Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre… Band 1 - Jörn Kolder - Страница 6

Der nächste Tag

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Frieder Bergmann wurde mit rasenden Kopfschmerzen munter, ein schneller Blick auf den Wecker zeigte ihm, dass es 2 Uhr 38 war, weit vor seiner Aufstehens Zeit. Seine Frau lag tief schlafend neben ihm und leise, um sie nicht zu wecken, schlich er ins Bad, denn das Bier drückte auf seine Blase. Als er sich erleichtert hatte schaute er in den Spiegel, unübersehbar prangte ein riesiges Horn auf seiner Stirn, welches bereits ein buntes Farbspiel zwischen grün, blau und gelb zeigte. Erschrocken tastete er das Gebilde ab und zuckte zusammen, die Schnittwunden an seinen Händen meldeten sich und als er sich die Handoberflächen besah konnte er ebenfalls vielfarbig verfärbte Stellen sehen (nämlich dort, wo ihn die Motorhaube mehrfach getroffen hatte). Panisch versuchte er seine Gedanken zu ordnen, heute sollte er vor den Abteilungsleitern der Behörde ein Referat über die neueste Verordnung zur Altkleiderentsorgung halten. Unsicher fühlte er sich keineswegs, denn er konnte die Paragraphen aus dem Gedächtnis herunterschnurren und als er den Text gedanklich noch einmal repetierte durchfuhr es ihn siedend heiß. „Wer Altkleider aus den dazu bestimmten Sammelbehältern unbefugt entnimmt kann mit einer Geldstrafe von bis zu 5.000 Euro belangt werden.“ Verdammter Mist, vage erinnerte er sich an das Polizeiauto, welches in der Nähe des Containers geparkt hatte und dessen Insassen sein Treiben offensichtlich genau verfolgt hatten. Später war er auch noch fotografiert worden, was wäre, wenn die Bullen genau in seinen Vortrag hineinplatzen würden, um ihn dann vor der staunenden Zuhörerschaft zu verhaften. In fast 15 Jahren hatte er sich einen Ruf als engagierter, kompetenter und vor allem absolut korrekter Angestellter erworben, heute könnte alles wie eine Seifenblase zerplatzen. Unruhig bewegte er sich in die Küche um einen kräftigen Schluck Mineralwasser (mit viel Kohlensäure) zu trinken, dann kehrte er ins Bett zurück, wo ihn seine Frau besorgt ansah.

„Was war bloß gestern mit dir los“ fragte sie vorwurfsvoll „die Kinder haben mir von dem Chaos erzählt, das du angerichtet hattest.“

Stockend berichtete Frieder von den Ereignissen des Vortages, die Sache mit dem Kleidercontainer ließ er aber weg. Seine Frau legte Verständnis in ihre Stimme und riet ihm:

„Schlaf’ noch ein bisschen, in ein paar Stunden musst du fit sein. Und ich instruiere Rüdiger wegen dem Auto noch mal. Die Sache mit deiner Mutter bereden wir heute Abend.“

Schlaflos wälzte sich Frieder Bergmann hin und her, er würde seine Blessuren erklären müssen und auch bei dem Gedanken an den Vortrag fühlte er sich unwohl. Er, ja er selbst, hatte eindeutig gegen die Bestimmungen der Verordnung verstoßen und da sollte er den anderen zureden, diese einzuhalten. Wie gerädert stand er auf, versuchte die Farbenpracht der Beule etwas mit Puder seiner Frau zu entschärfen, zog seinen besten Anzug an und verließ das Haus ohne Frühstück, Appetit hatte er gar nicht verspürt. Da er sonst früh immer ordentlich aß verspürte er ein flaues Gefühl im Magen, das mit viel Kohlensäure versetzte Mineralwasser grummelte in seinem Magen und wie Vorboten auf das, was noch kommen könnte, stiegen leichte Rülpser auf, die er auf dem Weg zur Bahn nicht unterdrückte, weil niemand in seiner Nähe war. Die Verletzungen wollte er mit einem Fahrradunfall erklären, das geschah doch aller Nase lang irgendjemand.

Der Raum war bereits gut gefüllt als er ihn betrat, der Amtsleiter kam schnell auf ihn zu, musterte seine Beule auffällig und nahm ihn zur Seite:

„Herr Bergmann, kleine Planänderung. Sie tragen vor, danach wird ein Herr von der Kripo referieren, er will die unmöglichsten Fälle des Missbrauchs der Container beschreiben, da sind Sachen dabei, die kaum zu fassen sind. Wie zum Beispiel einer was rausholen wollte und dann festklemmte, köstlich.“

Lachend entfernte sich der Mann, heute würde die von der Sache her trockene Veranstaltung etwas Pep bekommen und nicht ganz so langweilig wie üblich verlaufen. Er sollte Recht behalten.

Frieder Bergmann trat mit weichen Knien hinter das Rednerpult, so richtig gut fühlte er sich heute nicht, denn ohne Frühstück auf Arbeit zu gehen war ihm noch nie passiert. Er versuchte die leichte Übelkeit weg zu husten aber erreichte mit dieser Aktion, dass die immer noch in seinem Magen gefangene Kohlensäure blitzartig über die Speiseröhre bis in seinen Rachen aufstieg, wo sie sich mit einem rülpsenden Geräusch ihren Weg ins Freie bahnte. Frieder Bergmann erstarrte, durch die bereits eingeschaltete Lautsprecheranlage wurde diese Redeeröffnung bis in den letzten Winkel des Raumes übertragen und Kichern flackerte unter der Zuhörerschaft auf. Davon verunsichert tat er so, als wolle er die Funktion des Mikrophons überprüfen, und wie er es oft im Fernsehen beobachtet hatte ging er so vor, dass er eine Hand leicht auf das Mikrophon schlug. Entweder war seine Bewegung zu kräftig oder der Ständer des Mikrophons nicht stabil genug gewesen, das Gestell geriet jedenfalls aus der Lotrechten und kippte scheppernd um, dazu dröhnten Dissonanzen aus dem auf dem Boden aufprallenden Mikrophon. Jetzt wurden erste Lacher laut. Panisch beugte sich Bergmann nach unten, raffte den Ständer wieder hoch war aber dabei so ungestüm, dass das Mikrophon jetzt gegen seine Beule auf der Stirn schlug und einen heftigen Schmerz verursachte, dem er mit einem lauten Stöhnen Ausdruck verlieh, welches ebenfalls durch die Anlage verstärkt deutlich zu vernehmen war.

„Bitte, Herr Bergmann, das reicht jetzt“ schaltete sich der Amtsleiter verärgert in das Geschehen ein und der Referent riss sich jetzt unter Aufbietung aller Kräfte zusammen und begann mit dem Vortrag. Als er die ersten Paragraphen interpretierte war Bergmann wieder ganz der Alte, souverän legte er die sperrigen Texte so aus, dass jeder der Anwesenden sie verstehen konnte und lief immer mehr zur Höchstform auf. Jetzt war er total entspannt und würzte das trockene Beamtendeutsch mit ein paar passenden kleinen Anekdoten aus dem Behördenalltag. Auch die verzwicktesten Nachfragen beantwortete er lässig (mit in den Hosentaschen versenkten Händen), er beherrschte die Bühne wie ein Star und der ungünstige Beginn war längst vergessen. Als er sich für die Aufmerksamkeit bedankte brandete Beifall auf und der Amtsleiter schüttelte ihm auf offener Bühne die Hand, ein Ritterschlag geradezu. Bergmann nahm euphorisch auf einem Stuhl auf dem Podium Platz und erwartete gespannt den Auftritt des Typen von der Kripo.

Dieser kam gleich zur Sache, unüberhörbar ein Berliner und mit der typischen großen Schnauze versehen warf er aus dem Stehgreif mit Geschichten um sich, die Verfehlungen gegen die Verordnung zum Inhalt hatten. Der Mann war ein charmanter Plauderer und zog die Zuhörer schnell in den Bann, als er den Beamer in Betrieb nahm war klar, dass jetzt lustige Bilder kommen würden, die skurrile Situationen zeigen sollten. Was gab es nicht alles, wofür ein simpler Altkleidercontainer herhalten musste. Unbekannte hatten einen der Behälter mit einer Rohrbombe in die Luft gejagt, die Jacken, Hosen und sonstigen Textilien waren im weiten Umkreis verstreut. Dann hatte einer versucht, durch die schmale Klappe in den Kasten hineinzugelangen und war hoffnungslos verklemmt stecken geblieben. Das nächste Bild zeigte einen Mann, der nur mit der Unterhose bekleidet neben dem Container stand und dabei war, sich eine ausladende Hose überzuziehen, die er offenbar gerade aus dem Container entwendet hatte. Der Kripomann zoomte näher an das Gesicht des Mannes heran (das jetzt ganz genau zu erkennen war) und man sah, dass dieser eine mächtige Beule an der Stirn hatte, gut möglich, dass er sich diese Blessur beim Hantieren am Container zugezogen hatte. Unten rechts war das Datum der Aufnahme eingeblendet: 14. Juli 2012, also gestern. Wie auf Kommando richteten sich alle Blicke Frieder Bergmann zu, der Mann auf dem Bild hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit ihm.

„Det is sozusagen dit schlimmste Delikt, stelln Se sich ma vor, wat dit for ne Schweinerei is. Die Type da klaut dit Zeuch, wat de andrn mühsam jesammelt habn. Und eischentlich soll dit Jelumpe ja zu de Näscher, äh zu de Farbijen, nach Afrika jeschafft wern. Jegen die Type offm Bild läuft n Ermittlungsfafarn, gloobense mir, den hammr bald am Schlafittchen.“

Verwundert unterbrach der Mann seinen Redefluss, denn es war totenstill im Raum geworden. Auch er folgte den Blicken der anderen und damit geriet Frieder Bergmann in seinen Focus. Der Polizist drehte seinen Kopf abwechselnd mehrmals zu dem Bild und zu Frieder Bergmann hin, dann fragte er lauernd:

„Wo warn Se jestern zwischen 18 und 19 Uhr?“

Bergmann saß schockstarr auf dem Podium, er hatte sich zweifelsfrei erkannt und ahnte, dass er jetzt erhebliche Schwierigkeiten bekommen würde. Besser, er trat die Flucht nach vorne an.

„Zu Hause, meine Kinder können das bezeugen.“

„Wo wohn Se“ bohrte der Kripomann nach und Bergmann antwortete wahrheitsgemäß.

„Hmm“ brummte der Polizist „dit Bild wurde in Burgstädt uffjenommn, dit is balde 200 Kilometer weg. Dit wern Se wohl nich sein.“

Frieder Bergmann nickte ununterbrochen wie eine Wackelpuppe auf der Hutablage eines Autos und der Amtsleiter fuhr ihn an:

„Das reicht Bergmann, wir haben verstanden, dass Sie das nicht sind. Sie melden sich nach Veranstaltungsende bei mir.“

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre…    Band 1

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