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I.

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Ich legte den Kopf in den Nacken und warf einen Blick in den strahlend blauen Morgenhimmel über Mönchengladbach. Genauer gesagt: über Mönchengladbach - Wickrath. Lächelnd setzte ich einen Fuß vor den anderen. Was gab es Herrlicheres, als morgens um ein wunderschönes Schloss herum durch die gepflegten Parkanlagen mit einem Hund und einer schönen Frau an der Seite zu joggen?

Ich atmete die frische, klare Luft tief ein und bewunderte den Himmel. Dieses Blau kündete von der Unendlichkeit des Universums, von Frieden und Gelassenheit.

Wie fast jeden Morgen zog ich meine Runden mit meinem treuen Hund Bingo, einem Malinois, wie sich die Rasse der belgischen Schäferhunde nennt. Vor etwas über drei Monaten war mir der Hund quasi ‚aufs Auge gedrückt‘ worden und aus meiner anfänglichen Skepsis ist mittlerweile eine echte Herrchen - Hund Liebe geworden. Unser Motto lautet ‚Ein Mann und sein Hund‘ und ich wusste, dass Bingo den Slogan genauso wundervoll findet, wie ich.

Zumindest hoffe ich das.

Bingo habe ich dem schrecklichsten Menschen, den es auf der Welt gibt, zu verdanken: Herrn Weser. Wenn ich eines Tages tot umfalle, dann wird mit Sicherheit dieser alte, Nerv tötende Mann daran schuld sein. Der nicht einmal ein Meter fünfundsechzig große, grauhaarige Alte schafft es immer wieder, mich innerhalb kürzester Zeit zur Weißglut zu bringen und meinen Blutdruck ansteigen zu lassen. Weser ist klein, dick und ignorant. Dummerweise hat er an meiner Kollegin Christine Weru einen Narren gefressen. So war es auch Chrissi, die ursprünglich den Hund - für eine kurze Zeit - betreuen sollte, doch sie stand zu dem Zeitpunkt nicht zur Verfügung, so dass Bernd auf mich verfiel.

Bernd - mit vollem Namen Bernd Heisters, besser noch Dr. Bernd Heisters - ist seit vielen Jahren mein Freund und Chef, nachdem er mir gegen eine Triade half und das Leben rettete. Damals arbeitete ich als selbständiger Privatdetektiv und hätte diesen Job fast mit dem Leben bezahlt. Als die Chinesen dann mein Büro und das gesamte Wohnhaus abgefackelt hatten, fand ich bei Bernd einen neuen Job als Personenschützer - ich sage lieber Bodyguard - und Privatdetektiv. Bernd ist der Inhaber mehrerer Krav-Maga Studios in ganz Deutschland und unserer Detektei Argus, die - wie sein Studio hier in Mönchengladbach auch - im Gewerbegebiet Güdderath liegt.

Und Christine Weru, die damals neben ihrem Studium für mich als Sekretärin arbeitete, wurde von Bernd noch kurz vor mir eingestellt, so dass wir heute gute Kollegen sind.

Leider aber nicht mehr: gute Kollegen. Denn die Hübsche mit den dunkelbraunen Haaren machte mir schon sehr bald klar, dass ich mein Glück bei ihr gar nicht erst zu versuchen brauchte.

„Jonathan, du solltest nicht den ‚Hans-guck-in-die-Luft‘ machen“, hörte ich die Stimme meiner Kollegin vor mir. „Achte lieber auf den Weg!“

Ich winkte ab und bewunderte weiter den Himmel. Was wusste Chrissi schon! Hier kannte ich jeden Millimeter der Wege, so oft waren Bingo und ich die Strecke schon gelaufen. Noch einmal atmete ich tief durch, dann hielt ich erschrocken die Luft an.

Plötzlich war der Boden unter meinen Füßen verschwunden und ich hing eine Sekunde in der Luft. Dann schlug das Wasser eines der Seen rund um Schloss Wickrath über mir zusammen. Während ich prustend und nass bis auf die Knochen das Ufer hochkletterte, vernahm ich das helle Lachen meiner Kollegin.

„Na, was habe ich gesagt, Jonathan?“, feixte sie und beobachtete, wie ich auf allen Vieren die Böschung heraufkrabbelte. „Aber ich nehme an, du bist extra ins Wasser gesprungen und wolltest dich einfach nur abkühlen ...“ Bingo stand neben ihr und es schien, als würde der Hund ebenfalls grinsen.

„Ja, so ungefähr“, knurrte ich und sah dabei zu, wie das Wasser aus meiner Hose und den Schuhen auf den Weg floss. Warum musste sie nur immer so unbedingt witzig sein wollen?

„Was starrst du auch ständig in den Himmel?“, lachte Chrissi und wandte sich um. „Willst du jetzt nach Hause oder laufen wir weiter?“

„Du kannst ja mit Bingo noch eine Runde drehen“, antwortete ich. „Ich muss erst einmal duschen.“ Das Wasser - und jetzt auch ich - roch unangenehm nach Fäulnis und mein Trainingsanzug wog nass ziemlich schwer. Zum Glück wohnten wir ganz in der Nähe des Parks und es waren nur wenige Minuten zu Fuß. Chrissi hatte damals dafür gesorgt, dass ich die Wohnung über ihr in dem gepflegten Haus mieten konnte und ich war ihr immer noch dankbar dafür. Während ich einen leichten Trab Richtung Heimat anschlug, winkte ich ihr zu. „Wir treffen uns dann später im Büro.“

„Okay, Jonathan. Aber lauf nicht auch noch gegen ein Auto oder eine Laterne!“

Sie war schon längst mit Bingo außer Hörweite, als ich meinen Mittelfinger hob und leise ‚Haha‘ machte.

Unsere Büros befanden sich in dem Gebäude der Detektei, das Bernd von einer bankrotten Firma günstig gekauft hatte, die zuvor ihr Dasein mit dem Digitalisieren von Dokumenten fristete. Dass so etwas in der heutigen Zeit keinen Bestand haben kann, bemerkte der Inhaber dieser Firma erst, als es zu spät war. Dafür verfügen wir jetzt über ein gut ausgestattetes Domizil mit mehreren Büros, Lagerräumen und einem Schulungsraum, den wir nun ‚Planungsraum‘ nennen. Denn dort planen wir unsere speziellen Einsätze, die uns der Oberstaatsanwalt Herrmann Eberson von Zeit zu Zeit zukommen lässt. Einsätze, für die Bernd die Detektei Argus überhaupt gründete und die wir immer dann von dem Oberstaatsanwalt übernehmen müssen, wenn die Polizei mit ihren Möglichkeiten nicht mehr vorankommt. Einsätze, die durchweg am Rande der Legalität anzusiedeln sind.

Ich seufzte und betrachtete die nasse Spur, die ich hinter mir herzog. Leider verlangte Bernd nämlich auch von uns, dass wir ganz ‚normale‘ Detektivarbeit leisteten. Jobs, die ich hasste wie die Pest und deren Highlights das Auffinden von verschwundenen Hunden oder die Suche nach untreuen Ehemännern waren.

Doch seit sich mein treuer Freund Bingo bei uns befand, plante Bernd die Erweiterung unseres Geschäftes um das sogenannte ‚Mantrailing‘. Anfänglich wurde mir nicht ganz klar, was mein Chef damit meinte, doch nachdem er es mir erklärt hatte und später auch Birgit mir in der Abgeschiedenheit meines Büros alles noch einmal in Ruhe auseinandersetzte, wusste ich, dass damit die Personensuche mit einem Hund gemeint war.

Vereinfacht gesagt, zumindest. Sie erzählte dann noch etwas von Duftmolekülen in der Luft und dass sich dieses Mantrailing sehr von der Fährtensuche unterschied, doch da hörte ich ihr schon nicht mehr zu. Wichtig für mich war einzig und alleine, dass Bingo und ich von unserem Chef einen Intensivkurs spendiert bekamen. Ein Kurs, der heute beginnen würde.

Ich dachte an Birgit, während ich die Treppe zum zweiten Stock heraufging. Chrissis Wohnung lag direkt unter meiner und ihr gegenüber wohnte eine alte Frau, die anscheinend den ganzen Tag hinter ihrem Türspion hockte.

Gerade, als ich an ihrer Wohnung vorbeischleichen wollte, öffnete sie und warf einen Blick auf die Spur am Boden. „Nanu, Herr Lärpers“, kreischte die Alte und ich hatte Angst, dass das ganze Haus nun geweckt würde. Aber Wochentags um halb acht Uhr sollte ohnehin niemand mehr schlafen. „Regnet es draußen? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen!“ Bevor ich etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: „Die Sauerei da machen sie aber noch weg, nicht wahr!?“

Ich nickte und eilte die Stufen hinauf.

Wieder wanderten meine Gedanken zu Birgit, der Kollegin mit den bunten Haaren, die ebenfalls ein Büro in der Detektei bekommen hatte. Anfänglich arbeitete die ausgeflippte Kleine in der Detektei als Empfangsdame und Mädchen für alles und ließ keine Gelegenheit aus, mich zu ärgern. Wir waren keine Freunde gewesen und in Gedanken nannte ich die Kleine ‚Zicke‘, was auch von ihrem Namen - Birgit Zickler - herrührte. Und daher, dass sie mich bis aufs Blut quälte.

Später dann - nach einem gemeinsamen Auftrag - entwickelte sich so etwas wie eine vorsichtige Freundschaft zwischen uns und seit unserer letzten gemeinsamen Arbeit vor drei Monaten begegnete ich ihr mehr oder weniger mit Hochachtung. Denn Bernd hatte Birgit eine Ausbildung beim Mossad, dem israelischen Geheimdienst, ermöglicht und seitdem war die Kleine ziemlich hart drauf. Ich war froh, dass sie auf unserer Seite stand.

Da war mir Jennifer Enssel, unser blonder Engel und Mädchen für alles im Krav Maga Studio doch schon wesentlich lieber. Schade, dass es mir noch nicht gelungen war, die Blonde zum Essen einzuladen.

Aber was ja nicht war, konnte noch werden. Vielleicht.

Neben Bernd, Jennifer und den beiden Mädels in der Detektei gibt es noch Sam - also Samuel L. Terbarrus - seines Zeichens nach Doktor der Molekular Medizin - der mir ebenfalls ein guter Freund geworden ist. So wie ‚Dozer‘, mit bürgerlichem Namen Thomas Friedlich, der das Kampfsporttraining leitet. Dozer wiegt gut und gerne einhundertfünfzig Kilogramm und ist ein Schrank von Mann. Er trainiert aber nicht nur uns, sondern auch Polizisten und - sein neuestes Steckenpferd - Kindergruppen, was ich dem gewichtigen Kampfsportler nicht zugetraut hätte. Doch Dozer beweist immer wieder aufs Neue, dass er ein Herz für Kinder hat.

Ja und dann ist da noch Monika Salders, die quirlige Brünette. Monika arbeitet sporadisch für Bernd, denn Hauptberuflich verdingt sie sich als Übersetzerin, wenn sie nicht gerade mit ihrem Ehemann, einem Neurochirurgen, durch die Welt reist.

Wir alle haben uns dem Kampf gegen das Böse verschrieben und sind mehr oder weniger adrenalinsüchtig. Wie anders will man auch erklären, dass ein Doktor der Molekularmedizin lieber den Beruf eines Personenschützers, als den eines Forschers, ausübt?

Ich duschte, zog mir frische Kleidung an und bewaffnete mich mit Schrubber, Aufnehmer und einem Eimer, um die Spuren im Treppenhaus zu beseitigen. Hoffentlich schaute mir die Nachbarin auch dabei durch ihren Türspion zu.

Während ich mich noch abmühte, die letzten Schlammflecken zu entfernen, trat Christine mit Bingo aus ihrer Wohnungstür. Sie war ebenfalls frisch geduscht und roch verführerisch nach Vanille. „So ist es recht, Jonathan“, munterte sie mich auf. „Ich hatte mich schon gefragt, ob du die Sauerei auch noch wegmachen würdest ... Soll ich Bingo schon mit ins Büro nehmen?“

„Ja, mach das“, nickte ich ihr zu, „ich bin hier ohnehin gleich fertig. Wir sehen uns dann später.“ Ich entfernte die letzten Flecken vom Boden, brachte Eimer und Schrubber in meine Wohnung zurück und beeilte mich, zu meinem Wagen zu gelangen.

Leider war ich bisher nicht dazu gekommen, mir endlich ein neues Fahrzeug zu kaufen und so stieg ich seufzend in meinen postgelben Kia Venga. Dank der Belohnung, die mir eine Versicherungsgesellschaft für einen von mir brillant gelösten Fall gezahlt hatte, befand ich mich jetzt aber in der Lage, mir ein vernünftiges Auto zu leisten. Ein Auto, das dem Personenschützer und Privatdetektiv Jonathan Lärpers auch angemessen sein musste.

Ein Sportwagen halt.

Mein Termin bei einem Autohändler am kommenden Samstag zur Probefahrt stand schon fest und auch wenn es sich lediglich um einen kleinen, gebrauchten Wagen handelte, so ging es doch immerhin um einen Sportwagen.

Unter dem Scheibenwischer des Kia klebte ein Brief, doch mittlerweile hatte ich mich an diese Scherze gewöhnt. Das Postgelb verleitete die Leute einfach dazu, ihre vermeintlich witzige Seite zu zeigen und mir Briefe durch Fensterschlitze zu werfen, oder - wenn die Fenster geschlossen waren - diese unter den Scheibenwischer zu stecken. Ich warf den Brief achtlos zu Boden.

Kurze Zeit später betrat ich das Gebäude unserer Detektei im Gewerbegebiet und setzte mich auf meinen Chefsessel. Leider entsprach die Büroeinrichtung nicht gerade meinen Vorstellungen, doch Bernd war damals nicht bereit gewesen, die von mir ausgesuchten Designermöbel zu kaufen. Ich hätte sie selbst bezahlen müssen und entschied dann, dass es die Standardeinrichtung ja doch tat. Auch ein Jonathan Lärpers musste Kompromisse eingehen.

Auf meinem Schreibtisch lag eine einzige, schmale Akte, die alle wesentlichen Informationen zu dem Mantrailing-Kursus beinhaltete. Ich hatte sie kurz durchgeblättert und entschieden, dass die meisten Seiten mehr Werbung für die Hundeschule, als brauchbare Fakten enthielten. Für mich zählte nur, dass der Kursus heute Nachmittag um vierzehn Uhr begann, um siebzehn Uhr enden sollte und in Mönchengladbach - Rheindahlen stattfand. Bis dahin blieb mir also noch genügend Zeit, mich mental auf das Kommende vorzubereiten.

Ich wollte mich gerade in meinem Sessel zurücklehnen, als das Telefon klingelte. „Detektei Argus, Jonathan Lärpers am Apparat“, meldete ich mich und fügte freundlich hinzu: „Womit kann ich ihnen denn dienen?“

Ich hörte ein Lachen am anderen Ende und die Stimme kam mir bekannt vor. „Guten Morgen, Jonathan“, vernahm ich Jennifers glockenhelle Stimme. „Hast du wieder nicht auf das Display geschaut, dass du dich so förmlich meldest?“

„N...ein“, gab ich zu. Warum sollte ich auch? Es wurden zwar interne Anrufe angezeigt, doch damit, dass ausgerechnet Jenny jetzt anrufen würde, hatte ich nicht gerechnet. „Was gibt es denn? Hast du Sehnsucht nach mir?“

Wieder lachte die Blonde und ich sah förmlich vor mir, wie sie den Kopf schüttelte und die blonden Haare in der Luft einen Wirbel schlugen. „Nein, ich habe keine Sehnsucht nach dir, aber Bernd ...“

Bernd hatte Sehnsucht nach mir? Ihre Aussage erschütterte mich ein wenig und weckte alte Erinnerungen daran in mir, wie wir uns kennengelernt hatten. Es war an meinem Geburtstag gewesen, den ich ausgiebig feierte und später rettete mein Freund mich, als ich voller Tequila vom Tisch fiel, auf dem ich zuvor eine Tanzeinlage zum Besten gegeben hatte. Ich konnte mich an den Abend kaum noch erinnern, zumal ich zum Tequila-König gewählt worden war, doch als ich am nächsten Morgen neben Bernd in meinem Bett aufwachte und sein bärtiges Gesicht zufrieden grinsend neben mir auf den Kissen lag, brach für mich eine Welt zusammen.

Bernd gehört zu den Menschen, die gleichgeschlechtliche Liebe bevorzugen und er meinte damals in mir einen Gesinnungsgenossen gefunden zu haben.

Aber dem war nicht so!

Er akzeptierte dann auch, dass ich nicht homosexuell bin und seitdem verbindet uns eine tiefe Freundschaft. Mehr nicht! Doch warum verlangte ihm plötzlich wieder nach mir? Nach so vielen Jahren? Wieso hatte er nun ‚Sehnsucht‘ nach mir? „Äh, Jennifer, also ...“, stotterte ich, was ihr Lachen nur noch mehr anstachelte.

„Oh Jonathan, du Dummkopf. Bernd will dich sprechen. Mehr nicht. Was du aber wieder denkst ...“

Ich atmete erleichtert auf, meine Alarmglocken im Kopf verstummten. Wie konnte ich auch etwas anderes denken! „Gut, ich komme rüber. Fünf Minuten.“ Jennifer murmelte noch etwas, dann legte sie auf, während ich mir Gedanken darüber machte, warum mein Chef nun nach mir verlangte. Ging es um einen neuen Auftrag? Dafür würde ich kaum die Zeit aufbringen können, denn der Mantrailing-Kurs war schließlich wichtiger. Den konnte ich nicht einfach sausen lassen. Bernd hatte ihn doch selbst gebucht - oder besser von Jennifer buchen lassen - das würde er doch wohl nicht vergessen haben?“

Seufzend erhob ich mich und ging zu Christines Büro. Die blickte von ihrem Schreibtisch auf, als ich an die offene Tür klopfte und den Raum betrat. Bingo lag neben ihr und wedelte müde mit dem Schwanz, als er mich sah. Ich wartete darauf, dass er aufsprang und sich von mir kraulen ließ, doch der Malinois blickte mich nur desinteressiert an.

Soviel zu dem Thema: Ein Mann und sein Hund.

„Ich muss kurz zu Bernd rüber“, erklärte ich Christine. „Bingo kann doch noch bei dir bleiben, oder?“

„Natürlich, kein Problem. Ich bin vorläufig sowieso mit Büroarbeit beschäftigt. Beginnt heute nicht dein Trainingskurs?“

„Heute Nachmittag, ja. Aber bis dahin ist ja noch etwas Zeit.“ Ich wandte mich zum Gehen, drehte mich aber noch einmal um, als mir etwas einfiel: „Ist Birgit eigentlich schon im Haus?“

Meine Kollegin schüttelte den Kopf. „Nein, die kommt heute etwas später. Soll ich ihr etwas ausrichten? Worum geht es eigentlich?“

Ich winkte ab. „Nein, ich wollte nur wissen, ob sie schon hier ist.“ Ich erwähnte nicht, dass ich der Bunthaarigen seit unserem letzten Auftrag, bei dem sie eine mir bisher nicht bekannte Härte gezeigt hatte, möglichst aus dem Weg ging. Seitdem Birgit ihre Ausbildung beim Mossad absolviert hatte, spürte ich in ihrer Anwesenheit ein gewisses Unbehagen, was nicht nur daran lag, dass sie einen Rocker kaltblütig kastriert und anderen ohne mit der Wimper zu zucken, die Ohren abgeschnitten hatte.

„Dann bis später“, verabschiedete ich mich und eilte zu meinem Wagen. Ich hätte die kurze Strecke zum Krav Maga Studio auch zu Fuß gehen können, doch vielleicht brauchte ich das Fahrzeug noch und so fuhr ich mit quietschenden Reifen auf den großen Parkplatz vor dem Gebäude.

„Morgen Jennifer“, begrüßte ich die Blonde, die heute ein enganliegendes, schwarzes Kleid trug, das einen ausgezeichneten Kontrast zu ihren Haaren darstellte. „Schick siehst du aus“, raspelte ich Süßholz. „Das Kleid steht dir ausgezeichnet.“

Jennifer lächelte mich an. „Danke, Jonathan. Ich war am Wochenende shoppen und konnte es günstig erstehen. Hat mich nur die Hälfte vom Normalpreis gekostet.“

„Sehr schön“, lächelte ich und überlegte, wie ich auf eine Einladung zum Mittagessen zu sprechen kommen könnte. „Warst du in Düsseldorf?“

Jennifer schüttelte den Kopf. „London. Wir haben einen Kurztrip nach London gemacht. Soll ich Bernd sagen, dass du hier bist?“

Ich sah Jennifer fragend an und legte meinen ganzen Charme in meine Worte: „Kommst du heute mit zum Mittagessen?“

Die Blonde schüttelte den Kopf. „Sorry, aber ich habe keine Zeit. Vielleicht ein andermal. Wo willst du denn wieder hin? Zu Schmuddel-Erwin?“

„Curry-Erwin“, korrigierte ich. Die kleine Frittenbude meines Freundes Erwin war ein echtes kulinarisches Highlight in Rheydt, doch ich wusste, dass Jennifer - oder Chrissi und Birgit - niemals wieder mit mir dorthin gehen würde. „Nein, nicht zu Curry-Erwin, viellei...“

„Soll ich nun Bernd Bescheid sagen, oder gehst du direkt zu seinem Büro?“, unterbrach sie mich und der romantische Augenblick verflog.

„Ich gehe ja schon“, knurrte ich und wandte mich ab.

„Und lass das blöde Grinsen, Jonathan“, rief mir die Blonde noch hinterher und ich hatte Mühe, ihr nicht meinen Mittelfinger zu zeigen.

„Jonathan“, begrüßte mich mein Freund und kam um seinen Schreibtisch herum. „Das ging ja schneller, als ich dachte. Guten Morgen.“ Er nahm mich kurz in den Arm und ein warmes Gefühl überkam mich. Wir alle hier waren eine große Familie und verstanden uns prächtig.

Und eines Tages würde die blonde Jennifer auch mit mir ausgehen, da war ich ziemlich sicher.

„Morgen Bernd. Du hattest Sehnsucht nach mir?“

„So würde ich es jetzt nicht ausdrücken. Setz dich.“ Bernd wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Das Büro war unwahrscheinlich klein, doch meinem Chef genügte der Raum, zumal er abhörsicher war. Bernd hielt sich ohnehin nur selten hier auf.

„Es geht um deinen Kursus“, begann er ohne Umschweife. „Ich wollte nur sichergehen, dass du den Termin nicht vergisst und entsprechend vorbereitet bist. Die Sache ist ziemlich wichtig für uns, zumal Oberstaatsanwalt Eberson höchstpersönlich ein Auge darauf geworfen hat.“ Er lehnte sich in dem schmucklosen Bürostuhl zurück und lachte leise. „Du erinnerst dich doch noch an sein ‚Steckenpferd‘, dieses Austauschprogramm?“

Ich nickte. Auch so eine Schnapsidee, die Eberson ausgeheckt hatte. Dabei reisten regelmäßig Polizisten aus aller Herren Länder nach Nordrhein-Westfalen, um die Polizeiarbeit hier kennenzulernen. Im Gegenzug durfte unsere Polizei dann dort die Arbeit kennenlernen. Aus der Not heraus hatte es auch einmal uns getroffen und Christine reiste nach Südafrika. Dumm war allerdings, dass sie kurz nach ihrer Ankunft in Kapstadt von Terroristen verschleppt worden war. Sie und noch einige andere Menschen dazu.

Bernd riss mich aus meinen Gedanken: „Nun, dieses ‚Mantrailing‘ ist eine weitere Sache, von der Eberson sich viel verspricht. Er hat geplant, uns später zusammen mit Polizei, Zoll und anderen Behörden einzusetzen. Das verspricht für uns eine ganz lukrative Angelegenheit zu werden.“

Ich nickte erneut. „Bingo ist wie geschaffen für so etwas“, lächelte ich und dachte daran, dass der Malinois bei unserem letzten Einsatz ganze Arbeit geleistet hatte. „Und ich bin geradezu zum Hundeführer geboren ...“

Bernd sah mich ernst an. „Darum wäre es ja auch schön, wenn du es nicht verbockst“, nickte er. „Aber gewöhne dir doch bitte dieses dämliche Grinsen ab.“ Er ordnete einige Papiere auf seinem Schreibtisch und hielt eine engbedruckte Seite hoch. „Wir werden - nach entsprechender Ausbildung natürlich - eine Art Task Force, eine Schnelle Eingreiftruppe, bilden. Das erfordert Flexibilität, Einsatzfreude und Disziplin. Ich denke daran, euch drei damit zu betreuen.“

„Uns drei?“, fragte ich, konnte aber ein Grinsen nicht ganz verhindern. „Mein zweiter Vorname ist Flexibilität, Disziplin und Ersatzfreude. Aber Bingo und ich sind nur zu zweit.“

Bernd stöhnte. „Einsatzfreude, Jonathan. Einsatzfreude. Und mit euch dreien meine ich dich, Christine und Birgit - und natürlich auch Bingo.“

„Das wären dann vier“, knurrte ich. „Aber allen Ernstes, Bernd. Bingo und ich genügen doch vollkommen. Du weißt doch: Ein Mann und sein Hund.“

Bernd schüttelte den Kopf. „Teamarbeit, Jonathan. Das solltest du inzwischen doch gelernt haben. Unsere Jobs sind für Einzelgänger einfach zu gefährlich und ich wäre der letzte, der die Gesundheit seiner Mitarbeiter gefährden würde.“ Er überlegte einen Moment und fixierte mich eindringlich. „Außerdem seid ihr drei mein Dreamteam. Nicht umsonst habe ich euch die Büros in der Detektei gegeben.“

Damit schmierte er jetzt natürlich sehr viel Honig um meinen Mund, denn hier im Krav Maga Studio war einfach kein Platz mehr für uns gewesen. Doch ich schwieg und nickte lediglich. Es stimmte ja, dass Christine und ich - und meinetwegen auch Birgit - sehr gut miteinander arbeiteten und schon so manches Abenteuer dank der Rückendeckung der Partner lebend überstanden hatten.

„Außerdem“, Bernd legte eine kurze Pause ein und fuhr dann fort, „wünsche ich keinerlei Diskussion um das Thema. Du wirst diesen Kurs jetzt absolvieren und ich erwarte, dass dies mit besten Noten geschieht. Sofern dort überhaupt Noten vergeben werden. Danach wirst du nach und nach Christine und Birgit in die Geheimnisse dieses Mantrackings einweihen. Je nach späterem Einsatz dann, werdet ihr in wechselnder Zusammenstellung arbeiten. Du mit Christine und Bingo, mit Birgit und Bingo oder mit beiden zusammen und dem Hund.“

Ich war einigermaßen beruhigt und nickte zufrieden. Immerhin wäre ich der Chef unserer Task Force und der Einsatzleiter. Ein gutes Gefühl und eigentlich ja auch eine Beförderung. Oder nicht?

„Wann beginnt eigentlich dein Kurs?“, fragte Bernd in die entstandene Stille hinein.

„Heute.“

Mein Freund stöhnte leise. „Ja, das weiß ich, Jonathan. Um wieviel Uhr?“

„Punkt vierzehn Uhr“, erklärte ich. „Ich muss allerdings noch bis Rheindahlen fahren, also muss ich etwas früher los. Der Lehrgang findet auf irgendeinem Bauernhof statt.“

Bernd nickte. „Gut, dann hast du ja noch etwas Zeit, dich vorzubereiten. Mach dich mit den Grundlagen dieses Mantrackings vertraut, damit du nicht ganz so unbedarft in dem Kurs erscheinst. Du findest in unserer Bibliothek sogar entsprechende Literatur.“

Bei der ‚Bibliothek‘ handelte es sich eigentlich um einen großen Gemeinschaftsraum, in dem mehrere Tische und Stühle standen und in dem die Schüler der Kampfsportkurse ihr theoretisches Wissen auffrischen konnten. In den Bücherregalen an den Wänden fand sich zahlreiche Literatur zu den unterschiedlichsten Themen. Natürlich stand es uns, Bernds Mitarbeitern, ebenfalls offen, den Raum jederzeit zu nutzen. Das gleiche galt für die im Untergeschoss befindlichen Einrichtungen, wie dem Schießstand mit der kleinen Waffenkammer oder dem Schwimmbecken, in dem sich hervorragend trainieren ließ. Außerdem hatte Bernd dort unten ein kleines Labor und ein ‚Gästezimmer‘ einrichten lassen, in dem wir unliebsame Personen ‚unterbringen‘ konnten, ohne dass sie eine Möglichkeit zur Flucht fanden.

Und noch weiter, im zweiten Untergeschoss quasi, befindet sich eine riesige Tiefgarage, die durch eine geheime Zufahrt befahren werden kann. Dort lagern Bernds Firmenfahrzeuge, die aus den unterschiedlichsten Gebrauchs- und Luxusfahrzeugen bestehen. Mein Freund beschäftigt dort sogar einen eigenen Mechaniker, der die Wagen wartet und repariert, doch merkwürdigerweise habe ich den Mann bis heute noch nie zu Gesicht bekommen.

„Gut, das werde ich machen“, stimmte ich meinem Chef zu und bemühte mich zu prahlen, ohne es nach Angabe aussehen zu lassen: „Einige Grundkenntnisse konnte ich mir auch schon aneignen. Zum Beispiel ...“, erklärte ich, lächelte freundlich und überlegte, was Birgit mir erzählt hatte.

Nach einer Weile des Schweigens sah mich Bernd fragend an: „Ja, Jonathan? Wolltest du noch etwas sagen?“

„Ja, zum Beispiel die Pheremone. Die wirbeln so durch die Lu...“

Bernd hob verzweifelt die Hände und unterbrach mich: „Jonathan! Erstens heißt es Pheromone, nicht Pheremone. Das sind Botenstoffe, mittels der Tiere zum Beispiel untereinander kommunizieren. Auch der Mensch kann darauf ansprechen. Ich denke aber, dass du vermutlich die Duftmoleküle meinst, die beim Mantracking eine nicht unerhebliche Rolle spielen.“ Er seufzte vernehmlich. „Schnapp dir ein paar Bücher und lies etwas darüber. Ich wünsch dir viel Spaß.“

Ich nickte Bernd zu und machte mich auf den Weg in die Bibliothek. Pheremone, Pheromone, Hormone oder Duftmoleküle - was spielte das schon für eine Rolle. Schließlich war Bingo die Spürnase und der würde schon wissen, was er zu tun hatte.

Trotzdem suchte ich mir ein passendes Buch heraus und setzte mich an einen der Tische. Ich blätterte das Inhaltsverzeichnis durch und blieb bei den Pheromonen hängen.

Bis zur Mittagszeit hatte ich mir ein geballtes Wissen über Sexuallockstoffe angelesen. Den Gedanken an irgendwelche Moleküle schob ich zur Seite. Darüber würde ich in dem Lehrgang schon noch genug erfahren.

Beinahe hätte ich den Beginn der Mittagspause verpasst, doch zum Glück richtete ich ständig ein Auge auf die Wanduhr und klappte so frühzeitig das Buch zusammen. Da der Hundekurs ja schon um zwei Uhr begann und ich Bingo zuvor noch bei Chrissi abholen musste, beendete ich meine Studien ausnahmsweise um halb Zwölf. Es wurde Zeit, sich vor dem anstrengenden Lernen noch ein stärkendes Mahl zu gönnen.

Und wo ging das besser, als bei meinem Freund Curry-Erwin in seinem kleinen kulinarischen Tempel in der Nähe des Rheydter Bahnhofs. Erwin galt unter den Imbissbetreibern so etwas wie Einstein unter den Forschern. Immerhin hatte mein Freund den ‚Jonathan Lärpers Teller Spezial‘ und das Schaschlik ‚Eiffelturm‘ erfunden. Und einige andere Leckereien mehr. Gut, das Schaschlik schwächelte noch etwas, da der Fleischspieß ein Loch in den Boden der Pappschale stanzte, durch den regelmäßig die Soße abfloss, doch der Lärpers Spezialteller mit seinem Übermaß an Mayonnaise und Senf war wirklich ein Gedicht.

Curry-Erwin verstand es, mich zu verwöhnen.

„Jonathan“, rief er freudestrahlend aus, als ich den Imbiss betrat, wischte sich die fettigen Hände an seiner Schürze ab und trat um den Tresen herum auf mich zu. Es war dieses Ritual, das mich jedes Mal zu Tränen rührte und mir zeigte, dass ich hier wirklich willkommen war. Erwin legte die Arme um mich und drückte mich an sich, was einige Fettflecken auf meiner Jacke hinterließ. „Ich freue mich so, dass du endlich einmal wieder in meine kleine Casa gefunden hast! Wo ist dein haariger Freund?“

„Bingo?“, fragte ich, war mir aber sicher, dass er nur den Hund meinen konnte.

„Bingo, Bongo, egal wie. Der Köter, du weißt wen ich meine.“

„Bingo. Den habe ich bei Christine im Büro gelassen, er darf ja ohnehin nicht hier hinein.“ Die letzten Male, als ich mit dem Malinois zum Mittagessen zu Curry-Erwin kam, mussten wir draußen auf dem Gehweg bleiben. Erwin, der uns das Essen hinausbrachte, sprach von ‚Außengastronomie‘ und berechnete entsprechend hohe Preise.

„Eine weise Entscheidung, mein Freund. Ein Hund hat in einer hygienisch einwandfreien Gaststätte nichts verloren.“ Er fuhr mit beiden Händen über seine fleckige Schürze und betrachtete anschließend die Mayonnaise- und Senfrückstände an seinen Fingern. „Komm, ich muss dir etwas zeigen!“

Erwin wuselte zurück hinter die Theke, stellte sich in Positur und gab ein lautstarkes ‚Tata‘ von sich. Ein paar Jugendliche, die hier ihre verfrühte Mittagspause verbrachten und vermutlich vergessen hatten, in die Schule zurückzukehren, sahen sich erschrocken um. Vor jedem der vermutlich vierzehn- bis fünfzehnjährigen stand eine fast leere Flasche Bier, die sie jetzt anhoben. Mit einem dreistimmigen ‚Tatatatata‘ beantworteten sie Erwins Ausruf und tranken auf einen Zug ihre Flaschen leer.

Mein Freund zeigte sich für einen Moment irritiert, doch die Schrecksekunde verging. „Schau her, Jonathan, was siehst du?“

Ich versuchte durch die schmierige Glasscheibe der Theke zu schauen, als das allerdings erfolglos blieb, blickte ich darüber hinweg. Erwin wies auf vier Soßenspender aus Kunststoff, die nebeneinander auf der Anrichte vor ihm standen. Ich zuckte mit den Schultern. „Mayonnaise, Senf und Ketchup“, riet ich und blickte fragend auf den vierten Spender. „Und wofür ist der? Salatsoße?“

Erwin lachte. „Da wirst du nie draufkommen“, meinte er geheimnisvoll und ließ mich mit der Auflösung warten. Dann endlich hob er zu einer Erklärung an: „Hygiene, Jonathan. Meine neueste Hygiene.“

Ich musste ihn ziemlich perplex angeschaut haben, denn mein Freund lachte laut auf und im Hintergrund erscholl wieder ein ‚Tatatatata‘. Erwin deutete mit dem fettigen Finger auf die Behälter. „Hygiene! Ja, Curry-Erwin geht mit der Zeit. In dem Spender befindet sich keine Soße, sondern ein Desinfektionsmittel. Schau her.“ Er hielt eine Hand unter den Pumphahn und ließ durchsichte Flüssigkeit darauf laufen. Plötzlich stank es fürchterlich nach Desinfektionsmittel und Erwin rieb beide Hände mit dem Zeug ein. Die weiße, schleimige Masse die er anschließend auf den Handflächen hatte, wischte er an seiner Schürze ab.

Von dem Geruch drehte sich mir der Magen um, doch ich brachte ein Lächeln zustande. „Das ist ja wunderbar, Erwin“, nuschelte ich und unterdrückte ein Würgen. „Hygiene!“

„Da staunst du, mein Freund, nicht wahr? Meine eigene Erfindung. Man muss halt mit der Zeit gehen ...“

„Soll ich mal die Tür aufmachen?“, fragte ich vorsichtig. „Ein wenig lüften?“

„Ach was, ich habe mich schon an den Geruch gewöhnt. Was kann ich dir bringen?“

Ich riss trotzdem die Eingangstür weit auf und atmete die frische Luft - sofern man bei den Autoabgasen der vorbeifahrenden Fahrzeuge von ‚frisch‘ reden konnte - tief ein. Mir war ein wenig schwindelig und ich musste mich an der Theke festhalten. „Currywurst, Erwin“, krächzte ich. „Eine einfache Currywurst mit Pommes und Mayo.“

„Und auch Senf oder Ketchup?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nur die Wurst bitte mit Pommes und Mayonnaise.“

„Marschiert Jonathan“, erwiderte mein Freund grinsend und sah mir in die Augen. „Nur noch kurz die Hände desinfizieren.“ Er hielt wieder eine Hand unter einen Spender und drückte mehrere Male auf den Hebel. Gelblich - weiße Mayonnaise spritze heraus und ohne hinzusehen rieb Erwin seine Hände aneinander. Dann stutzte er. „Oh“, gab er von sich und besah sich die fettigen, verschmierten Finger. „Das war der falsche Spender.“ Er rieb seine Hände an der Schürze ab, während ihm vor Lachen die Tränen das Gesicht herunterliefen.

Im Hintergrund schmetterten die Jugendlichen ein weiteres ‚Tatatatata‘.

Zum Glück zog der Desinfektionsgeruch durch die geöffnete Tür nach draußen und jetzt roch es nur noch schwach nach dem Mittel und dafür etwas stärker nach Abgasen. Erwin reichte mir ein Bier über die Theke. „Stell dich schon mal an den Tisch, ich bringe dir dein Essen sofort.“

„Äh, Erwin ...“

„Ja, was ist Jonathan?“

„Ich hätte lieber eine Cola.“

Erwin seufzte vernehmlich. „Eine Cola? Du weißt aber schon, dass Bier kein Alkohol ist? Musst du heute noch arbeiten?“

Ich nickte. „Ich habe noch einen Lehrgang in Mantracking. Da muss ich einen klaren Kopf bewahren.“

Erwin nickte verstehend. „Du musst noch zur Post? Pakete tracken?“

„Mantrailing“, korrigierte ich mich. „Aber das ist egal. Ich habe jedenfalls heute Nachmittag noch einen anstrengenden Lehrgang.“

Er reichte mir eine Flasche Cola und schaute auf das Bier. „Die musst du aber auch nehmen, die ist ja jetzt offen.“

Ich nickte und begab mich mit beiden Flaschen in den Händen zu meinem Tisch. Als ich die gierigen Augen der Jugendlichen sah, reichte ich einem von ihnen das Bier. Die Kids grinsten und bedankten sich mit einem überlangen ‚Tatatatatatatatata‘.

Zwei Minuten später stellte Erwin ein Pappschälchen vor mich hin und etwas von der zu reichlich vorhandenen Mayonnaise schwappte dabei auf den Tisch. Curry-Erwin wischte es grinsend mit dem Ärmel fort. „Lass es dir schmecken, Jonathan. Eine einfache Currywurst mit Pommes, so wie du sie magst.“

Ich suchte nach dem Gäbelchen, das wie gewohnt tief in der Mayonnaise steckte. Zum Glück war der Piekser rot, so dass ich ihn nach kurzem Suchen fand. Dann legte ich die Pommes frei und wühlte mich durch den Kartoffelmatsch bis zum Fleisch durch. Meine Finger sahen nun genauso aus, wie Erwins Hände, nachdem er den falschen Spender benutzt hatte, doch ich hütete mich davor, die Schmiere an meiner Jacke abzuputzen. Schließlich blieb mir ja keine Zeit mehr, mich vor dem Lehrgang noch umzuziehen.

Das erste Stück Wurst fand ich, weil in der dünnen Soße etwas Pechschwarzes schwamm. Ich roch vorsichtig an dem Essen und war erfreut, dass Erwin kein Desinfektionsmittel über die Soße gepumpt hatte. Zufrieden kaute ich die lauwarme, schwarzkrustige Wurst und freute mich darüber, dass Erwin diesmal auf jedweden Schnickschnack verzichtet hatte. Es ging doch nichts über eine gute Rheydter Currywurst. Obwohl ich nach dem dritten Stück - das nicht ganz so schwarz und verkohlt war - feststellen musste, dass die Wurst ein wenig fad schmeckte.

„Hast du eine neue Wurstsorte, Erwin?“, fragte ich beim Bezahlen und wischte mir mit einer Serviette die Finger sauber. Leider musste ich die extra bezahlen, da Erwin aus Umweltschutzgründen gegen sinnlose Verschwendung von Papier oder Papierwaren war. Ich fragte mich, wann er darauf kommen würde, die Pappschale extra in Rechnung zu stellen oder sie ganz wegzulassen.

„Du hast es also doch bemerkt, Jonathan?“, fragte er mich grinsend. „Ich wusste, dass du einen hervorragenden Geschmackssinn hast. Wer sonst würde so einen feinen Unterschied herausschmecken?“

Mir lag auf den Lippen, ihm zu sagen, dass die Wurst eigentlich nach nichts geschmeckt hatte, doch dann nickte ich nur.

Erwin beugte sich über die Glastheke zu mir herüber, wobei er mit dem Bauch eine Schale mit Ketchup umstieß. „Veggie“, flüsterte er mir dann zu und lachte leise. „Der neue Trend. Das will heute jeder!“

„Nur ich nicht“, knurrte ich leise. Der einzig gute Geschmack an der Wurst war die verbrannte Kruste gewesen.

Curry-Erwin richtete sich wieder auf, hob theatralisch die Arme und trompete: „Veggie, Bio und Hygiene - die Zauberworte unserer modernen Zeit!“

Im Hintergrund belohnte ihn ein dreistimmiges ‚Tatatatata‘.

Kaffee - Fahrt

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