Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre… Band 1 - Jörn Kolder - Страница 4
Hannelore Bergmann
Оглавление„Wer keine Prinzipien hat und sich nicht an die Regeln hält bleibt immer ein Hallodri“ war ein Kernsatz von Hannelore Bergmann, und sie benahm sich dementsprechend.
Ihr verschiedener Gatte, Berthold Bergmann, hätte ein Lied davon singen können, bloß lag er schon seit einigen Jahren auf dem städtischen Friedhof und war dazu jetzt verständlicherweise nicht mehr in der Lage. Hannelore Bergmann war vor vier Wochen 67 Jahre alt geworden, Berthold Bergmann war mit 71 abgetreten und einigen aus der Familie war es wie eine Flucht vorgekommen. Der bullige und rüstige Mann war eigentlich noch fit wie ein Turnschuh gewesen, bloß dass er an einem schönen Sommertag an einer schnöden Portion Haferflocken erstickte, die seine Frau ihm jeden Morgen kredenzte. Sie fand ihren Mann von Arbeit nach Hause kommend leblos vor und sortierte in ihrem Kopf erst einmal die erforderlichen Arbeitsschritte, die in einem solchen Fall notwendig waren. Es war keineswegs nur Gefühlkälte was sie dazu veranlasste so vorzugehen, vielmehr entsprach es ihrem Naturell rational an die Dinge heranzugehen, schließlich hatte sie Mathematik und Physik am Gymnasium unterrichtet.
Nachdem sie eine plausible Reihenfolge gefunden hatte arbeitete sie diese konzentriert ab, an vierter Stelle stand die Information an ihren Sohn Frieder. Hannelore Bergmann teilte ihm mit, dass sein Vater leider verschieden sei, die Beerdigung hatte sie bereits auf den kommenden Donnerstag festgelegt.
Frieders Verhältnis zu seinem Vater war nie besonders eng gewesen, eigentlich passte er gar nicht zu seiner Mutter, denn er war wirklich ein Hallodri. Der gut aussehende Mann verdiente sein Geld damit, mit noch drei anderen Musikern über die Dörfer zu ziehen und Hits der siebziger und achtziger Jahre zu spielen. Im Schnitt war er immer so um die drei, vier Tage unterwegs und musste zwangsläufig auswärts übernachten. Da er kein Kostverächter war lag es auf der Hand wie er die Nächte dort verbrachte, aber überführt werden konnte er nie, es blieb also nur bei Mutmaßungen. Frieder Bergmann erinnerte sich, wie er als Junge unabsichtlich und unentdeckt einer Auseinandersetzung seiner Eltern folgte, in welcher seine Mutter seinem Vater Vorwürfe an den Kopf schleuderte, die dieser als Unfug abtun wollte.
„Glaubst du etwa ich weiß nicht wie viele Bräute du in diesen Kuhkaffs hast“ hatte seine Mutter wütend geschrien „warte ab, wenn du wieder zu Hause bist kriegst du andere Bandagen angelegt.“
Frieder konnte damit nicht viel anfangen aber er kriegte schnell mit, was gemeint war.
Ob es das schlechte Gewissen des Vaters war, weil an den Vorwürfen tatsächlich was dran war, oder ob er bloß seine Ruhe haben wollte war nicht richtig auszumachen, jedenfalls unterwarf er sich in den Tagen zu Hause ganz dem Diktat der strengen Mathematik- und Physiklehrerin. Sie ging subtil vor und schwang nicht etwa die große Keule, aber mit kleinen spitzen Bemerkungen machte sie ihm öfter klar, dass sein Geisteshorizont nicht an ihren heranreichte und er eben bloß ein weibergeiler Musiker wäre, sie jedoch die ehrenvolle Aufgabe hätte, die Jugend auf das Leben vorzubereiten. Dass sich sein doch so großer und kräftiger Vater überhaupt nicht wehrte enttäuschte Frieder zutiefst und er erkannte bald, dass Hannelore Bergmann eindeutig die Hosen in dieser Ehe anhatte. Seine Mutter wurde etwas nachgiebiger, als Berthold Bergmann nun nicht mehr in den Dörfern übernachtete, weil er ihr zu seinem 60. Geburtstag erklärte, dass er aus der Kapelle aussteigen und ab sofort nur noch mit dem Keyboard als Alleinunterhalter in Altersheimen auftreten würde, machte sie ihren Frieden mit ihm, aber auf ihre spezielle Art. An den Tagen ohne Auftritt fand der Mann einen Zettel vor, der die verschiedensten Aufgaben für ihn bereithielt. Die Palette der Tätigkeiten reichte von Müll weg bringen bis zum Einkaufen und als Berthold Bergmann es eines Tages wagte, neben den in der Liste vermerkten Güter eine ungarische Salami zu kaufen, musste er sich Vorhaltungen wegen seiner Geldverschwendung machen lassen.
Hannelore Bergmann war weder herz- noch gefühllos. Es wurmte sie allerdings unsäglich, dass sie niemals einen Beweis für die Untreue ihres Mannes erbringen konnte, denn auf Beweisführung kam es in ihren Unterrichtsfächern allerdings sehr wohl an. Dass sie auf der privaten Strecke dazu nicht fähig war und ein ums andere Mal scheiterte kratzte mächtig an ihrem Ego, so dass Berthold Bergmann eigentlich sein Leben lang der Leidtragende dieser Geschichte war. Da er nichts dagegen unternahm hatte Frieder eigentlich wenig Mitleid mit ihm und schlug sich immer mehr auf die Seite seiner Mutter, die für ihn die stärkeren Akzente setzte. Was sie ihrem Mann an Zuneigung nicht geben wollte oder konnte schüttete sie wie ein niemals leeres Füllhorn über ihrem Sohn aus und erdrückte ihn fast damit. Sie legte für ihn auch fest, welche Freunde er haben konnte und als er sich das erste Mal verliebte gab sie ihm zu verstehen, dass das Mädchen für ihn vollkommen ungeeignet sei. Solche sicher gut gemeinten aber lästigen Bevormundungen trieben Frieder nach dem Studium schnell aus dem Haus seiner Eltern, seine Frau Petra stellte er ihnen damals nur kurz vor um irgendwelche Diskussionen zu umgehen, und als er seine Eltern (ohne sie vorher einzubeziehen) zur Hochzeit einlud, hatte er sich aus seiner Perspektive endgültig emanzipiert.
Dies schien seine Mutter durchaus zu beeindrucken, denn fortan behandelte sie ihn nicht mehr wie einen kleinen Jungen, sondern irgendwie respektvoller. Der Bann brach dann endgültig als Rüdiger und Claudia geboren wurden, und Hannelore Bergmann zu ihrer großen Verwunderung die liebevolle und immer hilfsbereite Großmutter in sich entdeckte. Alles lief soweit perfekt, bis auf die eine Woche, die sie jedes Jahr in den Sommerferien bei Frieder, Petra und den Kindern verbrachte, denn dann herrschte Ausnahmezustand.