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Wegwerfliteratur

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Vergessen und zum Vergessen ist, betrachtet man die Geschichte der bundesdeutschen Literatur, vieles; viel Modisches, Konjunkturelles, einstmals Wegweisendes oder einfach – ob manifesthaft lanciert oder kulturbetrieblich initiiert – Trendbegründendes, eben Maßstäbe Setzendes und vorgeblich Maßgebliches.

Da beginnt sich z. B., in Abkehr wohl von jener Literatur, die laut Thomas Mann mit »Blut und Schande« befleckt gewesen war, nach 1945 rasch ein wahrer Berg an naturlyrischen Impressionen aufzutürmen, von Elisabeth Langgässer über Peter Huchel bis Karl Krolow, während das epische Fach parallel die bald zur Konfektionsware verkommene »kafkaeske Unterwelt« (Peter J. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte – Vom »Ackermann« zu Günter Grass, Tübingen 1996) aus dem Fundus zerrt, angeheitert resp. eher angereichert durch allegorischahistorische Symbolsysteme usf. (Hans Erich Nossack und v. a., als noch heute virulenter Oberschmarren: H. Hesse) – bis zirka 1948 oder wann der bekannte Sartre-Existentialismus Einzug hält und endlich auch die Kurzzeittradition des W. Borchertschen Trümmerheimkehrtheaters aus dem Feld schlägt. Und als erste wirklich kulturmächtige Modeerscheinung allzu lange Einfluß auf Denken und Kleiderordnung ausübt – aber heute zum Glück restlos ad acta gelegt ist.

Allein, ein neuer Zug der Zeit fordert quasi simultan die Erfindung und Einrichtung der Gruppe 47 (hervorgehend aus Hans Werner Richters und Alfred Anderschs Zeitschrift Der Ruf), die in der Folge allerhand angesagtes Textgerümpel gebiert oder fördert; etwa, das lehrt uns dann sehr anschaulich der siebenbändige Zweitausendeins-Reprint der Zeitschrift Akzente (Hanser Verlag, Jahrgänge 1954-1973), Wolfgang Weyrauchs »Kahlschlag«-Gesumse, kulminierend in Günter Eichs Simpellyrik, oder Ilse Aichingers »magischen Realismus« (Brenner) und I. Bachmanns närrisches, Langzeitfrüchte tragendes Bramarbasieren. Weshalb auch schon Böll, Grass und, ein wenig zögerlicher, S. Lenz aus den Startlöchern heranrücken und, barock oder knallhart konventionell realistisch erzählend, fürderhin nicht mehr weichen möchten. Was sie für uns hier doppelt uninteressant macht.

Weitgehend vergessen hingegen: das biographisch-geschichtlich aufgeladene, dominante Romantreiben der mittleren fünfziger Jahre (Koeppen, Andersch etc.). Hans Helmut Kirst, den kennt wahrlich niemand mehr, schiebt jedoch die erneute und zyklenbedingte Abkehr vom Kriegsthema an, verkauft seine 08/15-Trilogie erschreckend oft und: darf als Gott sei Dank komplett vergessen gelten.

In der Versenkung und aus den Buchläden verschwunden sind leider weder Martin Walsers süddeutsche Eheschmonzetten noch Rolf Hochhuths neoklassizistische Politkitschkostümfestivals. Beide dienten und dienen den geplagten Schülern noch heute als ragende Beispiele »der Vergangenheitsbewältigung« und der »Vermessung der neuentstehenden bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft« (Brenner), welche ihrerseits unweigerlich in die sechziger Jahre hineinwuchs, in denen es langsam, aber sicher immer turbulenter, modisch rasanter, wechselhafter, ja kritischer und demzufolge aufgeregter zuging.

Bevor rund um Hans Magnus Enzensbergers 1965 aus der Taufe gehobenes Kursbuch (Suhrkamp Verlag) eine Novität nach der anderen festgezurrt wird (Heft eins startet noch mit dem Versprechen, keine verbindlichen Meinungen über Bücher u. ä. ausbläken zu wollen: »Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen«, und man hievt aber rasch den Strukturalismus und z. T. die zeitweise ganz vorne agierende Noveau-Roman-Fraktion der Kölner Schule aufs Papier – liest das noch jemand? Irgendein Paderborner Prof. wenigstens?), darf erst mal die Dokumentarliteratur, d. i. im wesentlichen Peter Weiss und Heinar Kipphardt, ran, gar nicht mal völlig verkehrt – sieht sich jedoch schnellstens übertrumpft durch eigentlich bereits ein bißchen früher die ausgeweitete literarische und allgemeine Öffentlichkeit in Beschlag nehmende Schulen, Innovationen und fashionable Strömungen.

Die Konkrete Poesie machte da mit ihrem Programm der Befreiung der Sprache von der Funktion, außerkünstlerische Sachverhalte zu repräsentieren, eine rühmliche Ausnahme. Die verschiedenen Zirkel, die, rekurrierend auf die De-Stijl-Gruppe und avantgardistische Techniken, Demanipulationsstrategien entwickelten, um durch den »Bruch mit der grammatikalisch-kontinuierlichen Mitteilungsfunktion der Sprache« (Christina Weiss: Konkrete Poesie als Sprachkritik, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 10, hrsg. v. Ludwig Fischer, München/Wien 1986) die Semantik, die Syntax und die Lexik der zweckrationalen Zurichtung zu entwinden, besaßen zeitweilig nicht geringes Renommee. Ihre Interventionen blieben allerdings langfristig folgenlos. Der »Sprache nach Auschwitz« (Chr. Weiss) setzte Franz Mon entgegen: »Sprache, diese angefochtene, zermürbte Sprache als ›Material‹ nehmen, wobei auch ihre Erinnerung und die Spuren ihres Geschicks mitzählen, um vielleicht im skeptischen Umgang mit ihr der Möglichkeiten inne zu werden, die noch immer und vielleicht gerade auf Grund ihrer erschreckenden Geschichte bestehen.« Und während Helmut Heissenbüttel u. a. vermöge der funktionellen Organisation des Lautmaterials, isomorpher Wortkonstellationen und graphischer/akustischer Topologien die Konzentration auf die unreglementierte Gegenständlichkeit der Sprache zu richten versuchten und das »Aufbrechen einer Sperre« (Heissenbüttel) im Auge hatten, nämlich »modelle für neue verbale libertinagen« (Oswald Wiener), offene, spielerische Kunstgebilde als »Verweigerungsgeste[n] an die geläufige Kommunikationsmaschinerie« (Chr. Weiss), ja »das Trainingsfeld ›Kunst‹ als mögliche Einübung in den Aufstand« (dies.) begriffen (Mon sprach von Texten, die »sich nicht [...] verwerten lassen«, die »die Möglichkeit des Protestes, des Anders-Seins, der Nichtzwangsläufigkeit« entwarfen) – lärmten im Zuge der Politisierung der Literatur diverse Fraktionen um die Palme des aktuellsten Gockels.

Seit 1961, wie auf Verabredung eines neuen Jahrzehnts, gaben sich die genuinen Torheiten die Türklinken in die Hand. Mit dem Kursbuch 15 (November 1968) sollte zwar nach dem Tripeldiktum der Herren Yaak Karsunke, Karl Markus Michel und Enzensberger der »Tod der Literatur« besiegelt sein und eine neue Epoche gleichwohl für nicht »nutz- und aussichtslose« Gedichte, Erzählungen und Dramen anbrechen, allein, den »Aufruf zur Selbstbesinnung und Selbstbestimmung der Literatur« (Brenner) hatten bereits Jahre zuvor die Dortmunder in sich selbst hallend vernommen oder aus der Gesellschaft herausgelauscht. Als nachholend fortschrittliche Reaktion auf die erste Bitterfelder Konferenz im April 1959 (die eine wahre sozialistische Betriebsliteratur zum DDR-Kulturziel erkor) gründete Fritz Hüser, Leiter der Dortmunder Stadtbüchereien und Verwalter des Archivs »Arbeiterdichtung und soziale Literatur«, den ersten Zirkel jener baldigen Gruppe 61, die bis zu ihrer schismabedingten Auflösung 1972 die »Literaturrevolution« (L. Fischer) vorbereitete – den Weg mithin ebnete für die definitiven Attacken auf die bürgerliche Kunst, den bürgerlichen Literaturmarkt und die »Kunstliteratur« (Fischer) überhaupt.

Heute nimmt die Zeugnisse »einer politisch eingreifenden Arbeiterschreibkultur« (Gundel Mattenklott: Literatur von unten – die andere Kultur, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur [...], Bd. 12, hrsg. v. Klaus Briegleb/Sigrid Weigel, München/Wien 1992) niemand mehr zur Kenntnis. Was dort insgesamt und beispielsweise unter der Führung eines Peter Schütt (Sektion Hamburg) und mit tatkräftiger Unterstützung Wallraffs, Erika Runges oder Angelika Mechtels sowie gewerkschaftlich gefördert zusammengeschraubt wurde, rechtfertigt weiß Gott großräumigstes Verdrängen. Zu Beginn tauschten die Werkkreise Literatur der Arbeitswelt Bergmannsgedichte und sonstige soziale Lyrik aus (ein Sammelband hieß Wir tragen ein Licht durch die Nacht, die erste öffentliche Lesung lief am Karfreitag 1961 vom Stapel), dann folgten über den hochproletarischen Luchterhand Verlag Anthologien epischer Art, Gesprächsaufzeichnungen, Protokolle, Betriebstagebücher, Montagen und Flugblätter eingeschlossen, angelehnt an die operative Faktographie Tretjakows. Max von der Grün witterte die Gunst der Stunde und publizierte im Kielwasser der »lebendigen Schreibbewegung« (Mattenklott) das Romandebüt Männer in zweifacher Nacht (1962), und G. Wallraff kam dem Postulat, »die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Arbeitenden zu verändern«, durch die unsterblichen 1966er Reportagen Wir brauchen Dich – Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben nach, gemäß seiner ziselierten Losung: »Wir wollen nicht Literatur als Kunst, sondern Wirklichkeit.«

Eine »parteiliche, realistische Literatur, die ›schön, unterhaltend, spannend, komisch, pointiert, kräftig ausgemalt, zupakkend, einfach, nicht vereinfacht‹ ist« (Werkkreis-Lektorat), klang so: »Wenn ich noch mal zur Welt komme, dann nur als rotes Lämpchen, da weiß jeder, wer ich bin und was ich bedeute.« Das Kapital schrieb sich solche artistischen Widerstandshandlungen gegen Isolation, Krankheit, Entfremdung kaum hinter die Ohren, geschweige denn der Lohnsklave – so daß nach dem zehnjährigen Intermezzo Dieter Süverkrüp lieber die kindliche »Vision eines menschenfreundlichen Schwimmbads« (Mattenklott) ersann, um von der Beatnik-Rezeption (Kerouac, Burroughs, Ginsberg etc.) eingeholt und von Rolf Dieter Brinkmanns Undergroundoffensive (Acid, 1969, zus. mit Ralf Rainer Rygulla) vernichtend ins Abseits verwiesen zu werden.

Nun, die Poprevolte der »Scene« grub abermals eine »veränderte Dimension des Bewußtseins« (Brinkmann) aus, diesmal mehr aus Comic-, Porno-, Werbungs- und LSD-Perspektive bzw. Antrieben »der Anal- und Geschlechtssphäre« (Mattenklott). Trumpf ist jetzt: »das Vorzeigen der Persönlichkeit«, der »versinnlichte Ausdruck«, die hybride, vor Versatzstücken wimmelnde und schillernde »Ästhetik der Oberfläche« (Brinkmann), das Selfmadegebaren des »androgynen Dilettanten« (Mattenklott), der »Wegschmeißliteratur« (Jost Hermand) für den Augenblick des Lebens als Kunstwerk verfertigt.

Daß diese gruppeninszenatorische, fahrige Literatur Nachahmer fand, verwundert nicht. Die »Wachsmatrizenkultur« der Selbstverlegerei griff um sich und schuf Myriaden von Social-Bier-Beat-Poemen und Arnfried Astelschen Epigrammen (zu besichtigen später bei Zweitausendeins). Zugleich sickerte der narzißtische Kult um Herbert Marcuses Außenseiter, Verweigerer und Randexistenzen in anarchistische, esoterische und ökologiebewegte Milieus ein, letzthin konsequent einen Gipfel zu erklimmen, den man kaum benennen möchte: das pazifistisch-lyrische Bekenntnis (Gedichte gegen den Krieg, Zweitausendeins, u. a. m.).

Weil das nicht reichen sollte, stürmte ab 1973 hinwieder ein allgemeines Faible zur »Neuen Subjektivität« heran, welches die Gebrauchstexte in immer neuen Varianten um die gewissermaßen kunstvollere Dimension der genuinen Erzählung, die irgendwelche Studentenrevolutionserfahrungen »verarbeitete«, ergänzte. Zu erwähnen wäre Peter Schneiders Prototyp Lenz (1973) und besser sofort abzuhaken; weshalb das große Sichfreischreiben, angefüttert vom nagenden »Erfahrungshunger« (Michael Rutschky), die Themen Ehe, Haushalt, Homosexualität erschloß, stets in Tuchfühlung zum virulenten Werther-Paradigma der Trennungsgeschichte, des Suizids und freilich der »Utopie der Unbestimmtheit« (Rutschky), die sich aus der »Innenwelt der Außenseiter« (Mattenklott) ergoß. Schreibgruppen stießen die »Verständigungstexte« (so lautete ein großartiger Reihentitel des nimmermodischen Suhrkamp Verlages) an, und bundesweit wurden »Treffen schreibender Frauen« einberufen.

Deren Wirken gedieh bereits auf dem Humus einer »Literatur als Therapie« (erkannte u. a. der Schweizer Adolf Muschg), die neben einer »Literatur der Fremde« und einer gleichfalls allseits präsenten Häftlingsliteratur seit 1971 die Frauenbewegung eskortierte, gehorchend gewissermaßen dem Suhrkamp-Einpeitscher Hans Christoph Buch, dessen radikale Selbstbeschau vom »Hervortreten des Ichs aus den Wörtern« hinein in den Schleim namens Bericht aus dem Inneren der Unruhe (1979) reichte.

Erika Runges Reportagen Frauen – Versuch einer Emanzipation jedenfalls trugen die frühe Fackel und überreichten den Staffelstab, Ingeborg Bachmann beiseite gelassen, an Vera Stefans Häutungen (1975). »Als ›Feministin‹ profilierte sich in diesen Jahren, wer, wie z. B. [Alice] Schwarzer, der Kategorie des ›Geschlechts‹ vor der der ›Klasse‹ den Vorzug gab« (Sigrid Weigel: › Frauenliteratur‹ – Literatur von Frauen, in: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur [...], Bd. 12) und einen »weiblichen Ort« oder, besser, eine »weibliche Subjektivität« als Spezifikation eben des Trends zur Neuen Subjektivität entwarf. Im Zentrum stand vornehmlich die Frage nach der »kulturellen Konstruktion der Geschlechterverhältnisse«, der »Sprachregelungen und Blickinszenierungen« (Weigel). Zunächst dominierten die ungebrochene Introspektion und eine Poesie der »kleinen Sprache« (Ilse Aichinger), ab Mitte der Siebziger tat die Entdeckung des Poststrukturalismus (Lacan, Julia Kristeva, Luce Irigaray) das Ihrige, um den Slogan »Das Private ist politisch« über etwaige »Frauenoffensiven« und Buchreihen (»die neue frau«, Rowohlt Verlag) vom aufklärerischen Impetus meinethalben selbst eines Balges wie Karin Strucks inkommensurablen Romans Klassenliebe (1973) oder Margot Schröders Ich stehe meine Frau (1975) ins sexualpolitische Dekonstruktionsverfahren umzubiegen und die »Arbeit an einer Dezentrierung des Subjektbegriffes« (Klaus Briegleb) voranzutreiben. Neben Elfride Jelineks späterer Klavierspielerin (1983) stach die »topographische Darstellungsweise« in oder aus Gertrud Leuteneggers Roman Vorabend (1975) oder Birgit Pauschs recht vergessenem Buch Die Verweigerung der Johanna Glauflügel (1977) hervor (den sog. »semiotischen Körper« zerpflückten ebenso geflissentlich Anne Dudens Übergang, 1983, und Maria Erlenbergers Hunger nach Wahnsinn, 1977); was nicht verhinderte, daß parallel die »autobiographische Mode« die »Tradition des Bekenntnisdiskurses« fortsetzte und gar eine Luise Rinser mitwursteln konnte und Den Wolf umarmen (1981) in die Runde spendierte. Zehn und ein paar Jahre danach vorläufig enden mußte das alles bei Hera Lind, Gaby Hauptmann und anderen Proseccodamen des Fischer Verlags und des Hauses Reclam Leipzig.

»Nullpunkt-Bewußtsein« (Weigel) und »Einschnitt« (Briegleb): Die im engeren Sinn literarischen Folgen des Jahres und Ereignisses 1968 sind vielgestaltig. Ob das Beharren auf den »subjektiven Faktor« »der neuen Regionalliteratur« (Ralf Schnell: Die Literatur der Bundesrepublik – Autoren, Geschichte, Literaturbetrieb, Stuttgart 1986) Auftrieb gab, den an die sozialen Bewegungen angeschlossenen Geschichtswerkstätten oder alltagsgeschichtlichen Erkundungen (vgl. Inga Buhmann: Ich habe mir eine Geschichte geschrieben, 1977), ob dem Boom der »Väter-Bücher« (Mattenklott) Christoph Meckels, Peter Brückners oder Christa Wolfs oder einer neuen Laienschreibbewegung der »Textberührung«, einer hehren »Schwundstufe von Kunstgewerbe« (Mattenklott): Aus dem Glauben an die »Machbarkeit und Veränderbarkeit der Subjekte und ›Verkehrsformen‹« (Briegleb) resultierte in summa kaum mehr denn die »Vermehrung der Schreibweisen« (Briegleb) unterm Banner des Posthistoire – das Wissen, es sei jetzt schlicht anything machbar.

An einem Patchwork von »Literaturen« (L. Fischer), um die sich jeweils einzelne Feuilletons oder Kritiker hegend und fördernd bemühen, wird seither gestrickt. Zuzeiten stößt irgendein Murks an die Spitze vor und erheischt, Mode zu sein: Erich Frieds umgebrochene Zeitungsheadlines; das schwer profitable Schmocktum Christoph Ransmayrs (1988) und Robert Schneiders (1992); vorher der Bauern-Kroetz als meistgespielter deutscher Dramatiker hinter Brecht; der renaissancegierige »historische Roman« (Brenner); Mitte der Achtziger, in Fortsetzung Fassbinders und/oder Kluges und des Werkes eines F. C. Delius, die RAF- und Deutscher-Herbst-Romankunst; während die ökologische Prosa schon wieder schweigt.

Statt dessen, das führen uns die Almanache der Reihe Deutsche Literatur – Ein Jahresüberblick (Reclam Stuttgart, 1981-1998, hrsg. v. Adolf Fink, Franz Josef Görtz, Volker Hage, Uwe Wittstock u. a.) vor Augen, hebt 1990 und im Sog der Christa-Wolf-Debatte umgehend die Nationallyrik an und schleppt von Kerstin Hensel bis Ulrich Schacht jeden ins Schlachtfeld, der nicht nein brüllt. Flankiert von einer kontrafaktischen und nun besonders (zweck-)freien »Literatur als Literatur« (Günter Kunert), verwesen beide zügig, um 1991 von den allerneusten Weltflüchtern beerbt zu werden, die ein Rennen Richtung »einsame Insel« (Görtz) veranstalten, wahrscheinlich fliehen sie vor der nach wie vor kurrenten Heinermüllerei.

Derweil die epische »Vereinigungsliteratur« (Brenner) zwischen Walser und Hochhuth zäher zu sein scheint und Stasiaktendossiers über Jahre hinweg den Markt fluten, läuft 1994 ungefähr alles glatt, da ist lediglich »die Kritik in der Krise« (Johannes Wilms), weshalb Durs Grünbein seinen Aufstieg einleitet und bereits 1995 »die deutsche Literatur [...] reich an Stoffen und Formen und [...] auf der Höhe der Zeit« (Hubert Winkels) rangiert und bald keine Sau mehr durchblickt.

1996 läutet man freilich ein unabgeschlossenes Th.-Bernhard-Revival plus Kopistenkonjunktur ein, und wahrscheinlich geht es demnächst, nach Antiautoritarismus, 1997 ff.er Popliteratur und in konsequenter Rückwendung via National- und abermalige Vereinigungsliteratur, wieder mit Wald- und Wiesengedichten los; die wohl der zigfach preisbehängte und bisweilen katastrophal en vogue befindliche Durs Grünbein anpacken muß, um den Scheißkreis zu schließen.

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