Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre… Band 1 - Jörn Kolder - Страница 5

Eine schreckliche Nachricht

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„Mein lieber Junge“ las Frieder Bergmann unsicher „wie du weißt, fahre ich alljährlich mit Berta Hartmann für zwei Wochen in den Urlaub, richtiger: fuhr ich. Leider ist Berta vorige Woche verstorben aber das wird mich nicht daran hindern, meinen Urlaub auch dieses Jahr wie gewohnt wahrzunehmen. Nun ist es aber so, dass ich nicht allzu gern allein verreise und ich habe mich deshalb entschieden, euch in dieser Zeit Gesellschaft zu leisten. Du musst nicht erschrecken, ich werde euch nicht zu Hause auf die Pelle rücken, ich reise einfach mit euch mit, da sind wir alle wieder einmal schön zusammen und Petra und die Kinder werden sich sicher auch freuen. Natürlich beteilige ich mich anteilig an den Kosten und habe mir auf dem Laptop schon eine kleine Excel Datei angelegt in der wir alle Ausgaben genau erfassen können. Schließlich will ich mir nicht nachsagen lassen, dass ihr mir den Urlaub finanziert. Wo soll es überhaupt hingehen? Ich rufe dich in den nächsten Tagen mal an, deine Mutti.“

Für einen Moment war Frieder Bergmann zu keinem klaren Gedanken in der Lage, ungläubig starrte er auf die Zeilen und glaubte einem Irrtum zu unterliegen. Er spannte sich an, kam auf die Beine und ging zum Kühlschrank, griff sich ein Bier und riss es mit dem Öffner auf. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, das Getränk versonnen in ein Glas einzugießen und zuzusehen, wie die Kohlensäure perlend aufstieg und zischend eine Schaumkrone bildete, die sich nach einigen Lidschlägen verdichtete und weiß schimmern über dem Bier verharrte, setzte er die Flasche an den Mund und ließ das Getränk in Stil eines Verdurstenden in sich hineinlaufen. Erstaunt stellte er fest, dass er in einigen Sekunden einen halben Liter Bier getrunken hatte, sonst nippte er genießerisch daran und versuchte den Geschmack bewusst wahrzunehmen, schließlich trank er ja kein Wasser. Er richtete den Blick nochmals auf den Text und las ihn ein zweites Mal, jetzt begriff er, dass er sich nicht geirrt hatte. Sofort nahm er sich ein zweites Bier aus dem Kühlschrank und setzte es wieder an, in diesem Moment betrat sein Sohn Rüdiger die Küche.

„Wie siehst du denn aus, Papa“ fragte er überrascht und feixte breit.

„Was meinst du“ fragte Frieder zurück, denn er war von dem Brief noch so schockiert, dass er die Erlebnisse mit dem Auto und der Polizei momentan verdrängte.

„Na du hast eine riesige Beule auf der Stirn“ erwiderte der Junge „seit wann prügelst du dich denn?“

„Ach, war‘ n Problem mit dem Auto, da musst du dich morgen drum kümmern, hast doch frei.“

„Und was ist da los“ wollte sein Sohn wissen, die Aussicht, ein bisschen mit dem Auto fahren zu können, war verlockend.

„Die Scheißkarre bremst nicht mehr und aus der Waschanlage kam irgendwelches bräunliches Zeug, bloß kein Wasser. Ich gebe dir Papiere, Schlüssel und die Rechnung der Werkstatt, da steht auch die Telefonnummer drauf.“

Plötzlich wurden die Erlebnisse mit dem Auto wieder wach, Frieder Bergmann hatte jetzt bereits zwei Flaschen Bier intus, die ihm schon mächtig in den Kopf gestiegen waren und die Wut über die miese Leistung der Werkstatt und den Brief seiner Mutter kanalisierte sich jetzt in einer wüsten Schimpfkanonade.

„Mach’ diesen Säcken dort klar, dass sie mächtigen Ärger bekommen, wenn das Auto morgen bis 17 Uhr nicht vor unserer Haustür steht, gewaschen natürlich und mit einem fetten Preisnachlass für die schlampige Arbeit. Du willst doch Jura studieren, tritt denen in den Arsch, aber ordentlich!“

Rüdiger Bergmann starrte seinen Vater entsetzt an, der sonst immer beherrschte Behördenangestellte fluchte wie ein Bierkutscher, so etwas war noch nie vorgekommen.

Leicht schwankend erhob sich der Mann, nahm Kurs auf den Kühlschrank und schnappte sich ein weiteres Bier.

„Kannst deine Schwester holen“ teilte er Rüdiger mit schon unsicherer Aussprache mit, dann ging er daran, das Abendessen vorzubereiten.

Frieder Bergmann sah seinen Beitrag zur Hausarbeit vor allem darin, sich etwas in der Küche nützlich zu machen und den Tisch zu decken. Womöglich hatte er in dieser Beziehung die Gene seiner Mutter mitbekommen, denn er legte großen Wert darauf, Geschirr, Besteck und die Nahrungsmittel stets akkurat anzuordnen und ertappte sich manchmal dabei, dass er überprüfte, ob alles genau im richtigen Winkel zueinander angeordnet war. Auch in den Schränken herrschte penible Ordnung und so akribisch, wie er seiner beruflichen Tätigkeit nachging, agierte er sonst in der Küche. Als er die Teller aus dem Schrank nehmen wollte kam er in eine leichte körperliche Schieflage, die er mit den Armen wedelnd wieder überwinden konnte, aber der Versuch, den Griff der Schranktür zu erwischen, gelang nicht. Um sicherer zu werden nahm er noch einen weiteren Schluck Bier, dann startete er leicht vor sich hin kichernd einen zweiten Anlauf und konnte die Tür öffnen. Der Tellerstapel befand sich gut zehn Zentimeter über seinem Kopf und er wollte drei von ihnen mit einem Mal packen, verschätzte sich allerdings und fuhr mit seiner Hand unabsichtlich hinter den Stapel. Er schwankte bereits beträchtlich und auf unsicheren Beinen ruckte er plötzlich nach hinten weg, halt suchend wollte er sich an dem Tellerstapel festklammern, der aber aufgrund seines geringen Gewichtes kein echter Anker war, so dass er diesen jetzt mit Kraft aus dem Schrank herauszog.

Frieder Bergmann ahnte, dass an diesem Tag einiges schief lief, aber er konnte den Gang der Dinge nicht mehr aufhalten. Wie in Zeitlupe sah er (zwar durch die Wirkung des Alkohols schon etwas getrübt) wie sich der Tellerstapel auf die Kante des Schrankes zu bewegte und seine Hand ihn ungebremst immer mehr in diese Richtung beförderte. Als der Stapel mehr als zur Hälfte in der Luft hing ging die bisherige horizontale Bewegung ruckartig in eine vertikale über und das Geschirr stürzte auf den Boden, wo es krachend in unzählige, ungleichförmig große Stücke zerbarst. Seines Halts beraubt driftete Frieder Bergmann vom Schrank weg, und da er zu koordinierten Bewegungen nicht mehr richtig in der Lage war, versuchte er irgendwo zum Stillstand zu kommen, sein linker Arm schnellte hoch und seine Hand als Enterhaken benutzend krallte er sich an einem Gegenstand fest der an der Wand hing. Ein durchdringendes Klirren ließ den Schluss zu, dass er bei dieser Aktion ein Bild erwischt haben musste. Schließlich knallte er auf einen Stuhl, der durch den heftigen Anprall zusammen mit ihm umkippte.

Durch den Krach aus der Küche alarmiert stürmten Rüdiger und Claudia herbei, und fanden ihren Vater inmitten einer Masse von Scherben und Glassplittern auf dem Rücken liegend dort vor. Frieder Bergmann versuchte wie eine hilflose Schildkröte wieder auf die Beine zu kommen, als er sich mit den Händen auf den mit Trümmerstücken bedecktem Boden der Küche dazu abstützte schnitt eine Porzellanscherbe in seine linke, ein Glassplitter in seine rechte Hand, aber das bemerkte er aufgrund seiner Benommenheit nicht. Wieder auf den Beinen und wie ein Rohr im Wind schwankend starrte er seine Kinder mit wirrem Blick an, um dann auf einem noch stehenden Stuhl zusammen zu sacken, und ihnen hilflos die Hände hinzuhalten. Claudia erbleichte, Rüdiger nahm ein Geschirrhandtuch und zog die Scherben heraus. Das Blut aus den Schnittwunden lief jetzt ungehemmt über die Hände von Frieder Bergmann und er wischte die Hände unbedacht an seiner Haus Hose ab. Sofort nahm das ockerfarbene Kleidungsstück die Flüssigkeit auf und erinnerte jetzt an irgendeine Camouflage Kampfanzugausführung eines Soldaten, die sich in der Wüste wohl gut machen würde. Rüdiger hatte indessen zwei Pflaster zugeschnitten und klebte sie jetzt auf den Handflächen seines Vaters fest. Dann sagte er zu seiner Schwester:

„Los, hilf mir, wir bringen ihn ins Bett.“

Sie packten den Mann unter den Achseln und wuchteten ihn hoch, der unsichere Gang ihres Vaters zwang sie aber immer wieder, ihn mal auf der einen, dann auf der anderen Seite mehr zu stützen. Wie ein nasser Sack kippte Frieder Bergmann auf sein Bett und war innerhalb einer Minute eingeschlafen, seine Kinder gingen in die Küche, um dort aufzuräumen.

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre…    Band 1

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