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IM DRITTEN
ZWISCHENKAPITEL WERDEN DIE VERANTWORTLICHKEITEN
INNERHALB DES KOMITEES AM BEISPIEL
DER DORT VERWENDETEN GRUSSFORMELN
ERLÄUTERT. ÖSTERREICHISCHE LESER KÖNNEN DIESES
ZWISCHENKAPITEL ÜBERBLÄTTERN, WEIL
SIE AUS IHM NICHTS WESENTLICH NEUES
ERFAHREN WERDEN; NICHTÖSTERREICHISCHE
LESER SOLLTEN DIE LEKTÜRE ZWAR WAGEN,
ABER NICHT HOFFEN, SIE AUCH ZU BEGREIFEN.

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Selbstverständlich darf das, was wir vorher über Struktur und Arbeitsweise des Interministeriellen Komitees für Sonderfragen ausführten, nicht so verstanden werden, als ob in ihm ein anarchisches Durcheinander herrsche und jeder der zugeteilten Herren für sich allein arbeitend (oder nicht arbeitend) das täte, was ihm gerade ein- oder zufiele. Dem ist nicht so. Beamte haben es dort mit Beamten zu tun und infolgedessen Dienstränge mit Diensträngen, Arbeitsbereiche mit Arbeitsbereichen – und da stellen sich denn sehr bald die entsprechenden Ein-, Zu- und Unterordnungen ein, ohne die ordentliche Beamtenarbeit schwerlich geleistet werden kann.

Freilich handelt es sich hier um eine Ordnung der Nuancen und scheinbaren Unwägbarkeiten, in der, anders als in den meisten Ämtern, auch Persönlichkeit eine unklare, aber bedeutende Rolle spielt.

Ihren Ausdruck und ihre dauernde Bestätigung findet diese Ordnung in der Art und Weise, wie die Beamten einander grüßen.

In Österreich (und in dessen Ämtern ganz besonders) ist nämlich im Laufe der Jahrhunderte das Grüßen und Grußerwidern zu einer Methode entwickelt worden, deren äußerst verfeinerte Anwendung es zwei einander begegnenden Individuen erlaubt, die gesellschaftliche, ökonomische, soziale und private Position des einen in bezug auf den jeweils anderen genauestens festzulegen. So gleicht jede Begegnung zweier Persönlichkeiten dem Anfang eines Florettgefechts, in dem die Gegner einander mit ein paar schnellen Attacken, Finten und Paraden auf ihre Stärke und Wertigkeit hin prüfen. Wie auf jedem anderen Gebiet tummeln sich auch auf diesem Pfuscher, solide Handwerker und wahre Könner. Und da es im Interministeriellen Komitee hauptsächlich Könner gibt, kann man dessen innere Struktur in der Tat an den Begrüßungen, die zum Beispiel eben jetzt am Beginn der Kleinen Sitzung zahlreich geäußert wurden, mit geradezu kristallischer Klarheit ablesen.

Die Tendenz, den Legationsrat Tuzzi zu begrüßen, ehe man von ihm begrüßt wurde, war allgemein vorherrschend (vgl. auch die bereits stattgehabten Begrüßungen durch den Portier Karneval, den Ministerialrat Haberditzl und den Amtsgehilfen Brauneis).

Der Ministerialsekretär Skalnitzky zum Beispiel grüßte Tuzzi mit »Meine Reverenz, Herr Legationsrat«, einer etwas ausgefallenen, aber sehr ausgewogenen Formel, die der persönlichen Manieriertheit sowie dem Arbeitsbereich Skalnitzkys (»Die österreichische Literatur und ihr Einfluß auf das Seiende«) jedoch durchaus angepaßt war. Dr. Tuzzi würdigte diese Anrede mit einem korrekten »Guten Morgen, Dr. Skalnitzky, wie geht es Ihnen?« und wandte sich dann dem Sektionsrat Tuppy mit einem »Grüß dich Gott, Herr Sektionsrat« zu, ehe noch Tuppy sein übliches »Respekt, Herr Legationsrat, du schaust ja blendend ausheute!« anbringen konnte; diese beiden Anreden hielten ebenfalls maximale Balance, denn privat waren die beiden Herren ziemlich befreundet, dienstlich aber rangierte der Sektionsrat eine Stufe tiefer als der allerdings etwas jüngere Legationsrat. Tuzzi schätzte ihn unter allen Kollegen am meisten, wiewohl Tuppy leider aus jener Denkschule der österreichischen Sozialdemokratie stammte, die sich die Abschaffung des Schicksals durch administrative Maßnahmen zum Ziel gesetzt hatte, also einer Richtung angehörte, die Tuzzi zutiefst zuwider war. Doch wurde diese grundsätzliche Gegnerschaft zum Weltbild Tuppys durch kollegiales Mitleid überlagert, denn Tuppy war durch den Kanzlerwunsch nach Anfertigung einer Studie über »Die Glücksbefindlichkeit der österreichischen Bevölkerung« in eine Situation geraten, in der selbst Sisyphus verzweifelt wäre. Überdies hatte der arme, weil sensible Mensch sehr unter dem Ministerialkommissär Dr. Benkö zu leiden, einem allzu karrieresüchtigen jungen Menschen, der eine verdächtige Neigung zeigte, sich mit seiner Arbeit über »Psychische Koordinationssysteme des österreichischen Staatsbürgers« in alle übrigen Arbeitsbereiche hineinzudrängen. Dr. Benkös übertriebenes »Meine besondere Verehrung, Herr Legationsrat, spezielle Hochachtung allerseits!« wurde denn auch von Tuzzi mit einem kühlen »Guten Morgen, Doktor Benkö«, von Tuppy mit einem geradezu beleidigenden »Morgen!«, von allen anderen aber mit einem bloßen verächtlichen »Grüß Sie Gott« oder »Grüße Sie!« beantwortet, je nachdem, ob der Grußerwidernde eher der konservativen oder der sozialistischen Partei nahestand. Der Ministerialoberkommissär Goldemund schließlich, Neuling in diesem Kreise und schwer unter dem Makel leidend, aus einem »jungen« Ministerium, nämlich dem für Verkehr, zu kommen, sorgte heute für eine kleine Sensation insofern, als er sich zum ersten Mal nicht mit allseitigen stummen und ziemlich angemessenen Verbeugungen begnügte, sondern Tuzzi mit einem überraschenden »Meine Verehrung, Herr Doktor!« begrüßte. Hier deutete sich durch die Weglassung des amtlichen Titels der Versuch an, persönliche Beziehungen aufnehmen zu wollen. Tuzzi erstickte diese Absicht im Keime, indem er »Begrüße Sie, begrüße Sie, Herr Kollege« murmelte; das »Begrüße Sie« enthielt Herablassung, während das »Kollege« angesichts des Umstandes, daß ein Ministerialoberkommissär mindestens zwei Rangstufen unter dem Legationsrat steht, an blanken Hohn grenzte. Die Verdoppelung des eigentlichen Grußes deutete Zerstreutheit und flüchtiges Desinteresse an. Der Ministerialoberkommissär sah in den nächsten Stunden recht verstört drein.

Wir könnten nun natürlich auch die übrigen Grüße aufzählen, die zwischen den einzelnen Herren – Tuppy, Haberditzl, Benkö etc. – ausgetauscht wurden (insgesamt weitere 36, wenn wir richtig gezählt haben), um die Rangordnung innerhalb des Komitees einigermaßen vollständig darzustellen, verzichten aber im Interesse des Lesers auf solch übertriebene Genauigkeit; die bisher angeführten Begrüßungen haben ja wohl genug deutlich gemacht, daß der Legationsrat Dr. Tuzzi in diesem Beamtenrudel eine unangefochtene Leitposition innehatte.

Die große Hitze

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