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7. Kapitel

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»Wir müssen noch einmal ganz von vorne beginnen«, erklärte Max in der nächsten Strategiesitzung. »Wir müssen unsere Abläufe optimieren und alles, was wir tun, bis ins kleinste Detail hinterfragen. Alle, die wie auch immer mit uns in Kontakt kommen, müssen eines ohne nachzudenken sofort und unmissverständlich wissen: Hier sind Experten am Werk. Die besten Experten, die es in ihrem Fach gibt.«

Die 300 Teilnehmer der Sitzung waren verblüfft. Sie hatten bis jetzt doch alles richtig gemacht. Der Verein hatte letzte Woche das 10.000. Mitglied aufgenommen. Das Gebiet war vergrößert worden, zwar nur um einige Hektar, aber es war größer als zuvor, und die Spenden flossen regelmäßig und in so hohen Beträgen, dass ihre Rücklagen stetig anwuchsen.

Max lächelte väterlich. »Ich verstehe euer Misstrauen. Aber lasst es mich euch genauer erklären.« Auf einem Bildschirm über ihm erschien das Logo der Familie, die Zeichnung der lächelnden Gelbbauchunke. »Als ich das Logo zum ersten Mal sah, war mein Gedanke: recht ordentlich. Aber Logos dieser Art gibt es Dutzende Male. Ich habe Experten kontaktiert, herausragende Künstler, und bin auf Jorgo Blanko gestoßen. Einige von euch kennen ihn vielleicht. Er hat einmal eine kleine rosarote quadratische Leinwand ausgestellt – ich glaube, es war in New York –, und bei der Pressekonferenz erklärte er sie zu seinem Lebenswerk. Das fragende Staunen und Achselzucken der Betrachter quittierte er mit seiner bekannt schroffen Art. ›Wer darauf nichts sieht, ist zu dumm für meine Kunst, und wer zu dumm für meine Kunst ist, wird dieses Bild und meine Kunst niemals verstehen.‹ Jorgo Blanko hat unsere Unke adaptiert.«

Ein Bild erschien auf dem Screen. Ein staunendes Oh ging durch die Menge. In fotorealistischer Brillanz war eine Unke abgebildet, aber trotzdem glich das Bild keinem Foto, denn hauchzarte schimmernde Linien und Netzstrukturen verliehen ihm etwas Surreales. Ja, es war noch immer die lächelnde Gelbbauchunke mit ihren Schwimmfüßen, aber gleichzeitig war es vollkommen neu. Unter dem Bild stand in türkiser Farbe ein Wort: »Change«.

Die Teilnehmer applaudierten spontan. Die meisten erhoben sich, einige riefen »Bravo« und pfiffen enthusiastisch.

»So meine ich das«, erklärte Max. »Alles hinterfragen, neu denken und verbessern, falls sich Verbesserungsmöglichkeiten ergeben. Wenn wir Vorreiter für eine bessere Zukunft sein wollen, müssen wir anders sein als die Masse, und wir müssen vor allem eines sein: authentisch. Echt, zu 100 Prozent echt. Wir müssen konsequent und streng zu uns selbst sein. Wir dürfen keine Halbheiten in uns zulassen. Keine Kompromisse, die uns angreifbar machen. Wer von euch besitzt oder fährt regelmäßig ein benzinbetriebenes Fahrzeug?«, fragte er ohne Übergang.

80, 90 Prozent der Teilnehmer hoben die Hände.

»Danke. Ein Auto stößt im Schnitt 190 Gramm CO2 aus. Pro Kilometer. Das ist eine enorme Menge. Vom Einfluss der Treibhausgase wie CO2 auf das Weltklima weiß heute jedes Kind. Von Spinnern, die solche Zusammenhänge leugnen, reden wir nicht. – Wie wollen wir Kritikern erklären, dass wir die Natur schützen und achten, wenn wir mit unseren Fahrzeugen und ihrem CO2-Ausstoß gleichzeitig dazu beitragen, das Weltklima zu bedrohen oder gar zu zerstören? Das wird uns niemand glauben, und es wird uns zu Recht niemand glauben, weil es verlogen ist. Unsere Visionen erfordern Mut, aber auch Opfer. Wenn wir wirklich überzeugen wollen, müssen wir unsere Überzeugungen auch leben. Wisst ihr was? Letzte Woche habe ich meinen heißgeliebten Volvo 424 verkauft. Mein Plädoyer für eine bessere Zukunft lautet – und ich möchte, dass wir noch heute darüber abstimmen: Innerhalb eines halben Jahres soll sämtlichen Mitgliedern der Familie die Verwendung von kraftstoffbetriebenen Fortbewegungsmitteln verboten werden. Erlaubt sind nur noch E-Mobile, öffentliche Verkehrsmittel und Greenmachines, also Fahrräder.«

Vereinzelt ging ein Raunen durch die Menge.

Max nickte. »Ich frage mich manchmal eines: Was erzählen wir unseren Enkelkindern und Nachfahren, wenn sie einer zerstörten Welt gegenüberstehen und uns fragen: ›Was habt ihr damals gegen den Klimawandel und gegen die Zerstörung der Umwelt getan?‹ Was werden wir ihnen antworten? ›Ach, Liebes, weißt du, wir haben unsere Wagen damals dringend gebraucht, um unsere Kleinen in den Kindergarten und in die Schule zu bringen. Der Weg zur Schule war immerhin einen Kilometer lang, und dann mussten wir ja auch noch einkaufen. Die Supermärkte und Shoppingcenter waren weit entfernt. Wie hätten wir unsere Besorgungen nach Hause bringen sollen? Die Kisten mit Mineralwasser, Fruchtsäften und Bier und die Kohle für den Grill im Garten?‹ Werden wir ihnen das so sagen können? Und werden sie Verständnis für uns haben oder werden sie die Stirn runzeln und die Köpfe schütteln? Wir haben die Wahl. Wir können mickrige Mitläufer bleiben oder ein Vorbild für viele und Verantwortung für diese Welt übernehmen. Ich überlasse diese Entscheidung allein eurem Gewissen.«

Die Abstimmung war eindeutig. 97 Prozent entschieden sich dafür, innerhalb eines halben Jahres kein kraftstoffbetriebenes Fahrzeug mehr zu verwenden. Auf fast allen Gesichtern zeigten sich nach der Abstimmung Zeichen von Erleichterung. Endlich hatten sie es getan. Endlich hatten sie den richtigen Weg eingeschlagen, der wirklich etwas zum Guten veränderte.

»Danke«, sagte Max. »Die Menschen da draußen müssen überzeugt sein, dass wir es mit unserem Einsatz für die Natur verdammt ernst meinen. Und sie müssen wissen, dass die Natur für uns oberste Priorität hat. Aber niemand soll unsere Überzeugung mit Fanatismus verwechseln. Denn das, was wir ihnen vorleben, ist einzig und allein Ausdruck für restlose Ehrlichkeit und für den Willen, unsere Umwelt zu retten. So sollen und werden es die Menschen dort draußen auch bald verstehen – und ich garantiere euch eines: Sie werden uns glauben.«

In den folgenden Wochen und Monaten wurde die Familie von einem wahren Tatenrausch erfasst. Man sah ihre Mitglieder beinahe überall. Sie bevölkerten Fußgängerzonen, Parks und Einkaufszentren. Sie verteilten Flyer, Sticker, Wimpel und Fähnchen.

Einige Aktivisten der Familie platzierten vor der Einfahrt eines Autobahntunnels ein Transparent, auf dem stand: »Weshalb verschmutzt du die Umwelt?« Mit Schablonen wurden Graffiti der Gelbbauchunke an Wände gesprüht und daneben Sätze wie »Natur zuerst«, »Change« oder »Du bist nicht mehr allein«.

Die Mitgliederzahlen stiegen in den folgenden Monaten rasant an und lagen bald bei über 17.000. Die Spenden nahmen zu, und heimische Fernsehsender berichteten von den führenden Mitgliedern der Familie wie über Popstars.

In einer geheimen Sitzung verteilte Max an radikale Mitglieder der Familie Listen, auf denen Automobilmarken angeführt waren und in absteigender Reihenfolge ihr Treibstoffverbrauch auf 100 Kilometer. Einige Tage später sah man in den großen Städten des Landes Wagen, deren Seiten- oder Windschutzscheiben mit Sprüchen in grell­oranger Farbe besprüht waren, die Auskunft über den Benzinverbrauch des jeweiligen Wagens gaben. »12 Liter auf 100 Kilometer – mir doch egal.« Oder »14 Liter auf 100 Kilometer – liebe Natur, ich kann mir das leisten«. Und: »Ich habe es eilig!« Oder »15 Liter auf 100 Kilometer. Ich bin ein Verbrecher, aber keiner weiß es«.

Aktivisten, die bei ihren Taten ertappt wurden, leugneten einen Bezug zur Familie zu haben, und die Familie selbst leugnete ein Naheverhältnis zu den Tätern ebenfalls. Ja, sie verurteilte diese Aktionen sogar öffentlich.

Als Fynn und Amanda die ersten besprühten Autos sahen, fanden sie, dass einige Mitglieder der Familie in ihrem Fundamentalismus zu weit gingen. Sie waren entrüstet, als sie später von Gerüchten erfuhren, dass ertappte, angezeigte und verurteilte Sprayer kurz nach ihrer entdeckten Tat orange Kuverts in ihren Briefkästen vorfanden, in denen sich so hohe Geldbeträge befanden, dass damit die Anwalts- und Strafkosten mehr als abgedeckt waren.

Die Verurteilten wurden später vor den Gerichtsgebäuden sogar mit Transparenten empfangen und gefeiert wie Helden.

Diese drastischen Aktionen hatten jedoch unübersehbare positive Folgen für die Natur. Innerhalb eines halben Jahres brachen die Verkaufszahlen von SUVs und anderen Großwagen um über 30 Prozent ein. Große Automobile zu fahren war plötzlich vollkommen aus der Mode geraten, und ihre Lenkerinnen und Lenker wurden auf offener Straße ausgebuht und lächerlich gemacht. Zugleich sank der CO2-Ausstoß in einigen Städten um bis zu sieben Prozent. Das waren schlagende Fakten, gegen die man schwer argumentieren konnte.

Das Wasserkomplott

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