Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3 - Jörn Kolder - Страница 8

Speisenversorgung im Amt

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Frieder Bergmann wollte sich mit eigenen Augen und Gaumen einen Eindruck von den Änderungen in der Mittagessenversorgung verschaffen und um seine Eindrücke festzuhalten hatte er ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber mit seinem eingravierten Namen in der Brusttasche seines Hemdes verstaut, woran er aber bald nicht mehr dachte. Sicher wäre es dem Küchenleiter gegenüber taktlos gewesen, wenn er sich wie üblich in die Schar seiner Angestellten einreihen und dann eventuell doch nicht so von dem Ergebnis überzeugt wäre und dies möglicherweise durch seine Mimik zum Ausdruck bringen würde. Also meldete er sich bei Hoffmann an und bat um einen erneuten Rundgang durch die Küche und eine Verkostung , er würde selbstredend den Preis für das Mittagessen entrichten, in dieser Hinsicht hielt sich Frieder Bergmann genau an die Vorschriften, solche Sachen hatten schon einigen Funktionsträgern das Genick gebrochen. In diesem Kontext – also der vorbildhaften Wirkung seiner eigenen Person als auch seiner Behörde – hatte Bergman den Küchenleiter vor einigen Wochen mehr oder weniger gezwungen, einen Behinderten einzustellen, der unter spastischen Anfällen litt. Die Ausprägung der Krankheit war zwar einschränkend für den jungen Mann – sein Name war Maik Becher -, aber führte zu keiner Arbeitsunfähigkeit, so dass Bergmann stolz darauf war, damit einen Beitrag zur Inklusion behinderter Mitmenschen zu leisten.

Hoffmann hatte schon einige Male über die Ungeschicklichkeit des Mannes geklagt, aber Bergmann setzte ihn mit fein gewählten Sprüchen („Haben Sie denn etwas gegen Behinderte“, oder „Und wo bleibt Ihr Beitrag zur Integration solcher Bürger“) unter Druck gesetzt, so dass dem Küchenleiter nichts weiter übrig blieb als sich zähneknirschend zu fügen. Dass Hoffmann diese Suppe selbst auslöffeln musste war nicht Bergmanns Problem und wo der Küchenleiter den Mann einsetzte ebenfalls nicht seine Sache, schließlich konnte er sich nicht um alle Dinge in seinem Laden kümmern. Maik Becher wurde von Hoffmann zuerst in die Spülküche gesteckt und die Sache lief anfangs recht gut, aber nur bis zu jenem Tag, als Becher gerade dabei war einen riesigen Stapel sauberer Teller auf einen Transportwagen zu befördern, auf welchem schon Unmengen des Geschirrs standen. Als er den neuen Stapel absetzen wollte wirbelte der plötzlich einsetzende spastische Anfall erst Bechers Glieder, und dann die Teller durcheinander. Mit einem Schlag war der Bestand an Tellern um knapp 90 Stück geschrumpft und Bechers Karriere in der Spülküche vorerst zu Ende. Hoffmann grübelte lange darüber nach wo er den Mann einsetzen konnte und befehligte ihn probeweise zum Gemüseputzen und -schneiden. Bechers Geschick dafür hielt sich in Grenzen aber dort kam es nicht so darauf an und es sah so aus, als ob er nunmehr seinen richtigen Bestimmungsort gefunden hätte. Allerdings war er ausgesprochen langsam bei diesen Tätigkeiten und in Stoßzeiten musste Hoffmann einige seiner Kräfte dorthin abordnen, die ihm wiederum an anderen Stellen fehlten. Die dritte Station für Maik Becher war die Suppenzubereitung und entgegen jeglicher negativer Vermutungen lief es dort bestens, denn selbst wenn Becher von einem Anfall heimgesucht wurde beeinträchtigte dies sein Arbeitsergebnis kaum, er wirbelte den riesigen Kochlöffel dann eben für eine Weile etwas ungelenker und schneller in dem großen Behälter umher. Außerdem besaß der Mann ein geradezu sensationelles Gefühl für die Mengenverhältnisse der Gewürze – ohne dies jemals richtig gelernt zu haben – und was er fabrizierte stieß auf große Zustimmung der Essensgäste. Hoffmann atmete auf und ließ Becher freie Hand, die Suppen waren der Renner in der Speisekarte.

„Wie macht sich denn Herr Becher“ erkundigte sich Frieder Bergmann beim Küchenleiter und dieser erwiderte, dass sein behinderter Mitarbeiter bestens in das Team integriert sei, eine hervorragende Arbeit abliefere und erheblich an Selbstbewusstsein gewonnen hätte.

„Sehen Sie“ sagte Bergmann lächelnd „und Sie haben sich anfangs so gegen ihn gesträubt. Man muss sich eben auch Dingen stellen, die einem nicht machbar erscheinen oder unangenehm sind. Was denken Sie denn, wie oft ich vor einer Akte sitze und mich durch die verschlungenen Sachverhalte durchackern muss, das ist auch kein Zuckerschlecken. Manchmal möchte ich schon mit Ihnen tauschen und etwas Handfestes tun. Verstehen Sie was ich meine, ein Produkt herzustellen und nicht nur seinen Intellekt fordern und sich das Gehirn über Verwaltungsvorschriften zu zermartern.“

Hoffmann sah ihn misstrauisch an und sagte nichts, stattdessen wies er mit der Hand auf einen Garderobenschrank und Frieder Bergmann erkannte einen Stapel Schutzkleidung. Bergmann schälte sich in einen langen weißen Kittel, da es aber in der Küche mächtig warm war verschloss er ihn nicht. Der Küchenleiter führte ihn zu einer Kippbratpfanne in welcher eine Menge von Fleischstücken schmorten.

„Lende“ sagte er stolz „ich habe den Preis noch mal drücken können und durch das Zusatzbudget für die Lebensmittel kann ich jetzt öfter so was Feines anbieten. Kosten Sie mal den Bratensaft“ ermunterte er Frieder Bergmann und drückte diesem einen kleinen Teller und einen Löffel in die Hand. Bergmann beugte sich über die Pfanne und schwappte etwas Soße auf den Teller, dann schlürfte er ein bisschen in seinen Mund.

„Für meinen Geschmack fehlt ein wenig Salz“ sagte er vorsichtig und Hoffmann kostete ebenfalls.

Wortlos griff er sich ein großes Behältnis und streute ordentlich Salz in die Pfanne, dann stellte er den Behälter achtlos auf den Rand der Pfanne und ging weiter.

„Darf ich noch einmal kosten“ fragte Frieder Bergmann vorsichtig und Hoffmann nickte nur, einer seiner Mitarbeiter sprach ihn gerade an. Bergmann schöpfte nochmals Soße auf den Teller und beugte sich weit vor, unbemerkt glitt sein keines Notizbuch aus der Brusttasche des Hemdes und verschwand zwischen den zischenden Fleischstücken. Die Soße war jetzt vorzüglich gelungen und wenn alles andere in dieser Qualität auf die Teller kam sollte niemand einen Grund zur Klage haben.

Maik Becher bereitete heute eine Tomatensuppe zu und war auf der Suche nach dem Behälter mit dem Salz. Irgendwer (nämlich Hoffmann, als er das Fleisch nachsalzte) hatte ihn von seinem angestammten Platz entfernt und Becher fluchte leise vor sich als er auf die Suche ging. Da er eine ganze Weile erfolglos blieb staute sich in ihm Ärger auf und dieser Zustand war oftmals der Vorbote eines spastischen Anfalls. Als Maik Becher den Behälter endlich an der Kippbratpfanne entdeckte war er schon ziemlich auf Brass und griff nach dem Salzbehälter, um diesen im gleichen Moment wild zuckend in der Luft direkt über der Bratpfanne zu bewegen. So blieb es nicht aus, dass etliche Salzladungen auf dem Fleisch landeten und auch in den Bratensaft eintauchten. Becher bekam davon nichts mit, denn er hatte genug mit seinem Anfall zu tun, und als dieser abflaute ging er zielstrebig zu seinen Suppentöpfen zurück. Frieder Bergmann passierte mit dem Küchenleiter gerade eine mächtige Rührmaschine in der offensichtlich Kartoffeln zermahlen wurden.

„Das wird der Kartoffelbrei, handgemacht und mit Milch, kein Zeug aus der Tüte“ erklärte Hoffmann stolz.

„Übrigens“ fuhr er fort „Sie wollten doch mal mit mir tauschen, jetzt haben Sie die Gelegenheit dazu. Schütten Sie die Milch aus der Kanne hinein.“

Frieder Bergmann konnte jetzt nicht kneifen und so packte er die Kanne, sie war furchtbar schwer und mit Mühe bekam er sie hoch, dann wuchte er diese sich selbst weit vorbeugend über die Maschine und ließ die Milch hineinlaufen. Unglücklicherweise nahm der Kugelschreiber aus seiner Hemdentasche den gleichen Weg und verschwand ungesehen unter der wirbelnden Masse, um ebenfalls zerstückelt zu werden. Keuchend setzte Frieder Bergmann die nunmehr leere Kanne ab und ging mit Hoffmann weiter.

„Das Rotkraut“ sagte der Küchenleiter und wischte mit einem Lappen den Rand des großen Kessels sauber „keine Fertigware, von uns mit Äpfeln und Speck verfeinert, ganz lecker.“

Den Lappen hängte er wieder auf den Rand des Kessels.

Bergmann verkniff sich kosten zu wollen und ging schnell weiter, ansonsten würde ihn Hoffmann sicher wieder für irgendeine Arbeit einspannen. Im Abgang beförderte er mit seinem wehenden Küchenkittel den Lappen in das Rotkraut. Dieser nahm sofort die Farbe des Krautes an und fiel somit in dem Kessel nicht weiter auf. Aufatmend erreichte Frieder Bergmann einen kleinen separaten Raum, im dem bereits zwei Gedecke aufgetragen waren. Hoffmann rief etwas in die Küche und nahm ebenfalls Platz. Frieder Bergmann sagte:

„Sie haben Ihren Laden gut im Griff mein lieber Herr Hoffmann. Ich bin gespannt, was Sie und Ihre Leute heute gezaubert haben.“

„Lassen Sie sich überraschen“ sagte Hoffmann lässig.

Einer der Mitarbeiter zeigte sich mit einem verstörten Gesicht in der Tür des Raumes und winkte Hoffmann nach draußen, dann flüsterte er ihm etwas ins Ohr. Der Küchenleiter erbleichte, schien sich dann aber zusammen zu reißen und kam zu Bergmann zurück.

„Was nicht in Ordnung“ wollte dieser wissen.

„Es sind da, es sind da, nun ja ..“ stammelte Hoffmann.

„Na was denn“ forschte Frieder Bergmann nach „so erklären Sie sich doch, ich bin doch kein Unmensch falls was schief gegangen sein sollte.“

„Es sind Fremdkörper in den Speisen gefunden worden, und zwar haben sie die Mittagsgäste gefunden“ presste Hoffmann hervor.

„Wie kann denn so etwas passieren“ fuhr Frieder Bergmann auf „ich verlange eine Erklärung“ brüllte er den fassungslosen Hoffmann an.

„Ich werde die Sache selber untersuchen, Sie bleiben hier unten, möglicherweise würden die Leute ihre Wut an Ihnen auslassen“ sagte er noch und stürmte aus der Küche.

Frieder Bergmann sah eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal als Anwalt seiner Mitarbeiter zu profilieren und als er den Speisesaal noch mit dem Küchenkittel bekleidet betrat vernahm er aufgeregtes Stimmengewirr. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und verschaffte sich Gehör, es wurde still.

„Bitte berichten Sie mir von dem Vorfall, ich bin entsetzt, was hier passiert ist. Aber bitte einzeln und der Reihe nach.“

„Also ich habe in meinem Essen ein Stück noch lesbares Papier gefunden, irgendwas mit „Hausb…““ begann ein Mitarbeiter aus dem Referat III, „ich auch“ sagte einer aus dem Referat V, „bei mir war ein Metallstück im Kartoffelbrei“ ein anderer, „ich hatte Stoff im Rotkraut“ und „ich habe auch einen Metallrest gefunden“ und „das Fleisch war total versalzen.“

Bergmann kombinierte messerscharf. Man wollte die Mitarbeiter seiner Behörde mit psychologischen Mitteln unter Druck setzen um sie so von ihrem Erfolgskurs abzubringen, eine andere Erklärung gab es für ihn nicht. Aber wer sollte so etwas tun? Sicher hatte er genug Neider, seitdem die Zeitungen regelmäßig sein Amt lobend erwähnten, aber wer ging schon so weit? Egal, er musste tätig werden und hatte eine geniale Idee, wie er selbst fand.

„Hören Sie bitte zu“ rief er den erbosten Mitarbeitern zu „bitte suchen Sie in Ihren Essenportionen nach Fremdkörpern und legen sie diese auf dieses Tablett hier. Ich beauftrage die Küche alle weiteren Speisen unter die Lupe zu nehmen und werde die Fundstücke persönlich zusammenfügen, nur so kann ich den Täter überführen. Ich selbst als Amtsleiter bin mir dafür nicht zu schade wenn es um das Wohl meiner Mitarbeiter geht. Natürlich werde ich Sie sofort informieren, sobald ein Ergebnis vorliegt. Möglicherweise muss ich die Kripo oder die Stasiunterlagenbehörde einschalten, die sollen ja große Erfahrungen beim Zusammenpuzzeln haben. Verlassen Sie sich auf mich, ich werde Bericht geben.“

Zustimmende Worte wurden laut, dann begannen die Leute eifrig zu suchen und nach und nach wuchs der Berg der Fundstücke auf dem Tablett an. Als alle fertig waren eilte Frieder Bergmann in die Küche und der sichtlich geknickte Hoffmann übergab ihm eine kleine Schüssel, in der die Funde aus den Kesseln und Pfannen gesammelt worden waren.

Voller Tatendrang ging Frieder Bergmann in sein Büro, ließ sich von Frau Ludwig ein großes Blatt Papier geben und breitete dieses auf dem Couchtisch auf, dann borgte er sich bei ihr noch eine Pinzette aus, die Frau Ludwig eigentlich zum Zurechtzupfen ihrer Wimpern verwendete.

„Ich möchte nicht gestört werden“ legte er noch fest, dann ging er ans Werk.

Zuerst sortierte er die Teile nach Papier, Metall und Stoffresten. Sicher war es am einfachsten, mit dem Papier zu beginnen. Er sah einige Fragmente mit noch lesbarer Schrift und staunte über die Ähnlichkeit mit seiner Handschrift. Ein Komplott redete er sich sorgenvoll ein, sogar meine Handschrift ist perfekt nachgeahmt worden, hier waren Profis am Werk. Dann nahm er diejenigen mit den noch am besten zu lesenden Stellen und platzierte sie nebeneinander. Er beschriftete sie jeweils mit „Teil“.

Teil 1: Hausb

Teil 2: ellen

Teil 3: ackb

Teil 4: nrufen

Teil 5: ord nicht re

Teil 6: oot

Was sollte T 1 bedeuten? Hausb…? Hausbau? T 1 und T 6 schienen von der Form her zueinander zu passen. Bergmann fügte die beiden Teile zusammen.

Ihm gefror das Blut in den Adern, denn jetzt war ganz klar „Hausboot“ zu lesen. Wussten die Intriganten womit er sich beschäftigte, war seine Internetverbindung angezapft worden, spionierte man ihn aus? Mit zitternden Händen puzzelte er weiter, T 5 passte an T 3. „ackbord nicht re“? Frieder Bergmann zermarterte sich das Hirn über diesen Satzfetzen, wie immer er es auch drehte, das ergab keinen Sinn. „ackbord“, was sollte das sein? Dann durchzuckte es ihn, „Backbord nicht rechts“ musste es heißen, diese Notiz stammte zweifelsfrei von ihm selbst, sie war als Gedächtnisstütze gedacht gewesen, da er sich partout nicht merken konnte, welche Seite Backbord oder Steuerbord bedeutete. Schockiert über diese Erkenntnis gab auch T 4 in Verbindung mit T 2 jetzt keine Rätsel mehr auf, „nrufen“ und „ellen“ hatte er eigenhändig vermerkt, allerdings als „Vermieter anrufen und Boot bestellen“. Langsam keimte in Frieder Bergmann der Verdacht auf, dass diese Fragmente in irgendeiner Beziehung zu seinem Notizbuch stehen mussten, und als er an die Brusttasche seines Hemdes klopfte stellte er fest, dass dieses genauso wie der Kugelschreiber verschwunden war. Aufgeregt beschäftigte er sich mit den Metallfragmenten und nach kurzer Zeit hatte er einige Stücke zusammengefügt, jetzt war ziemlich klar „ieder Bergm“ zu lesen, ein Teil seiner Namensgravur. Bergmann sackte auf dem Sofa zusammen und erkannte deutlich was passiert war. Da das Debakel in der Küche mit Sicherheit allgemeines Gesprächsthema im Amt war und garantiert auch die Meldung umlief, dass er sich selbst um diese Angelegenheit kümmern wollte musste Frieder Bergmann einen Ausweg aus dem Schlamassel finden. Zuzugeben, dass der Zwischenfall durch seine eigene Unachtsamkeit ausgelöst worden war kam für ihn nicht in Frage, er musste einen Sündenbock finden. Hoffmann, den Küchenleiter, konnte und wollte er nicht in die Pfanne hauen, er musste einen anderen Schuldigen präsentieren. Dann hatte er einen Geistesblitz, fand ihn anfangs zwar etwas moralisch verwerflich aber schrieb dann folgende EMail:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in meiner langjährigen Tätigkeit im Behördendienst habe ich selten so einen berührenden Moment erlebt, ich danke Ihnen von Herzen dafür!

Ja, ich meine Ihre Rückäußerungen auf meine Informationen zum Zwischenfall in der Küche.

Ihre überwältigende Zustimmung auf meine Nachricht zeigt überdeutlich, wie geschlossen wir als Mannschaft unseres Amtes zu der Thematik der Inklusion benachteiligter Menschen stehen.

Das macht mich stolz und spornt mich nochmals an, meine ganze Kraft für die dienstlichen Aufgaben einzusetzen und Ihnen bei jedem Problem mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Kommen Sie zu mir, meine Tür steht Ihnen jederzeit offen.

Entschuldigen Sie dass ich mich jetzt nur so knapp äußern kann, einige Akten mit Terminarbeiten warten noch auf mich.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Frieder Bergmann

Amtsleiter“

Frieder Bergmann las die Nachricht noch einmal gründlich durch – dabei stiegen ihm Tränen der Ergriffenheit in die Augen – dann schickte er sie ab. Richter, den IT Menschen, hatte Bergmann schon vor Wochen beauftragt, bei den Empfängern seiner Mails einen Button einzurichten, den sie ähnlich wie bei Facebook anklicken konnten wenn sie der entsprechenden Nachricht eine positive Bedeutung abgewinnen konnten. In Bergmanns Adressordner „Belegschaft ohne Hilfsdienste“ waren exakt 82 Empfänger hinterlegt und er war gespannt, wie viele davon eine positive Rückmeldung geben würden. Es war jetzt 13 Uhr 24 und Bergmann fühlte sich erschöpft, so dass er sich von Frau Ludwig einen Kaffee bringen ließ und als sie das Zimmer verlassen hatte den Fernseher einschaltete. Nicht ganz bei der Sache sah er sich bei EUROSPORT ein Fußballspiel an, denn sein PC gab jedes Mal wenn eine Mail einging ein leises Piepen von sich. Anfangs erfolgte dies in längeren Abständen, dann ging das Piepen in einen klopfenden Takt über und schließlich reihte sich ein Geräusch an das andere, so dass es jetzt wie trommelnder Regen klang. Bergmann wollte die Spannung noch weiter steigern, blieb vor dem Fernseher hocken und schaute sich Angebote bei QVC an, dann erhob er sich und nahm vor dem Monitor Platz. Sein Computer zeigte an, dass 81 Mails eingegangen waren und alle eine positive Bewertung zu seiner Nachricht abgegeben hatten. Er platzte fast vor Freude aber die eine fehlende Nachricht verdarb ihm etwas die Stimmung, misstrauisch schweiften seine Gedanken in verschiedene Richtungen und blieben bei der Vermutung hängen, dass es in den Reihen seiner Mitarbeiter eventuell einen Maulwurf geben könnte. Damit würde er sich später beschäftigen denn er wollte sich jetzt nochmals an seine Belegschaft wenden.

Frieder Bergmann hatte die speziellen Fähigkeiten seiner Tochter Claudia im IT Bereich in Anspruch genommen und sich erklären lassen, wie er mit ein paar Klicks das Systemdatum und die –zeit manipulieren konnte. Jetzt war es 15 Uhr 37 und er hatte vor, das Amt pünktlich 17 Uhr zu verlassen, es standen ihm also noch fast anderthalb Stunden für die Formulierung der Mail zur Verfügung. Trotzdem stellte er die Systemzeit um 4 Stunden auf 19 Uhr 37 vor, wenn er die Mail dann kurz vor Feierabend abschickte würde diese bis zu der manipulierten Zeit auf dem Exchange Server schlummern und erst dann versendet werden. Frieder Bergmann konnte sich deutlich vorstellen wie seine Mitarbeiter am folgenden Tag erstaunt auf die Sendezeit schauen würden, der „Alte“ schonte sich nicht und war noch zu später Stunde auf seinem Posten im Amt. Diesen Trick hatte Bergmann auch schon mal mit einer belanglosen Mail an einem getürkten Wochentag – nämlich einem Sonntag – angewendet, und so allgemeine Anerkennung geerntet.

Der Personalrat Naumann sprach ihn eines Tages in seinem Büro darauf an:

„Lieber Herr Bergmann, so geht es nicht weiter dass Sie bis in die Puppen und noch zusätzlich am Wochenende hier im Amt sind, Sie verschleißen sich.“

„Lieber Herr Naumann“ hatte Bergmann mit matter Stimme geantwortet “was will ich tun, die Arbeit erschlägt mich einfach und Sie wissen, dass ich Behördenangestellter mit Leib und Seele bin und das Wohlbefinden unserer Kunden mir besonders am Herzen liegt. Da muss man schon mal Opfer bringen und den Hintern zusammenkneifen.“

„Bitte delegieren Sie mehr“ bat Naumann „Sie als unserer strategischer Vordenker müssen sich noch mehr aus dem Tagesgeschäft rausnehmen.“

„Ich werde sehen wo ich eventuell abkömmlich bin“ versprach Bergmann „aber das wird keine leichte Entscheidung werden. Wenn ich mich einmal in eine Aufgabe verbissen habe bin ich wie eine englische Bulldogge, ich lasse erst los wenn ich Erfolg hatte.“

Jetzt grübelte Frieder Bergmann über einer geschliffenen Formulierung als Antwort auf die eingegangenen Rückäußerungen und dann schrieb er:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in meiner langjährigen Tätigkeit im Behördendienst habe ich selten so einen berührenden Moment erlebt, ich danke Ihnen von Herzen dafür!

Ja, ich meine Ihre Rückäußerung auf meine Information zum Zwischenfall in der Küche.

Ihre überwältigende Zustimmung auf meine Nachricht zeigt überdeutlich, wie geschlossen wir als Mannschaft unseres Amtes zu der Thematik der Inklusion benachteiligter Menschen stehen.

Das erfüllt mich mit Stolz und spornt mich nochmals an, meine ganze Kraft für die dienstlichen Aufgaben einzusetzen und Ihnen bei jedem Problem mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Kommen Sie zu mir, meine Tür steht Ihnen jederzeit offen.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Frieder Bergmann

Amtsleiter“

Es war 16 Uhr 22, Frieder Bergmann war schneller fertig geworden als vorausgesehen. Er schickte die Mail ab, der Exchange Server würde sie bestimmungsgemäß erst 19 Uhr 37 an die Empfänger verteilen und zu diesem Zeitpunkt wäre Bergmann längst zu Hause und hätte sich bereits am ersten Bier gelabt. 16 Uhr 54 verließ Bergmann sein Büro und entstieg seinem Jaguar 17 Minuten später vor seiner Wohnung. Petra war bereits da und wie üblich unterhielten sie sich über die Vorkommnisse des Tages. Als Frieder Bergmann die eine fehlende Rückantwort sorgenvoll erwähnte schaute ihn seine Frau verständnislos an.

„Du brauchst doch keine Quoten wie früher beim Parteitag“ sagte sie „und was soll der Quatsch mit dem „Maulwurf“?“

„Ich weiß nicht so recht“ gab Bergmann zu bedenken „ich habe den Eindruck, dass ich überwacht werde.“

„Und warum sollte das jemand tun?“

„Weil ich zu erfolgreich bin“ vermutete Bergmann.

„Na dann rührst du eben mal eine Weile nicht die Werbetrommel in der Zeitung und nimmst ein bisschen Tempo aus deinen Veränderungsplänen raus. Ich denke, deine Leute müssen auch mal ein bisschen zur Ruhe kommen.“

Frieder Bergmann nickte, wahrscheinlich hatte seine Frau Recht.

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3

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