Читать книгу Compliance-Handbuch Kartellrecht - Jörg-Martin Schultze - Страница 52
1.4 Beschränkungen des Internetvertriebs
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Die unzulässige Beschränkung des Internetvertriebs stellt eine weitere praxisrelevante Kernbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung dar, die von den Behörden, allen voran dem Bundeskartellamt, scharf sanktioniert wird. Unter kommerziellem Blickwinkel steht die (unzulässige) Beschränkung des Internetvertriebs der (unzulässigen) Preisbindung nahe, da beide Verbote aus kaufmännischer Sicht insbesondere vereinbart werden, um eine gewisse Marken- oder Preispflege zu betreiben und einer unerwünschten Verramschung insbesondere von Markenartikeln entgegenzuwirken.
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Die Kommission hat sich bereits vor über zehn Jahren dazu entschlossen, die Freiheit des Internetvertriebs als zentrale Voraussetzung für die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes einzustufen und unzulässige Beschränkungen folglich als Kernbeschränkungen zu kategorisieren. An der wichtigen Rolle des Internetvertriebs gibt es weder juristisch noch ökonomisch noch ernsthafte Zweifel. Mittlerweile ist höchstrichterlich bestätigt, dass selbst in einem selektiven Vertriebssystem, in dem der Vertrieb nur über Händler zugelassen ist, die die zumeist strengen qualitativen und/oder quantitativen Kriterien erfüllen, kein Totalverbot der Nutzung des Internets ausgesprochen werden kann.223
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Die Kommission erlaubt es Unternehmen in ihren Vertikal-Leitlinien zwar, Händlern gegenüber Qualitätsvorgaben für den Internetvertrieb ihrer Produkte zu machen, die umgangssprachlich zumeist als „Internetrichtlinien“ bezeichnet werden. Viele übersehen jedoch, dass diese Qualitätskriterien in ihrer inhaltlichen Reichweite „im Einklang“ mit den Kriterien zum stationären Verkauf stehen müssen, also vereinfacht gesprochen, nicht weitreichender sein dürfen als die sonstigen Verkaufsanforderungen im Ladengeschäft.224 Zu strikte Internetkriterien können also ebenfalls zu einer Kernbeschränkung führen. Die zentrale Rolle des Internetvertriebs gehen allerdings nicht so weit, als dass dem Händler jegliche Verkaufsplattformen für seine Produkte offenstehen müssten. Frei bleiben muss der Vertrieb über eine dem Händler zuzuordnende „eigene“ Webseite. Höchstrichterlich bestätigt ist inzwischen jedoch, dass ein Verbot des Online-Verkaufs über Drittplattformen keine Beschränkung des Internetvertriebs per se ist, also im Rahmen der Vertikal-GVO zulässig ausgesprochen werden kann.225 Nach richtiger Auffassung gilt dies unabhängig von der Art der Produkte, für die der Vertrieb über Drittplattformen untersagt wird. Das Bundeskartellamt vertritt in diesem Punkt wohl nach wie vor eine konservativere Auffassung und sieht die Reichweite des Grundlagenurteils des EuGH in Sachen Coty auf „Luxusprodukte“ beschränkt.226