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ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

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Nach Erscheinen von Kapital, Band 1, 1867 hat der Marx-Freund und Bewunderer Ludwig (Louis) Kugelmann (im Verein mit Engels’ Verwandtem Carl Siebel) alle möglichen Anstrengungen unternommen, um dem vermeintlichen Totschweigen des Werkes durch Rezensionen in bürgerlichen Blättern zu begegnen. Da dies zunächst nicht gelang, sprang Engels ein. Von ihm verfasste (anonyme) Besprechungen, in denen er sich den Anschein eines bürgerlichen Kritikers gab, konnten in verschiedenen Versionen in neun deutschen Zeitungen untergebracht werden.11 Der Tenor war immer: Marx hat der sozialistischen Bewegung die theoretische Grundlage geliefert, was Vorgängern wie Proudhon oder Lassalle nicht gelungen ist; Marx hat in der Analyse des Kapitalismus geleistet, wozu bürgerliche Ökonomen unfähig sind, damit zugleich der deutschen Wissenschaft auch auf diesem Gebiet den Spitzenplatz beschert.

In Fortsetzung dieser Kampagne veröffentlichte Engels Mitte 1869 erstmals eine biographische Skizze über Marx, immer noch anonym.12 Dem war eine längere Vorgeschichte vorausgegangen. Im Januar 1868 hatte Kugelmann an Marx geschrieben, ein in Hannover lebender Autor wolle einen Artikel über Marx in einer populären Zeitschrift veröffentlichen. Marx stellte daraufhin eine Notiz mit den wichtigsten Daten zu seinen Lebensstationen und Veröffentlichungen zur Verfügung.13 Geschehen ist zunächst nichts. Im Juli 1868 informierte Kugelmann dann Engels, es gebe eine Chance, einen entsprechenden Text in der Gartenlaube – einer Kulturzeitschrift mit beacht lichem Niveau und sehr hoher Auflage – zu veröffentlichen. Engels übernahm das selbst; seine Autorschaft solle nicht bekannt werden.14 Marx hat Engels’ Text gelesen und ihm noch einige Punkte mitgeteilt, die genannt werden sollten.15 Als dann von der Gartenlaube keine Reaktion kam, wandte Kugelmann sich an eine Konkurrenzzeitschrift, Daheim, die aber vor einer Veröffentlichungszusage den Text prüfen wollte, da man „die Bedeutung des Dr. Marx als Nationalökonom“ nicht einschätzen könne.16 Marx war verärgert, bedauerte, dass er sich auf etwas eingelassen hatte, was unter seiner Würde als Wissenschaftler sei.17

Kugelmann gab nicht auf. Im Sommer 1869 stellte er eine Verbindung zur linksliberalen Berliner Zeitung Die Zukunft her. Engels revidierte seinen Text vom Vorjahr noch einmal. Er erschien (anonym) am 11. August 1869. Drei Wochen später hat ihn Wilhelm Liebknecht in dem von ihm redigierten Demokratischen Wochenblatt in leicht gekürzter Form nachgedruckt und als „von kompetentester Seite“ stammend vorgestellt.

Der Artikel mit der Überschrift „Karl Marx“ beginnt mit einem anderen: „Man hat sich in Deutschland daran gewöhnt, in Ferdinand Lassalle den Urheber der deutschen Arbeiterbewegung zu sehen. Und doch ist Nichts unrichtiger“. Lassalle habe nur deshalb auf seinen „Triumphzügen […], um die ihn die Landesfürsten beneiden konnten“, die massenhafte Zustimmung des Proletariats erfahren, weil die von ihm verbreiteten Ideen den „Denkenden“ unter den Arbeiter seit langem vertraut gewesen seien. Die jüngere Generation wisse kaum noch etwas über die Revolution 1848/49 und die anschließende Zeit der Reaktion bis 1852. Deshalb müsse daran erinnert werden, dass „vor und während der Revolution von 1848 unter den Arbeitern, namentlich Westdeutschlands, eine wohlorganisierte sozialistische Partei bestand, welche zwar nach dem Kölner Kommunistenprozeß [November 1852] auseinanderfiel, deren einzelne Mitglieder aber im Stillen fortfuhren, den Boden zu bereiten, dessen Lassalle sich nachher bemächtigte“. Lassalle hätte aufgrund seiner Energie auf jeden Fall eine bedeutende politische Rolle gespielt. „Aber weder war er der ursprüngliche Initiator der deutschen Arbeiterbewegung, noch war er ein origineller Denker. Der ganze Inhalt seiner Schriften war entlehnt, selbst nicht ohne Missverständnisse entlehnt, er hatte einen Vorgänger und einen intellektuellen Vorgesetzten, dessen Dasein er freilich verschwieg, während er seine Schriften vulgarisirte und dieser intellektuelle Vorgänger war Karl Marx“.18

Marx und Engels hatten Lassalles Aufbau des Ende Mai 1863 gegründeten „Allgemeinen Deutschen Arbeiter Vereins“ (ADAV) miss-trauisch verfolgt, sich in ihrer privaten Korrespondenz auch zu Schmähtiraden verstiegen, sich gleichwohl in öffentlichen Äußerungen bis zu Lassalles Tod (31. August 1864) ungewöhnlich zurückgehalten, worin sich auch Anerkennung für die organisatorische und agitatorische Leistung Lassalles spiegelte. Als Marx im Vorwort zum Kapital 1867 seinen Plagiatsvorwurf gegenüber Lassalle öffentlich machte, war dies noch in relativ verhaltener Form geschehen. Engels wiederholte diesen Vorwurf sicherlich so massiv, um dem nach Lassalles frühem Tod gestifteten und immer noch blühenden „Personenkultus“19 zu begegnen. Aber Liebknecht (der zuvor20 wie auch später immer wieder von Marx und Engels Texte zur Bekämpfung des Lassalleanismus anforderte) strich diese Passage. Er fand sie inopportun just nach der Gründung der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ (SDAP) in Eisenach (7.–9. August 1869), der sich auch eine Abspaltung des ADAV angeschlossen hatte und die auf weiteren Zugewinn aus deren Reihen setzte.21 Engels war verärgert; statt den Text zu „kastrieren“, hätte Liebknecht besser auf ihn verzichtet.22 Worin die herausragende theoretische Leistung von Marx bestand, bleibt vage, auch wenn zu bedenken ist, dass es ein populärer Text sein sollte. Das Kapital sei die „politische Oekonomie der herrschenden Klasse, auf ihren wissenschaftlichen Ausdruck reducirt“, aber nicht mit „agitatorischen Phrasen“ (wie bei Lassalle), sondern durch „streng wissenschaftliche Deduktionen“.23 Das Kapital sei auch wichtig für die Darlegung der konkreten Arbeitsverhältnisse in England, einschließlich der Fabrikgesetzgebung mit den Regelungen über Kinder, Frauen- und Nachtarbeit, deshalb „von höchstem Interesse für jeden Industriellen“.24


Ferdinand Lassalle (1825–1864) Publizist und Gründer der sozialdemokratischen Bewegung, um 1862.

Aufschlussreicher sind die Aussagen zur Biographie,25 die Marx als Kämpfer für die Pressefreiheit ausweisen, der wiederholt Opfer von Repressalien wurde: das Verbot der Rheinischen Zeitung 1843; Marx’ Ausweisung aus Frankreich 1845 und aus Belgien 1848, der dann eine Einladung der französischen provisorischen Regierung zur Rückkehr nach Frankreich gefolgt sei,26 die Leitung der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) 1848/49, die solchen Gebrauch von der neuen Pressefreiheit gemacht habe, dass die preußischen Behörden nach vergeblichen Versuchen, eine strafrechtliche Verurteilung von Marx herbeizuführen, zum Mittel der Ausweisung gegriffen hätten. Imponierend unverfroren ist die


Karl Marx als Prometheus, 1843. Vermutlich war es der Kölner Grafiker David Levi Elkan, der im Zu sammenhang mit dem Verbot der Rheinischen Zeitung den von Marx bevorzugten Gott der antiken Mythologie Prometheus auf die Bühne einer antiken Tragödie stellte. Der mit Ketten an die Druckerpresse der Zeitung gefesselte Marx, dem der aus dem Hintergrund von einem Eichhörnchen – in Anspielung auf den preußischen Kultusminister Friedrich Eichhorn – geführte ‚preußische‘ Adler Aethon die Leber anfrisst, im Vordergrund der wehklagende Chor der rheinischen Städte, die mit der Zeitung ihr politisches Medium verlieren. Behauptung, Marx habe sich von den „Streitigkeiten und Zänkereien aller Art“ unter den politischen Flüchtlingen in London ferngehalten; sie wirft die Frage auf, warum er der „‚Bestverleumdete‘ deutsche Schriftsteller“ war, der sich aus Notwehr in so viele Polemiken verstricken musste, die ihn – neben seiner ausgeprägten wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit – so lange daran gehindert hätten, mit den Ergebnissen seiner ökonomischen Untersuchungen an die Öffentlichkeit zu treten.27 Zum Schluss wurde Marx noch als „einer der Gründer“ der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) vorgestellt, welche eine neue Epoche in der Geschichte der Arbeiterbewegung eröffnet habe.


Karl Marx (1818–1883), 1875.

Friedrich Engels

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