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1.4 Lernen mit digitalen Medien: Didaktische Ansätze
ОглавлениеDie Nutzung digitaler Technologien für das Lehren und Lernen hing und hängt auch immer mit den jeweiligen (didaktischen) Auffassungen hinsichtlich der Funktionsweise beider Prozesse zusammen. Bereits in den 1970er Jahren wurden Großrechner erstmals und zunächst systematisch zu Lehr-Lernzwecken eingesetzt. Ein erstes Beispiel stellte das an der University of Illinois (USA) entwickelte »Programmed Logic for Automatic Teaching Operation«-System (PLATO) dar, mit dessen Hilfe unterschiedlichste Anwendungen umgesetzt werden konnten (Saettler, 1990). Zumeist gelang dies auf Basis einfacher Texte und simpelster Graphik (auf monochromen Terminal-Bildschirmen). Aus didaktischer Sicht orientierten sich die ersten Einsätze digitaler Technologie noch wesentlich am Behaviorismus (einen Überblick über den Behaviorismus und andere Lehr-Lernparadigmen gibt bspw. Urhahne, 2019). Zentral am Behaviorismus ist die Auffassung, dass Menschen bei ihrer Geburt kaum über angeborene Mechanismen und Kompetenzen verfügen und diese erst im Lauf des Lebens erworben werden. Lernen findet dabei durch Mechanismen der Verstärkung statt und beinhaltet immer eine beobachtbare Verhaltensänderung (Gerrig, 2015). In der behavioristischen Tradition standen die ersten sog. Drill & Practice-Programme bzw. der Programmierte Unterricht (vgl. Skinner, 1971). Hier wurde Information zunächst in kleinen Einheiten präsentiert und danach geprüft, ob das Präsentierte gelernt worden war. Erst nach einer erfolgreichen Überprüfung wurde die nächste Information präsentiert usw. Ähnliche Vorgehensweisen finden sich auch heutzutage noch. Ein Beispiel sind Apps, mittels derer man zur Vorbereitung der theoretischen Führerscheinprüfung die entsprechenden Fragen »pauken« kann, oder auch einfache Vokabeltrainer.
Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes ist das sog. Verzweigte Lernen. Auch hier werden die zu erlernenden Bereiche auf kleinste Einheiten reduziert. Allerdings besteht die Möglichkeit, entsprechend individuelle Rückmeldung auf bestimmte (vordefinierte) Fehler zu geben und Lernende dadurch gezielter zu fördern (vgl. Crowder, 1959; einen Überblick geben hier etwa Niegemann et al., 2008). Grundsätzlich darf man sich diese Ansätze primär textbasiert vorstellen, zumal graphische Darstellungen schon aufgrund monochromer Bildschirme deutlich eingeschränkt waren. Andererseits stellen das verzweigte Lernen und dessen Möglichkeit zur individuellen Förderung bereits ein Umdenken dar, welches sich auch durch die sog. Kognitive Wende zeigt (vgl. Zoelch, Berner & Thomas, 2019). Verschiedene Entwicklungen führten dazu, dass die grundlegenden Annahmen des Behaviorismus nicht umfassend dazu beitragen können, menschliches Lernen und menschliche Informationsverarbeitung in der gesamten Komplexität der dabei zugrunde liegenden Vorgänge zu erklären.
Mit der Weiterentwicklung digitaler Technologien und der Möglichkeit, menschliche Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsprozesse mithilfe von Software zu modellieren, begann die Ära des Kognitivismus. Auch hier wurden verschiedene didaktische Ansätze in Form digitaler Lernprogramme entwickelt. Zu diesen Ansätzen gehören Tutorielle Programme, Intelligente Tutorielle Systeme (ITS), aber auch Simulationen. Bei einfachen tutoriellen Programmen wurden abweichend vom Programmierten Unterricht größere Mengen an Informationen präsentiert, es wurde aber auch hier – ähnlich wie beim verzweigten Lernen – die Möglichkeit zur Überprüfung des Gelernten gegeben. Auf Basis der Antworten Lernender (in der Regel Einsatz von Multiple-Choice-Fragen oder einfachen offenen Fragen) konnte ein individuelles, systemgeneriertes Feedback erzeugt werden, bzw. konnten entsprechende Inhalte vertieft oder wiederholt werden. Intelligente Tutorielle Systeme zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass sie über Algorithmen verfügen, mit denen der Wissensstand Lernender kontinuierlich diagnostiziert wird, dass die Lernziele eindeutig definiert sind und dass die Methoden zum Erreichen der Lernziele in Abhängigkeit von Lernziel und Leistungsstand der Lernenden adaptiert werden können (Psotka & Mutter, 1988). Ein Beispiel für ein ITS aus dem Bereich der Elektrizitätslehre ist das Online-Angebot »ElectronixTutor« (https://etv2.org/; Graesser et al., 2018), bei welchem das System adaptiv auf die Eingaben Lernender reagiert, um letztere nach und nach gezielt zum Erreichen der Lernziele zu bringen. Die Metaanalyse von VanLehn (2011) zu Intelligenten Tutoriellen Systemen zeigt, dass diese ähnliche (und damit starke) Effektstärken erreichen (d = 0,76) wie menschliche TutorInnen (d = 0,79).
Gegen Ende der 1980er Jahre wurde der pädagogische Konstruktivismus populär und bereicherte die Landschaft digitaler Lernangebote um neue didaktische Ansätze (vgl. Kollar & Fischer, 2019). Zentral für diese Ansätze ist die Annahme, dass jedes Individuum seine eigenen Erfahrungen und sein Vorwissen mit sich bringt und auch neue Informationen individuell und subjektiv verarbeitet. Entsprechend wurden hier Lernumgebungen konzipiert, welche ein aktives, exploratives und erfahrendes Lernen ermöglichen und Lernenden ein hohes Maß an Freiheit gewähren. Zu solchen Lernumgebungen gehören etwa hypermediale Lernumgebungen, in denen Lernende frei navigieren können (z. B. Zumbach, 2009). Auch Ansätze wie die Anchored Instruction (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1991, 1992), bei denen das Erkunden von Informationen anhand von navigierbaren Videos zentral war (hier anhand von Videodiscs, einem Vorgänger der DVD), wurden populär. Neben der zunehmenden Berücksichtigung individueller Einstellungen und Voraussetzungen nahm im Konstruktivismus auch die Bedeutung kooperativer und kollaborativer Wissenskonstruktionsprozesse zu (Kollar & Fischer, 2019). Im neuen Jahrtausend wurde dies erneut aufgegriffen und das neue Paradigma des Konnektivismus nach Siemens (2005; vgl. auch Siemens & Matheos, 2010) propagiert. Hierbei wird das »Wissen, wo?«, also das Wissen um die Ressourcenallokation in einer zunehmend vernetzten Welt, als zentrale Kompetenz im digitalen Zeitalter in den Vordergrund gestellt. Prinzipiell wird dabei zwar ein neues Lernparadigma postuliert, bei genauerer Betrachtung finden sich aber keine nennenswerten theoretischen Weiterentwicklungen (vgl. Bremer, 2013) gegenüber bisherigen konstruktivistischen Ansätzen, wie denen der Situated-Cognition-Bewegung und der Communities of Practice (vgl. Lave & Wenger, 1991; Resnick, 1991). Gerade aber die Einbindung von Individuen in soziale Netzwerke (also soziale Strukturen im eigentlichen Sinne) ist hier zentral, wie Lave und Wenger betonen (1991, S. 29; vgl. auch Zumbach & Astleitner, 2016):
»Learning viewed as situated activity has its central defining characteristic a process that we call legitimate peripheral participation. By this we mean to draw attention to the point that learners inevitably participate in communities of practitioners and that the mastery of knowledge and skills requires newcomers to move toward full participation in the sociocultural practices of a community.«
Mittlerweile zeigt sich, dass die Grenzen zwischen diesen Paradigmen bei der Gestaltung digitaler Lernangebote immer mehr verschwinden bzw. ein eklektischer, kognitivistisch orientierter Zugang dominiert. Rein konstruktivistische Ansätze wie etwa die Anchored Instruction (aber auch die Cognitive Flexibility Theory zum Einsatz von Hypermedien; vgl. Spiro & Jehng, 1990) sind mittlerweile praktisch bedeutungslos. Vielmehr stehen heutzutage eine gezielte Anpassung an die Eigenschaften von Lernenden und die zu erreichenden Lehrziele bzw. Kompetenzen sowie die daraus resultierende lernendengerechte Gestaltung digitaler Lernangebote im Vordergrund. Neben klassischen digitalen Trainingsprogrammen (z. B. Web-Based-Trainings) kommen auch explorative Lernumgebungen (z. B. Simulationen oder Spiele) zum Einsatz, wenngleich den Lernenden hier zumeist auch eine feste Struktur vorgegeben wird, um Überforderung zu vermeiden. Prinzipiell könnte man von einem Neo-Kognitivistischen Paradigma sprechen, in dessen Rahmen sowohl die Berücksichtigung individueller Eigenschaften der Lernenden und deren aktive Rolle beim Lernen als auch eine kontrollierend-anleitete didaktische Gestaltung von Lernangeboten zentrale Aspekte sind.