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Donnerstag, 15. November 2000 22:47 Uhr

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Evie saß mit angewinkelten Beinen in ihrer Bettnische, die Bettdecke bis unter das Kinn gezogen. Sie zitterte am ganzen Körper.

Über ein Jahr war ihre Mum nun tot und noch immer wachte sie nachts schreiend auf. Das Bild ihrer Mutter, die leblos in ihrem eigenen Blut in der Badewanne lag, hatte sich fest in ihr Gedächtnis gebrannt und es brach immer wieder hervor.

Die Zimmertür wurde leise geöffnet.

»Evie? Alles in Ordnung?«, fragte ihr Vater mit sanfter Stimme. Übermäßige Besorgnis konnte sie nicht in ihr wahrnehmen, eher ein wenig Resignation, denn die Situation war für ihn schon zur Routine geworden.

Das Licht im Kinderzimmer ging an und reflektierte auf dem glänzenden Winnie Pooh Luftballon, den sie vergangene Woche von Lynn zum Geburtstag bekommen hatte und der seit Tagen unter der Decke schwebte. Evies Vater kam herein und setzte sich auf die Bettkannte. Er streichelte ihr sanft über Stirn und Wange; sie waren schweißnass.

»Hey, alles gut«, flüsterte er. »Du hast nur wieder schlecht geträumt.«

Evie nahm seine Hand und presste sie gegen ihr Gesicht. Es war ihr wichtig, seine Nähe zu spüren; sie gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit.

»Ich habe Mum gesehen«, sagte sie leise.

Ihr Vater nickte und lächelte mitfühlend. »Ich weiß. Aber es ist alles gut. Es war nur ein Albtraum, nichts weiter. Ich bin da. Versuch jetzt, zu schlafen.«

»Ich hab Angst«, gestand sie und das entsprach der Wahrheit. Auch wenn sie sonst immer das erwachsen wirkende Mädchen war, das nach dem Tod seiner Mutter schnell Selbständigkeit und Verantwortung erlernt hatte, wollte sie jetzt in diesem Augenblick von ihrem liebenden Vater in den Arm genommen werden. Er war schließlich alles, was sie noch an Familie hatte; und auch er wäre ihr beinahe einmal genommen worden.

Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, als diese Frau vom Jugendamt bei ihnen gewesen war. Sie hatte zunächst ein langes Gespräch mit ihrem Vater geführt. Dann hatte sie sich Evies Zimmer angeschaut und mit dem Mädchen gesprochen. Sie hatte sie allerlei Dinge gefragt: Ob sie sich wohlfühle bei ihrem Vater; ob er sich gut um sie kümmere. Evie hatte keine Ahnung gehabt, was das zu bedeuten hatte, aber sie hatte alle Fragen ehrlich beantwortet. Etwas später hatte ihr Vater ihr freudig erzählt, dass sie für immer bei ihm bleiben dürfe. Das hatte sie zunächst verwirrt, denn nichts anderes hatte sie angenommen; sie wollte natürlich bei ihrem Vater bleiben. Wie hätte irgendeine fremde Person auch etwas anderes bestimmen können?

»Möchtest du bei mir schlafen?«, fragte er.

Evie nickte stumm. Ihr Dad stand auf und sie kletterte aus ihrem Bett. Es war bereits das dritte Mal in dieser Woche, dass sie die halbe Nacht an der Seite ihres Vaters schlafen würde; dort, wo früher ihre Mutter gelegen hatte. Aber es war jetzt alles anders. Es war ein anderes Bett und auch eine andere Wohnung. Wenige Wochen nach dem Selbstmord ihrer Mutter waren sie, auf Anraten von Doktor Vincent, einem mit der Familie gut befreundeten Psychologen, umgezogen. Die neue Wohnung war viel kleiner und befand sich in einem nicht ganz so schönen Haus, wie es das alte gewesen war. Ihr Vater hatte Evie gesagt, dass sie sparen mussten und sie hatte Verständnis dafür gehabt.

Sie gingen ins Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch ihres Vaters lag eine Zeitschrift, die er nun hektisch in die Schublade räumte. Dann schlug er Evie das Bett neben sich auf. Sie legte sich hinein und war schon bald darauf eingeschlafen.

_____

In der darauffolgenden Nacht war es das gleiche Szenario: Wieder wachte sie aus einem schlimmen Albtraum auf und durfte sie zu ihrem Vater ins Bett. Er gab ihr auch wieder einen Gutenachtkuss. Aber diesmal war es anders.

Er küsste sie auf den Mund.

Er war ihr Dad, natürlich. Aber es war Evie unangenehm, von ihm so geküsst zu werden. Sie mochte das nicht. Und sie wusste, dass es nicht richtig war.

»Ich liebe dich«, hauchte er und sah sie mit dem mitfühlenden Blick eines fürsorglichen Vaters an. Dabei streichelte er ihr mit dem Handrücken sanft über das Gesicht.

»Ich liebe dich auch, Daddy«, antwortete Evie etwas unsicher.

»Wirklich? Wie sehr liebst du mich?«

Sie verstand die Frage nicht.

»Sehr«, antwortete sie nur knapp.

»Gibst du Dad noch einen Kuss?«

Evie wurde die Situation unangenehm. »Können wir jetzt schlafen? Ich bin müde.«

»Gleich, Evie«, entgegnete ihr Vater und begann erneut, ihr Gesicht zu liebkosen. Er beugte sich über sie und küsste sie. Auf die Stirn, auf den Hals.

Auf den Mund.

»Lass das, bitte!«

Sie versuchte, sanft, aber bestimmt, ihn von sich weg zu drücken. Doch er war stärker und ließ es nicht zu.

»Ich liebe dich so sehr. Du bist mein ein und alles«, hauchte er, wie in einem Rausch.

Evie nahm jetzt diesen unangenehmen Geruch wahr, der aus seinem Mund kam. Er hatte getrunken. Seine Augen glänzten fiebrig und sein Blick war ihr plötzlich so fremd. Er fuhr ihr mit den Fingern durch die Haare. Dann wanderte seine Hand weiter. Über ihr Schlafanzugoberteil. Er knetete ihre Brust.

»Daddy! Nein!«, rief Evie aufgebracht und rutsche unter ihm aus dem Bett. Sie stand jetzt aufrecht vor ihm und sah ihn vorwurfsvoll an. Eine Träne rann ihr über das Gesicht.

»Ich will das nicht, Daddy«, sagte sie mit weinerlichem Tonfall und schlang ihre Arme schützend um sich selbst. Ihr Körper zitterte; so etwas war ihr in seiner Gegenwart noch nie passiert.

Ihr Vater sah sie einem Moment ausdruckslos an. Dann stand er auf, ging zur Tür und drehte den Schlüssel um. Er steckte ihn in die Tasche seiner Pyjamahose.

»Ich liebe dich, Evie«, wiederholte er. »Und ich will, dass du mich auch liebst. So wie Mum früher.«

Sie begriff nicht, was er damit meinte. Evie wusste nur, dass sie jetzt, zum allerersten Mal in ihrem Leben, Angst vor ihrem eigenen Vater hatte. Dieser kam nun langsam auf sie zu.

»Daddy, ich will das nicht!«, wiederholte sie kopfschüttelnd. Doch er hörte nicht auf ihre Worte. Er packte sie unsanft und warf sie aufs Bett. Er legte sich über sie und drückte sie in die Laken. Sie wand sich wie ein Aal unter ihm, doch sie war nur ein achtjähriges, schmächtiges Mädchen und er ein starker, vierunddreißigjähriger Mann. Sie konnte nichts gegen das ausrichten, was nun folgen sollte.

Ort des Bösen

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