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ALS ANFANG EINE VATERLÄNDISCHE RUHM- UND
EHRENTAFEL, ZUGLEICH WIDMUNG
AN MEINE FREUNDE

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Der Anfang ist das Wichtigste an einem Buch, sagen meine Freunde, die sich auf das Schreiben von Büchern verstehen. Sorge dafür, sagen sie, daß der Anfang Vergnügen bereitet, und du wirst es leichter mit deinem Leser haben. Williger wird er dir in das schwierige Gestrüpp der nachfolgenden Exposition folgen, in der du ihm zu sagen versuchen wirst, was du ihm eigentlich sagen willst. Von einem gelungenen Anfang gerührt, erheitert und ein wenig neugierig gemacht auf das Kommende, wird er dir späterhin die eine oder andere Lücke oder Schwäche verzeihen, vor allem dann, wenn er aus dem guten Anfang auch auf ein ebensolches Ende hoffen darf.

Da ich diesen Rat hervorragend fand, dachte ich lange über einen wirklich guten Anfang nach und begann endlich dieses Buch mit den Worten: »Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Bewohner der Bundeshauptstadt Wien, sich vor neun Uhr morgens mies zu fühlen. Aber der Legationsrat Tuzzi fühlte sich an diesem Morgen besonders mies.« – Dieser Satz schien mir geeignet, den Leser in leicht faßlicher Weise vom Allgemeinen ins Besondere zu führen und vielleicht sogar durch den diskreten Hinweis auf bevorstehend Unbehagliches in Spannung zu versetzen. Auch zeichnet er sich für jeden, der Wien kennt, durch große Wahrhaftigkeit aus.

Alsbald wich jedoch meine Selbstgefälligkeit dem Zweifel, ob dieser Anfang auf den unvoreingenommenen Leser wirklich wichtig genug wirken würde. Zwar ist der österreichische Legationsrat, der da soeben über den staubigen Heldenplatz hinweg sich seinem Büro und einigen sehr merkwürdigen Ereignissen nähert, gewiß kein gewöhnlicher Mensch – so etwas kann wirklich nur jemand vermuten, der noch nie einem österreichischen Legationsrat Erster Klasse begegnet ist –, aber wichtiger als er werden die Dinge sein, mit denen er sich zu befassen haben wird. Und darauf weist der eben zitierte Anfangssatz leider nicht hin.

So dachte ich denn, mit etwas noch Allgemeinerem und Gewichtigerem anzufangen, und schrieb: »Seit nunmehr 32 Monaten waren keine Niederschläge zu verzeichnen gewesen«, doch strich ich nach kurzer Überlegung auch diese Worte, denn mit dem schönen Satz: »Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum, es wanderte ostwärts …« beginnt bekanntlich der Roman des hl. Robert Musil, und wenn ich auch nicht daran denke, meine oder des Legationsrates Tuzzi Beziehungen zu jenem zu leugnen, scheint es mir doch nicht gerade günstig, den Leser schon mit dem ersten Satz auf diese Relation aufmerksam zu machen; das könnte ihn zu falschen und mir doch ein wenig abträglichen Schlüssen verleiten.

Mit leiser Verzweiflung immer noch den Anfang suchend, der meinen Lesern wichtig genug erscheinen würde, um sie zu fortgesetzter Lektüre zu bewegen, geriet ich schließlich an die Frage, wer denn eigentlich die Leser seien, die ich mir und diesem Buche wünschte oder von denen ich mir vorstellen könnte, daß sie es mit einigem Genuß läsen. Und da entdeckte ich, daß ich mir ja doch nur meine Freunde und einige aus diesem oder jenem Grunde sonst verehrte Personen als Leser denken konnte, ja, daß ich diese verwickelte Biographie des Legationsrates Tuzzi eigentlich nur aufgezeichnet habe, um eben ihnen Vergnügen zu bereiten. Und da mir meine Freunde äußerst wichtig sind, gehören sie und nichts anderes an den Beginn dieses Buches.

Seinen Anfang bildet also eine Liste all derer, denen ich es widme:

Ich widme es dem bald nach dem Kriege verhungerten Journalisten Dr. Emil Mika, dem einzigen Soldaten der Deutschen Wehrmacht, der es je gewagt haben dürfte, zur Uniform einen Regenschirm zu tragen; ihm habe ich es zu verdanken, daß das Schreiben mein Beruf wurde.

Ich widme dieses Buch dem Andenken der Salzburger Malerin Agnes Muthspiel in Dankbarkeit für den Blumenstrauß, den sie als Trauzeugin meiner Hochzeit vor Jahrzehnten im morgengrauen Mirabellgarten gestohlen hat. Sie war die bedeutendste Frau, die mir in meinem Leben begegnet ist, und jeder, der die Ehre gehabt hat, Agnes Muthspiel zu kennen, wird mir beipflichten.

Ich nenne die Namen, wie sie mir so einfallen, jedoch muß ich eiligst den langsam in den Zustand der Verehrungswürdigkeit eintretenden Hans Weigel nennen, dem ich einmal versprochen habe, ein Buch zu schreiben; er möge mir nicht böse sein, daß er es erst 20 Jahre später kriegt.

Dem großen Paul Flora gilt die nächste Widmung, denn durch seine Lehre, daß Unernst das einzige ist, was man wirklich ernst nehmen muß, ist er zu einem wesentlichen Schrittmacher auf dem Wege zur totalen Austrifizierung der Welt geworden.

Mit bewegtem Herzen gedenke ich nun eines Unberühmten, des Hausmeisters Alfons Bierdimpfl nämlich (er hieß wirklich so), der schlichten und mürrischen Gemütes sein Amt versah, bitterlich weinte, als im März 1938 SA-Buben die jüdischen Mietparteien drangsalierten, und in den Apriltagen 1945 von russischen Marodeuren erschossen wurde, weil er die Frauen in seinem Haus vor Vergewaltigungen schützen wollte.

Ein anderer Toter kommt mir in den Sinn, Dr. Friedrich Funder, Herausgeber der »Furche«, einer der letzten Großen der österreichischen Journalistik, dem ich, weil er es so wünschte und weil die älteren Redakteure vor diesem Auftrag zurückschreckten, den Bürstenabzug seines bereits gesetzten Nachrufs ans Sterbebett brachte; nie werde ich vergessen, wie er mit einem Bleistiftstümmelchen etliche Satzzeichen in seinem Nekrolog verbesserte und sodann, erleichtert und seine letzte Pflicht erledigt habend, den Kopf in die Polster zurücklegte und die Augen schloß.

Genug Tote, obwohl ich gerne noch des Judostaatsmeisters und Masseurs Prosper Bouchelle gedenken würde, der mir allwöchentlich, während er verrutschte Wirbel krachend ins Rückgrat zurückspringen ließ, unglaubliche, von Haß, Liebe und Leidenschaft erfüllte Geschichten aus den dunklen Peripherieslums erzählte, denen er entstammte; dieser Mann war einer von den 36 Gerechten, die, ohne es zu wissen, die Existenz der Menschheit vor dem Angesichte Gottes rechtfertigen.

Oder soll ich noch meinen Mitschüler Otto Müller erwähnen, der 1942 den unabänderlichen Entschluß faßte, spätestens 1970 österreichischer Bundeskanzler zu werden? Wenn sie diesen intelligenten und entschlossenen Burschen nicht bei der »Organisation Todt« zu Tode geschunden hätten (er war Halbjude und deshalb »wehrunwürdig«), hieße der österreichische Bundeskanzler heute vielleicht Otto Müller.

Zu viele Tote, genug der Toten.

Ich erlaube mir, dieses Buch Wolfgang Pfaundler zu widmen, der allein durch seine Existenz unwiderleglich beweist, daß Österreich nicht nur ein geographischer Begriff, sondern auch eine Wahrheit und ein Traum ist. Ferner Gerd Bacher, der zur Zeit dieser Niederschrift Generalintendant des ORF ist, am Tage ihres Erscheinens aber vielleicht nicht mehr sein wird, denn zu viele Hunde sind hinter diesem Hasen von Format her. Aber der, der ihn am Ende an der Kehle faßt, wird nicht viel Ehre davon haben.

Ich widme dieses Buch – ach, es gibt so viele, die ich noch zu nennen hätte, daß ich wohl noch ein anderes schreiben werde müssen, um alle Namen, derer ich in Freundschaft, Dankbarkeit und Verehrung zu gedenken habe, in gebührender Weise zu verzeichnen. Für diesmal muß es genügen, denn eben erreicht der Legationsrat Dr. Tuzzi die Mitte des Heldenplatzes und zieht unsere Aufmerksamkeit endgültig auf sich.

Mögen die in dieser Vaterländischen Ruhm- und Ehrentafel (denn dazu hat sich die Widmung nun ohnehin schon ausgewachsen) Erwähnten ihre Freude mit vorliegendem Werke haben; ebenso einige andere, die ich hier nicht genannt habe, weil sie im weiteren Verlaufe ohnehin deutlich in Erscheinung treten werden.

Mögen mir ferner alle jene, die sich mit geringerer Freundlichkeit und manchmal vielleicht auch mit Bosheit geschildert sehen, nicht allzu böse sein und Trost in dem Gedanken finden, daß auch sie unentbehrlich sind im unendlichen Kunterbunt des austriakischen Mikrokosmos.

Womit denn die Geschichte endlich dort beginnen kann, wo sie anfänglich wirklich begonnen hat.

Die große Hitze

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