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Irland, im Jahre 1333

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Es war eine bitterlich, kühle Herbstnacht, als ich von dem lauten Gespräch meiner Eltern aufgeweckt wurde. Ich war gerade mal 12 Jahre alt und ahnte noch nicht, was diese Auseinandersetzung für die Zukunft meiner Familie bedeuten würde. Mein Schlafplatz befand sich auf einer höheren Etage unter dem Dach, welchen man nur mit einer Leiter erreichen konnte. Meine Eltern konnte ich somit nicht sehen, sie saßen sich vermutlich – wie üblich – gegenüber am Tisch und tranken Wein. Ich spitzte meine Ohren und konnte am Unterton heraushören, dass dies kein angenehmes Gespräch war. „Bitte glaube mir doch, Ekarius! Wir müssen unser Dorf warnen und von hier fortgehen!“ flehte meine Mutter und wimmerte leicht dabei. „Ich sagte doch, dass du nicht so einen Unsinn erzählen sollst! Das Dorf würde dir niemals glauben, sondern dich bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen verbrennen!“ schimpfte er sie. Abrupt bekam ich Gänsehaut. „Lieber sterbe ich, als zuzusehen wie mein Volk zugrunde geht!“ Nach diesen Worten wurde es kurz still in der Hütte. „Claire, es war nur ein Traum…“ versuchte mein Vater ihr einzutrichtern. „Nein, das war es gewiss nicht und du weißt, dass ich diese Gabe besitze! Denk‘ doch an unseren Sohn - ist dir seine Zukunft so gleichgültig? Wenn wir doch fortgehen würden, könnten wir eine neue Siedlung errichten. An einem fernen Ort wo uns niemand finden wird und unser Heim in Sicherheit ist.“ Ein lauter Knall erschreckte mich - Vater schlug scheinbar mit seiner Faust gegen den Tisch. „Schweig‘ endlich still, Claire! Wir werden das Dorf nicht verlassen – weder jetzt noch irgendwann!“ Wieder wurde es kurz still. „Sag mir, liebster Gatte, wenn du mir nicht glaubst, wer dann?“ fragte sie etwas leiser – ihre Enttäuschung war kaum zu überhören. Mein Vater antwortete nicht, er verließ stattdessen wütend die Hütte. Ich konnte spüren, wie sich beim Öffnen der Holztür ein kühler Luftzug hineinschlich und die Feuerstelle zum Tanzen brachte. Vorsichtig krabbelte ich zur Leiter vor und lugte nach unten. Ich sah meiner Mutter zu, wie sie sich erschöpft vor dem Feuer niederkniete und nachdenklich hineinsah. Ich wäre am liebsten zu ihr gegangen und hätte sie gefragt, warum sie so traurig sei. Doch aus irgendeinem Grund war mir bewusst, dass ich dieses Gespräch hätte nicht hören dürfen, deswegen suchte ich gleich wieder das Strohbett auf, deckte mich mit dem Schafspelz zu und versuchte zu schlafen. Doch das leise, verbitterte Schluchzen meiner Mutter hielt mich so lange wach, bis das Feuer endgültig erloschen war.

Am nächsten Morgen kletterte ich die Leiter herunter und sprang auf den Fußboden. Meine Mutter entdeckte mich und stellte mir eine kleine Schale warmen Haferbrei auf dem Tisch. „Guten Morgen, Jacob!“ begrüßte sie mich herzlich. „Guten Morgen, Mutter.“ Ich setzte mich auf den Stuhl und löffelte den Haferbrei, während ich dabei meine Mutter musterte. Sie sah sehr müde aus – wohlmöglich fand sie nach dem Streit letzte Nacht keinen Schlaf. Normalerweise trug sie lockere, geflochtene Zöpfe die sie hübsch hochsteckte, doch heute lagen ihre langen schwarzen Haare offen und durcheinander auf ihren Schultern. „Hast du gut genächtigt?“ fragte sie. „Ja, Mutter.“ log ich. Sie lächelte zufrieden und ihre dunklen Augen funkelten. Nun setzte sie sich mir gegenüber und starrte mich mit einem leichten Lächeln an. „Was ist denn, Mutter?“ fragte ich verunsichert. „Nichts - du bist ein guter Junge.“ antwortete sie. Verwirrt löffelte ich weiter und dachte mir nichts dabei. „Ich werde nun ins Dorf gehen und ein paar Wolldecken verkaufen, während du deinem Vater bei der Arbeit helfen könntest.“ Da erinnerte ich mich an ihre flehenden Worte letzte Nacht: „Wir müssen unser Dorf warnen und von hier fortgehen!“ „Könnte ich dich nicht lieber ins Dorf begleiten?“ fragte ich prompt. Sie lächelte wieder und antwortete: „Nein, denn dein Vater braucht dich auf der Weide. Der Winter wird sehr kalt werden und es müssen noch einige Schafe geschert werden, damit ich warme Decken und Gewänder herstellen kann. Die Nachfrage im Dorf ist sehr groß!“ Sie legte ihre Hand auf meinen Kopf und streichelte ihn sanft, als ich nach dieser Antwort den Kopf sank und genervt vor mich hin brummte. „Du bist bald kein Kind mehr und wirst eines Tages ein angesehener Schafshirte sein, Jacob! Du musst dich endlich mal für das wertvolle Wissen deines Vaters öffnen, denn irgendwann wirst du es benötigen.“ erklärte sie mir selbstsicher und fordernd. „Ist schon gut, Mutter - ich gehe ja schon!“ Genervt stand ich auf und zog mir einen warmen Mantel über meine braune, langärmlige Stofftunika. Es machte mich jedes Mal wütend, wenn man mich mit meinem Vater verglich und davon ausging, dass ich eines Tages in seine Fußstapfen als Schafshirte treten würde. Es stank mir, dass man mich kein einziges Mal fragte, was ich gerne machen würde oder wer ich als erwachsener Mann sein wollte. Tief in mir verbarg ich nämlich einen Traum – ich wollte Lehrer werden. Anderen Menschen das Lesen und Schreiben beibringen und somit etwas Sinnvolles ausüben. Zu diesem Zeitpunkt war ich ein 12 Jahre alter Junge, der genug Hoffnung in sich trug, doch noch eines Tages von der Weide zu entkommen. So nahm ich meine Filzkappe, setzte sie mir auf den Kopf und verließ mit einem unguten Gefühl die Hütte. Nicht, weil ich keine Lust auf meinen Vater hatte, sondern weil ich mir große Sorgen um meine Mutter machte. Ich bekam einfach das Gefühl nicht los, sie nicht gehen lassen zu dürfen und im Nachhinein hätte ich dummer Junge auf mein Bauchgefühl hören sollen.

Ich lief also auf die große Schafsweide, die direkt vor unser Haus lag. In der Ferne konnte man das kleine Dorf sehen, welches viel tiefer lag als unser abgelegenes Heim auf dem steilen Hügel. Es war das letzte Haus des Dorfes und man musste einige Schritte gehen, um dorthin zu gelangen. Doch ich mochte es so, denn von der Weide aus hatte man zusätzlich eine wunderschöne Aussicht auf die gigantischen Klippen und den weiten Horizont des Meeres.

Mein Vater war gerade dabei, einzelne Schafe zu scheren, während sich der Rest der Herde von den feuchten Grashalmen satt aßen. Er trug wie üblich einen grauen Schaffellmantel mit einer dunkelblauen, weitgeschnittenen Stoffhose und auf seinem kurzen, orangenen Haar befand sich eine gefütterte Wollkappe. Ich trat näher und begrüßte ihn: „Guten Morgen, Vater.“ Nur kurz traf mich sein Blick und ich entdeckte seine müden Augen. Ehe er antworten konnte, erschallten die quietschenden Räder des Handwagens, welchen meine Mutter hinter sich herzog. Mein Vater beobachtete mit ernster Miene, wie sie über die Schafsweide lief, das Weidentor öffnete und geradewegs in die Richtung des Dorfes eilte. Er wirkte irgendwie beunruhigt, als sie auf dem Hügel nicht mehr zu sehen war. Dann sah er mich mit seinem gewohnten strengen Blick an, kramte aus seiner seitlichen Manteltasche eine weitere Schafschere und übergab sie mir. „Schere die restlichen Schafe - ich werde nach dem kranken Schaf in der Scheune sehen.“ Mein Vater war ein sehr dominanter Mann, den man allein schon wegen seiner tiefen Stimme nicht widersprach. „Ist gut, Vater.“ antwortete ich schließlich und nahm die Schere unsicher entgegen. Langsam näherte ich mich einem Vieh, das scheinbar schon etwas ahnte und rasend schnell davonlief. Ich gebe zu, dass ich mich mit dem Umgang der Tiere sehr schwertat und es immer wieder eine Herausforderung für mich war. Nochmals näherte ich mir eines und schnappte es am Rumpf. Es mähte und bewegte sich ruckartig hin und her, sodass ich losließ und geradewegs auf den Boden fiel. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass mich mein Vater von der offenen Scheune aus beobachtet hatte. Beschämt nickte er grimmig mit dem Kopf und wandte seinen Blick von mir ab. Seine abwertende Reaktion kränkte mich zu tiefst, demnach rappelte ich mich auf, klopfte den Dreck von meiner Stoffhose und versuchte es ein weiteres Mal. Ich rannte auf ein Schaf zu, drückte es grob an mich und rief: „Du dummes Schaf, halte endlich still!“ Es mähte demonstrativ vor sich hin, während ich begann, vorsichtig seine warme Wolle zu scheren. Nach einer Weile wehrte sich das Schaf nicht mehr und ich konnte in Ruhe meine Arbeit machen. Währenddessen dachte ich wieder an meine Mutter, die nun auf dem Dorfmarkt die fertiggestellten Wolldecken verkaufte. Erneut musste ich an das nächtliche Gespräch denken, was mir einfach keine Ruhe ließ.

„Ich sagte doch, du sollst nicht so einen Unsinn erzählen! Das Dorf würde es dir niemals glauben, sondern dich bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen verbrennen!“ „Lieber sterbe ich, als zuzusehen wie mein Volk zugrunde geht!“

Es machte alles keinen Sinn. Was wusste meine Mutter nur? Vor was oder wen wollte sie das Dorf nur warnen? Warum sollte plötzlich das Dorf zugrunde gehen? Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Ich musste mich wohl damit abfinden und hoffte nur, dass alles gut sein würde.

Doch die Hoffnung war schon längst zerstört, als Claire, meine Mutter, zu diesem Zeitpunkt an den Türen des Dorfes klopfte und die Dorfbewohner vor der drohenden Gefahr warnte.


Prophezeiung - Zeilen der Zukunft

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