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III. Auf den Spuren des Einbruchs

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Am folgenden Tag stand Ron schon sehr früh auf. Er plante, etwas später in die Redaktion zu kommen und zuvor dem Haus des Generalstaatsanwalts einen Besuch abzustatten. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, hatte er Maike zuvor informiert und als Grund ‚dringende Recherchen‘ angegeben. Das dürfte eigentlich genügen.

Ron fuhr mit der S-Bahn und legte den Rest des Weges zu Fuß zurück. Der Himmel zeigte sich leicht bewölkt, es würde aber trocken bleiben. Hin und wieder lugte schon einmal die frühe Sonne hervor und nach kurzer Zeit erreichte er die Straße, in der das Haus des Generalstaatsanwaltes lag. Es handelte sich durchaus um eine gehobene Wohngegend und Villa reihte sich an Villa. Das Haus Bornsings war nicht schwer zu finden und Ron mimte den Spaziergänger, der sich interessiert die Häuser anschaute.

Die Villa stand auf einem gepflegten Grundstück und machte keinen verlassenen Eindruck. Wohnte hier denn jemand? War Bornsing verheiratet? Ron prägte sich jede Einzelheit ein. Allerdings gab es nicht viel zu sehen, das Haus unterschied sich nicht von den anderen hier in der Umgebung. Um nicht aufzufallen, schlenderte er schließlich die Straße entlang, machte dann kehrt und gelangte wieder zu der Villa. Aus einem Haus auf der anderen Straßenseite trat jetzt ein älterer Herr mit einem kleinen Hund an der Leine. Rasch, aber ohne Hektik, überquerte Ron die Straße und näherte sich dem Mann wie ein zufälliger Spaziergänger. Jetzt bemerkte der ihn auch und blickte ihm misstrauisch entgegen. Ron kannte diese Art von Menschen und vermied es, ihn direkt anzusprechen. Während er den Mann mit seinem Hund überholte, grüßte er freundlich und murmelte: „Das ist aber ein netter Hund.“ Dann setzte er seinen Weg fort.

Es war früh am Morgen, der Alte mit dem Hund dürfte seine übliche Runde gehen und kaum auf Menschen stoßen, da es sich ja um einen normalen Arbeitstag handelte. Würde der Mann während seines Spazierganges nicht einen anderen Rentner mit Hund treffen, so käme ihm eine Gelegenheit zum Reden und seine Neugier zu befriedigen bestimmt recht. Ron verlangsamte seine Schritte unmerklich und zählte in Gedanken ‚eins‘, ‚zwei‘, ‚drei‘. Bis vier kam er nicht mehr, da hörte er den Mann laut hinter sich sagen: „Ein herrlicher Morgen, meinen sie nicht auch?“

Ron hielt inne, drehte sich um und ging zu dem Mann zurück. „Es wird bestimmt warm werden heute“, nahm er das Gespräch auf.

Der Alte beobachtete seinen Hund, der gerade einen Zaunpfahl markierte. „Hoffentlich nicht zu warm. Wohnen sie hier?“

Ron unterdrückte ein Grinsen. Das Gespräch nahm genau den Verlauf, den er sich gedacht hatte. Ein Fremder hier um diese Zeit? Jemand, den der Hundebesitzer noch nie gesehen hatte? Das verlangte ja direkt nach Erklärungen. Ron hatte sich auch schon eine Geschichte zurechtgelegt. „Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Bin aber viel zu früh dran“, fügte er dann hinzu, um zu zeigen, dass er keine Eile habe. „Ich bin vor ein paar Tagen erst hierhin, also zwei Straßen weiter, gezogen und habe heute meinen ersten Arbeitstag. Zufällig kam ich auf dem Weg zur S-Bahn durch diese Straße. Das sind ja prächtige Häuser.“

Der Alte nickte: „Dies ist eine der besten Wohngegenden Berlins. Sie sind nicht von hier?“

Ron schüttelte den Kopf und beobachtete den Hund, der jetzt mitten auf dem Gehweg sein großes Geschäft erledigte. „Ich komme aus New York.“

„Ach, das ist ja interessant. Sie sprechen aber sehr gut Deutsch.“

Ron nickte und blieb beim Erklären bei der Wahrheit: „Meine Mutter ist Deutsche.“ Dann deutete er auf die Häuser: „Hier wohnen bestimmt besondere Menschen. Das gibt es in New York auch. Die besseren Viertel.“

Der Hundebesitzer fühlte sich geschmeichelt und ging auch gleich auf Rons Worte ein: „Da haben sie Recht. Ich bin ja jetzt Rentner, aber früher war ich Arzt und hatte eine eigene Praxis hier ganz in der Nähe, in Zeelendorf.“

„Das ist ja interessant“, zeigte Ron sich interessiert und deutete auf das Haus neben dem des Generalstaatsanwalts. „Und in dieser prächtigen Villa, wer wohnt dort?“

Der Alte zog seinen Hund von einem kleinen Busch fort und machte eine unwillige Geste. „Da wohnt so ein Kraftfahrzeughandwerker. Hat irgendwo eine eigene Werkstatt.“

Ron ließ einen Laut der Enttäuschung hören, dann zeigte er auf Bornsings Villa: „Und dort. Das ist ja auch ein tolles Haus.“

Der Mann zeigte wieder etwas mehr Begeisterung: „Da wohnt ein Generalstaatsanwalt.“

„Ein Generalstaatsanwalt?“, wiederholt Ron. „Na, die Villa passt auch zu ihm. Allerdings ein wenig protzig, nicht wahr? Alles aber top gepflegt ...“

Wieder wurde der Hund etwas zurückgezogen. Dann setzte der Rentner sich in Bewegung. Ron folgte ihm an der Seite.

„Generalstaatsanwalt Bornsing, ein sehr netter Mann“, gab der Alte bereitwillig Auskunft. Plötzlich blickte er Ron von der Seite an: „Was machen sie eigentlich beruflich?“

„Ich bin Assistenzarzt im Vivantes Klinikum. Entschuldigen sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Dr. Rienatz.“ Ein besserer Name, als der von der Praktikantin fiel ihm auf die Schnelle nicht ein.

„Dr. Köllner“, stellte sich der Hundebesitzer jetzt vor. „Willkommen in Berlin, Herr Kollege.“

Ron hielt dem Mann die Hand hin. „Danke, Herr Kollege. Das mit der Villa habe ich nicht so gemeint. So protzig ist sie ja auch wieder nicht“, führte er das Gespräch geschickt wieder auf den Staatsanwalt zurück. „Dieser Generalstaatsanwalt ist bestimmt auch ziemlich beschäftigt ...“

Sie hatten jetzt schon ein ganzes Stück zurückgelegt und bogen in eine Seitenstraße ab.

„Ich habe den Mann lange nicht mehr gesehen. Im Februar wurde bei ihm eingebrochen, da war er noch in Urlaub. Seitdem habe ich ihn aber nicht mehr gesehen.“

Ron nickte: „Vielleicht haben sie ihn ja auch einfach nur übersehen. Mir ist aufgefallen, dass das Grundstück ja doch sehr gepflegt wirkt.“

Der Hundebesitzer winkte mit einer Hand ab: „Ach das. Nun, Bornsing beschäftigt natürlich entsprechendes Personal. In seiner Position! Putzfrau, Gärtner und was weiß ich noch. Ich kann mir gerade einmal jemanden leisten, der hin und wieder meinen Garten pflegt.“

Ron konnte sich nur dunkel an das Haus erinnern, aus dem der Rentner gekommen war. „Ihr Garten ist aber auch toll gepflegt“, schmeichelte er und hoffte nicht daneben zu liegen. „Machen sie denn noch viel selber?“

„So gut ich kann. Den Rasen mähe ich zum Beispiel noch alleine. Aber andere Sachen, wie Reparaturen am Haus, muss ich auch machen lassen. Da unterscheide ich mich kaum von Bornsing“, lachte er dann leise.

„Inwiefern? Lässt dieser Herr Bornsing so viel reparieren?“

Wieder lachte der Alte leise. „Nein, nein. Aber im Februar, kurz nach dem Einbruch, waren plötzlich viele Handwerker dort. Sogar eine Scheibe wurde ausgewechselt. Und das obwohl der Generalstaatsanwalt wahrscheinlich nicht zu Hause war.“

„Vielleicht wurde das von der Putzfrau oder dem Gärtner organisiert“, warf Ron leichtfertig ein und beobachtete seinen Gesprächspartner von der Seite. „Das ist doch ganz normal, oder nicht?“

Der Arzt im Ruhestand zog erneut seinen Hund zurück, überlegte einen Moment und meinte dann: „Das kann ich nicht sagen. Es war alles so merkwürdig damals. Erst nachts der Lärm. Ich meine den Einbruch. Ich bin durch die Sirene des Polizeiwagens geweckt worden. Erst die Polizei und am Morgen zwei Wagen mit Leuten in Anzügen. Aber vielleicht war das ja auch die Kriminalpolizei, die den Einbruch untersucht hatte. Und am gleichen Tag kamen dann schon die Handwerker. Die haben Schubkarren voller Unrat aus dem Haus gekarrt.“

„Schubkarren?“ Ron konnte sich keinen Reim auf das Gesagte machen. „Hat es dort gebrannt und musste deswegen renoviert werden? War das Bauschutt?“

„Nein, nein. Keine Ahnung. Genau genommen habe ich auch nur eine Schubkarre gesehen. Aber auf der lag ein ziemlich großer Müllsack. Aber wenn da etwas nicht gestimmt hätte, dann wäre Bornsing doch eingeschritten. Oder nicht?“

Ron sagte nichts. Eine merkwürdige Angelegenheit war das schon. Aber wo fand sich das Motiv für all diese Aktivitäten? Ging man einmal von einem normalen Einbruch aus, dann müsste doch lediglich ein aufgebrochenes Schloss oder eine Tür repariert werden. Oder hatte Inat das Fenster eingeschlagen? Aber wieso karrten dann Handwerker säckeweise Schutt aus dem Haus? Ron nahm sich vor, noch einmal mit Vera zu sprechen, vielleicht konnte sie in Erfahrung bringen, auf welchem Weg Inat in das Haus eingedrungen war. Ron plante ohnehin, sie anzurufen und zu der Veranstaltung am Samstag einzuladen. So könnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Beruflich der Darbietung dieser Laienmusiker beiwohnen und die Gesellschaft Veras genießen. Wenn sie denn zusagte.

Mit dem Hinweis darauf, dass er am ersten Arbeitstag nicht zu spät erscheinen wolle, verabschiedete Ron sich schließlich hastig.

Der Tag im Büro verging mehr schlecht als recht. Der Chefredakteur glänzte durch Abwesenheit, die beiden Kollegen Changa und Meizel recherchierten wieder in dieser Korruptionsaffäre und der neue Onlineredakteur Matthias Prokas schien plötzlich seine Vorliebe für das Kaffeekochen entdeckt zu haben. Jedenfalls verbrachte er die meiste Zeit mit Maike in der Kaffeeküche. Ron warf einen Blick auf die von Prokas verfassten - oder besser: abgeschriebenen - Artikel und schüttelte den Kopf. Rechtschreibfehler reihte sich an Rechtschreibfehler. Er entschied, dass es wohl besser wäre, wenn dieser neue Kollege bei der Praktikantin in der Kaffeeküche bliebe. Rasch schrieb Ron einige Artikel und stellte sie Online. Nachdem seine Arbeit soweit erledigt war, verabschiedete er sich zeitig in den Feierabend. Es galt noch einige Dinge zu besorgen, denn Ron plante, dem Haus des Generalstaatsanwaltes in der Nacht einen weiteren Besuch abzustatten.

Kurz nach zwölf Uhr saß der Onlineredakteur zitternd in dem selben Gebüsch, in dem der Einbrecher Inat im Februar die halbe Nacht verbracht hatte. Aber Ron zitterte nicht vor Kälte, sondern vor Nervosität. Diese Situation war etwas Neues für ihn. Obwohl er ja nicht plante, in das Haus einzubrechen. Trotzdem, allein schon hier auf dem fremden Grundstück zu sitzen und den Geräuschen der Umgebung zu lauschen, war für ihn eine ungewohnte Situation. Ron versuchte sich in den Einbrecher hinein zu versetzen. Wie dachte so jemand, wie wollte er ins Haus gelangen? Irgendwo erklang das Fauchen zweier Katzen, die sich stritten. Bei Nacht drangen die Geräusche doppelt so weit wie tagsüber. Könnte er als Einbrecher ein Fenster einschlagen? Wäre das nicht viel zu laut?

Über den eigentlichen Einbruch wusste er nicht allzu viel, in den wenigen Unterlagen war darüber auch nichts zu finden gewesen. Vera hatte er am Abend nicht erreicht und lediglich auf ihren Anrufbeantworter gesprochen. Darum musste er sich jetzt auf Spekulationen verlassen. Konnte man eine Scheibe einschlagen, indem man ein Handtuch zur Geräuschdämmung benutzte? Oder war es einfacher, die Hintertür aufzubrechen? Ron beschloss, mit der Türe zu beginnen. War sie aufgebrochen worden, so mussten sich doch irgendwo noch Spuren finden lassen.

Am frühen Abend hatte er sich für diese Aktion heute Nacht entsprechend ausgestattet: Schwarze, unauffällige Kleidung, eine Sturmhaube, ein Paar Handschuhe, eine kleine Taschenlampe und ein Messer für alle Fälle. Außerdem trug er nagelneue, dunkle Turnschuhe, die er nach dieser Sache unauffällig verschwinden lassen wollte. Falls jemand etwas bemerkte und die Polizei verständigte, wollte er nicht anhand von Fußabdrücken identifiziert werden.

Ron schlich zur Hintertür. Wie einst der Einbrecher, musste er sich zunächst durch das Gebüsch kämpfen. Den Lichtkegel der Lampe mit einer Hand eindämmend, untersuchte er die Tür. Keine Spuren. Das Schloss war intakt und wies keinerlei Aufbruchspuren auf. Also doch das Fenster? Aber welches? Ron beschloss, um das Haus herumzuschleichen, wobei er die Front zur Straße meiden wollte. Er würde also von hier aus einmal zunächst rechts um das Gebäude herum gehen, danach zurückkehren und dann in der anderen Richtung weiterschleichen.

Am Haus befanden sich in unregelmäßigen Abständen Büsche, die meistens über unangenehme Dornen verfügten. Immer wieder musste er einen kleinen Bogen machen und etwas Abstand zum Gebäude halten. Er kam an einem Fenster vorüber, dass vermutlich zur Küche gehörte und stand schließlich vor der Hausecke, die zur Straßenfront führte. Hier befand sich ein weiteres Fenster. Vorsichtig versuchte Ron in den dahinterliegenden Raum zu blicken. Dann leuchtete er kurz mit der Taschenlampe hinein. Offensichtlich ein Büro oder Arbeitszimmer. In dem kurzen Moment, in dem er den Lichtstrahl durch den Raum wandern ließ, konnte er einen Schreibtisch, sowie einen Sessel erkennen. Wollte er allerdings mehr in Erfahrung bringen, so müsste er in das Haus einbrechen.

Ron wandte sich ab und trat gerade den Rückweg an, als der Lichtstrahl der Taschenlampe den Fensterrahmen streifte. Im Unterbewusstsein nahm er etwas wahr, ging dann aber leise weiter. Nach zwei Metern kehrte er um und trat erneut an das Fenster heran. Da war wirklich etwas! Ron ließ den abgeblendeten Strahl der Lampe über den Rahmen gleiten. Ganz offensichtlich war das Fenster ausgetauscht worden. Das deckte sich ja auch mit den Erzählungen des Rentners.

Aber welcher Einbrecher würde hier, so nahe der Straße, die Scheibe einschlagen und in das Haus eindringen? Sinnvoller wäre doch der Einbruch durch die Tür gewesen. Oder - wenn es denn ein Fenster sein musste - durch die Küche. Das Küchenfenster lag immerhin ein ganzes Stück weiter hinten. Aber man hatte dieses Fenster ausgetauscht, das war deutlich zu sehen.

Ron erinnerte sich an die Worte des Einbrechers im Gerichtssaal. Ein Mann, erschossen. Er ließ seine Phantasie spielen. Vor seinem inneren Auge sah er einen Mann am Schreibtisch sitzen. Den Rücken dem Fenster zugewandt und angestrahlt von einer Schreibtischlampe. Mit einer Pistole oder besser noch einem Gewehr wäre dieser Mann ein leichtes Ziel.

Wer aber erschoss nachts wahllos irgendwelche Leute? Oder handelte es sich um einen geplanten Mord? Warum erfuhr dann aber niemand etwas davon? Ron schüttelte den Kopf und schalt sich selbst einen Narren. Da ging wohl seine Phantasie mit ihm durch! Es gab keinen Toten, nur einen verurteilten Einbrecher.

Doch der Gedanke an einen Mord ließ ihn nicht los. Von wo würde der mutmaßliche Mörder schießen? Ron zielte mit seiner rechten Hand wie mit einer Pistole, wobei der Zeigefinger den Lauf darstellte. Dann bewegte er sich langsam rückwärts. Hätte hier der Schütze stehen können? Er entschied, dass die Stelle viel zu ungeschützt war und bewegte sich weiter rückwärts. Plötzlich stieß er an einen Baum. Erschrocken hielt er inne. Immer noch befand er sich in gerader Linie zum Fenster und somit auch zu dem dahinterliegenden Büro. Bis auf diesen Baum trübte nichts die Sicht. Also dürfte der Baum hier die Endstation darstellen. Ron ließ die Taschenlampe kurz aufblitzen und blickte am Stamm hoch. Leichte Kratzspuren, so also wäre jemand hinaufgeklettert, ließen sich in der Rinde erkennen. Hatte der Schütze auf dem Baum gesessen?

‚Du spinnst ja‘, meinte er halblaut zu sich selbst. ‚Vielleicht solltest du einen Roman schreiben. Das waren vielleicht Kinder, die dort herumgeturnt sind.‘ Schließlich gab es ja offiziell keinen Toten und er schlug sich die Nacht hier mit Hirngespinsten um die Ohren. Und Vera hatte vermutlich schon zurückgerufen und ihn nicht erreicht, da sein Handy ausgeschaltet war!

‚Warte ab‘, sagte er sich, ‚gleich findest du eine Patronenhülse im Gras. Neun Millimeter Magnum‘. Bei dem Gedanken lachte er leise vor sich hin. Es wurde Zeit, nach Hause zurückzukehren. Was machte er hier überhaupt?

Ron kroch auf allen Vieren um den Baum herum und suchte das Gras sorgfältig ab. Eine Patronenhülse fand er nicht. Noch einmal fragte er sich, was das hier alles sollte. Wie konnte er so verrückt sein, solch eine dumme Vermutung anzustellen? Trotzdem kroch er noch ein wenig weiter und vergrößerte seinen Suchkreis. Plötzlich hielt er ein Stück Papier in der Hand. Offensichtlich handelte es sich um den Teil eines Fotos. Durch die Witterung war es halb verrottet, aber da es sich um Fotopapier handelte, waren Stücke davon noch recht leidlich erhalten. Ron ließ die Taschenlampe kurz aufblitzen und warf einen Blick darauf, bevor er das Papier einsteckte. Damit könnte er sich später beschäftigen.

Langsam und leise schlich er wieder zu dem Fenster zurück. Es war an der Zeit, diese nächtliche Exkursion zu beenden. Er würde den gleichen Weg nehmen, den er auch hierhin gekommen war. Also erst einmal um das Haus herum und zurück zur Hintertür. Bevor er sich auf den Weg machte, lauschte er noch einmal angestrengt. Aber es war ruhig, nirgends auch nur ein Geräusch zu hören.

Ron schlich gerade auf das Küchenfenster zu, als ein Rascheln hinter ihm ertönte. Erschrocken wandte er sich um und konnte eine schwarze Katze ausmachen, die ihn aus leuchtenden Augen ansah. Reflexartig trat er einen Schritt zurück. Aber sein Fuß fand keinen festen Boden und mit einem erstickten Aufschrei fiel der Redakteur durch einen Dornenbusch hindurch in ein offenes Kellerloch. Unsanft landete er auf dem Rücken und schlug mit der Stirn gegen die Schachtwand. Ron schüttelte ein wenig benommen den Kopf. Der Schacht war nicht tief und wurde halb durch den Busch verdeckt. Der musste im Laufe der Zeit vom Rasen her immer weiter Richtung Hauswand gewuchert sein, ließ aber gut die Hälfte der Öffnung zur Wand noch frei. Ron fluchte über so viel Nachlässigkeit, denn der Schacht hätte abgedeckt werden müssen. Dann stemmte er sich mühsam hoch. Sein linker Knöchel schmerzte. Vorsichtig tastete er ihn ab, seufzte aber dankbar auf, als offensichtlich nichts gebrochen war. Eine Verstauchung vermutlich nur. Aber das reichte ja schließlich auch schon. Noch einmal befühlte er den Fuß und stieß auf etwas Weiches. Zum Glück hatte er die Taschenlampe bei dem Sturz fest in der Hand gehalten und ein kurzes Anleuchten des weichen Gegenstandes zeigte ihm, dass er einen dunkelgrünen Rucksack gefunden hatte.

Instinktiv blickte Ron an der Hauswand hoch und konnte in der ersten Etage über sich ein kleines Fenster ausmachen. Hieß es nicht, der Einbrecher sei in einem Badezimmer festgenommen worden? Konnte es sich bei diesem Rucksack vielleicht um den von Inat handeln? Der Stoff war feucht und modrig aber noch ganz passabel, da es sich um einen militärischen Ausrüstungsgegenstand handelte. Ron überlegte kurz, ob er jetzt nicht die Polizei über seinen Fund informieren müsste, verwarf den Gedanken aber. Das könnte er später immer noch machen. Zunächst siegte seine Neugier, was sich darin befinden würde.

Es dauerte eine Weile, bis er in seiner Pension angelangte. Einerseits behinderte ihn sein verletzter Fuß, andererseits fuhren um diese Zeit weder Busse noch Bahnen, so dass er sich erst einmal ein Taxi rufen musste. Das tat er aber erst, nachdem er schon ein ganzes Stück vom Haus des Generalstaatsanwaltes entfernt war.

Jetzt kühlte er die Schwellung, indem er ein Kühlpack mittels Verband am Fuß befestigte. Der Rucksack, sowie das Foto, lagen auf seinem Schreibtisch. Vorsichtig öffnete er den moderigen Stoff und förderte zunächst ein Gerät zu Tage, das er unschwer als Nachtsichtgerät identifizierte. Danach folgte ein Dietrich - Set, sowie ein Luftpolsterumschlag. Der Umschlag war ziemlich vermodert, aber geschlossen. Vielleicht würde sein Inhalt besser aussehen. Ron hoffte das jedenfalls. Mehr fand er in dem Rucksack nicht. Aber jetzt war er sich ganz sicher, dass es sich um die Sachen des Einbrechers Oliver Inat handeln musste. Ron vermutete, dass der Mann den Sack aus dem Fenster im ersten Stock hatte fallen lassen. Es musste reiner Zufall gewesen sein, dass er in den Schacht fiel und die Polizei ihn nicht entdeckt hatte.

Erneut meldete sich der Gedanke, dass er seinen Fund umgehend melden müsste. Ron verdrängte ihn. Dann öffnete er vorsichtig den Umschlag und schüttete den Inhalt auf seinen Schreibtisch. Es handelte sich um mehrere handschriftlich verfasste Zettel, die sich dank der Luftpolsterfolie in einem guten Zustand befanden.

Ron nahm seinen Block zur Hand und übertrug die Texte von den Zetteln auf das Papier. Dabei versuchte er automatisch eine gewisse Ordnung herzustellen. Wie er nach kurzer Zeit erkennen konnte, handelte es sich um Listen von Namen und deren Verbindungen untereinander. Einige kannte er, andere wiederum waren ihm völlig unbekannt. Auch die Namen, auf die verschiedene Querverweise zeigten, kamen ihm teilweise bekannt vor. Es handelte sich um Industrielle oder Firmen, von denen er schon gehört hatte. Es war unschwer daraus zu lesen, dass es sich hier um eine Auflistung vermutlich korrupter Politiker und deren ‚Sponsoren‘ handelte. Ron musste an seine Kollegen denken, die sich ja mit dieser Thematik befassten. Die Zettel würden ihnen bei ihren Recherchen bestimmt helfen können. Sorgfältig packte er alles wieder in den Umschlag zurück.

Anschließend warf er einen Blick auf das Foto. Viel war nicht zu erkennen, da der ganze obere Teil des Bildes fehlte. Jemand musste das Foto in der Mitte durchgerissen haben, das vermutlich eine Porträtaufnahme gewesen war. Jetzt konnte er lediglich noch die untere Gesichtshälfte bis zur Nase erkennen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, suchte Ron im Internet nach einem Foto des Generalstaatsanwaltes. Es gab nicht viele davon, aber nach einiger Zeit wurde er fündig. Man hatte ein recht brauchbares Bild auf einer Presseveranstaltung der Staatsanwaltschaft geschossen. Ron druckte das Foto aus, dann verglich er die beiden Bilder. Mit ein wenig Phantasie könnte es sich um die gleiche Person handeln, resümierte er dann. Rasch schob er die Unterlagen zusammen. Es wurde Zeit für das Bett, wollte er noch ein paar Stunden Schlaf bekommen.

Die Servator Verschwörung

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