Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3 - Jörn Kolder - Страница 5

Behördenalltag

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Frieder Bergmanns Arbeitstag hatte mittlerweile eine gewisse Routine angenommen und er pflegte jetzt schon einige Rituale. Dazu gehörte unter anderem, dass er gegen 9 Uhr mit seinem Jaguar vorfuhr und diesen in der Tiefgarage abstellte. Dann betrat er den Kellergang welcher zum Fahrstuhl führte, ging aber nicht direkt dorthin sondern bog erst einmal in das dritte Zimmer links ab, dessen Tür aus Metall bestand und recht schmucklos aussah. Ohne anzuklopfen öffnete Bergmann diese und wurde im gleichen Augenblick von Rauch eingehüllt. Drei Männer und eine Frau starrten ihm entgegen und auf sein „Moin“ antworteten sie mit einem fröhlichen „Ebenfalls“. Bergmann ließ sich auf einem wackligen Stuhl nieder, nestelte eine Zigarette aus der Packung und zündete diese an. Dann rauchte er bedächtig und lauschte dem Gespräch der anderen, wenn es ihm passend erschien gab er eine Bemerkung ab. Dabei wählte er stets eine Mischung aus intellektuellem Anspruch und bodenständiger Direktheit, das schien nach seinem Empfinden bei seinen Mitarbeitern gut anzukommen und er wusste, dass die Leute natürlich ihren Kollegen berichten würden, dass der „Alte“ mit ihnen geschwatzt hatte. Der Raucherraum selbst ging auf Bergmanns Initiative zurück, entgegen der Bedenken des Arbeitsschutzverantwortlichen hatte er diesen Aufenthaltsort kurzerhand mit der Bemerkung „Die Mitarbeiter arbeiten hart, sie sollen dafür auch ein paar Momente der Entspannung haben“ durchgedrückt. Nach diesem Einstieg in den Arbeitstag begab er sich zum Fahrstuhl und fuhr in den ersten Stock hinauf. Dann passierte er den Gang und grüßte freundlich in die Zimmer, alle Türen standen offen. Manchmal betrat er kurz einen Arbeitsraum und sagte einige Worte wie „ordentliche Vorlage Herr Werner“ oder „Ihre Idee finde ich gut, ich bleibe da dran Frau Bachmann“.

„Wir müssen eine Atmosphäre der Offenheit schaffen, das ist bei geschlossenen Türen nicht möglich“ war sein Credo gewesen, aber in Wahrheit hatte er mit diesem Schachzug jegliche Quatschrunden abgewürgt, weil die Leute nun für die anderen gut sichtbar vor ihren Monitoren hockten und sich nicht trauten, irgendwelche Gespräche zu führen oder private Telefonate abzuwickeln. Allein mit dieser Maßnahme war die Durchlauffrist der Vorgänge auf sagenhafte 2 Tage geschrumpft, früher waren es 6 gewesen. Bergmann stand noch immer fest zu seinem Ziel die bürgerfreundlichste Behörde des Landes zu formen und er gedachte, nach und nach weitere Neuerungen einzuführen, aber er wollte die Mitarbeiter nicht überfordern. Im zweiten Stock wiederholte sich das Geschehen und dann betrat er den Vorraum seines Büros. Frau Ludwig, seine Büroleiterin, hatte bereits Kaffee gekocht und servierte diesen an der eleganten Sitzecke, sie nahm mit Bergmann zusammen Platz. Beide führten einen kurzen Smalltalk, dann verließ die Frau Bergmanns Büro und schloss die Tür. Sie würde sie erst wieder öffnen, wenn Bergmann sie am Telefon darum bat. In der ersten Zeit als Amtsleiter hatte Frieder Bergmann erwartungsvoll auf seinen Schreibtisch geschaut und sich eigentlich auf die Beschäftigung mit den Akten gefreut, aber relativ schnell war der Stapel abgeflaut und nunmehr im Höchstfall auf erbärmliche zwei Mäppchen zusammen geschmolzen. Diese hatte er in knapp 30 Minuten durchgesehen und er bediente sich gelber Klebezettel, um manchmal einige Bemerkungen beizufügen, wenn er der Auffassung war, dass eine Formulierung noch geschliffener ausfallen könnte. Insgesamt jedoch waren die ihm vorgelegten Schriftstücke von durchaus hoher Qualität und Bergmann hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, immer wieder eine lobende Bemerkung anzubringen. Die wenigen Dinge die er selbst bearbeiten musste hatte er in kürzester Zeit erledigt, um aber seine hohe Arbeitsbelastung zu demonstrieren warf er diese Papiere auf dem Schreibtisch wild durcheinander. Da ihn fast täglich Fachzeitschriften erreichten bildete er aus diesen einen Stapel und reihte ihn an der Kante des Schreibtisches auf, sein Wall gegenüber Besuchern. Diese waren denkbar knapp, denn Frau Ludwig war ausgesprochen versiert darin, sie zu den zuständigen Referaten zu lenken. Frieder Bergmann war eigentlich täglich gegen 10 Uhr mit seinen Aufgaben fertig und so lagen noch 7 Stunden Arbeitszeit vor ihm, die er irgendwie über die Bühne bringen musste. Erst sah er sich diverse Internetseiten an, dann wechselte er in die Sitzgruppe und schaute ein wenig fern. Gegen 11 Uhr machte er sich auf einen Rundgang und schnappte sich dazu einen Vorgang aus der Unterschriftsmappe, den er dem entsprechenden Bearbeiter persönlich zurück brachte. Dabei richtete er es immer so ein, dass er entweder nur ein paar anerkennende Worte von sich gab oder einige Änderungswünsche formulierte, aber stets in einem Ton hoher Wertschätzung für den Mitarbeiter. Die Kollegen spitzten die Ohren und wenn sich Bergmann wieder entfernte war er sicher, dass diese nun auch darauf aus waren, ein Lob von ihm zu ergattern. So fachte er einen internen Wettbewerb an und nach wenigen Wochen war das Amt nicht wieder zu erkennen. Jetzt musste es nur noch gelingen die Außenwirkung zu verbessern und Bergmann konzipierte dazu eine ausführliche Pressekampagne, die er ständig verfeinerte. Gerade saß er darüber als sein Blick auf die Uhr fiel: 11 Uhr 56. Er ließ den Stift fallen, zog seine Anzugjacke über und ging zur Kantine.

Als Bergmann noch Referatsleiter gewesen war hatte er sich nicht getraut dem Küchenchef seine Meinung über die ständig wiederkehrenden und fad schmeckenden Gerichte zu sagen. Dabei legte er großen Wert auf ein ordentliches Mittagessen und war überzeugt davon, dass man mit wenigem finanziellem Mehreinsatz durchaus ein besseres Ergebnis erzielen könnte. Also meldete er sich 2 Wochen nach seinem Amtsantritt zu einem Rundgang in der Küche und einem anschließendem Gespräch mit dem Küchenleiter an. Die technische Ausstattung war hervorragend, so wie es Bergmann überblickte standen dem Personal alle möglichen und modernen Apparaturen zur Verfügung, um ein ordentliches Produkt herstellen zu können.

„Ach wissen Sie“ sagte Hoffmann, der Küchenchef, zu ihm „dieser Irrsinn mit den verschiedenen Finanzierungstöpfen führt dazu, dass wir hier allerfeinste Essen mit der Küchentechnik herstellen könnten, aber für den Lebensmitteleinsatz habe ich für das Mittag im Jahr nur 50.000 Euro zur Verfügung. Wir haben im Schnitt 80 Mitarbeiter die essen gehen und das an durchschnittlich 250 Arbeitstagen, macht 2 Euro 50 pro Portion, da kochen Sie mal was Vernünftiges.“

„Ich gleich gar nicht“ lachte Frieder Bergmann „das ist Ihr Job, lieber Herr Hoffmann. Aber jetzt kenne ich das Problem und werde mich darum kümmern, das verspreche ich Ihnen.“

„Schon mit 50 Cent pro Mahlzeit mehr zaubere ich Ihnen Sachen auf den Tisch, da werden Sie sich die Hände lecken“ spornte ihn Hoffmann an.

Mit Feuereifer durchforstete Bergmann in seinem Büro die Budgetrichtlinie der Verwaltungsdirektion und verbiss sich in die allerkleinsten Details, dann hatte er einen Dreh gefunden, Mittel umzuwidmen, und zwar aus dem Budget der Öffentlichkeitsarbeit. Da er sich ja tatsächlich selbst mit einer Pressekampagne beschäftigte und seine Strategie darin bestand, die Zeitungen als kostenlosen Werbeträger zu nutzen – er wollte mehrere Interviews geben - konnte er guten Gewissens 10.000 Euro dort abzweigen, denn 50 Cent mal 80 Mitarbeiter mal 250 Arbeitstage ergaben nun mal diesen Betrag.

„Ich lehne mich jetzt zwar sehr, sehr weit aus dem Fenster“ sagte er am nächsten Tag verschwörerisch zu Hoffmann „aber das sind mir meine Mitarbeiter wert, selbst auf die Gefahr hin, dass ich disziplinarisch belangt werde. Und Sie können jetzt endlich zeigen, was Sie auf dem Kasten haben.“

Hoffmann strahlte.

„Ich werde heute noch eine Mitarbeitermail verfassen“ sagte er im Abgang zum Küchenleiter „morgen wird Ihr großer Tag!“

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,“

schrieb Bergmann

„Sie setzten täglich ihre Arbeitskraft ein, um Dienstleistungen für unsere Bürger zu erbringen. Nun ist Ihre Tätigkeit keine, die bloßes Abarbeiten erfordert, nein, Sie sind intellektuell hoch gefordert und müssen kreativ sein. Diese Anspannung setzt ein intaktes Arbeitsumfeld voraus und dazu gehört auch die Speisenversorgung. Ich habe veranlasst, dass der Küche ab sofort mehr Mittel zur Verfügung stehen. Die Essenspreise bleiben unverändert. Testen Sie ab morgen das Ergebnis. Ich freue mich auf Ihre Meinung.

Ihr Frieder Bergmann.

Amtsleiter“

Es war jetzt 14 Uhr 30, ermattet sank Frieder Bergmann in die Sitzecke und trank einen Schluck Kaffee, dann raffte er sich auf und ging in den Raucherraum. Dort war er allein und paffte genüsslich, dann fuhr er wieder nach oben, passierte Frau Ludwig und ließ sich erneut in die Sitzecke fallen. Ich hab‘ heute ne ganze Menge durchgezogen sagte er sich und schaltete den Fernseher an, bei irgendeiner Sendung des Trash-TV blieb er hängen und verfolgte die ruppige Diskussion zweier unappetitlicher Typen, die sich gerade über die Segnungen von Hartz IV in die Haare gerieten. Nicht zu fassen dachte Bergmann verbittert, ich trage hier Verantwortung für 80 Leute und eine Vielzahl von Aufgaben und diese arbeitsscheuen Elemente ernähren sich von meinen Steuergeldern. Diesen Stress hier nehme ich für schlappe 18.000 Euro im Monat auf mich und wer weiß, wie der meiner Gesundheit schaden wird waren seine weiteren Gedanken. Es ist doch schon einiges ungerecht verteilt in unserer Gesellschaft dachte er noch, dann kam er wieder hoch und öffnete die Internetseite „Hausboot“. Er wollte sich in der bis zum Feierabend verbleibenden Zeit noch mehr mit dem Boot vertraut machen und um 16 Uhr 48 war er damit fertig. Dann zog er sich an, fuhr in die Tiefgarage und anschließend mit dem Jaguar nach Hause.

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3

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