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ОглавлениеFrancois Bonhommé, Coulée de fonte au Creusot, 1864.
VORWORT
„Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums, sagen die politischen Ökonomen. Sie ist dies – neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichthum verwandelt. Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: sie hat den Menschen selbst geschaffen.“1
Friedrich Engels notierte diesen kurzen Gedanken 1876, als er sich über mehrere Jahre hinweg – er lebte damals in London – mit Fragen der Naturwissenschaften befasste. Diese drei Sätze geben einen Einblick in die Vorstellungswelt eines der letzten universalistisch denkenden Theoretikers im 19. Jahrhundert, als die Spezialisierung der Wissenschaften mit ihrer jeweils eigenen Logik längst Tatsache geworden war. Sie zeigen, welchen bedeutenden Stellenwert Engels der Kategorie der Arbeit für die Wirtschaft, Gesellschaft und das Leben selbst beimaß, auf deren Grundlage Engels und Karl Marx ihre Theorien bildeten. Das Erfordernis einer interdisziplinären Betrachtungsweise für eine historisch-kritische Bewertung der Schriften von Friedrich Engels, der sich früh aus lokaler Enge befreien konnte und sich am Ende seines Lebens als Weltbürger verstanden hat, folgt unmittelbar.
Generell muss bei der historisch-kritischen Analyse der Schriften dieser beiden großen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts der allzu oft vernachlässigte Umstand berücksichtigt werden, dass viele davon durchaus nicht zu ihren Lebzeiten veröffentlicht und somit nicht von ihnen selbst autorisiert waren. Zu denken ist etwa an jene Sammlung disparater Fragmente, Notizen und Manuskripte aus dem Jahr 1845 unter dem späteren Titel Die deutsche Ideologie oder jene Schriftstücke von Engels in unterschiedlicher Entstehungsstufe, die als Dialektik der Natur neu formiert und ediert wurden. Die „Vereindeutigung“ der Engels’ und Marx’schen Schriften im 20. Jahrhundert, etwa durch Heranziehung solcher unveröffentlichten Schriften unter Außerachtlassung ihres historischen Kontextes und deren ideologische Aufladung, musste deshalb zwangsläufig zu schiefen Urteilen über ein angeblich kohärentes und abgeschlossenes „Werk“ führen. Umso verwickelter stellt sich die Rezeptionsgeschichte ihrer Vorstellungen und Theoreme dar.
Die Instrumentalisierung der nur scheinbar in sich konsistenten „Werke“ von Marx und Engels für politische Zwecke kennzeichnet die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts in hohem Maße. Deshalb erstaunt es, dreißig Jahre nach dem Ende der politischen Blockbildung und der einsetzenden Entideologisierung tatsächlich noch „Hans Guck-in-die-Luft-Spaziergänge“ in der Literatur anzutreffen, die die Schriften von Marx und Engels, unkritisch ihrer Rezeptionsgeschichte gegenüber, als universelle Wahrheiten losgelöst von Zeit und Raum betrachten. Andererseits mehren sich inzwischen auch Beiträge quellenvalider und den historischen Kontext berücksichtigender Forschung, die nicht nur die werkimmanente Erkenntnis sucht, sondern auch themenorientiert und längsschnittartig die Schriften des philosophischen Theoretikers Karl Marx und des an Empirie interessierten Unternehmers und Publizisten Friedrich Engels befragt und analysiert. Es geht weniger um das Hinzufügen weiterer Textauslegungen, als vielmehr um die Aufbereitung kontextualisierten Wissens mit dem Ziel eines historisch reflektierten Gegenwartstransfers.
Die Überlegungen für ein solches „Längsschnittprojekt“ reichen längere Zeit zurück. Ein erster Denkimpuls entstand in Manchester, Friedrich Engels’ langjähriger Arbeits- und Wirkungsstätte. Als Kaufmann und Unternehmer hatte er den engen Zusammenhang der Industriellen Revolution mit ihren technologischen Voraussetzungen und sozialen Folgen wahrgenommen, eine Perspektive, die sowohl im Museum of Science and Industry in Manchester als auch in Quarry Bank Mill in der englischen Ortschaft Styal in wegweisender Form erlebbar ist. Doch es war auch klar, dass über die Sozial- und Technikgeschichte hinaus ebenso die Geschichte des ökonomischen Denkens einzubeziehen war. So lag es auf der Hand, die Bedeutung von Engels’ Frühschrift Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie von 1844 herauszustellen und deren Folgewirkung auf Marx nicht unberücksichtigt zu lassen.
Wer sich aber einmal auf die doppelte Fragestellung von Textkontextualisierung und Rezeptionsgeschichte eingelassen hat, den lassen die von Engels angestoßenen Fragestellungen so schnell nicht wieder los. Der Stein war ins Rollen gekommen. Er wäre aber ohne jene Kolleginnen und Kollegen, die zusätzlich zu ihrer Tätigkeit ex officio dem Projekt ihre Energie und auch ihre Empathie geliehen haben, nicht über die erste Anhöhe hinausgekommen. Die Schumpeter School Stiftung bot den für die Einbeziehung einer größeren Zahl von Experten adäquaten Rahmen, um den beabsichtigten interdisziplinären Dialog zu realisieren. Den Autorinnen und Autoren gilt unser herzlicher Dank für ihre Bereitschaft, an diesem Projekt mitzuwirken und ihre hilfreiche Unterstützung zu gewähren.
Dank gilt dem Vorstand, dem Beirat und den fördernden Mitgliedern der Stiftung, vor allem Herrn Dr. Dr. h.c. Jörg Mittelsten Scheid, der mit einer großzügigen Förderung die ursprünglich geplante Tagung, die bedauerlicherweise aufgrund der Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 ausgesetzt werden musste, sowie die Drucklegung der Beiträge unterstützt hat. Sein inhaltliches Interesse an neuen Fragestellungen zu Friedrich Engels, mit dem ihn auch eine Verwandtschaftsbeziehung verbindet, wirkte ungemein ermutigend für die Arbeit an diesem Vorhaben. Ohne ihn wäre es ein Schubladenprojekt geblieben.
Danken möchten wir auch der Bergischen Universität Wuppertal und insbesondere der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft – Schumpeter School of Business and Economics, die organisatorische Unterstützung für unsere Forschungen gegeben haben. Zahlreiche weitere Institutionen und Personen haben zum Gelingen des Projekts beigetragen – auch ihnen allen gilt unser herzlicher Dank: den Archiven, Museen und Privatsammlern, die Zugang zu ihren Beständen und die Nutzung ihrer Gemälde, Grafiken und Fotografien einräumten, um dem Experten Atmosphäre und dem interessierten Laien das Quellenerlebnis bieten zu können.
Viele Fragen bleiben nach wie vor ungeklärt. Beharrliche Forschung wird auch in Zukunft notwendig sein, um Antworten auf die zahlreich aufgeworfenen Problemstellungen zu geben. Das ist das Los der Wissenschaft. Es gibt keine endgültige Wahrheit, sie muss jeden Tag neu erarbeitet werden. So sind denn auch die Beiträge dieses Buches nicht als endgültiges Ergebnis zu betrachten, sondern vielmehr als eine Facette in einem weitverzweigten und komplexen Forschungsfeld.
Wuppertal und Düsseldorf, im April 2020
Eberhard Illner Hans Frambach Norbert Koubek