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31.2.2 Auswirkungen des teilweisen Zahnverlustes
ОглавлениеUnmittelbare Folgen des Zahnverlustes sind für den Patienten spürbar als Einschränkung des Kauvermögens, Beeinträchtigung der Ästhetik und der Sprachfunktion. Die Beeinträchtigung der Kaufunktion nimmt mit zunehmender Anzahl fehlender Zähne zu. Dem Patienten können solche Veränderungen u. a. dadurch bewusst werden, dass sich die Verschlechterung der Kieferfunktionen (hier speziell der Kaufunktion) durch verlängerte Kauzeit und durch Impaktion von Speiseanteilen in den Lücken bemerkbar macht. Die Aspekte der gestörten Ästhetik und Sprache wiegen vor allem dann besonders schwer, wenn die Zahnverluste im Bereich der Front-, Eckzähne und Prämolaren des Oberkiefers, mit etwas geringerem Schweregrad auch im Unterkiefer, vorliegen. Patienten bemerken die Lückenbildung und empfinden dadurch eine starke persönliche und soziale Einschränkung. Die Störung der Phonetik macht sich meist durch Lispeln (Sigmatismus) bemerkbar. Nicht selten gehen mit Zahnverlust psychische Probleme einher.
Auf der Ebene des Organismus haben Verluste einzelner Zähne in vielen Fällen eine direkte Auswirkung auf die Position der Nachbarzähne und Antagonisten. So können Nachbarzähne rotieren, wandern und/oder kippen; vorhandenen Lücken gegenüberstehende Zähne können elongieren. Diese Positionsänderungen können sich sekundär in Veränderungen der statischen und dynamischen Okklusion niederschlagen. Dadurch bedingt können okklusale Frühkontakte und Gleithindernisse bei exzentrischen Unterkieferbewegungen und eine erhöhte Attrition der betroffenen Zähne, eine Traumatisierung und ein Umbau bzw. Abbau des Zahnhalteapparats und Zahnlockerung bis hin zu Zahnverlust mit folgendem Knochenabbau auftreten. Darüber hinaus können Unstimmigkeiten im dentalen Bereich mitverantwortlich für das Auftreten von funktionellen Problemen im Bereich von Kiefergelenk und Kaumuskulatur sein (vgl. Kap. 10). Treten weitere Folgen auf, spricht man vom unkompensierten Gebissschaden.
Es gibt aber auch Fälle, in denen das Vorliegen eines Lückengebisses nicht zu einer Ausweitung des vorhandenen Gebissschadens führt. In diesen Situationen kommt es nicht zu Störungen der Kaufunktion, der Unterkieferbeweglichkeit oder der Sprachfunktion oder zu Destruktionen des Parodonts. Stattdessen findet im Rahmen einer Adaptation ein funktioneller Umbau statt; das Lückengebiss befindet sich in einem stabilen Gleichgewicht. Solch ein kompensierter Gebissschaden ist in der Regel nur bei einzelnen Zahnverlusten zu erwarten, wobei die der Lücke benachbarten Zähne in habitueller Interkuspidation durch ihre Antagonisten deutlich fixiert sein müssen (Wenz und Hellwig 2018).
Aber auch beim Fehlen sämtlicher Molaren kann der Schaden kompensiert sein. Bei einem kompensierten Gebissschaden ist die Frage berechtigt, ob Zahnersatz überhaupt indiziert ist, denn heute gilt als unbestritten, dass aus funktionellen Gründen nicht in jedem Lückengebiss ein Zahnersatz angefertigt werden muss (Battistuzzi et al. 1991, Brunner und Kundert 1988). Insbesondere wenn alle Molaren fehlen, die Zahnreihe aber sonst geschlossen ist, kann eine Prämolarenokklusion für den Patienten eine Option sein, besonders dann, wenn keine prothetisch-rekonstruktive Therapie gewünscht wird. Man spricht in diesen Fällen vom Konzept der verkürzten Zahnreihe (engl. shortened dental arch, SDA; Gerritsen et al. 2017). Oft erfordern aber ästhetische Gründe die Anfertigung von Zahnersatz im stabilen Lückengebiss.
In vielen Fällen kommt es jedoch zu den zuvor genannten Veränderungen und Folgen; es liegt ein unkompensierter Gebissschaden vor. Hier ist im Gegensatz zum kompensierten Gebissschaden eine prothetische Therapie im Sinne einer künstlichen Kompensation indiziert und erforderlich.
Neben einem kompensierten und unkompensierten gibt es noch einen sogenannten völligen Gebissschaden, der dadurch gekennzeichnet ist, dass eine weitere Schädigung nicht möglich ist, weil bereits alle Zähne verlorengegangen sind (vgl. Kapitel 40 und 41) (Wenz und Hellwig 2018).
Auch der Zustand des Zahnhalteapparats spielt im Lückengebiss eine nicht unbedeutende Rolle. Ist das Parodont der Restzähne gesund („parodontale Resistenz“), so treten Stellungsänderungen dieser Zähne weniger schnell auf als bei einem erkrankten Zahnhalteapparat (chronische Parodontitis, Zahnlockerung; „parodontale Insuffizienz“) (Fröhlich 1959). Eine vorliegende Parodontitis ist fast immer mit schlechter Mundhygiene verbunden, und diese stellt einen prognostisch ungünstigen Faktor auch für den Erfolg der prothetischen Therapie dar. Daher muss auch die Therapie mit abnehmbarem Teilzahnersatz immer in einem synoptischen Behandlungskonzept erfolgen, so dass eine strukturierte Vorbehandlung erfolgt.