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II. Der Generalstaatsanwalt

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Ronald Nayst betrat das Restaurant im Fernsehturm überpünktlich. Nachdem er seinen Namen angegeben hatte, führte ihn ein Kellner zu seinem Tisch. „Ich erwarte noch eine Dame“, erklärte der Redakteur und bestellte zunächst einen Tower Kick als Aperitif. Dann genoss er den Blick auf die Stadt. Dieses Restaurant drehte sich einmal in der Stunde um dreihundertsechzig Grad und bot einen einzigartigen Blick über die Straßen und Gebäude.

Aber trotz der grandiosen Aussicht ließ ihn der Gedanke an den Einbrecher Oliver Inat nicht los. Er hoffte nur, dass diese Vera Hagerl ihn nicht versetzen würde. RIP - Rest in Peace. Inat musste tot sein, sonst hätte sie das nicht erwähnt. Aber wieso? Der Mann war ein kleiner, unbedeutender Einbrecher gewesen. Oder war alles lediglich ein Zufall? War Inat eines natürlichen Todes gestorben? Warum aber dann diese Geheimnistuerei? Fragen über Fragen.

Der Kellner riss ihn aus seinen Gedanken. „Ihre Begleitung mein Herr“, erklärte er diskret und hielt der Frau den Stuhl hin. Ron erhob sich rasch, nahm die dargebotene Hand und deutete einen Handkuss an. „Ich freue mich, dass sie gekommen sind“, erklärte er dann.

„Und ich freue mich, dass sie meinen Hinweis richtig verstanden haben.“

Vera Hagerl hatte eine angenehme Stimme und während sie Platz nahmen, lächelte sie ihn an. „Ich war mir nicht sicher, ob meine Formulierung nicht doch zu kryptisch war.“

„Ich muss zugeben, sie haben schon eine etwas ungewöhnliche Art, Termine mitzuteilen.“ Ron schmunzelte. Die Dame war ihm auf Anhieb sympathisch. Sie hatte sich für den heutigen Abend fein gemacht, aber dabei nicht übertrieben. Ron blickte in ein junges, offenes Gesicht, das von langen brünetten Haaren eingerahmt wurde. Vera Hagerl ging mit Make-up zweifellos sehr sparsam um und betrachtete ihn nun ebenso neugierig, wie er sie. Auch ihr schien zu gefallen, was sie sah.

„Darf ich ihnen einen Aperitif bestellen?“, riss Ron sie aus ihrer gegenseitigen Betrachtung. „Ich kann den Tower Kick empfehlen.“

Sie nickte und bevor er nach dem Kellner schauen konnte, stand der auch schon neben ihnen. Ron bestellte das Gewünschte und nahm seine Speisenkarte entgegen. „Ich bin zum ersten Mal in diesem Restaurant, deswegen kann ich auch keine Empfehlung für ein Gericht aussprechen“, gab er zu und beobachtete die Frau aus den Augenwinkeln.

„Ich bin auch zum ersten Mal hier. Aber das“, sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Karte, „klingt doch sehr vielversprechend. Heidelammrücken mit Kartoffelgratin. Das hört sich lecker an, mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.“

Ron schmunzelte. „Und dazu einen Rotwein, oder lieber etwas ohne Alkohol?“

„Rotwein wäre prima.“

Nachdem der Kellner den Aperitif gebracht und ihre Bestellung entgegengenommen hatte, prosteten sie sich zu. „Ich heiße Ronald, meine Freunde nennen mich Ron.“

„Und ich bin Vera. Aber das wissen sie - hoppla - weißt du ja schon.“ Sie strich sich mit einer anmutigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Vera, warum diese Geheimniskrämerei? Ich habe sehr lange herumtelefonieren müssen in eurem Amt und immer wurde ich vertröstet oder an eine andere Stelle verwiesen. Und dann deine vorsichtigen Andeutungen. Was ist da los? Und ist Inat wirklich tot oder habe ich dein ‚RIP‘ falsch verstanden? Bei dieser ganzen Sache gibt es so viele Ungereimtheiten. Ich war bei der Gerichtsverhandlung anwesend und ...“ Ron unterbrach seinen Satz, da der Kellner den Rotwein brachte. Dann fuhr er fort: „Also ich war bei der Verhandlung dabei. Es schien zunächst alles so einfach und klar, dann - nach seiner Verurteilung - bestand Inat plötzlich darauf, weder Schmuck noch Münzen gestohlen zu haben. Aber angeblich hat es einen Toten gegeben. Moment“, Ron überlegte einen Augenblick, welche Worte der Einbrecher benutzt hatte. „Ja, genau: Inat sagte ‚Ich weiß doch, was ich gesehen habe. Der Mann war tot, durch den Kopf geschossen!‘ So etwas erfindet man doch nicht so einfach.“

Vera nickte und nippte an ihrem Aperitif. Dann sah sie Ron in die Augen: „Ich erfuhr von der ganzen Sache erst durch deinen Anruf. Die Hinweise im Computer haben mich allerdings vorsichtig werden lassen. Aber vielleicht erzähle ich dir erst einmal ein paar Dinge über mich, dann wirst du alles vielleicht auch besser verstehen ...“

Ron nickte. Sie hatten Zeit und in Gesellschaft dieser jungen Dame fühlte er sich sehr wohl.

Vera trank einen kleinen Schluck, sah ihn an und begann: „Ich bin vor einem halben Jahr von Bayern hier nach Berlin gekommen. Zuvor studierte ich in München Jura, musste aber das Studium abbrechen als mein Vater starb. Der hatte mich bis dahin finanziell unterstützt. Aber das ist ein anderes Thema ...“ Ihr Blick schweifte ein wenig ab und unbewusst strich sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ron wartete einfach ab, er wollte sie jetzt nicht unterbrechen.

„Ich habe dann hier durch Zufall den Job im Amtsgericht bekommen und plane mein Studium an der Humboldt Universität fortzusetzen“, erklärte sie leise und Ron sah, dass ihre Gedanken jetzt in München und bei ihrem Vater weilten. Trotzdem konnte er sich jetzt eine Frage nicht verkneifen: „Du sagst, du hast in München gelebt. Wie kommt es, also du ...“ Er wusste nicht so recht, wie er es formulieren sollte, plötzlich kam ihm die Frage ziemlich blöd vor.

Aber Vera wusste offensichtlich, was er meinte, denn sie erklärte: „Du willst bestimmt wissen, wieso ich so ganz ohne Akzent Hochdeutsch spreche.“ Sie lachte leise. „Wir sind von klein auf so erzogen worden. Mein Vater war Rechtsanwalt und legte größten Wert auf korrekte Aussprache. Nun, wäre dieser dumme Autounfall nicht gewesen ...“

Wieder wurden sie durch den dezenten Kellner unterbrochen, der ihr Essen brachte und sich dann fast lautlos und diskret zurückzog, nachdem er ihnen einen guten Appetit gewünscht hatte. Während des Essens sprachen sie über recht belanglose Dinge und Ron erzählte auch ein wenig von sich. Von der Redaktion in New York, seinem Leben dort und weswegen er nach Berlin geschickt worden war. Dass sein Vater der Chef des ganzen Unternehmens war, ließ er jedoch unerwähnt.

Nach einem Nachtisch, Vera wählte den sogenannten Schwedeneisbecher, der mit Apfelmus zubereitet wurde, hob sie schließlich wieder an zu erzählen: „Kurz nachdem ich meine Tätigkeit im Amtsgericht begonnen hatte, ereignete sich eine merkwürdige Sache.“ Sie nahm einen kleinen Schluck Rotwein, dann fuhr sie fort: „Ich hatte mich gerade ein wenig eingearbeitet, da stieß ich auf einen Vermerk, dass bei bestimmten Vorgängen unbedingt ein Richter Berndeck zu verständigen sei.“

Ron unterbrach sie: „Lass mich raten: Dieser Richter Berndeck war auch derjenige, der die Verhandlung des Einbrechers Inat geführt hat.“

Vera nickte: „Genau. Ich bin dann - in meiner Naivität - zu einem Kollegen gegangen und habe ihn gefragt, ob er Näheres zu diesem Vermerk wüsste. Aber der wimmelte mich ab und hielt mich mit dem Hinweis hin, dass er sich erkundigen würde. Keine zehn Tage später wurde ich in die Poststelle versetzt. Fortan mied man mich wie eine Aussätzige. Für mehr als ‚Guten Tag‘ und ‚Guten Weg‘ reichte es bei den Kollegen plötzlich nicht mehr. Natürlich machte mich das nur noch neugieriger und ich versuchte über Richter Josef Berndeck etwas herauszufinden. Aber das gestaltete sich mehr als schwierig, doch letztlich stieß ich auf ziemlich intensive Verbindungen zur Regierungspartei. Allerdings war das auch schon alles. Natürlich blieben meine Nachforschungen nicht unentdeckt und in einem Gespräch unter vier Augen und - wie man betonte - ohne Zeugen, machte man mir unmissverständlich klar, dass meine Neugier meinen Job gefährden würde. Schließlich befände ich mich ja in der Probezeit.“

Ron nickte, konnte sich aber auf den gesamten Vorgang in Zusammenhang mit dem Einbrecher keinen Reim machen. „Das klingt alles merkwürdig, aber was hat das mit Inat zu tun? Vielleicht war es Zufall, dass ausgerechnet dieser Richter die Verhandlung übernommen hatte. Mir schien auch, dass das Urteil durchaus gerechtfertigt war. Oliver Inat war schließlich kein unbeschriebenes Blatt. Der Mann war mehrfach vorbestraft.“

„Das kann ich nicht beurteilen“, erwiderte Vera. „Ich wollte damit auch nur sagen, dass dort irgendetwas nicht stimmt. Warum die Versetzung? Warum gibt es keine Informationen über diesen Richter? Und warum werde ich plötzlich gemieden, nachdem ich doch eigentlich völlig harmlose Nachforschungen angestellt hatte? Aber jetzt kennst du wenigstens meine Gründe, warum ich so vorsichtig sein muss. Ich brauche den Job, denn sonst kann ich mein Studium komplett an den Nagel hängen.“

„Hmm“, Ron ließ seinen Blick über die schlanke Frau gleiten. „Ein wenig zu viele ‚Zufälle‘. Aber was ist mit Inat? Kannst du mir zu der Verhandlung oder zu seinem Ableben etwas sagen?“

Vera lächelte: „Deswegen sind wir ja schließlich hier, oder? Obwohl mir das Essen mit dir doch schon sehr gut gefallen hat. Und die Aussicht von hier oben ist ja bombastisch!“

Ron schmunzelte: „Komm, lenke jetzt nicht ab. Was ist mit Inat?“

Die junge Frau lachte leise: „Aber das Essen habe ich mir schließlich ja auch verdient, denn immerhin opferte ich meine Mittagspause.“

„Vera, jetzt mach‘ es nicht so spannend“, seufzte Ron gespielt ungeduldig auf.

„Wie gesagt: Ich habe meine Mittagspause geopfert. Als ich sicher sein konnte, dass dort niemand mehr war, bin ich ins Archiv geschlichen. Eigentlich erhoffte ich mir nicht viel davon, denn die Unterlagen befinden sich hauptsächlich im Computer. Aber genau dort konnte ich ja nicht nachforschen, da ich mich ja mit meinem Namen und Passwort einloggen muss und somit nachvollzogen werden kann, was ich mache. Doch ich hatte unwahrscheinliches Glück, denn der Archivar ging in die Mittagspause ohne sich aus seinem Computerprogramm abzumelden. Um es kurz zu machen: Inat wurde nach der Verhandlung in die JVA Tegel verlegt. Laut dem kurzen Bericht verstarb er dort am Vierten, das war der Sonntag, an einer Hirnblutung.“

Ron hatte inzwischen seinen Schreibblock hervorgezaubert und machte sich eifrig Notizen. „Hirnblutung? Das hört sich für mich nicht nach einem natürlichen Tod an. Stand denn in dem Bericht noch mehr?“

Vera schüttelte den Kopf und strich sich anschließend eine Haarsträhne aus dem Gesicht: „Nein, nicht zu Inats Tod. Vielleicht war er ja nicht mehr ganz gesund. Könnte das nicht auch seine verwirrten Äußerungen während der Verhandlung erklären?“

Ron überlegte: „Ich bin auf dem Gebiet kein Fachmann. Aber das lässt sich bestimmt recherchieren. Vielleicht war er ja wirklich einfach nur krank. Aber wo ist der Mann eigentlich eingebrochen? Ich habe nirgendwo etwas über die Adresse erfahren können. Weder in den Pressemitteilungen, noch sonst wo. Schon das erschien mir sehr merkwürdig, denn ansonsten wird mindestens ein Ortsteil oder eine Gegend genannt. Hast du darüber etwas finden können?“

„Ja, habe ich.“ Vera nahm ihre Handtasche, die sie an den Stuhl gehängt hatte und kramte darin herum. Dann zog sie triumphierend einen kleinen Schreibblock hervor. „Roonstraße, ziemlich nobles Viertel. Hier die genaue Adresse.“ Sie riss den Zettel vom Block ab und reichte ihn Ron. „Der Hausbesitzer ist ein gewisser Rudolf Bornsing, seines Zeichens Generalstaatsanwalt. Ein schmuckes Häuschen im Stil einer Barockvilla. Bornsing selbst soll zu dem Zeitpunkt des Einbruchs in Urlaub gewesen sein. Inat muss beim Öffnen einer Tür den stillen Alarm ausgelöst und so die Polizei informiert haben. Die kam auch prompt und hat ihn beim Versuch durch ein Badezimmerfenster zu fliehen, gestellt. Die Beute, eine Münzsammlung und Schmuck hatte er angeblich bei sich.“

„Sonst nichts?“ Ron machte rasch noch einige Notizen, dann sah er auf. „Trug Inat nicht noch irgendetwas mit sich? Eine Tasche zum Beispiel? Er wird die Beute doch irgendwie wegtransportiert haben wollen.“

Vera schüttelte den Kopf. „Nein, laut dem Bericht nichts. Aber ich hatte nicht viel Zeit und konnte alles nur rasch und flüchtig durchlesen. Solche Details schienen mir aber auch nicht wichtig ...“

„Und was ist mit dem Generalstaatsanwalt? Der dürfte doch wieder aus seinem Urlaub zurück sein.“

Erneut schüttelte die junge Frau den Kopf, dann strich sie sich in gewohnter Manier eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Darüber stand nichts in dem Bericht. Der wird wohl wieder ganz normal seiner Tätigkeit nachgehen. Ich habe mich aber erkundigt. Den Generalstaatsanwalt dürftest du in der Elßholzstraße finden. Dort hat er nämlich sein Büro.“ Sie riss einen weiteren Zettel ab und reichte ihn Ron. Dann kritzelte sie etwas auf den Block, riss den Zettel auch ab und hielt ihn ihrem Gegenüber ebenfalls hin. Als Ron danach greifen wollte, zog sie den Arm zurück.

„Das hier“, sie wedelte mit dem Zettel herum, „ist eine Adresse, die du äußerst sorgfältig behandeln solltest!“

Ron sah sie fragend an.

Als Vera ihm schließlich den Zettel überließ, lachte sie: „Das ist meine Adresse. Geh sorgsam damit um!“

Ganz Gentleman brachte er sie zu später Stunde zu einem Taxi. Es war noch ein vergnüglicher Abend geworden und sie hatten sich verabredet, dies bald zu wiederholen. Ron sollte sie aber auf keinen Fall wieder im Amtsgericht anrufen, sondern nach Dienstschluss auf ihrem privaten Handy. Er versprach es ihr. Zum Abschied gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Ron sah dem davonfahrenden Taxi noch lange nach.

Der nächste Tag begann direkt mit einer Überraschung. Kaum dass Ronald Nayst an seinem Arbeitsplatz saß, kam die Praktikantin mit der Aufforderung, sich beim Chef zu melden, zu ihm. Ron zuckte mit den Schultern, verschob die Frage nach einer Tasse Kaffee auf später und ging zum Büro des Chefredakteurs. Der schien ihn schon erwartet zu haben.

„Herr Nayst. Schön, dass sie auch schon da sind. Das ist ihr neuer Kollege.“ Fellger zeigte auf einen jungen Mann, der in einer Ecke neben der Tür stand. Ron hatte ihn beim Eintreten gar nicht bemerkt.

„Das ist der Herr Matthias Prokas. Er wird sie ab sofort im Onlinebereich unterstützen. Sie lernen ihn schnellstens an und helfen dann bei den Kollegen Meizel und Changa aus. Unser Herr Müller hat sich nämlich schon wieder krankgemeldet. Alles klar? Dann ran an die Arbeit!“

Ronald sah den Chefredakteur irritiert an. Der Aufbau der Onlineredaktion oblag alleine ihm. Das war auch Fellger mitgeteilt worden. Wollte der jetzt eine Anordnung von ‚ganz oben‘ unterlaufen?

„Herr Fellger, wir sollten vielleicht ein paar Worte unter vier Augen wechseln.“ Ron blieb ganz ruhig, obwohl er den Dicken am liebsten hinter seinem Schreibtisch hervorgezerrt und durchgeschüttelt hätte.

Der aber winkte ab: „Wenn sie etwas zu sagen haben, dann ruhig vor ihrem neuen Kollegen. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander, oder?“

Ron schüttelte ein wenig verwundert den Kopf, meinte dann aber: „Herr Fellger, sie wissen, dass der Aufbau der Onlineredaktion alleine mir überlassen bleibt. Sie können nicht einfach jemanden für diesen Bereich einstellen ohne das mit mir abzusprechen.“

Fellger erhob sich halb aus seinem Sessel und stützte dabei die Hände auf den Schreibtisch. „So? Kann ich nicht? Sind eigentlich sie jetzt der Chefredakteur oder bin ich das? In einer Woche sind sie wieder zurück in ihrem geliebten New York. Es kann ja nicht so schwer sein, die paar Seiten Online News zusammenzustellen. Sie schreiben ja ohnehin fast ausschließlich bei ihren Kollegen ab.“

Ron holte tief Luft. „So einfach geht das nicht, Herr Fellger. Sie kennen meine Position.“

Fellger hieb mit der Faust auf den Schreibtisch. „So ist das also! Darauf habe ich nur gewartet. Jetzt drohen sie mir auch noch mit ihrem Vater! Ich lasse mich nicht erpressen. Und jetzt - raus!“ Die letzten Worte brüllte er mit hochrotem Kopf. Der junge Mann, Matthias Prokas, hatte sich schon nach draußen verdrückt. Dort wartete er eingeschüchtert auf Ron.

„Das … das tut mir Leid. Also, ich wusste ja ni... Sind sie wirklich der Sohn vom Chef?“

Ron nickte: „Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Ich weiß nicht, warum Fellger das macht ...“ - „Was macht?“

„Sich über die Direktiven der Zentrale so hinwegzusetzen. Aber das sind Interna, die ich klären werde. Welche Qualifikationen haben sie denn? Wo haben sie studiert?“

Prokas druckste ein wenig herum: „Nun, also ...“

Ron musste feststellen, dass der junge Mann offensichtlich Probleme hatte, seine Sätze zu formulieren. Langsam begaben sie sich zu Rons Arbeitsplatz. „Also, Herr Prokas, wo liegt ihr Können?“

„Nun, ja, also eigentlich. Ich meine …“ Dann gab der junge Mann sich einen Ruck: „Eigentlich ist mein Vater ein guter Freund des Chefredakteurs und da ich zurzeit keine Arbeit habe und ihm zu Hause nicht auf der Tasche lie...“

Ron unterbrach den jungen Mann: „Was haben sie denn gelernt? Oder studiert? Was qualifiziert sie dazu, hier in der Redaktion zu arbeiten. Außer, dass ihr Vater ein guter Freund des Chefredakteurs ist?“

„Also, ja nun eigentlich. Gelernt habe ich Kfz Mechatroniker. Und in Deutsch hatte ich immer eine Zwei. Also einmal auch eine Vier, aber das lag an dem Lehrer. Un...“

Ron unterbrach ihn erneut: „Wäre es nicht sinnvoller, sie würden in ihrem erlernten Beruf arbeiten? Ich glaube, sie sind hier völlig fehl am Platz.“

„Ja, das dachte ich auch. Aber ich bekomme ja keine Stelle und deswegen hat mein Papa ja au...“

Ronald schüttelte den Kopf. Es wurde höchste Zeit, dass er mit seinem Vater sprach. Vielleicht schon heute Abend. Er dürfte nur die Zeitverschiebung nicht vergessen, denn sein alter Herr konnte sehr übellaunig werden, wenn man ihn aus dem Bett holte.

Trotz besseren Wissens erklärte Ron dem jungen Mann, worauf es bei der Onlinezeitung ankam und ließ ihn dann einige Artikel der Kollegen abschreiben und kürzen. So war der erst einmal beschäftigt.

Er selbst musste einige dringende Telefonate führen. Schließlich wählte er die Nummer der Generalstaatsanwaltschaft, die Vera ihm aufgeschrieben hatte. Eine freundliche Frauenstimme meldete sich in gewohntem Tenor und fragte dann, wie sie ihm helfen könne.

„Ich hätte gerne Generalstaatsanwalt Bornsing gesprochen“, erklärte Ron sein Anliegen, nachdem er seinen Namen genannt hatte. „Einen Moment bitte“, säuselte die Dame und in der Leitung ließ sich ein Knacken hören. Kurze Zeit später meldete sich eine Männerstimme.

„Generalstaatsanwalt Bornsing?“, fragte Ron, nur um ganz sicher zu gehen.

„Wer will das wissen?“

„Mein Name ist Ronald C. Nayst. Ich bin Onlineredakteur bei der Berliner Zweigstelle der New York News Paper“, erklärte er bereitwillig. „Im Februar wurde in ihr Haus eingebrochen un...“ Der Mann am anderen Ende der Leitung unterbrach ihn: „Dazu geben wir keine Auskunft. Schon gar nicht der Presse. Ob und wann bei dem Generalstaatsanwalt eingebrochen wurde, geht niemanden etwas an!“

Ron wurde hellhörig. Sprach der Mann jetzt von sich selbst in der dritten Person oder war das da am Ende gar nicht der Generalstaatsanwalt? Ron hakte noch einmal nach: „Mit wem spreche ich denn? Sie sind doch nicht Generalstaatsanwalt Bornsing.“

Ein Knacken in der Leitung zeigte ihm, dass sein Gesprächspartner aufgelegt hatte. Gut, der Mann hatte sich nicht wirklich als Bornsing zu erkennen gegeben, aber das auch nicht direkt dementiert. Ron beschlich ein merkwürdiges Gefühl. Ein Gefühl, das ihm bisher immer zuverlässig gezeigt hatte, wenn an einer Story etwas dran war.

„Ich muss zu Recherchen dringend außer Haus“, beschied er dem sich am Computer abmühenden Prokas. Kurz warf er einen Blick auf den Text, der da am Bildschirm prangte und entdeckte prompt drei Rechtschreibfehler. Aber für Korrekturen oder Zurechtweisungen blieb jetzt keine Zeit. Ron hatte das journalistische Jagdfieber gepackt und sein nächster Weg würde ihn direkt in die Generalstaatsanwaltschaft führen.

„Prima machen sie das“, lobte er dann auch entgegen aller Vernunft den jungen Mann. „Ich schaue mir das später in aller Ruhe an. Und lassen sie auf jeden Fall die Rechtschreibprüfung drüber laufen ...“

Das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft war leicht zu finden, zumal Vera ja beim Herausfinden der Adresse gute Arbeit geleistet hatte. Ron nahm sich vor mit gezinkten Karten zu spielen - so, wie es die anderen anscheinend ja auch taten.

„Guten Tag, mein Name ist Dr. Hessels. Ich bin mit Generalstaatsanwalt Bornsing verabredet.“

Die Dame am Empfangsschalter wirkte verwirrt. Aber Ron ließ ihr keine Zeit, sich zu sammeln. Mit Nachdruck fügte er hinzu: „Jetzt. Wo finde ich ihn, welche Zimmernummer hat er? Mensch Kind, machen sie voran, meine Zeit ist kostbar.“

Die Frau wollte zum Telefonhörer greifen, als Rons Faust gegen die Scheibe donnerte. „Verdammt, wo finde ich ihn? Ich habe doch nur eine einfache Auskunft verlangt, sind sie denn schwerhörig?“

Jetzt hatte er die Dame vollkommen aus dem Konzept gebracht. „Generalstaatsanwalt Bornsing ist nicht im Haus. Also genauer gesagt, seit Februar habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich kann sie aber zu Staatsanwalt Mehrbeyer bringen, der kümmert sich um alles.“

„Was ist denn mit Bornsing?“, hakte Ron nach, jetzt nicht mehr ganz so streng.

„Keine Ahnung. Wir haben ihn hier seit Februar nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er ja in Urlaub ...“

Bevor die Dame erneut zum Telefonhörer greifen konnte, befand Ron sich schon wieder auf dem Gehweg vor dem Gebäude. Rasch entfernte er sich in Richtung nächster U-Bahn Station. Dazu nahm er den Weg durch den Park an der Universität vorbei. Aber er sah weder Bäume, Sträucher oder Studenten, denn die Gedanken jagten sich in seinem Kopf.

Bornsing war augenscheinlich seit Februar nicht mehr aufgetaucht. In Urlaub vielleicht. Aber ein dreimonatiger Urlaub? Bis jetzt? Oder lagen die Überreste des Generalstaatsanwaltes irgendwo mit einem Loch im Kopf? Verscharrt oder in irgendeiner Pathologie? Aber konnte so etwas überhaupt sein? Der Mann wurde erschossen und niemand wollte etwas davon wissen. Das erschien Ron alles sehr abstrakt. Oder hatte dieser Bornsing seinen Urlaub einfach verlängert und alles hingeschmissen? War also quasi ‚desertiert‘. Aber auch diese Variante erschien Ron mehr als unwahrscheinlich. So einer warf nicht einfach alles hin.

Im Büro war die Hölle los. Ron wurde sofort zum Chefredakteur gerufen, Maike durfte es ihm wieder überbringen. Dass sie dabei so süffisant grinste, störte Ron am wenigsten.

„Nayst. Ich habe mich über sie beschwert!“, fuhr Fellger ihn an, kaum dass er das Büro betreten hatte. „Nicht bei ihrem Vater, sondern bei maßgeblichen Leuten.“

Ron kannte eigentlich niemanden, der ‚maßgeblicher‘ als sein Vater sein sollte. Mit unbewegter Miene hörte er dem Chefredakteur zu.

„Sie haben einfach ihren Arbeitsplatz verlassen. Einen unbedarften Mitarbeiter allein mit einer schier unlösbaren Aufgabe gelassen und ihre überforderten Kollegen einfach im Stich gelassen. Wenn ich könnte, würde ich sie einfach so hier und jetzt auf der Stelle entlassen!“

Ron konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. Drei Mal ‚einfach‘ in zwei Sätzen. Druckreif war das nicht!

„Was grinsen sie so? Finden sie das am Ende auch noch lustig?“

„Erstens, Herr Fellger, haben sie mir völlig freie Hand gegeben, was meine Arbeitsweise betrifft. Zweitens ist der neue Mitarbeiter nicht nur völlig unbedarft, sondern auch für diesen Job nicht geeignet. Aber die gestellte Aufgabe war nicht schwierig, denn er sollte lediglich Texte aus unserer aktuellen Ausgabe abschreiben und ein wenig kürzen. Etwas, was jedes Kind kann. Und drittens müssen meine Kollegen schon seit Wochen alleine mit den gestellten Aufgaben fertig werden. Und das nicht nur, weil der Herr Müller krank ist, sondern weil merkwürdigerweise auch viele Kollegen nach kurzer Zeit wieder gekündigt haben. Und - das kann ich ihnen verraten - ich glaube nicht, dass das an den Kollegen gelegen hat.“

„Sondern?“ Fellger hatte sich wieder halb erhoben und starrte sein Gegenüber mit hochrotem Kopf an.

„Da sollten sie einmal in aller Ruhe darüber nachdenken!“

Ron verließ grußlos das Büro.

Die Servator Verschwörung

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