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Neue Geschäftskontakte

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Die Qualität der Beratungsleistungen der Maschbau GmbH sprach sich schnell herum, und so gingen bald Anfragen aus ganz Deutschland ein, die in fast allen Fällen zu Aufträgen führten. Eines Tages meldete sich der Geschäftsführer einer Firma aus dem Sauerland bei Hans Meier und bat um ein Gespräch:

„Herr Meier, ich habe schon viel Gutes von der Maschbau GmbH gehört. Wir haben in England einen Konkurrenten übernommen und sehen dort vor allen Dingen bei der Analyse der technischen Abläufe großen Beratungs- und Optimierungsbedarf. Haben Sie Interesse, diesen Auftrag anzunehmen?“ Hans freute sich auf diese neue Herausforderung, denn schon vor Monaten war den beiden Meier bewusst geworden, dass Deutschland mittelfristig für die Kapazitäten, die die Maschbau GmbH mittlerweile vorhielt, zu klein war.

„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und schlage vor, dass ich kurzfristig nach England fahre, um mir vor Ort einen Überblick über den Ist-Zustand der englischen Firma zu verschaffen und, darauf aufbauend, eine Analyse und ein Angebot zu erarbeiten.“

Der Geschäftsführer stimmte Hans‘ Vorschlag zu, und so machte sich Hans auf den Weg in eine dünnbesiedelte Region Mittelenglands. Es war sein erster Besuch auf der Insel. Er war schon immer ein Freund des englischen Humors und deshalb gespannt auf Land und Leute. Von Bekannten hatte er gehört, dass sich in England auf dem Land ein wichtiger Teil des sozialen Lebens in den Pubs abspielte. Und so beschloss Hans, am Abend bevor er im Auftrag des neuen Eigentümers das Gelände des Unternehmens betreten wollte, dem einzigen Pub im Ort einen Besuch abzustatten. Er fühlte sich in diesem alten und sehr stilvollen Pub gleich zu Hause. Hans bestellte an der Theke ein Bier und kam schnell mit dem Landlord, das heißt, mit dem Wirt, der gleichzeitig der Ortsvorsteher der kleinen Gemeinde war, ins Gespräch. Er hieß Bill Bond, wurde aber von allen nur James genannt. James sprach sehr gut Deutsch, denn er war fast zwanzig Jahre lang als Pilot der Royal Airforce in Deutschland stationiert. Von seiner Abfindung hatte er den Pub in seinem Heimatort gekauft. Nach und nach beteiligten sich immer mehr Gäste am Gespräch der beiden. Bei Bedarf dolmetschte James. Und so erfuhr Hans ziemlich schnell, welche Sorgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des von den Deutschen übernommenen Unternehmens quälten und welche Fehler in den letzten Jahren von der englischen Geschäftsleitung gemacht worden waren. Natürlich wollten James und seine Gäste im Verlauf des Abends wissen, warum sich Hans in ihren Pub verlaufen hatte, denn Fremde waren hier die Ausnahme. Hans spielte sofort mit offenen Karten. Er war gekommen, um zu analysieren, ob das von den Deutschen übernommene Unternehmen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht den hohen Anforderungen des europäischen und des Weltmarktes entsprach. Den Schwerpunkt seiner Arbeit sah er in der Analyse der momentanen Prozessabläufe im Unternehmen und der Bewertung des Optimierungspotentials. Natürlich kam sofort der Einwand der Pubgäste, dass mit jeder Prozessoptimierung zwangsweise ein Stellenabbau verbunden war. Das versuchte Hans glaubhaft zu entkräften. Er erläuterte den Anwesenden seine Philosophie:

„1. Eine Prozessoptimierung hat die beiden Ziele, die Produktionsabläufe zu verbessern und die Qualität der Produkte zu steigern. Dies führt in der Regel zu einer Anpassung des Personals nach unten und zu einer deutlichen Senkung der Herstellungskosten.

2. Geringere Herstellungskosten eröffnen dem Unternehmen die Chance, mit reduzierten Preisen und einer gesteigerten Qualität mit deutlich verbesserten Gewinnmargen erfolgreicher am Markt zu bestehen als in der Vergangenheit.

3. Dies führt sehr schnell zu einer gesteigerten Nachfrage und daraus resultierend zu einer erheblichen Ausweitung der Produktion.

4. Da die Arbeitsprozesse bereits optimiert sind, kann das Unternehmen diese deutliche Ausweitung der Produktion nur dadurch realisieren, dass nicht nur der heutige Personalbestand benötigt wird, sondern darüber hinaus zusätzliches Personal eingestellt werden muss.

Zusammengefasst: Wenn im Unternehmen alle am Produktionsprozess Beteiligten die sicherlich notwendigen Prozessänderungen umsetzen, leisten sie einen entscheidenden Beitrag dazu, dass als ein Ergebnis der Prozessoptimierung neue Arbeitsplätze geschaffen werden.“

Hans war gespannt, wie die Gäste, von denen die meisten vom Erfolg seiner Arbeit direkt betroffen waren, reagieren würden. Zu seiner großen Erleichterung waren die meisten Gäste bereit, sich mit seiner Philosophie anzufreunden und ihm zu vertrauen. Zum Abschied klopfte ihm James anerkennend auf die Schulter. Als Hans am nächsten Morgen zum ersten Mal das Firmengelände betrat, wurde er schon vom Pförtner wie ein alter Bekannter begrüßt. Der Buschfunk schien auch in England bestens zu funktionieren. Da Hans von der Belegschaft mit offenen Armen aufgenommen und in jeder Beziehung unterstützt wurde, hatte er seine Analyse schon nach wenigen Tagen fertiggestellt.

Eine Woche später stellte er gemeinsam mit Heinz den Sauerländern das Konzept vor. Die Präsentation dauerte drei Stunden. Nach einer kurzen firmeninternen Beratung erteilte der Geschäftsführer der Maschbau GmbH den Auftrag, die Prozessabläufe im englischen Werk zu optimieren und somit das Werk konkurrenzfähig für den europäischen und den Weltmarkt zu machen.

Vier Wochen später flog Hans mit vier Mitarbeitern wieder nach England. Er hatte sich telefonisch bei James angemeldet und um Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft für seine vier Kollegen gebeten, die voraussichtlich mehrere Wochen in England zu tun haben würden. Als die fünf Deutschen den Pub betraten, wurden sie von James in Empfang genommen. Danach gab es erst mal für jeden deutschen Gast ein Pint Lager Beer auf Kosten des Hauses, das den verwöhnten deutschen Biertrinkern erstaunlich gut schmeckte. Hans sah sich im Pub um. Der ganze Ort schien hier versammelt zu sein.

James ergriff das Wort:

„Silence please, Ruhe bitte. Ich freue mich, unseren deutschen Freund Hans wieder bei uns begrüßen zu dürfen. Wir haben im Vorfeld telefoniert. Hans hat sich wie ein echter englischer Gentleman benommen und Wort gehalten. Er und seine vier Kollegen sind gekommen, um unser Werk aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken und in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Aber er kann es nicht alleine schaffen. Ich habe Kontakt zu dem für das Werk zuständigen Gewerkschaftsfunktionär aufgenommen. Er wird gleich hier sein. Zufälligerweise handelt es sich um meinen Lieblingscousin.“

Die Gäste im Pub lachten laut und klatschten Beifall. Ihre Laune war ausgezeichnet.

„Ich erwarte von euch, dass jeder bedingungslos mitzieht und sein Bestes gibt. Und zum Abschluss noch eines: Wenn einer von euch damit ein Problem hat, dass uns Deutsche helfen, und unsere Gäste schlecht behandelt, dann bekommt er es mit mir zu tun. Denn was können Hans und seine vier Kollegen dafür, dass die Deutschen besser Elfmeter schießen können als wir Engländer?“

Kurz darauf betrat Jason, der Lieblingscousin, mit drei weiteren Gewerkschaftsvertretern den Pub. James und Hans begleiteten die drei in ein ruhiges Nebenzimmer und James übernahm die Vorstellung. Die vier Mitarbeiter von Hans brachten in der Zwischenzeit ihr Gepäck in die von James organisierten Unterkünfte. Das Gespräch mit den englischen Gewerkschaftern gestaltete sich zu Beginn sehr schwierig. Sie trauten dem Deutschen grundsätzlich nicht. Nur dem Einfluss von James war es zu verdanken, dass Jason sich überhaupt bereit erklärte, Hans eine Chance zu geben und mit ihm zusammenzuarbeiten.

Hans und seine Kollegen betraten am nächsten Morgen das Werksgelände mit einem guten Gefühl.

Das erste Projekt der Maschbau GmbH in England wurde ein voller Erfolg. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Gewerkschaft zogen gemeinsam mit den neuen deutschen Eigentümern an einem Strang. Schon nach sechs Monaten wurden die ersten zwanzig neuen Mitarbeiter auf Grund der gesteigerten Nachfrage eingestellt. Jason bedankte sich persönlich bei Hans:

„Ich mag die Deutschen immer noch nicht. Aber bei dir mache ich eine Ausnahme. Wenn du meine Hilfe brauchst, ruf mich an, egal, um was es sich handelt.“

Dem Auftrag in England folgten weitere Auslandsaufträge. Die Ertragslage der Maschbau GmbH entwickelte sich hervorragend. Hans hatte zwar keine Probleme, genügend Ingenieure zu finden, die er in sein Konzept integrieren konnte, aber schon bald kamen die beiden Meier zu dem Entschluss, die Anzahl der Aufträge, die sie bearbeiten wollten, auf ihre aktuellen Kapazitäten zu begrenzen, um nicht den Überblick zu verlieren und die Erfolgsgeschichte zu gefährden. Harry Menzel konnte ihrer Argumentation anfänglich nicht folgen, aber Heinz Meier gelang es, seinen Chef schnell mit seinen Argumenten zu überzeugen:

„Herr Menzel, wir haben zurzeit eine gute Balance, was das Verhältnis Umsatz/Kosten angeht. Eine weitere Expansion würde dazu führen, dass wir unser Personal deutlich aufstocken müssen und das Vorfinanzierungsvolumen sich erheblich erhöht. Eine direkte Konsequenz wäre eine Erhöhung der Kreditlinien bei unseren Hausbanken, was wiederum zur Folge hätte, dass die Banken umgehend Sicherheiten von Ihnen verlangen werden. Außerdem stößt Hans Meier langsam an die Grenze seiner Belastbarkeit, auch wenn er dies nie zugeben würde.“


. . . . . . .


An einem Frühlingstag im darauffolgenden Jahr saß Hans am frühen Nachmittag auf dem Londoner Flughafen Heathrow und wartete auf sein Flugzeug, das ihn nach Düsseldorf bringen sollte. Doch dann kam alles anders: Bombenalarm.

Die Passagiere wurden umgehend mit Bussen in einen anderen Bereich des Flughafens evakuiert. Alle betroffenen Passagiere hatten denkbar schlechte Laune und machten ihrem Unmut lauthals Luft, bis auf zwei. Der eine der beiden war Hans Meier. An diesem Abend veranstaltete Birgit ihre vierteljährliche Pekinesenparty. Bei den letzten Partys waren in der Regel bis zu zehn dieser Kläffer mit ihren Frauchen anwesend und blieben bis weit nach 22.00 Uhr. Wenn er Glück hatte, würde sein Flug auf den nächsten Tag verschoben. Neben Hans saß ein Hüne, der mit seinem lauten Organ den anderen Wartenden immer wieder mittteilte, welchen Spaß ihm dieser Bombenalarm bereitete. Nur seine Körpergröße, verbunden mit seiner muskulösen Figur, hielten einige männliche Passagiere davon ab, diesem blonden Idioten das Maul zu stopfen. Der Wunsch von Hans ging in Erfüllung. Als der Bombenalarm endlich aufgehoben wurde, flog am gleichen Tag keine Maschine mehr von London nach Düsseldorf. Hans bekam ein sehr schönes Hotel zugewiesen und rief seine Frau an, um ihr mitzuteilen, dass er leider die Pekinesenparty verpassen würde. Bombenalarm, da könne man nichts machen. Birgit hatte davon schon in den Nachrichten gehört und war nicht weiter traurig. Hans war auf jeder Pekinesenparty ein Störfaktor. An der Hotelbar traf er den blonden Hünen wieder, der ihn auch gleich wiedererkannte. Jetzt konnte Hans sehen, dass der Mann mindestens zwei Meter groß war. Schnell kamen die beiden ins Gespräch. Der Blonde stellte sich sogleich auf Englisch vor.

„Mein Name ist Mikael Nielsson und ich komme aus Finnland. Meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus Schweden. Ich bin 33 Jahre alt, verheiratet mit einem Goldstück und habe zwei Töchter, die drei und vier Jahre alt sind. Meine Privatmaschine ist leider zurzeit defekt, deshalb bin ich zum ersten Mal seit über fünf Jahren mit einer Linienmaschine geflogen. Und dann gleich ein Bombenalarm. Aber ich habe Zeit und genieße heute Abend den schottischen Whisky. Und wer bist du?“

Die Finnen schienen sich alle zu duzen.

„Ich heiße Hans Meier und bin Deutscher, ebenfalls verheiratet, allerdings nicht mit einem Goldstück. Kinder habe ich keine, aber meine Frau besitzt zwei Pekinesen. Heute Abend steigt bei uns eine Pekinesenparty. Deshalb bin ich froh, dass ich jetzt hier an der Bar stehe und ein paar englische Pints trinken kann.“

Der Finne sah ihn erst verblüfft an, fing dann laut an zu lachen, schlug Hans vor Begeisterung auf die Schulter und antwortete in fließendem Deutsch:

„Pekinesenparty, das hat was. Ich kann diese kleinen Kläffer nicht ausstehen. Wir haben zu Hause Huskies und Rentiere, die sind mir lieber.“


Die beiden verstanden sich sofort. Hans erzählte von seiner Arbeit und der Finne hörte sehr interessiert zu. Dann erzählte Mikael von seiner Familie und seinem beruflichen Werdegang. Als die beiden um 23.00 Uhr nach dem Genuss mehrerer Pints und Whiskys zu Bett gingen, kannte Hans Mikaels ganze Lebensgeschichte.

Mikael gehörte einer erfolgreichen Unternehmerfamilie aus Helsinki an. Er war der älteste von drei Söhnen und wurde von seinem Vater behutsam auf die Leitung des Familienunternehmens vorbereitet. Da seinem Vater mehrere Sägewerke gehörten, arbeitete Mikael nach dem Abitur ein Jahr bei einem holzverarbeitenden Unternehmen im Sauerland als Praktikant und sprach deshalb so gut Deutsch. Anschließend absolvierte er ein weiteres Praktikum bei Geschäftsfreunden in St. Petersburg, um die russische Sprache zu erlernen, denn die Firma seines Vaters wickelte ein großes Geschäftsvolumen mit Partnern in der damaligen Sowjetunion ab. In Edinburgh studierte er Betriebswirtschaftslehre, um dann im Alter von 27 Jahren in das Unternehmen seines Vaters einzusteigen. Mikaels Familie verbrachte alle Ferien in Lappland. Da war es von großem Vorteil, dass die Familie seit den frühen sechziger Jahren über ein eigenes Flugzeug verfügte. Die Natur und die Menschen in Lappland faszinierten Mikael genauso wie seinen Vater. In Lappland lernte er seine Frau Hete kennen. Ihre Familie besaß riesige Land- und Wasserflächen, und so lebte ihre Familie in der Hauptsache von der Rentierzucht und vom Fischfang. Hete war die ältere von zwei Töchtern. Im Alter von 28 Jahren heiratete Mikael die zwei Jahre jüngere Hete. Die beiden zogen in das Haus ihres Großvaters ein, der ein Jahr zuvor verstorben war. Mikael lebte von Freitagnachmittag bis Montagmittag in Lappland und die restliche Zeit der Woche arbeitete und wohnte er in Helsinki.

Am nächsten Morgen teilten sich Hans und Mikael ein Taxi zum Flughafen. Zum Abschied lud Mikael Hans nach Lappland ein, mit Frau und, wenn es unbedingt sein musste, auch mit den Pekinesen.

Mitte Juli meldete sich Mikael telefonisch bei Hans, um seine Einladung zu erneuern.

„Wir feiern am Wochenende ein großes Fest. Kannst du kommen? Ich schicke dir unsere Maschine.“ Hans war wirklich urlaubsreif. Er machte eher Feierabend, um seine Frau sicher anzutreffen, denn an diesem Abend war wieder mal eine Tupperparty bei einer von Birgits zahlreichen Freundinnen angesagt.

„Was hältst du von einem Kurzurlaub in Lappland? Wir werden mit einem Privatflugzeug in Düsseldorf abgeholt. Du kannst Lothar jun. und die beiden Hunde (er hatte sich den Ausdruck „Kläffer“ gerade noch verkniffen) auch mitnehmen.“

Birgit sah Hans an wie einen Irren.

„Wo willst du hin, nach Lappland?“

Hans schaltete sofort um.

„Natur pur, nette Tiere und Bären, die gerne mit kleinen Hunden spielen. Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört, dass in Lappland ein Pekinese von einem Bären angefallen worden ist oder umgekehrt.“

Birgit verließ empört das Zimmer und ging zu Lothar jun. in das Kinderzimmer. Der Junge war wie immer in ein Buch vertieft. Selbst in den Sommerferien las Lothar jun., während die anderen Kinder in seinem Alter draußen spielten. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er keine Freunde hatte.

„Hast du Lust, mit deinem Onkel Hans nach Lappland zu fahren?“

Lothar jun. sah nur kurz auf:

„Du weißt doch, dass ich deinen Mann nicht leiden kann. Was also soll diese dumme Frage?“

Er wandte sich wieder seinem Buch zu und schien im gleichen Moment vergessen zu haben, dass seine Tante noch in seinem Zimmer stand. Birgit drehte sich zufrieden um. Sollte doch Hans alleine nach Lappland fahren.

Und das tat Hans auch. Als die Maschine auf einem kleinen Flugplatz in Lappland landete, wurde er von Mikael, zwei Frauen und zwei Kindern abgeholt.

Der Finne begrüßte ihn freundlich und stellte die vier vor:

„Herzlich willkommen in Lappland. Ich habe zur Begrüßung die vier wichtigsten weiblichen Wesen in meinem Leben mitgebracht. Zuerst möchte ich dir mein Goldstück Hete vorstellen, daneben stehen meine beiden kleinen Goldstücke Lotta und Kristina. Und die nette junge Frau neben meinen Töchtern heißt Ella. Sie ist die jüngere Schwester von Hete.“

Hans blickte in acht zugleich neugierig und freundlich blickende blaue Augen. Während Hete und ihre beiden Töchter mit der Sonne um die Wette strahlten, machte Ella einen traurigen und zurückhaltenden Eindruck. Hans reichte allen die Hand.

Mikael nahm Hans in seinem Wagen mit. Hete steuerte das andere Auto.

„Mikael, ich möchte dir zu deinen Goldstücken und deiner Schwägerin gratulieren. Ist Ella auch verheiratet?“

Mikaels Gesicht verdüsterte sich.

„Ella war verheiratet mit Leevi, einem Samen aus dem südlichen Lappland. Er war ein begeisterter Husky- und Rentierzüchter und nahm mit seinen Hunden an Rennen teil. Er ist im letzten Winter bei einem Rennen tödlich verunglückt. Ella kann den Verlust ihres Mannes nur schwer verarbeiten. Sie ist nach dem Tod ihres Mannes wieder zu uns gezogen. Die beiden Schwestern sind zwar äußerlich und vom Temperament völlig verschieden, aber sie halten zusammen wie Pech und Schwefel.“

Hans konnte die beiden Frauen im Seitenspiegel sehen. Hete war circa 1,65 m groß, hatte lange blonde Zöpfe und war ziemlich rundlich, ein mütterlicher Typ. Ihre Schwester war fast so groß wie er, sehr schlank und hatte ebenfalls lange blonde Zöpfe.

„Das tut mir leid. Ich wollte nicht indiskret sein.“

Mikael lachte jetzt wieder.

„Du gehörst als mein Freund zur Familie. Deshalb ist es wichtig, dass du so viele Details wie möglich kennst. Deine Frau und die Pekinesen wollten nicht mitkommen?“

„Nein, meine Frau Birgit hat Angst, dass ihre beiden Lieblinge von den hier freilaufenden Bären gefressen werden.“

„Da hast du ihr aber einen großen Bären aufgebunden. Aber vielleicht ist es besser so. Ich bin mir sicher, dass es dir bei uns gefallen wird. Wer einmal in Lappland war, der kommt immer wieder.“

Mikael hatte nicht übertrieben. Die Landschaft strahlte einen seltsamen Reiz auf ihn aus. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück sprach Ella ihn auf Englisch an:

„Wie gefällt es dir hier bei uns?“

„Ich bin fasziniert. Die klare Luft, die Wälder, die Seen, ich habe das Gefühl, ich bin im Paradies.“

„Wenn du willst, zeige ich dir unser kleines Paradies.“

Die beiden streiften stundenlang durch die Wälder, vorbei an vielen Seen mit glasklarem Wasser. Ella wollte alles über Hans erfahren. Sie gab offen zu, dass sie und ihre Schwester neugierig waren, ihn näher kennenzulernen, denn Mikael war normalerweise nicht der Typ, der mit einem Fremden sofort Freundschaft schloss.

Nach drei Tagen flog Hans gemeinsam mit Mikael nach Helsinki. Der Finne wollte ihm noch ein Sägewerk zeigen, das seiner Familie gehörte. Schon im Flugzeug wurde Hans bewusst, dass Lappland ihn nicht mehr loslassen würde. Als er Mikael seine Empfindungen mitteilte, legte ihm der Finne vorsichtig seine riesige Hand auf die Schulter:

„Mein Freund Hans, als ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, dass du dich bei uns wohl fühlen würdest. Du bist meiner Familie jederzeit willkommen.“

Mikael zeigte Hans stolz das Sägewerk. Am Abend saßen die beiden gemeinsam mit dem Werksleiter Anton beim Abendessen zusammen.

„Na, welchen Eindruck hast du als Profi von unserem Werk? Anton und ich legen großen Wert auf deine Meinung.“

Hans besorgte sich Papier und Bleistift. Und dann vergaß er alles um sich herum. Er skizzierte, erläuterte, lobte und entwickelte Alternativen. Die beiden Finnen sahen ihm fasziniert zu. Eine Stunde später hielt Hans inne. Er sah von seinen Entwürfen auf und blickte Mikael und Anton verlegen an.

„Tut mir leid, ich habe jedes Zeitgefühl verloren und sehe auch keinen Anlass zur Kritik. Ich gebe gerne zu, dass mich die Produktionsabläufe im Sägewerk interessieren.

Anton sah hinüber zu Mikael und grinste dann.

„Kein Problem, Hans. Mikael hat mich vorgewarnt. Ich bin von deiner Analyse beeindruckt. Hast du Lust, die aus unserer Sicht notwendige Optimierung der Prozessabläufe in unserem Werk zu begleiten?“

Eigentlich waren die Kapazitäten der Maschbau GmbH ausgereizt. Aber die Aussicht, wieder nach Finnland und Lappland zurückzukommen, gab für Hans den Ausschlag.

„Ich rufe morgen meinen kaufmännischen Kollegen an, um mich mit ihm abzustimmen. Ich denke, dass wir den Auftrag noch irgendwie dazwischen schieben können.“

Und so pendelte Hans in den nächsten Wochen und Monaten zwischen Deutschland, England und Finnland. Seine Aufenthalte in Finnland plante er immer so, dass die Zeit für einen kurzen Ausflug nach Lappland reichte, um Hete, Ella und die Kinder zu besuchen. Er entwickelte auch den Ehrgeiz, etwas Finnisch zu lernen. Allerdings erwies sich das als noch schwieriger als erwartet.

. . . . . . .

Es war ein sehr windiger und verregneter Novembermontag des gleichen Jahres. Passend zum englischen Wetter meldete sich Jason bei Hans.

„Hallo, Hans, was machen die Geschäfte?“

„Hallo, Jason, wir sind sehr zufrieden. Vor allen Dingen dank deiner Unterstützung haben wir auf der Insel einige Anschlussprojekte akquirieren können.“

„Ich weiß, mein Freund, denn ich beobachte deine Aktivitäten in England ebenso kritisch wie wohlwollend. Kommen wir zum Grund meines Anrufes. Wir, damit meine ich einige englische Unternehmen und mich als Gewerkschaftsfunktionär, brauchen deine Unterstützung. Wann kannst du in England sein?“

„Wir haben heute Montag. Ich kann am Donnerstag auf die Insel kommen.“

„Das klingt gut. Du bist selbstverständlich eingeladen. Ich schicke dir ein Flugticket und hole dich am Flughafen ab. Plane bitte zwei Tage ein. Und packe einen dunklen Anzug und eine passsende Krawatte ein.“

Jason erwartete Hans schon am Flughafen. Er begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.

„Vielen Dank, dass du so schnell kommen konntest. Wir fahren jetzt zuerst zu deinem Hotel. Wenn du eingecheckt hast, erläutere ich dir den Grund meines Anrufs. Am Abend sind wir dann bei einem in vieler Hinsicht interessanten Geschäftsmann eingeladen. Er erwartet, dass seine Gäste der Tageszeit entsprechend gekleidet sind. Deshalb Anzug und Krawatte.“

Eine Stunde später saßen die beiden an der Bar. Jason legte sofort los.

„Mein einziger deutscher Freund, ich vertraue dir. Also enttäusche mich bitte nicht. Ich habe auf Grund meiner Tätigkeit als Gewerkschaftsfunktionär gute Kontakte in ganz England. Für mich sind zwei Dinge in meinem Leben von besonderer Bedeutung: die Absicherung meiner Familie und das Wohl meiner Kolleginnen und Kollegen, für die ich verantwortlich bin. Und am besten geht es mir, wenn ich diese beiden Ziele optimal miteinander verbinden kann. Das Geschäft, über das ich mit dir sprechen möchte, erfüllt diese beiden Vorgaben. Ich habe einen älteren Bruder, der Inhaber eines Sicherheitsdienstes ist. Aber nicht irgendeines Sicherheitsdienstes. Er betreut rund um die Uhr vermögende Bürger aus allen Ländern dieser Welt, die in England diskret und sehr erfolgreich Geschäfte machen, aber nicht belästigt und von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen. Durch meinen Bruder habe ich daher schon das eine oder andere Mal interessante Menschen kennengelernt. Eine besondere Persönlichkeit ist der Caballero, in dessen Haus wir heute Abend eingeladen sind. Das ist ein besonderes Privileg, denn der Caballero empfängt sehr selten Gäste. Damit der Abend für alle Beteiligten ein voller Erfolg wird, bekommst du jetzt von mir einige sehr wichtige Informationen und Verhaltensregeln. Wenn du das Haus unseres Gastgebers betrittst, hast du das Gefühl, einen Palast aus „Tausend und einer Nacht“ zu betreten. Der Caballero entstammt einer sehr reichen Familie aus dem arabischen Raum. Seine Urururahnen haben angeblich eine maßgebliche Rolle bei der Besetzung Spaniens durch die Mauren gespielt. Man munkelt, dass er spanisches Blut in den Adern hat. Und da sein Benehmen dem eines spanischen Edelmannes aus früheren Zeiten in nichts nachsteht, hat er hier in England den Spitznamen „der Caballero“ bekommen. Seinen richtigen Namen und seine genaue Herkunft hält er geheim. Er hat in England und in der Schweiz studiert und pendelt in den letzten Jahren zwischen seiner Heimat und England hin und her. Der Caballero ist sowohl in der arabischen Welt als auch in England und weiten Teilen Europas hervorragend vernetzt. Er scheut die Öffentlichkeit und erwartet von seinen Geschäftspartnern äußerste Diskretion und absolute Loyalität.“

Als Jason und Hans das Haus des Caballeros betraten, sah Hans sofort, dass Jason nicht übertrieben hatte. Die Haustür bildete die Grenze zwischen zwei Welten, dem Abendland und dem Orient. John, der Butler, begrüßte die beiden Männer höflich und distanziert. Er schien Jason gut zu kennen. John geleitete die beiden durch mehrere prunkvoll ausgestatte Zimmer bis in einen kleineren Raum, der auch in jedes englische Herrenhaus des 19. Jahrhundert gepasst hätte. Zwei Seiten des Raums waren mit Bücherregalen und die anderen beiden Seiten von verschlossenen Schränken eingefasst. Der große Tisch in der Mitte war für drei Personen eingedeckt. In einer Ecke des Raums stand ein kleiner Tisch mit drei Stühlen. John bat die beiden, an dem kleinen Tisch Platz zu nehmen und bot ihnen einen Cherry an. Kurz darauf erschien der Caballero. Der Name passte. So hatte sich Hans immer einen spanischen Edelmann vorgestellt. Der Araber war so groß wie er und tadellos gekleidet. Er begrüßte Jason sehr herzlich und blickte dann Hans neugierig mit seinen pechschwarzen Augen an. Hans hatte das Gefühl, vor einem Röntgenschirm zu stehen.

„Herzlich willkommen in meinem bescheidenen Heim, Herr Meier. Bitte fühlen Sie sich wie zu Hause.“

„Es ist mir eine Ehre, in Ihrem wunderschönen Haus Ihr Gast zu sein. Ich bin schon sehr gespannt, welchen Beitrag ich zum Gelingen dieses Abends beisteuern darf.“

Der Araber lächelte. Der Deutsche schien die erste Prüfung bestanden zu haben.

Dann wurde das Essen serviert. Es war eine interessante Mischung aus Köstlichkeiten der arabischen und der französischen Küche. Der Caballero erläuterte seinen beiden Gästen Gang für Gang die Zusammensetzung der Speisen. Hans hatte das Gefühl, dass die Zusammenstellung des Menüs ein Hobby des Arabers war. In den Pausen zwischen den Gängen unterhielten sich die drei über Fußball. Der Caballero war ein großer Fan der englischen und der spanischen Fußballligen.

Nach dem Essen bot er Jason und Hans eine Zigarre an. Hans zögerte:

„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich die Zigarre ablehne. Ich habe noch nie geraucht und auch nicht vor, dies zu ändern.“

Der Araber sah ihn erstaunt an.

„Stört es Sie, wenn Jason und ich rauchen?“

„Nein, ganz im Gegenteil. Ich mag den Rauch einer guten Zigarre. Ich rauche also indirekt gerne mit.“

Der Araber gab sich mit der Antwort des Deutschen zufrieden. Er bat die beiden, sich gemeinsam mit ihm an den kleinen Tisch zu setzen.

„Herr Meier, auch wenn Sie es als unhöflich empfinden, ich werde ihnen keine Auskünfte über meine Person geben. Allerdings möchte ich so viel wie möglich über Sie erfahren. Ist das für Sie in Ordnung?“

Hans nickte zustimmend.

„Jason hat Sie empfohlen. Das spricht für Sie, vor allen Dingen auch deshalb, weil ich weiß, dass er nicht gerade als Freund der Deutschen gilt. Ich möchte Sie nicht weiter auf die Folter spannen und Ihnen den Grund meiner Einladung erläutern.

In meiner Heimat verdienen wir mit der Förderung und dem Verkauf von Erdöl viel Geld. Aber unser Ölreichtum ist nicht unendlich. Wir verfolgen deshalb langfristig zwei Ziele, die in einem engen Zusammenhang stehen:

1. Den Aufbau von neuen Wirtschaftszweigen in unserer Region, die uns mittel- und langfristig wirtschaftlich unabhängig von unseren Ölvorkommen machen.

2. Den Aufbau einer funktionsfähigen Infrastruktur, die allen aus dem Punkt 1. resultierenden zukünftigen Anforderungen gerecht wird.

Für die Realisierung beider Ziele benötigen wir die Unterstützung Dritter. Meine Aufgabe besteht darin, den englischen und europäischen Markt auf passende Geschäftspartner zu untersuchen. Der Rahmen ist für alle zukünftigen geschäftlichen Partnerschaften gleich: Wir gründen für neue Geschäftsfelder, die zu unserem Gesamtkonzept passen, gemeinsame Unternehmen mit potenziellen Partnern. Wir akquirieren die Aufträge und garantieren eine pünktliche Bezahlung unserer Leistungen, und unsere Partner bringen das Know-how ein. Die Geschäftsanteile sind immer gleich. Wir halten 51% und unser Partner 49%. Können Sie mir so weit folgen?“

Hans nickte. Aber er konnte immer noch nicht erkennen, was er damit zu tun hatte. Dies schien der Araber zu spüren.

„Es ist für uns sehr schwierig, im Vorfeld die Leistungsfähigkeit, die Qualität der Fertigungsprozesse und die globale Wettbewerbsfähigkeit unserer potenziellen Geschäftspartner zu beurteilen. Wir sind daher auf die professionelle Unterstützung Dritter angewiesen. Ich habe für den englischen Markt Jason ins Vertrauen gezogen. Es ist natürlich in seinem Interesse, dass möglichst viele englische Firmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von unseren Ölmilliarden profitieren. Aber Jason weiß auch, dass die meisten englischen Firmen zum Beispiel den deutschen Firmen hinterherhinken, was die Qualität und die Effektivität angeht. Er hat mir davon erzählt, wie er Sie kennengelernt hat, und dass Sie in der Lage sind, ein Unternehmen bezüglich der Qualität der Prozessabläufe zu analysieren und eventuell erforderliche Optimierungen der Prozessabläufe zu begleiten. Kommen wir nun zum eigentlichen Grund, warum ich Sie näher kennenlernen will. Ich habe hier eine Liste vor mir liegen, auf der zehn englische Firmen aus dem Bereich des Maschinenbaus stehen, die laut Jason für eine eventuelle Partnerschaft mit arabischen Firmen in Frage kommen. Sind Sie bereit, in meinem Namen diese Unternehmen zu analysieren, ob sie unseren Ansprüchen genügen? Für den Fall, dass Sie meiner Bitte nachkommen, woran ich keinen Zweifel habe, werden wir uns über Ihre Entlohnung schnell einig. Als Anzahlung erhalten Sie 100.000 £ von mir. Selbstverständlich übernehme ich auch alle Spesen.“

Hans musste erst einmal tief durchatmen. Einen Augenblick kam er sich vor wie in einem amerikanischen Thriller. Er blickte hinüber zu Jason, der ihn erwartungsvoll ansah.

„Mister Unbekannt, die von Ihnen gerade geschilderte Aufgabe ist sehr reizvoll, und ich möchte mich ausdrücklich für das Vertrauen bedanken, das Sie mir entgegenbringen. Ich arbeite für eine deutsche Firma als leitender Angestellter. Dies bedeutet, dass ich mich mit meinem Kollegen Heinz Meier abstimmen möchte, ob wir genügend freie Kapazitäten haben, um Ihren Auftrag kurzfristig ausführen zu können. Wenn dies der Fall ist, werde ich gemeinsam mit meinem Kollegen ein Angebot ausarbeiten und Ihnen zur Prüfung vorlegen. Wie hoch das Angebot sein wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.“

Der Caballero sah ihn verblüfft an. Ihm war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass Hans nicht selbstständig war. Vorwurfsvoll blickte er Jason an.

„Herr Meier, ich befinde mich in einer unangenehmen Situation. Jason hat mir nicht gesagt, dass Sie abhängig beschäftigt sind. Aber Ihre Antwort auf mein Angebot bestärkt mich darin, dass Sie der Mann sind, den ich suche. Meine Geschäfte stehen alle auf zwei Säulen: Diskretion und Loyalität.

Sie stehen loyal zu Ihrem Chef, also kann ich auch erwarten, dass Sie sich mir gegenüber im Fall einer Zusammenarbeit genauso verhalten. Ich möchte daher meine Bitte an Sie neu formulieren: Verschaffen Sie sich ein Bild von dem augenblicklichen Zustand der Firmen auf meiner Liste. Jason wird Sie dabei unterstützen. Dann erwarte ich von dem Unternehmen, für das Sie tätig sind, ein Angebot. Ich bin mir sicher, dass ich zufrieden sein werde.“

Der Caballero stand auf, um seine Gäste zu verabschieden. Hans sah dem Gastgeber lange in die Augen. Dann sagte er nur: „Auf Wiedersehen“, drehte sich um, und verließ gemeinsam mit Jason und dem Butler den Raum. Der Caballero griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer seines Privatsekretärs:

„Ich habe gerade die Bekanntschaft eines deutschen Ingenieurs gemacht. Ich bin mir sicher, dass er eine entscheidende Rolle bei der Realisierung unserer Pläne spielen wird. Besonders imponiert hat mir die absolute Loyalität zu seinem Chef. Eröffnen Sie bei meiner Bank ein Konto und überweisen darauf 100.000 £. Falls ich mit der Firma, für die der Deutsche arbeitet, einig werde, kann er über dieses Konto jederzeit verfügen, wenn er einmal in Not geraten sollte. Er weiß nichts davon und ich möchte, dass dies bis auf Weiteres auch so bleibt.“

In der darauffolgenden Woche flog Hans wieder nach England, um mit Jason die zehn Firmen zu besuchen. Diesmal begleitete ihn Heinz Meier. Zwei Wochen später übergaben die beiden Meier dem Privatsekretär des Caballeros das Angebot. Nicht einmal 24 Stunden später erhielt die Maschbau GmbH den lukrativsten Aufrag ihrer Firmengeschichte und für Hans Meier lagen auf einem Bankkonto 100.000 £ als „Notgroschen“ bereit.


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Anfang Dezember besuchte Hans im Anschluss an einen Arbeitsbesuch in Finnland für zwei Tage Mikaels Familie in Lappland. Die kleinen Ortschaften ringsherum waren verschneit und vorweihnachtlich geschmückt. Hans erwartete, dass jeden Augenblick der Weihnachtsmann mit seinem Rentierschlitten um die Ecke kommen würde. Das Thermometer zeigte -30° C an. Mikael hatte für Hans die den Wetterverhältnissen angepasste Kleidung in seiner Größe besorgt, und da es absolut windstill und die Luft klar und trocken war, kam er gut mit den für ihn ungewohnten Temperaturverhältnissen zurecht. Auch das für ihn neue Phänomen, dass es nur zwischen 10.00 Uhr und 14.00 Uhr leicht dämmerte und die Dunkelheit den Rest des Tages fest in ihren Klauen hielt, empfand er nicht als bedrückend. Er fühlte sich im Gegenteil auf eine angenehme Art und Weise entspannt und vermisste die Sonne nicht. Ella ließ es sich nicht nehmen, Hans bei mehreren Ausfahrten mit dem Hundeschlitten das winterliche Lappland zu zeigen. Die beiden Tage vergingen wie im Flug und Hans machte sich wieder auf den Weg zurück nach Deutschland, denn seiner Frau bedeutete es sehr viel, die Adventszeit gemeinsam mit Lothar jun., ihren kleinen Lieblingen und natürlich auch mit ihm in ihrem vorweihnachtlich geschmückten Haus zu feiern. Außerdem hatte Harry Menzel um einen Termin gebeten. Er wollte mit den beiden Meier über die ihm von Heinz Meier vorgelegten Planzahlen für das nächste Jahr sprechen. Mikael begleitete Hans mit der Linienmaschine bis nach Helsinki, denn die Privatmaschine seiner Familie war zurzeit nicht verfügbar.

Der Flug nach Düsseldorf hatte Verspätung und so setzten sich Hans und Mikael noch in einer Bar an die Theke, um das ebenso teure wie schmackhafte finnische Bier zu genießen. Direkt neben Hans saß ein älterer Mann, dessen Kleidung auch schon bessere Tage gesehen hatte. Er machte einen ungepflegten Eindruck, starrte in sein leeres Bierglas und schien das Treiben auf dem Flughafen nicht wahrzunehmen. Hans tat der Mann Leid und er sprach ihn auf Englisch an, ob er mit ihm und Mikael ein Bier trinken würde. Der Mann sah ihn aus traurigen Augen an und nickte zustimmend. Als die drei Biere kamen, erhob der Mann sein Glas und sagte: „Nastrovje“. Dann leerte er sein Glas mit einem Zug, stellte es vor sich auf die Theke und starrte wieder in das leere Glas. Mikaels Neugierde war erwacht. Er sprach den Mann auf Russisch an.

„Väterchen, du machst einen traurigen Eindruck. Kann ich dir helfen?“

Der Mann sah Mikael erstaunt an. Dann antwortete er mit einer Mischung aus Russisch, Deutsch und Englisch:

„Kommst du aus Russland?“

„Nein, ich bin Finne und heiße Mikael. Neben mir sitzt mein Freund Hans. Er ist Deutscher.“

Der Gesichtsausdruck und die Körperhaltung des älteren Mann änderten sich von der einen Sekunde zur anderen. Er schien gerade aus einem schlechten Traum zu erwachen.

„Mein Name ist Gregori Gregorowitsch. Ich bin in Russland geboren und zur Schule gegangen. Dann habe ich in der ehemaligen DDR Chemie studiert. Anschließend bin ich nach Russland zurückgekehrt und habe dort erfolgreich als Chemiker gearbeitet. Ich besaß viele Patente und bin in der ganzen Welt herumgereist. Dabei habe ich gelernt, mich auf Englisch zu verständigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Russen haben sich meine Lebensumstände nach der Perestroika eher verschlechtert als verbessert. Zuletzt haben mir neureiche russische Geschäftsleute in übelster Gangstermanier meine Patente einfach weggenommen, das heißt, ich habe unter Androhung von Gewalt entsprechende Schriftstücke unterschrieben. Geld habe ich nicht bekommen. Mir wurde als Gegenleistung mein Leben geschenkt. Ich hatte noch ein paar Ersparnisse, aber die sind jetzt aufgebraucht. Im Augenblick weiß ich nicht so richtig, was ich machen soll. Eigentlich bin ich auf dem Weg in die USA, denn ich habe noch eine Erfindung gemacht, die bisher keiner kennt und die ich in Amerika zu Geld machen wollte. Aber leider haben die Amis den Termin gestern abgesagt. Sie halten meine Erfindung wahrscheinlich für das Hirngespinst eines alten mittellosen russischen Fantasten.“

Bei dem Wort Erfindung war das Interesse von Hans sofort geweckt.

„Was ist das für eine Erfindung?“

„Es ist mir nach Jahren endlich gelungen, eine dünne, aber sehr widerstandsfähige Folie zu entwickeln, die man mittels einer besonderen Düse auf nahezu jeden Untergrund auftragen kann. Aber das ist nur die eine Seite meiner Erfindung. Ich habe zusätzlich eine Flüssigkeit entwickelt, die die Folie rückstandslos auflöst, wenn sie mit ihr in Berührung kommt. Die in der Flüssigkeit aufgelöste Folie kann anschließend mit normalem Leitungswasser umweltverträglich abgewaschen werden.“

Während Mikael den Russen ziemlich verständnislos ansah, sprang Hans von seinem Stuhl auf und rannte zum Schalter seiner Fluggesellschaft. Anschließend telefonierte er länger und kam dann freudestrahlend zurück. In der Zwischenzeit hatten Mikael und der Russe jeder zwei Bier getrunken. Gregori machte jetzt einen völlig entspannten und zufriedenen Eindruck.

Hans setzte sich wieder auf seinen Hocker und wandte sich an Mikael.

„Bitte stell jetzt keine Fragen. Ich habe meinen Flug auf morgen umgebucht. Meine Frau und Heinz Meier wissen auch schon Bescheid. Hast du jemanden in deinem Umfeld, der sich um Gregori kümmern kann? Mich interessiert seine Erfindung.“

Mikael verstand zwar immer noch nicht, aber er vertraute Hans bedingungslos. Er telefonierte sofort.

Hans wandte sich nun dem Russen zu.

„Haben Sie verstanden, was ich mit meinem Freund besprochen habe?“

Der Russe nickte.

„Wir laden Sie auf unbegrenzte Zeit ein. Mikael organisiert gerade die dafür notwendigen Voraussetzungen. Ich bin mir sicher, dass Ihre Erfindung sehr viel Potenzial hat.“

Mikael hatte nun sein Telefonat beendet und bestellte noch drei Bier.

„Ich habe eine Mitarbeiterin gebeten, uns zu helfen. Sie ist in dreißig Minuten hier.“

Eine halbe Stunde später kam eine Frau zielstrebig auf sie zu. Sie war Mitte fünfzig, blond und schlank. Mikael stand auf und umarmte die Frau zur Begrüßung.

„Ich möchte euch Ludmilla vorstellen. Sie ist als junges Mädchen mit ihrer Familie aus der damaligen Sowjetunion nach Finnland gekommen und arbeitet seit über zwanzig Jahren für unsere Firma. Sie wird sich ab sofort um Gregori kümmern.“

Mikael stellte Ludmilla die beiden Herren vor. Sie reichte Hans und Gregori die Hand.

„Es ist alles organisiert. Ich habe für Gregori schon ein Hotelzimmer und für euch drei einen Tisch für heute Abend in einem Restaurant reserviert.“

Dann wandte sie sich Gregori zu.

„Aber als erstes werden wir beide einkaufen gehen. Auf geht’s.“


Es dauerte einen Moment, bis Gregori realisierte, was gerade um ihn herum vorging. Aber dann lächelte er, stand auf und hakte sich bei Ludmilla ein, die schon seine alte Reisetasche vom Boden aufgehoben hatte. Er fühlte sich jetzt mindestens zehn Jahre jünger.


Als Hans und Mikael wieder alleine waren, platzte Mikael los.

„Kannst du mir jetzt bitte mal erklären, was das Ganze soll?“

Hans strahlte seinen Freund an.

„Gehen wir davon aus, dass der Russe nicht gelogen hat. Dann eröffnen sich für eure Familie neue Geschäftsfelder, die eure bisherigen Aktivitäten in den Schatten stellen. Zwei mögliche Anwendungsbeispiele für die Anwendung der Erfindung:

1. Heute haben alle Tankwagen, die Treibstoff von A nach B transportieren, als Rücktour im Regelfall eine Leertour, weil die Innenwand des Tanks nach dem Entleeren immer mit Treibstoffresten bedeckt ist. Diese Tanks könnten zukünftig vor Ort mit der Folie des Russen ausgekleidet und auf der Rücktour zum Beispiel mit Olivenöl gefüllt werden.

2. Finnland verfügt über Wasser in unendlichen Mengen und von hervorragender Qualität, aber kein Erdöl. Im arabischen Raum gibt es riesige Ölvorkommen, aber nur wenig Wasser mit Trinkwasserqualität. Stell dir vor, ein Tanker wird in Finnland mit der Folie des Russen ausgekleidet, nimmt dann euer hervorragendes Wasser auf und fährt in den Nahen Osten. Das Wasser wird abgepumpt und der Tanker fährt mit arabischem Erdöl nach Rotterdam. Dort wird die Ladung wie in der Vergangenheit gelöscht. Von dort fährt der Tanker weiter nach Finnland, wo die alte Folie entfernt und die neue eingebracht wird. Dann nimmt der Tanker wieder euer hervorragendes Wasser auf, kehrt zurück in den Nahen Osten und löscht dort die Ladung Wasser. Und so weiter und so weiter. Die Frachtkosten für das Öl werden halbiert und ihr vergoldet euer Wasser.“

Mikael sah Hans mit großen Augen an. Nach und nach realisierte er das Potenzial der Erfindung des Russen. Vorausgesetzt, die Erfindung des Russen hielt, was sich Hans von ihr versprach.

„Und wie sollen wir jetzt weiter vorgehen?“

„Du kümmerst dich intensiv um Gregori und richtest ihm ein Labor ein. Wenn er die ersten Folien hergestellt hat, fahren wir mehrere Versuche. Dann schalten wir neutrale Chemiker ein, die die Folie auf Lebensmittelverträglichkeit untersuchen. Bekommt die Folie von allen Instituten grünes Licht, akquirieren wir die ersten Kunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Caballero sofort anbeißt, wenn ich ihm die Folie schmackhaft mache. Wie du mit dem Russen wegen der Patentrechte klar kommst, ist deine Sache. Ich würde mich im Namen der Maschbau GmbH freuen, wenn wir den Bau einer dann erforderlichen Fertigungsfabrik für die Folie mit unserem Know-how bezüglich der Prozessabläufe begleiten dürften.“

Als Hans und Mikael am Abend das von Ludmilla reservierte Lokal betraten, wartete sie schon mit Gregori auf die beiden. Der Russe war nicht wiederzuerkennen. Ein ordentliches Bad, ein Friseurtermin und neue Kleidung hatten aus ihm einen neuen Menschen gemacht. Voller Dankbarkeit, aber auch sehr selbstbewusst, ging er auf Mikael zu.

„Dich, Hans und Ludmilla hat mir der Himmel geschickt. Ich fühle mich wieder wie ein Mensch, der von anderen Menschen respektiert wird. Ich hoffe, ich bekomme die Chance, mich in angemessener Form zu revanchieren.“

Ludmilla verabschiedete sich. Ihre Familie wartete schon auf sie. Die drei Männer nutzten den Abend, um sich zu beschnuppern. Gegen Mitternacht stand Gregori, schon leicht angeschlagen, auf und erhob sein mit Wodka gefülltes Glas:

„Meine Freunde, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich verspreche euch, dass ich euch nie enttäuschen werde. Gleich morgen werde ich damit beginnen, eine Aufstellung mit den notwendigen Utensilien für das Labor zusammenzustellen. Ich bin zuversichtlich, dass die ersten Folien Anfang Januar fertig sind.“

Am nächsten Morgen flog Hans zurück nach Deutschland und Gregori stürzte sich in seine Arbeit. Mikael nahm Kontakt zu namhaften Chemikern und Hygieneinstituten auf.

Zurück in Deutschland setzte sich Hans mit seinem Chef und seinem Freund Heinz zusammen. Heinz Meier legte eine erste Ergebnisprognose für das bald zu Ende gehende Geschäfts- und Kalenderjahr vor. Auch dieses Jahr reihte sich nahtlos in die Erfolgsgeschichte der Maschbau GmbH ein und Harry Menzel überwies seinen beiden besten Mitarbeitern eine mehr als angemessene Prämie. Anschließend stellten die beiden Meier die Planzahlen für das Folgejahr vor.


In der zweiten Januarwoche meldete sich Mikael bei Hans:

„Der Russe ist soweit. Wir haben schon die ersten Versuche vorbereitet. Wann kannst du hier sein? Ich lasse dich abholen.“


Zwei Tage später betrat Hans in der Nähe von Helsinki die Halle, in der die Versuche durchgeführt werden sollten. Gregori hatte nicht zu viel versprochen. Die Folie war eine echte Sensation. Mitte Februar lagen alle Unbedenklichkeitsbescheinigungen für den Einsatz der Folie und des dazugehörigen Lösungsmittels für den Transport von Lebensmitteln aller Art vor. Hans rief daraufhin den Privatsekretär des Caballeros an, um einen Termin zu vereinbaren. Und schon zwei Tage später empfing ihn der Araber in seinem Haus zum Abendessen. John, der Butler, nahm Hans in Empfang.

Beim Essen war wieder Fußball das Hauptthema. Anschließend setzten sich die beiden an den kleinen Tisch und der Caballero zündete sich eine wohlriechende Zigarre an.

„Ich bin sehr neugierig, Herr Meier. Ich nehme an, dass Sie einen besonderen Grund haben, mich zu besuchen.“

Hans nickte und begann, dem Araber das Patent des Russen, das Potenzial dieses Patentes und die Familie Nielsson vorzustellen. Als er seine Ausführungen beendet hatte, stand der Caballero von seinem Stuhl auf und ging im Zimmer auf und ab. Hans konnte seine Erregung förmlich spüren.

„Ich muss erst einmal alles verarbeiten, was ich gerade von Ihnen gehört habe. Wenn ich es nicht aus Ihrem Mund gehört hätte, würde ich es nicht glauben. Wann kann ich die Folie sehen?“

„Jederzeit.“

„Ich bin gleich wieder zurück.“

Im nächsten Augenblick verließ der Caballero das Zimmer. Fünf Minuten später kam er zurück. Er war nun wieder ganz entspannt.

„Mein Flugzeug wird uns morgen um 11.00 Uhr von London nach Helsinki fliegen. Ist das für Sie in Ordnung?“

„Kein Problem.“

„Gut, mein Chauffeur wird Sie nun zu Ihrem Hotel bringen und morgen früh abholen. Guten Abend.“

Hans telefonierte im Hotel lange mit Mikael, der am nächsten Tag alles für den Gast aus London vorbereiten ließ.



Helsinki zeigte sich von seiner besten Seite: blauer Himmel, windstill und 0° C. Mikael hatte einen angemessenen Transfer organisiert. Der Caballero, Mikael und Hans trafen sich zu einem ersten Gespräch in einem kleinen Seminarraum eines Hotels. Der Caballero musterte Mikael ganz offen. Er hatte bis zum heutigen Tag noch keinen Kontakt mit einem blonden Riesen in einer für ihn unwirklichen Welt.

Mikael wartete einige Zeit. Dann ergriff er das Wort:

„Herzlich willkommen bei uns in Finnland, Herr Unbekannt. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit es Ihnen bei Ihrem ersten Besuch bei uns in Finnland gefällt.“


Der Caballero lächelte den großen Finnen an:

„Vielen Dank für den freundlichen Empfang. Ich bin Herrn Meier dankbar, dass er mich begleitet und auf diesen warmherzigen Empfang vorbereitet hat. Ich weiß, dass man mich den Caballero nennt. Ich habe wichtige Gründe, meinen richtigen Namen nicht zu nennen. Ich akzeptiere daher die Anrede Caballero.“

„Also dann noch einmal von vorne: Herzlich willkommen in Finnland, Herr Caballero.“

Dann aßen die drei zu Abend. Der Koch hatte sich alle Mühe gegeben, auf den besonderen Geschmack des Gastes einzugehen, und das Ergebnis war ausgezeichnet.

„Bitte richten Sie dem Koch mein Kompliment aus. Ich fühle mich wie zu Hause.“

„Herr Caballero, wir haben für Sie ein kleines Programm vorbereitet, das wir nun mit Ihnen abstimmen wollen. Zuerst besuchen wir morgen nach dem Frühstück das Labor, wo Sie sich ein Bild von der Folie machen können. Im Anschluss daran fahren wir zu einem Schiff, in dessen Tank die Folie auf einer Versuchsfläche aufgetragen worden ist, damit Sie sich auch davon ein Urteil bilden können. Vor Ihren Augen werden wir dann die Folie im Tank wieder auflösen und mit normalem Leitungswasser entfernen, ohne dass dann noch Rückstande im Tank verbleiben. Übermorgen fliegen wir mit unserem Flugzeug nach Lappland, wo ich Ihnen meine Familie vorstellen möchte. Meine Familie ist nämlich neugierig, den Mann kennenzulernen, mit dem wir eventuell das größte Geschäft in der Geschichte unseres Familienunternehmens abwickeln werden. Zu Ihrer Information: Das Wetter in Lappland ist ähnlich schön wie hier in Helsinki. Es ist mit -25° C nur ein kleines bisschen kälter als hier.“

Der Caballero war sichtlich irritiert. Aber dann besann er sich wieder auf die Unterhaltung mit Hans Meier während des Fluges nach Helsinki. Hans hatte ihm erklärt, dass ohne die Einbindung der Familie kein Geschäft mit dem Finnen möglich war und die Gastfreundschaft in Lappland den gleichen Stellenwert wie in der arabischen Welt hatte. Die zu dieser Jahreszeit in Lappland herrschenden Temperaturen hatte Hans nicht erwähnt.

„Ich freue mich darauf, an Ihrem kleinen Programm teilnehmen zu dürfen und werde mir gleich morgen früh die passende Kleidung für den Ausflug nach Lappland zulegen. Ich baue dabei auf Ihre Unterstützung.

Vereinbarungsgemäß holte Mikael den Caballero und Hans nach dem Frühstück ab. Nach dem Besuch eines Bekleidungsgeschäftes fuhren die drei weiter zum Labor. Dort stellte Mikael dem Caballero als erstes Gregori Gregorowitsch vor. Gregoris Augen leuchteten vor Stolz, und er nahm den Araber sofort in Beschlag. Bald hatten die beiden alles um sich herum vergessen. Egal, was der Caballero fragte, Gregori hatte auf alles die passende Antwort. Nach einer Stunde näherten sich die beiden wieder Mikael und Hans.

„Herr Meier, meine Erwartungen werden übertroffen. Es ist mir eine Ehre, einen so großartigen Wissenschaftler wie Herrn Gregorowitsch kennenlernen zu dürfen. Besuchen wir bitte nun das Schiff, in dem die Folie bereits eingebaut worden ist.“

Am Abend saßen der Caballero, Mikael und Hans wieder beim Abendessen zusammen. Auf Wunsch des Caballeros leistete ihnen der Russe Gesellschaft.

Am nächsten Morgen flogen Mikael, Hans und der Caballero nach Lappland. Die Sicht war gut und so bot sich dem Araber ein für ihn bis dato völlig unbekanntes Bild. Die ganze Landschaft, die unter ihnen vorbei glitt, war weiß. Der Caballero fühlte sich an die weiten Wüsten in seiner Heimat erinnert.

„Was glitzert denn dort unten an so unendlich vielen Stellen?“

„Das ist das Eis auf den über 40.000 Seen, die wir in Finnland haben.“

Der Caballero war überwältigt. Dieser Wasserreichtum raubte ihm fast den Verstand.

Am Flughafen angekommen, wurden die drei schon erwartet. Es war das gleiche Empfangskomitee wie bei Hans‘ erster Ankunft. Besonders die beiden Kinder Lotta und Kristina konnten ihre Neugierde nicht verbergen und strahlten den Gast aus Arabien an. Da die Erziehung des Caballeros europäisch geprägt war, ging er sofort auf die vier zu und begrüßte sie mit seiner ihm eigenen Mischung aus perfekten Umgangsformen und einer leichten Distanz. Den beiden Kindern gefiel der elegante Fremde mit dem dunklen Teint und den schwarzen Augen sofort. Sie nahmen ihn in die Mitte und führten ihn zu den bereitstehenden Autos. Der Caballero folgte den beiden jungen Damen mit sichtlicher Freude. Beim anschließenden Mittagessen hielt sich der Caballero tapfer. Es gab Rentierfleisch in allen Variationen. Er bestand darauf, alles probieren zu wollen. Nach dem Essen standen zwei Rentierschlitten bereit. In dem ersten Schlitten nahmen Mikael und der Caballero Platz, in dem zweiten Ella und Hans. Hete hatte im Haus zu tun. Der Caballero sprach während der ganzen Fahrt kein Wort. Er saugte die Eindrücke förmlich in sich auf. Der Schnee, die mit Schnee geschmückten Tannen, die Dunkelheit und die Reflektion der Strahlen der Sonne, die zwar noch immer hinter dem Horizont versteckt war, aber indirekt die Landschaft in ein Farbenspiel aus blau und rosa-lila tauchte, all das raubte ihm fast den Atem. Nach einer Stunde bat er Mikael, den Schlitten anzuhalten. Er wollte den Schnee berühren und einmal über das Eis laufen. Am frühen Abend flogen Mikael, Hans und der Caballero wieder zurück nach Helsinki. Bei der Verabschiedung fragte der Caballero Hete, ob er im Sommer, wenn es hier nie dunkel werden würde, einmal wieder kommen dürfe. Sie reichte ihm lächelnd die Hand und lud ihn ein:

„Herr Caballero, Sie sind uns jederzeit willkommen.“

Zurück im Hotel bat der Caballero Mikael um ein Gespräch unter vier Augen. Hans verabschiedete sich und traf sich noch mit Gregori an der Bar.

Als der Araber und der Finne alleine waren, atmete der Caballero erst einmal hörbar durch und streckte dann Mikael seine rechte Hand entgegen.

„Herr Nielsson, es kommt nicht oft vor, aber mir fehlen die Worte. Deshalb möchte ich es bei drei Worten belassen: Danke für alles.“

Er setzte sich an den Tisch und Mikael nahm ihm gegenüber Platz.

„Ich werde noch einige Tage, ja vielleicht Wochen, benötigen, um die Eindrücke des heutigen Tages zu verarbeiten. Doch kommen wir nun zum Geschäftlichen. Ich schlage Ihnen vor, dass wir eine gemeinsame Gesellschaft gründen. Den Gesellschaftszweck stelle ich mir wie folgt vor:

Wir rüsten eine Tankerflotte in Finnland mit Ihrer Folie aus. Die Tanker bringen das finnische Wasser in meine Heimat, wo es von meinen Geschäftspartnern vermarktet wird. Die Schiffe nehmen Erdöl auf und fahren zum Beispiel nach Rotterdam, wo die Ladung gelöscht wird. Dann fahren die Tanker weiter nach Helsinki. Hier wird die in den Tanks befindliche Folie frei von Rückständen entfernt. Die Schiffe laden frisches finnisches Wasser und transportieren es in meine Heimat. Ihre Aufgabe besteht in der Herstellung der Folie und deren ordnungsgemäßem Ein- und Rückbau in den Tankern und natürlich in der Lieferung des Wassers. Den Rest organisiere ich. Jeder von uns beiden hält 50% an der neuen Firma.“

Mikael sah den Araber mit großen Augen an.

„Ich verdiene doch schon an der Folie und an der Wasserlieferung. Warum wollen Sie mir dann noch 50% an dem restlichen Geschäft geben?“

„Herr Nielsson, ich finde langsam meine Sprache wieder. Das ist mein Dank für den unvergleichlichen Tag. Ich bin kein fanatischer, aber ein sehr gläubiger Moslem. Ich habe mich Allah und seiner unendlichen Macht und Güte noch nie so nah gefühlt wie am heutigen Tag. Was ist gegen dieses einmalige Gefühl schon ein Geschäftsanteil von 50%?“


Jetzt war es an Mikael, sprachlos zu sein. Der Caballero ließ ihm die nötige Zeit, um sich wieder zu sammeln.

„Wir müssen noch zwei Punkte besprechen, Herr Nielsson. Was ist mit dem Patent des Russen und wie binden wir Herrn Meier mit ein, dem wir beide dieses Geschäft in erster Linie verdanken?“

„Mit Gregori habe ich schon eine Vereinbarung getroffen. Hans und ich haben ihm seine Ehre und sein Selbstwertgefühl wiedergegeben. Das ist unbezahlbar. Aber da der Mensch nicht allein von Ehre und vom Selbstwertgefühl leben kann, bekommt der Russe ein großzügiges Gehalt und später eine lebenslange Rente, mit der er mehr als zufrieden ist. Bei Hans ist die Sache schon etwas schwieriger. Er hat das Potenzial der Folie sofort erkannt und uns beide zusammengebracht. Ohne ihn gäbe es kein Geschäft. Deshalb kann man seinen Anteil gar nicht hoch genug einschätzen. Allerdings wird Hans von uns kein Geld annehmen. Für ihn war das in erster Linie ein Freundschaftdienst. Er ist zufrieden, wenn die Firma Maschbau GmbH ihre Beratungsleistungen bei der Realisierung des Folienprojektes angemessen vergütet bekommt. Von Hans Meier weiß ich, dass sein Chef ihn und seinen Freund und kaufmännischen Leiter der Maschbau GmbH sehr gut bezahlt und angemessen am Erfolg beteiligt. Ich werde dafür sorgen, dass die Beratungsleistungen in Verbindung mit der Produktion der Folie ein überaus erfolgreiches Geschäft für die Maschbau GmbH wird. Zusätzlich werde ich ohne sein Wissen einen Geldbetrag für ihn hinterlegen, der es ihm ermöglicht, im Bedarfsfall bis an sein Lebensende finanziell unabhängig zu sein. Um beides kümmere ich mich. Das ist mein kleiner Beitrag zu unserem Geschäft.“

Der Araber beschloss, seinen neuen Geschäftspartner ins Vertrauen zu ziehen und erzählte Mikael von dem Konto, welches er für den Deutschen eingerichtet hatte. Der Finne freute sich für seinen Freund und reichte dem Araber zum Abschied die Hand. Das Geschäft war besiegelt. Der Caballero flog am nächsten Tag zurück nach London. Dort bereitete er umgehend seinen Teil des Geschäftes vor und wartete auf grünes Licht aus Finnland.




Im Frühling des darauffolgenden Jahres war es dann soweit. Der erste Tanker kam nach Finnland, um dort zuerst mit der Folie ausgekleidet zu werden und anschließend eine Ladung Wasser aufzunehmen. Da das finnische Wasser Trinkwasserqualität hatte und die hohen Ansprüche der Araber mehr als erfüllte, hatte der Caballero in der Zwischenzeit eine Abfüllanlage für Trinkwasserflaschen bauen lassen.

Die Folie trat einen Siegeszug an, die ihresgleichen suchte. Die Anwendungsgebiete schienen unerschöpflich zu sein. Schon nach wenigen Monaten mussten die Produktionsstätten in Finnland erweitert werden. Die Maschbau GmbH wurde bei der Realisierung aller Projekte, die aus der Erfindung des Russen resultierten, im Rahmen ihrer Kompetenzen mit eingebunden.

Mitte des Jahres besuchte Mikael die Maschbau GmbH, um den Chef Harry Menzel und den kaufmännischen Leiter Heinz Meier persönlich kennenzulernen. Nach dem Abendessen holte der Finne einen vorbereiteten Vertrag aus seiner Jackentasche.

„Herr Menzel, die Einsatzmöglichkeiten der Folie scheinen grenzenlos zu sein. Ähnliches gilt für den wirtschaftlichen Erfolg, der daraus resultiert. Und dies alles verdanken wir der Maschbau GmbH, genauer gesagt, einem Mitarbeiter dieser Firma, Herrn Hans Meier. Er hat sofort das Potenzial der Erfindung des Russen erkannt. Deshalb habe ich im Einvernehmen mit meinem Geschäftspartner diesen vorbereiteten Vertrag mitgebracht. Es handelt sich um einen Beratervertrag zwischen unserer und Ihrer Firma.“

Mikael überreichte Harry Menzel den Vertrag. Er war in englischer Sprache verfasst und hatte nur zwei Seiten. Harry Menzel überflog den Text der ersten Seite. Er konnte die Sätze lesen, aber er verstand nicht alles. Dann blätterte er um. Sofort sprangen ihm zwei Zahlen ins Auge: 15 years und 250.000 £ per year. Er wurde blass und reichte den Vertrag an Heinz Meier weiter. Heinz benötigte nicht viel Zeit, um den Vertrag zu lesen und zu verstehen. Er schob Hans die beiden Blätter rüber und reichte Mikael die Hand:

„Sehr fair, vielen Dank.“

Und dann kam sofort der Kaufmann zum Vorschein:

„Wann können wir mit dem Eingang der ersten Zahlung rechnen?“

Mikael lachte laut.

„Heinz Meier, du gefällst mir. Ich mag Profis. Wenn dein Chef den Vertrag unterschrieben hat und du mir eure Bankverbindung durchgibst, kannst du 48 Stunden später über das Geld verfügen. Die anderen Zahlungen erfolgen dann immer am 1. Juli des jeweiligen Jahres.“

Harry Menzel unterschrieb den Vertrag am nächsten Morgen in seinem Büro und der Finne hielt Wort. Zwei Tage später konnte Heinz Meier den entsprechenden Zahlungseingang verzeichnen.


Meier im Quadrat

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