Читать книгу Tourismusgeographie - Jürgen Schmude - Страница 9
|2|1.1.1 Definition von Tourismus
ОглавлениеWie das Phänomen Reisen an sich – von den frühgeschichtlichen (Völker-) Wanderungen bis zum gegenwärtigen Massentourismus – haben sich auch die Begrifflichkeiten zum Reisen im Laufe der Zeit gewandelt (die Begriffe Tourismus, Touristik, Fremdenverkehr und Reiseverkehr werden im Folgenden synonym verwendet). Die Bedeutung von Definitionen steht außer Frage, gerade bei interdisziplinären Forschungsarbeiten, Diskussionen und Diskursen. Gleichzeitig unterscheiden sich gerade in interdisziplinären Forschungsgebieten wie dem Tourismus die Definitionen je nach wissenschaftlichem Hintergrund und individueller Zielsetzung der Wissenschaftler. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein und dieselbe Definition je nach Kontext des Betrachters unterschiedlich aufgefasst werden kann.
Definition Tourismus nach UNWTO
Nach einer allgemein anerkannten Definition der UNWTO umfasst der Tourismus „die Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten“ (UNWTO 1993 in DESTATIS 2007, o.S.).
Konstitutive Elemente von Tourismus
Allgemein werden der Tourismusdefinition drei konstitutive Elemente zugeschrieben. Als erstes Element wird der Ortswechsel von Personen, der zu einem Ort außerhalb der gewohnten Umgebung führt, berücksichtigt. Die hierbei vorgenommene Raumüberwindung kann mit verschiedenen Verkehrsmitteln erfolgen. Das zweite konstitutive Element des Tourismus ist der vorübergehende Aufenthalt an einem Ort außerhalb der gewohnten Umgebung, der z.B. in Betrieben der Hotellerie und Parahotellerie (vgl. Kap. 2.1.1), zum Teil in Privatunterkünften bei Verwandten, Bekannten und Freunden, erfolgt. Die UNWTO (2008a, S. 114) schließt dabei in ihren „International Recommendations for Tourism Statistics 2008“ erstmals Ferienhäuser explizit von der gewohnten Umgebung aus. Als drittes konstitutives Element des Tourismus sind die Motive des Ortswechsels zu nennen (vgl. Kap. 2.3.2). Alle drei konstitutiven Elemente setzen den Grundsatz der Freiwilligkeit voraus, womit beispielsweise unfreiwillige Aufenthalte in Krankenhäusern, Gefängnisaufenthalte etc. ausgeschlossen sind (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2003, o.S.).
Raumüberwindung
Der Ortswechsel bzw. die Raumüberwindung ist gerade für Geographen von besonderem Interesse. So wird zwischen erdgebundenen und nichterdgebundenen Zielen unterschieden, wobei die erstgenannten nicht nur theoretisch, sondern auch mit einem annehmbaren (zeitlichen und finanziellen) Aufwand über den Landweg zu erreichen sein müssen. Zudem wird die räumliche Distanz zwischen Quell- und Zielgebiet berücksichtigt, was ein breites Spektrum von der Naherholung bis zum Fernreisetourismus zur Folge hat.
Reisedauer
Bezüglich der Reisedauer wird grundlegend zwischen übernachtendem Tourismus und nichtübernachtendem Tourismus bzw. Tagestourismus unterschieden. Als zeitliche Obergrenze für Tourismus gilt der Zeitraum von maximal einem Jahr (vgl. DESTATIS 2003, o.S.).
Motivation
Die Frage der Motivation (vgl. Kap. 2.3.2) ist oft Ansatzpunkt für die Zuordnung bzw. Abgrenzung des Tourismus. Während die klassische Badebzw. |3|Erholungsreise stets dem Tourismus zugerechnet wird, gibt es beispielsweise bei Geschäftsreisen unterschiedliche Auffassungen. Diese Abgrenzungsfrage wird z.B. hinsichtlich des Aspekts diskutiert, ob Tourismus rein konsumorientiert (wie die Urlaubsreise) oder auch investiv (wie die Geschäftsreise, die vor allem erwerbswirtschaftliche Gründe hat) ausgerichtet ist. Außerdem können sich Geschäftsreisen deutlich von Urlaubsreisen – beispielsweise in Bezug auf den Anlass, das Ziel, die Finanzierung sowie die Vorbereitung, Durchführung (z.B. Transport, Unterkunft) und Nachbereitung der Reise – unterscheiden (vgl. FREYER 2015, S. 4f.).
Internationale Definitionen
Auch auf internationaler Ebene gibt es durch supranationale Einrichtungen eine Reihe von Definitionen und Abgrenzungen des Terminus Tourismus. So werden in den „International Recommendations for Tourism Statistics 2008“ der UNWTO (2008a, S. 14 u. 114) erstmals Ausflüge (trips) und Besuche (visits) definiert, wobei ein Ausflug Besuche verschiedener Orte umfassen kann. Ausflüge, die von Besuchern (im nachfolgend definierten Sinn) unternommen werden, sind touristische Ausflüge. Ein touristischer Besuch (tourism visit) beschreibt demnach einen Aufenthalt an einem Ort während eines touristischen Ausflugs (tourism trip). Dieser muss nicht mit einer Übernachtung einhergehen. Unabdingbar ist jedoch der vorübergehende Aufenthalt außerhalb der gewohnten Umgebung, was wiederum Durchreisen ausschließt.
Touristische Teilgruppen der Gesamtbevölkerung
Abgrenzungsfragen kennzeichnen auch die Definition des Terminus Tourist. Allgemein kann die Gesamtbevölkerung eines Raumes im touristischen Sinne in Reisende, Nicht-Reisende und Nie-Reisende (vgl. Abb. 1.1) eingeteilt werden, wobei die Motivation der letztgenannten, eben nicht zu verreisen, unterschiedlicher Natur sein kann (z.B. kein Interesse, finanzielle, berufliche, familiäre oder gesundheitliche Gründe). Gleichwohl können Nicht-Reisende für touristische Untersuchungen bedeutsam sein, da sie gerade bei der Erschließung neuer Zielgruppen von Bedeutung sind. Denn im Gegensatz zu den Nie-Reisenden reisen die Nicht-Reisenden definitionsgemäß eben nur für einen bestimmten Zeitraum nicht. Reisende sind Personen, die zwischen zwei oder mehreren Orten bzw. Ländern reisen, aber nicht zwingend eine touristische Aktivität ausüben. Bei Reisenden wird nach den sonstigen Reisenden und Besuchern differenziert. Die sonstigen |4|Reisenden umfassen unter anderem Transitreisende, Grenzgänger, Diplomaten, Konsulatsbeamte, Angehörige der Streitkräfte, Flüchtlinge, Nomaden, Migranten, vorübergehend Zugezogene und vorübergehende Arbeitende. Die sonstigen Reisenden werden in tourismuswissenschaftlichen Untersuchungen in der Regel ausgeblendet. Besucher hingegen verlassen ihre gewohnte Umgebung für die Dauer von weniger als zwölf Monaten, um aus irgendeiner Hauptmotivation heraus (persönlich, geschäftlich) an einen anderen Ort zu reisen, wobei der hauptsächliche Reisezweck dabei nicht in einer vom besuchten Ort aus veranlassten Beschäftigung liegt. Damit ist auch der regelmäßige Wechsel zwischen Arbeits- und Wohnort ausgegrenzt. Besucher werden wiederum in Tagesbesucher bzw. Tagesausflügler und Touristen unterschieden, mit dem bereits angedeuteten Unterschied, dass erstgenannte nicht am besuchten Ort übernachten (vgl. DESTATIS 2003, o. S.;UNWTO 2008a, S. 114).
Abb. 1.1: Abgrenzung verschiedener Teilgruppen der Gesamtbevölkerung zur Definition von Touristen und Tagesbesuchern (eigene Darstellung)