworten, einstimmig oder im Chor, Ich, wo denken Sie hin, Wir, Sie träumen wohl, und sofort wurden wieder die gesetzlichen Grundlagen mit sämtlichen Artikeln und Absätzen angeführt, mit einer Beredtheit, dass man hätte meinen können, sämtliche wahlberechtigten Bürger der Stadt hätten an einem Intensivkurs über nationale und internationale Wahlgesetzgebung teilgenommen.

Mit der Zeit, und anfangs geschah dies fast unmerklich, ließ sich feststellen, dass das Wort weiß nicht mehr benutzt wurde, als sei es zu etwas Obszönem oder Unanständigem geworden, für das die Menschen Synonyme oder Umschreibungen finden mussten. Bei einem weißen Blatt Papier hieß es zum Beispiel, es sei ohne Farbe, ein Handtuch, das ein Leben lang weiß gewesen war, wurde plötzlich milchfarben, der Schnee wurde nicht mehr mit einer weißen Decke verglichen, sondern wurde zur größten bleichen Last der letzten zwanzig Jahre, die Studenten sagten nicht mehr, in ihrem Kopf sei alles leer und weiß, sondern gestanden lediglich, dass sie keine Ahnung von dem Stoff hätten, doch der interessanteste Fall war das plötzliche Verschwinden jenes Rätsels, mit dem Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten und Nachbarn über Generationen die Intelligenz und deduktiven Fähigkeiten von Kleinkindern zu fördern geglaubt hatten, Weiß ist es, die Henne legt es, denn diejenigen, die sich scheuten, dieses Wort auszusprechen, merkten plötzlich, dass die Frage absoluter Blödsinn war, eine Henne, eine Henne jeglicher Rasse, wird niemals etwas anderes als Eier legen können, so sehr sie sich auch anstrengt. Es sah also so aus, als seien die Aussichten des Innenministers auf Höheres im Leben von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, als stürze sein Schicksal, nachdem es fast die Sonne berührt hatte, erbarmungslos in den Hellespont, doch eine andere Idee, so plötzlich wie ein Blitz in der Nacht, ließ es wieder erstehen. Es war noch nicht alles verloren. Er beorderte die Feldagenten in die Zentrale zurück, entließ gnadenlos alle Zeitangestellten, führte eine Säuberung bei seiner Geheimpolizei durch und schritt zur Tat.

Fest stand, dass die Stadt ein Ameisenhaufen von Lügnern war, dass jene fünfhundert, die er in Gewahrsam genommen hatte, ebenfalls nur Lügen aus ihrem Mund herausließen, doch gab es zwischen den einen und den anderen einen Unterschied, während die einen noch die Freiheit besaßen, ihre Häuser zu verlassen und dorthin zurückzukehren, scheu und schlüpfrig wie Aale aufzutauchen und wieder zu verschwinden, um später erneut aufzutauchen und wieder zu verschwinden, war der Umgang mit den anderen die einfachste Sache der Welt, man musste nur in den Keller des Ministeriums hinabsteigen, wenngleich dort nicht alle fünfhundert versammelt waren, hätten sie doch gar keinen Platz gehabt, weshalb sie überwiegend auf andere Untersuchungseinheiten verteilt worden waren, doch die fünfzig dort unter permanenter Beobachtung Stehenden sollten für eine erste Behandlungsrunde mehr als genügen. Zwar war die Verlässlichkeit der Maschine von Spezialisten der Skeptiker-Schule in Frage gestellt worden, zwar hatten einige Gerichte sich geweigert, die bei den Untersuchungen erzielten Ergebnisse als Beweise anzuerkennen, dennoch hatte der Innenminister die Hoffnung, die Anwendung des Apparates könnte einen kleinen Funken zünden, der ihnen aus dem dunklen Tunnel, in dem die Untersuchungen stecken geblieben waren, heraushalf. Es handelte sich, wie gewiss bereits deutlich geworden ist, um den Einsatz des berühmten Polygraphen, auch unter dem Namen Lügendetektor bekannt oder, wissenschaftlich gesprochen, Apparat zur gleichzeitigen Aufzeichnung verschiedenartiger psychologischer und physiologischer Funktionen oder, noch detaillierter, Instrument zur Registrierung physiologischer Phänomene, deren Aufzeichnung elektrisch auf einem feuchten, mit Kaliumjodid und Stärke getränkten Papier erfolgt. Der mittels zahlreicher Kabel, Riemen und Saugnäpfe an die Maschine angeschlossene Patient leidet nicht, er muss lediglich die Wahrheit sagen, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und darf vor allem nicht an diese gängige, aber falsche These glauben, die man uns seit Menschengedenken eintrichtert, dass nämlich der Wille alles vermag, denn hier haben wir, um das Thema abzuschließen, den eindeutigen Gegenbeweis, dein wunderbarer Wille kann nicht, so sehr du auch auf ihn vertraust, so stark er sich auch bis heute gezeigt hat, die Kontraktion deiner Muskeln kontrollieren, kann keine plötzlichen Schweißausbrüche trocknen, das Zittern deiner Lider unterbinden oder deine Atmung disziplinieren. Am Ende wird man dir sagen, dass du gelogen hast, du wirst es abstreiten, wirst schwören, die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt zu haben, und vielleicht stimmt das auch, du hast nicht gelogen, aber du bist ein nervöser Mensch, mit einem starken Willen zwar, doch irgendwie auch ein schwankendes Rohr, das beim leisesten Windhauch erzittert, sie werden dich wieder an die Maschine anschließen, und es wird noch schlimmer werden, sie werden dich fragen, ob du lebendig bist, und das wirst du natürlich bejahen, doch dein Körper wird protestieren, wird dich widerlegen, das Zittern deines Kinns wird es verneinen, wird sagen, du seiest tot, und womöglich hat es Recht, vielleicht weiß dein Körper ja bereits vor dir, dass sie dich töten werden. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass derlei Dinge in den Kellern des Innenministeriums vor sich gehen, denn das einzige Verbrechen dieser Leute bestand darin, weiß gewählt zu haben, und das wäre nicht weiter schlimm gewesen, hätte es sich nur um die übliche Anzahl gehandelt, aber es waren viele, es waren zu viele, es waren fast alle, was hilft es da, dass es dein unbestrittenes Recht ist, wenn es hinterher heißt, dieses Recht sei in homöopathischen Dosen anzuwenden, Tröpfchen für Tröpfchen, du kannst nicht einfach mit einem überquellenden Krug weißer Stimmen ankommen, deshalb ist auch der Henkel abgebrochen, haben wir es doch geahnt, dass an diesem Henkel etwas verdächtig war, und wenn das, was eigentlich viel aufnehmen könnte, sich stets mit wenig zufrieden gegeben hat, dann ist das wirklich eine lobenswerte Bescheidenheit, du hast verloren, weil du zu ehrgeizig warst, du dachtest, du könntest zum Königsstern aufsteigen, stattdessen bist du kopfüber in die Dardanellen gestürzt, weißt du noch, das Gleiche haben wir über den Innenminister gesagt, aber der gehört einem anderen Menschenschlag an, dem der Machos, der Männlichen, der Dickhäutigen, die den Nacken nicht beugen, mal sehen, wie du dich jetzt von diesem Lügenjäger befreist, was für verräterische Spuren deines großen und kleinen Elends du auf dem mit Kaliumjodid und Stärke getränkten Papierstreifen hinterlässt, du, der du dich für etwas Besonderes gehalten hast, musst nun erkennen, worauf die viel beschworene höchste Menschenwürde reduziert werden kann, nämlich auf ein feuchtes Stück Papier.

Nun, ein Polygraph ist keine Maschine, die mit einer hin- und herspringenden Schallplatte ausgestattet ist und uns je nach Lage der Dinge sagt, Der Typ hat gelogen, Der Typ hat nicht gelogen, wäre dem so, dann wäre nichts leichter, als Richter zu sein, als zu verurteilen und freizusprechen, die Polizeidienststellen würden ersetzt werden durch Institute für angewandte mechanische Psychologie, die Rechtsanwälte, die ihre Klienten verloren hätten, ließen in ihren Notariaten die Rollläden herunter, die Gerichte blieben den Fliegen überlassen, bis sich eine andere Verwendung für sie fände. Ein Polygraph, wollten wir sagen, schafft nichts ohne Hilfe, er braucht einen ausgebildeten Techniker an seiner Seite, der die auf dem Papier aufgezeichneten Linien interpretiert, was jedoch nicht heißen soll, dass besagter Techniker ein Kenner der Wahrheit ist, er weiß lediglich das, was er vor Augen hat, nämlich dass die Frage, die dem unter Beobachtung stehenden Patienten gestellt wurde, eine allergographische Reaktion ausgelöst hat, wie wir es neumodisch nennen könnten, oder, in eher literarischen, indes nicht weniger phantasievollen Worten, eine Zeichnung der Lüge. Etwas käme aber doch dabei heraus. Zumindest könnte man eine erste Auswahl treffen, die Spreu vom Weizen trennen und diejenigen, die endlich reingewaschen wären, die auf die Frage, Haben Sie weiß gewählt, ohne Widerspruch der Maschine mit Nein geantwortet hatten, in die Freiheit, in das Familienleben entlassen und die Einrichtungen dadurch entlasten. Den anderen, deren Gewissen mit einem Fehlverhalten bei der Wahl belastet wäre, würde weder der Rückzug ins Geistige nach Art der Jesuiten noch die spirituelle Versenkung nach Art der Zen-Buddhisten etwas nützen, unbarmherzig und unsensibel würde der Polygraph sofort jede Lüge erkennen, ganz gleich, ob sie leugneten, weiß gewählt zu haben, oder behaupteten, diese oder jene Partei gewählt zu haben. Denn man überlebt günstigstenfalls eine Lüge, nicht aber zwei. Doch ob Ja oder Nein, der Innenminister hatte angeordnet, dass vorläufig niemand in die Freiheit entlassen werde, ganz gleich, wie die Prüfung ausfalle, Lasst sie noch dort, man kann nie wissen, wie weit die Bosheit des Menschen reicht, sagte er. Und er hatte Recht, dieser Teufel. Nach vielen hundert Metern gestrichelten, bekritzelten Papiers, auf dem die Seelenängste der observierten Subjekte aufgezeichnet waren, nach hundertfach wiederholten Fragen und Antworten, stets denselben, stets gleich formuliert, fiel ein Geheimdienstagent, ein relativ junger Mann, der mit den Versuchungen des Lebens noch nicht so vertraut war, mit der Unschuld eines neugeborenen Lamms auf die Provokation einer jungen, hübschen Frau herein, die gerade am Lügendetektor getestet und als lügnerisch und falsch eingestuft worden war. Da sagte diese Mata-Hari, Diese Maschine weiß nicht, was sie tut, Wieso weiß sie nicht, was sie tut, fragte der Agent und vergaß ganz, dass Gespräche bei der ihm anvertrauten Arbeit nicht vorgesehen waren, Weil es in dieser Situation, in der wir alle unter Verdacht stehen, schon genügt, das Wort Weiß auszusprechen, einfach so, ohne die Absicht herauszufinden, ob die betreffende Person gewählt hat oder nicht, um negative Reaktionen, Aufregung, Ängste bei ihr auszulösen, selbst wenn die Testperson die Unschuld selbst ist, Das glaube ich nicht, da kann ich Ihnen nicht zustimmen, erwiderte der Agent selbstsicher, wer ein reines Gewissen hat, wird nichts anderes als die Wahrheit sagen und daher auch problemlos den Polygraphentest bestehen, Wir sind keine Roboter und auch keine sprechenden Steine, Herr Agent, sagte die Frau, in jeder menschlichen Wahrheit liegt etwas Beängstigendes, etwas Beunruhigendes, wir sind, und damit meine ich nicht nur die Vergänglichkeit des Lebens, so etwas wie eine kleine, flackernde Kerze, die jeden Augenblick erlöschen kann, und wir haben Angst, haben in erster Linie Angst, Da täuschen Sie sich, ich habe keine Angst, ich wurde darauf getrimmt, die Angst in jeder Lebenslage zu überwinden, und außerdem bin ich von Natur aus nicht ängstlich, war es nicht einmal als Kind, erwiderte der Agent, Wenn das so ist, warum machen wir dann nicht ein kleines Experiment, schlug die Frau vor, Sie lassen sich an die Maschine anschließen, und ich stelle die Fragen, Sie sind ja verrückt, ich bin ein Vertreter der Staatsmacht, Sie sind die Verdächtige, nicht ich, Also haben Sie doch Angst, Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich keine Angst habe, Dann lassen Sie sich doch an die Maschine anschließen und zeigen mir, was ein Mann und seine Wahrheit ist. Der Agent sah die lächelnde Frau an, er sah den Techniker an, der bemüht war, sein Lächeln zu unterdrücken, und sagte, Na schön, ein Mal ist kein Mal, ich lasse mich auf das Experiment ein. Der Techniker schloss die Kabel an, schnallte die Riemen fest, legte die Saugnäpfe an, Er ist bereit, Sie können anfangen, wenn Sie wollen. Die Frau atmete tief ein, hielt drei Sekunden die Luft an und stieß dann unvermittelt das Wort Weiß aus. Es war noch gar keine Frage, nur ein Ausruf, doch die Nadeln schlugen aus, strichelten das Papier. In der darauf folgenden Pause kamen die Nadeln nicht vollständig zur Ruhe, sie vibrierten weiter, hinterließen kleine Striche, wie Wellen, ausgelöst durch einen ins Wasser geworfenen Stein. Diese Striche betrachtete die Frau, nicht den angebundenen Mann, und fragte dann, den Blick wieder auf ihn gerichtet, in sanftem, fast zärtlichem Ton, Sagen Sie mir bitte, haben Sie weiß gewählt, Nein, ich habe nicht weiß gewählt, ich habe noch nie weiß gewählt und werde auch nie im Leben weiß wählen, antwortete der Mann energisch. Die Nadeln bewegten sich schnell, hektisch, heftig. Erneute Pause. Und, fragte der Agent. Der Techniker zögerte mit der Antwort, der Agent insistierte, Und, was sagt die Maschine, Die Maschine sagt, dass Sie gelogen haben, antwortete der Techniker verwirrt, Das ist unmöglich, schrie der Agent, ich habe die Wahrheit gesagt, ich habe nicht weiß gewählt, ich bin ein Agent des Geheimdienstes, ein Patriot, der die Interessen der Nation verteidigt, die Maschine muss kaputt sein, Sie müssen sich nicht aufregen oder rechtfertigen, sagte die Frau, ich glaube Ihnen, dass Sie die Wahrheit gesagt haben, dass Sie nicht weiß gewählt haben und auch nie weiß wählen werden, aber darum ging es ja auch gar nicht, ich wollte Ihnen nur demonstrieren, und das ist mir gelungen, dass wir uns auf unseren Körper nicht allzu sehr verlassen können, Es war Ihre Schuld, Sie haben mich nervös gemacht, Natürlich war es meine Schuld, schuld war die verführerische Eva, aber uns fragt doch auch niemand, ob wir nervös sind, wenn man uns an dieses Maschinchen anschließt, Was euch nervös macht, ist die Schuld, Mag sein, aber dann erklären Sie doch mal Ihrem Chef, warum Sie, der Sie mit unseren Vergehen absolut nichts zu tun haben, sich hier wie ein Schuldiger verhalten haben, Ich muss meinem Chef gar nichts erklären, was hier passiert ist, ist nie geschehen, antwortete der Agent. Dann wandte er sich an den Techniker, Geben Sie mir dieses Papier, und denken Sie daran, absolutes Stillschweigen, wenn Sie nicht bereuen wollen, dass Sie auf die Welt gekommen sind, Keine Sorge, meine Lippen sind versiegelt, Ich werde auch nichts sagen, fügte die Frau hinzu, aber erklären Sie doch wenigstens Ihrem Minister, dass die ganzen Tricks nichts gebracht haben, dass wir alle weiterlügen werden, wenn wir die Wahrheit sagen, dass wir weiterhin die Wahrheit sagen werden, wenn wir lügen, so wie er, so wie Sie, und jetzt stellen Sie sich mal vor, ich hätte Sie gefragt, ob Sie mit mir ins Bett gehen wollen, was hätte die Maschine da wohl geantwortet.

Die Stadt der Sehenden

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