Читать книгу SOULAC SUR MER - Tod eines Kommissars - Jürgen Nottebaum - Страница 7

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Christine blickte auf die Uhr. Es war genau 19.00 Uhr. Die Gäste konnten kommen. Pünktlich war sie mit den Vorbereitungen zum Apéritif Dînatoire fertig geworden.

Sie stammte aus Dijon und verbrachte wie viele andere Urlauber auch ihre Ferien seit Jahren auf diesem Campingplatz. Meist hatte sie dabei eines ihrer Enkelkinder zu Gast. Nur in diesem Jahr nicht. Deshalb freute sie sich umso mehr darüber, auch in diesem Jahr ihre Freunde aus Deutschland wiederzusehen. Und die Deutschen unter ihren Gästen, sie schmunzelte bei dem Gedanken, die waren pünktlich. Bei denen war 19.00 Uhr eben 19.00 Uhr und nicht wie bei den Franzosen eine ungefähre Zeit, bei der man sich allmählich zum Ort der Einladung auf den Weg machte.

Sie spähte um die Ecke ihres Vorzeltes den Weg hinunter. Erfreut nahm sie zur Kenntnis, dass die ersten Gäste nahten, natürlich Margarete und Georg. Dass Valérie, Babette, Gérard und die anderen etwas später kommen würden, war Christine ganz recht. So konnte sie in Ruhe erst einmal ihre deutschen Freunde aufs herzlichste begrüßen. Sie erinnerte sich mit Vergnügen daran, wie sie diese vor einigen Jahren erstmals zu einem Apéritif Dînatoire eingeladen hatte. Die beiden waren damals davon ausgegangen, es handele sich um eine kleine Einladung, zu einem Apéritif halt, einem Schnäpschen oder so, nach dem man gegen 20.00 Uhr wieder geht. Sie hatten nicht mit einer ausgiebigen langen Abendveranstaltung gerechnet, bei der es Unmengen von vorbereiteten kleinen Köstlichkeiten zu genießen gab.

Christine bevorzugte diese Art der Bewirtung. Sie war nämlich, wie sie selbst fand, keine begnadete Köchin. Mit dieser Lösung konnte sie Gäste zu sich einladen und auf elegante Art das Kochproblem umgehen. Dafür musste sie allerdings eine Menge Arbeit in die Vorbereitung stecken. Diesmal hatte sie aber handfeste Unterstützung von Babette und Gérard erhalten. Mit den beiden war sie tags zuvor zum ‚Leclerq‘, einem großen Supermarkt in Lesparre, dem zentralen Ort etwa 30 Kilometer von der Küste entfernt, gefahren und hatte umfassend eingekauft. Gérard und Babette hatten sie anfangs fleißig beraten, waren dann aber selbst auf Einkaufstour gegangen. Gérard hatte gemeint, die Gelegenheit sei günstig, denn sie als Wohnmobilfahrer hatten nicht oft eine so bequeme Gelegenheit, ohne das mühsame Aufräumen und reisefertige Sichern des Wohnmobilinneren in einem Supermarkt dieser Größenordnung einkaufen zu können. Das fatale Resultat dieser Entscheidung hatten sie zu spüren bekommen, als sie mit zwei turmhoch beladenen Einkaufswagen auf dem Parkplatz bei Christines kleinem Wagen erschienen waren. Gérard, dessen Laune schon auf der Hinfahrt nicht besonders gut gewesen war, weil Christine ihm nicht das Steuer überlassen hatte, hatte zunächst lauthals lamentierend am Kofferraum gestanden und unter großem Geächze die diversen Getränke und weitere große Kartons mit Lebensmitteln darin verstaut.

Christine hatte währenddessen erst einmal Taschen in den Fußraum hinter ihrem Fahrersitz geschoben und dann begonnen, weitere Waren auf dem einen freien Rücksitz zu stapeln. Ein Blick auf den Einkaufswagen von Babette und Gérard ließ sie ahnen, dass es mächtig eng werden würde. Christine hatte kurz überlegt. Dann hatte sie die Beifahrertüre geöffnet und Gérard auf den Sitz beordert. Kaum hatte der sich angeschnallt, hatte sie ihm alles, was noch im Einkaufswagen lag, auf die Knie gepackt. Zum Schluss drückte sie noch ein großes Paket mit Toilettenpapier hochkant so auf seinen Schoß, dass er nicht mehr nach vorne schauen konnte.

„Festhalten!“ hatte sie dem sprachlosen Mitfahrer befohlen und energisch die Beifahrertüre ins Schloss gedrückt, noch ehe der so Bepackte protestieren konnte. Dann hatte Christine den Wagen vorne umkreist, einen Blick auf ihren zugestapelten Beifahrer geworfen, von dem sie allerdings nur den schütteren Scheitel sehen konnte, sich ans Steuer gesetzt und war fröhlich losgefahren. Auf der Rückfahrt hatte Gérard kein Wort von sich gegeben.

Zurück auf dem Campingplatz hatten sie dann zunächst die Einkaufsbeute am Wohnmobil ausgeladen. Gérard hatte seine wiedererlangte Freiheit sofort genutzt und war, ohne den Frauen weiter zu helfen, auf sein Fahrrad gesprungen und hatte etwas von Bouleplatz geknurrt. Den beiden Frauen hatte das nichts ausgemacht. Ihnen stand sowieso im Vorzelt von Christines Wohnwagen nun ein langer Nachmittag der Vorbereitung bevor. Zum Glück hatte Gérard noch vor ihrem Aufbruch zu der Einkaufstour schon die Tische so aufgebaut, dass für die nun vorzubereitenden Teller und Schüsseln genügend Abstellfläche zur Verfügung stand. Während dieser Vorbereitungen hatte Babette die Gelegenheit genutzt und Christine von ihren Sorgen um Gérard berichtet.

Er war in letzter Zeit immer rastloser geworden. Ständig fuhr er mit seinem Fahrrad in der Gegend herum und war auf der Suche nach irgendwas. Was, das wollte er aber nicht verraten. Nur einmal hatte er angedeutet, dass es mit seiner Vergangenheit als Kommissar zu tun habe, weswegen er in jungen Jahren von Paris nach Reims versetzt worden war. Sie, Babette, kam nicht dahinter, was ihren Mann auf einmal so rastlos machte. Christine hatte versucht, Babette zu beruhigen. „Vielleicht“, hatte sie gemeint, „vielleicht fände sich ja am folgenden Tag eine Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen.“

„Ich habe“, sagte Christine, „damit Gérard auf jeden Fall morgen einen kompetenten Gesprächspartner hat, über Valérie den jungen Kommissar Moulin eingeladen. Den hat dein Mann ja im vorigen und vorvorigen Jahr bei zwei Fällen unterstützt. Da können die beiden fachsimpeln. Ich denke, dass Gérard dann auch zufrieden sein wird. Beruhige dich. So, und jetzt kommen noch die letzten Oliven dran, dann sind wir fertig.“

Mit diesen Worten hatte sie sich dann dem letzten Beutel mit Oliven gewidmet und begonnen, mittels eines speziellen Stecheisens die Kerne zu entfernen. Fünf Minuten später war dann alles soweit, wie man es vorbereiten konnte, fertig und mit Folien und Tüchern abgedeckt.

„Den Rest schaffe ich morgen alleine. Vielen Dank, meine Liebe, jetzt bist du entlassen.“ Mit diesen Worten hatte sie Babette, die nun schon begonnen hatte, den einen oder anderen Zipfel zu lüften und von den Platten zu naschen, aus dem Vorzelt hinausgeschoben.

Nun also begrüßte Christine ihre deutschen Freunde aufs herzlichste und schon nach wenigen Augenblicken waren sie lebhaft beim Austausch der Erlebnisse seit ihrer letzten Begegnung kurz vor Weihnachten, als Christine die beiden in Aachen besucht hatte. Der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt war Christines Höhepunkt gewesen. Nachdem Margarete ausführlich die neuesten Geschichten von den Enkelkindern erzählt hatte, meinte Christine:

„Ich muss euch noch von einem schrecklichen Erlebnis erzählen. Ich war im Frühjahr bereits für eine Woche bei meinem Cousin in Le Verdon eingeladen. Er feierte den 75. Geburtstag. Ihr wisst ja, dass ich gerne am Strand wandere, besonders in stürmischen Zeiten. Da findet man manchmal die unglaublichsten Strandgüter.“

Sie hielt einen Moment inne und dachte daran, dass vor Jahren im Oktober am Strand ein goldenes Kohortenschild einer römischen Legion gefunden worden war. Das Original hatte sich sofort das Museum in Bordeaux gesichert, aber eine Nachbildung konnte man immerhin im örtlichen Musée des Beaux Arts et de l‘Archéologie bewundern, nebst einem Zeitungsartikel, in dem auch ein Foto der Finderin zu sehen war.

„Und so war ich am Mittwoch in jener Woche zu einer Strandwanderung aufgebrochen. Von Soulac aus wollte ich ein Stück in Richtung l’Amélie gehen und wieder zurück. In der Nacht zuvor hatte es heftig gestürmt, und der Coeffizient der Gezeiten war auch extrem hoch. Der Strandboulevard war wegen Sandverwehungen nicht befahrbar. Nachdem ich am Casino geparkt hatte, sah ich schon, dass die Flut von Soulac besonders heftig gewesen sein musste. Ich stieg zum Strand hinunter und machte mich auf den Weg. Nach gut einem Kilometer, ich befand mich etwa auf der Höhe des Ortseinganges, sah ich, dass ein Hangar, der am Vortage noch gut fünf Meter von der Klippe entfernt gestanden hatte, derart unterspült worden war, dass er zum Teil frei in der Luft schwebte. Der Sand darunter war einfach fortgespült worden und die Fundamente schwebten frei in knapp zwei Metern Höhe. Ich traute meinen Augen kaum. Doch als ich nahe genug herangekommen war, machte ich eine schauerliche Entdeckung: ein Teil einer Leiche, genauer gesagt, ein Arm, ragte aus der Sandwand heraus. Teilweise mit Plastik umwickelt.“

Christine schüttelte sich. In ihrer Erinnerung sah sie wieder unter dem freigelegten Hangarboden zwischen den dort baumelnden Leitungen und Rohren aus dem Sand einen menschlichen Arm hervorragen.

„Zunächst hatte ich daran gedacht, dass irgendwer vor dem Bau der Halle dort vielleicht eine Schaufensterpuppe entsorgt haben könnte, doch dann erkannte ich beim näheren Herantreten Verwesungsspuren und, was auf jeden Fall gegen eine Puppe sprach, ein wertvoll aussehendes Armband an dem Handgelenk. Ihr könnt euch lebhaft vorstellen, wie entsetzt ich gewesen war. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich mich in der Aufregung sogar bis unter den Boden des Hangars vorgewagt hatte, um alles genauer erkennen zu können. Erschrocken bin ich dann zurück, habe mit meinem Handy die Polizei verständigt. Die waren mit einem Großaufgebot angerückt, nachdem die ersten Polizisten am Ort des Geschehens die schwierigen Bergungsbedingungen erkannt hatten. Man musste die überhängenden Gebäudeteile absichern. Dafür war Hilfe vom Technischen Hilfswerk und der Feuerwehr hinzugezogen worden.




Mit dicken Holzbalken und Brettern hatten diese eine Art Tunnelgang gebaut, damit man an den Fundort der Leiche herankommen konnte. Gleichzeitig waren die frei hängenden Teile des Fundaments von unten abgestützt worden, damit sie nicht herunterstürzten und die Hallenkonstruktion einbrach. Erst danach hatte man sich auch getraut, die Hallentore ein Stück weit zu öffnen, um von oben über die Stelle zu kommen, unter der sich vermutlich die Leiche befand. Das Ganze war eine schwierige Aktion gewesen, denn man musste auch verhindern, dass mögliche Spuren verwischt oder unbrauchbar gemacht wurden, Spuren, die zur Aufklärung des Falles vielleicht wichtig sein konnten. Es hat lange gedauert, bis die nackte Leiche schließlich geborgen worden war. Wirklich gelöst ist der Fall übrigens bis heute noch nicht. Fest steht eigentlich nur, dass es eine junge Frau aus dem Norden irgendwo zwischen Chartres und Orleans gewesen sein muss, die vor einigen Jahren als vermisst gemeldet worden war und deren Lebenswandel nicht unbedingt bürgerlichen Moralvorstellungen entsprochen hatte. Aber…“,

Christine lauschte nach draußen, wo sich die Ankunft weiterer Gäste durch lautstarkes fröhliches Geplauder ankündigte,

„wie der Stand der Ermittlungen in diesem Fall ist, kann euch vielleicht, wenn es euch interessiert, ein neuer Gast erläutern. Ich habe den jungen Kommissar Moulin für heute Abend auch eingeladen. Der ist mit der Aufklärung betraut.“

Damit wandte sie sich um und umarmte der Reihe nach die eintreffenden Gäste, Valérie, Babette, Gérard, Joelle und Louis. Mit großem Hallo wurden auch Margarete und Georg von den Neuankömmlingen begrüßt. Dann setzte man sich an den Tisch und eröffnete den Abend mit einem Apéritif nach Wunsch. Georg nahm wie immer einen Pastis. Zur Freude von Louis, der ebenfalls begeisterter Pastistrinker war, aber leider unter den gestrengen Augen seiner Frau Joelle nicht immer dazu kam, ein Gläschen davon zu trinken, wenn ihm gerade der Sinn danach stand. An diesem Abend würden seine Chancen gut stehen, wusste er, hob sein Glas in Richtung Georg und zwinkerte diesem fröhlich zu.













SOULAC SUR MER - Tod eines Kommissars

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