Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ... Band 4 - Jörn Kolder - Страница 4

Zwischenfall auf der Autobahn

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Frieder Bergmann hatte sich immer noch nicht richtig daran gewöhnt, dass er täglich von seinem Chauffeur in einem protzigen Audi A 8 von zu Hause abgeholt und abends auch wieder dorthin zurück gebracht wurde. Im Regelfall stieg er früh 8 Uhr 30 in das Auto ein, so dass er seinen Arbeitsplatz im Ministerium gegen 9 Uhr einnahm. Nachmittags oder abends waren die Zeiten des Rücktransports sehr unterschiedlich, das lag zum einen an seinen dienstlichen Verpflichtungen und zum anderen an seiner Lust, sich noch mit irgendwelchen Vorgängen herumschlagen zu wollen. Seinen Jaguar nutzte er nur noch für privaten Zwecke, da ihm der Stress im Berufsverkehr immer mehr auf die Nerven gegangen war. Er liebte es aber, mit Petra am Wochenende erst ein Stück auf der Autobahn entlang zu brettern, und dann irgendwo einzukehren oder ein Stück spazieren zu gehen. Er hatte das schnelle Fahrzeug nunmehr voll im Griff und brachte es auf dem Highway gern bis ans Limit. Unbestritten gehörte die linke Spur ihm, und da das Auto nicht bei 250 Kilometern in der Stunde elektronisch abgeregelt wurde, raste er mit teilweise knapp 300 Kilometern in der Stunde über die Piste. Bergmann verschaffte sich durch häufigen Einsatz der Lichthupe Platz, und die erschrockenen Porschefahrer räumten ihre Position auf der schnellen Spur sofort. Eines Tages hatte er es aber etwas übertrieben, und war einem 911er bei 230 Kilometern in der Stunde bis auf 2 Meter Abstand an den Heckflügel herangerückt. Ein unscheinbarer VW Passat (es war ein getarntes Fahrzeug der Autobahnbullen, welches den Jaguar locker verblasen könnte) war nun seinerseits dem Jaguar ebenfalls dicht auf die Pelle gerückt, dann leuchte ein auf einem Dachbalken montiertes Display auf. Bergmann konnte „Bitte folgen“ lesen und ahnte Ungemach auf sich zukommen. Auf einem Rastplatz hielt er hinter dem Polizeifahrzeug an, öffnete die linke Seitenscheibe, schaltete den Motor aus und legte die Hände fest auf das Lenkrad.

„Was machst du denn“ fragte ihn seine Frau erstaunt.

„Ich verhalte mich so, wie es bei einer Polizeikontrolle vorgeschrieben ist“ antwortete er „wichtig ist vor allem, die Hände auf das Lenkrad zu legen, um so zu demonstrieren, dass man keinen Widerstand leisten will und keine Waffe führt.“

„Aber das ist doch nur bei den Amis üblich.“

„Genau. Aber man weiß ja nie, ob unseren Bullen die Knarren jetzt nicht auch so locker sitzen wie ihren Kollegen hinter dem großen Teich. Da haben schon etliche ins Gras beißen müssen, weil sie hektisch rumgezappelt haben. Außerdem sind die Polizisten ja sicher auch durch die neuen Verhältnisse, du weißt schon was ich meine, sicher etwas nervös.“

„Nein, das weiß ich nicht, was meinst du damit?“

„Na die ganzen terrorverdächtigen Typen, die sich mittlerweile überall hier rumdrücken und denen die Messer locker sitzen.“

„Und die fahren garantiert einen absolut unauffälligen Jaguar.“

„Siehst du“ raunte Bergmann „sie kommen, und sie haben schon die Waffen gezogen.“

Zwei Autobahnpolizisten in Zivil näherten sich dem Jaguar langsam, sie hielten Pistolen im Kampfanschlag in den Händen.

„HK P30, eine Heckler und Koch, 15schüssige Selbstladepistole mit 9 Millimetern Kaliber. Die Dinger machen ganz schön große Löcher“ flüsterte Bergmann seiner Frau zu.

Petra erbleichte.

Einer der Beamten trat vorsichtig an das Auto heran, dann sprach er Bergmann an.

„Na, was haben wir denn falsch gemacht?“

„Ich war vielleicht n bisschen zu flott unterwegs“ antwortete Bergmann und mimte den Einsichtigen „aber hier gibt es ja keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Demzufolge bin ich mir keiner Schuld bewusst.“

„Haben Sie schon mal was vom Sicherheitsabstand gehört?“

„Natürlich.“

„Und, was wissen Sie darüber?“

„Na der muss so bemessen sein, dass ich das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen bringen kann.“

„Guter Mann“ höhnte der Polizist „es gibt eine goldene Regel, und die heißt, halber Tachoabstand. Das wären in Ihrem Fall wie viele Meter gewesen?“

„Vielleicht so um die 110 Meter.“

„Na bitte. Unsere Kamera hat festgehalten, dass Sie 3 Meter hinter Ihrem Vordermann waren. Das ist doch schon n großer Unterschied, 110 zu 3 Metern, oder?“

„Mein Auto hat einen Bremsweg von 34,7 Metern aus 100 Km/h, einer der Bestwerte in diversen Tests“ warf Bergmann ein. „Warten Sie mal…“

Er nahm die Hände vom Lenkrad und wollte das Manual des Autos aus dem Handschuhfach nehmen. Er musste den Bullen unbedingt mitteilen, wie hoch die Bremsverzögerung war, und dass er somit massig Geschwindigkeit in kürzester Zeit abbauen könnte, schließlich verfügte das Fahrzeug auch über Keramikbremsen. Vage erinnerte er sich daran, dass die Bremsverzögerung in Metern pro Sekunde2 angegeben wurde. Da Bergmanns Fähigkeiten in Mathematik begrenzt waren setzte er darauf, die Polizisten mit diesem Wert beeindrucken zu können, erklären hätte er ihn nicht können. Sekunde 2 musste also wohl bedeuten, dass sich mit jeder weiteren Sekunde deren Wert erhöhte. Nach 2 Sekunden hätte er also mit zu hoch 4, nach 3 mit hoch 9 und so weiter rechnen müssen, aber wie das in dieser Maßeinheit zu verarbeiten wäre, blieb ihm schleierhaft. Was bedeutete zum Beispiel 15 Meter/Sekunde3? 15 durch 9 gab ungefähr 1,67, aber was sagte ihm das? Wenn 5 Sekunden verstrichen wären, würde das 15 /25 = 0,6 ergeben. Immerhin hatte Bergmann geschnallt, dass der Wert mit zunehmender Zeitdauer immer kleiner wurde, bloß was hatte das zu bedeuten?

Auch welchen besonderen Effekt die Keramikbremsen aufwiesen wusste er nicht.

„Keramikbremsen sind ein absolutes Muss für ein PS-starkes Fahrzeug“ hatte ihm der Autoverkäufer damals erklärt „wer was auf sich hält, kommt daran nicht vorbei. Außerdem macht die Optik tierisch was her und man kann schnell erkennen, wer ein absoluter Freak ist.“

Bergmann hatte bloß genickt, und die Keramikbremsen als Sonderausstattung bestellt. Was ein Freak war wusste er nicht und googelte den Begriff. Nach Wikipedia war das ein Mensch, der sich für etwas übermäßig begeistern konnte, oder dessen Lebensweise von der als normal empfundenen abwich. Bergmann fühlte sich keineswegs so, aber fand die Keramikbremsen dennoch cool.

Kommissar Dennis Lehmann war seit 8 Jahren als Autobahnpolizist im Dienst. Ihn hatte vor allem gereizt, mit aufgebrezelten aber unscheinbaren Karren den Rausch der Geschwindigkeit genießen zu können. Es war für ihn immer ein innerer Vorbeimarsch, wenn er plötzlich einem der arroganten Porschefahrer mit seinem VW Passat im Nacken saß, und die schockierten und total verblüfften Angeber auf den nächsten Rastplatz lotste. Wofür die normalen Verkehrsteilnehmer happige Strafen kassierten, war für ihn geradezu eine Dienstpflicht, nämlich die vorgeschriebene Geschwindigkeit regelmäßig zu überschreiten und durchaus gewagte Fahrmanöver zu unternehmen. Als er angefangen hatte, waren die ertappten Sünder noch wie Lämmchen gewesen, denn gerade die Fahrer der ausgesprochen teuren Karren – Anwälte, Ärzte, Architekten und ähnliche Gutverdienende - waren auf beste Mobilität angewiesen. Lehmann musste ständig eine Erektion unterdrücken, wenn er den auf ihren Fahrersitzen zusammengesunkenen und angstschlotternden Gestalten auseinandersetzte, dass deren Geschwindigkeitsübertretungen oder zu dichtes Auffahren eine saftige Geldstrafe nach sich ziehen würde. Er wusste ganz genau, dass diese betuchten Typen dies locker aus der Portokasse bezahlen konnten, aber er ließ seine Trumpfkarte noch im Ärmel stecken. Erst als sich spürbare Erleichterung bei den Verkehrsrowdies breitmachte und diese kriecherisch versicherten, das Bußgeld selbstredend unverzüglich zu begleichen, ließ er sie noch eine Weile zappeln und dozierte über mögliche Folgestrafen, falls sie noch einmal erwischt werden sollten. Die Delinquenten gingen zu diesem Zeitpunkt immer noch davon aus, dass sie gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen wären und wollten sich dann schnellstens trollen.

„Ach übrigens“ sagte Lehmann in diesem Moment immer süffisant lächelnd und fuhr seine Latte bis zum Anschlag aus „da ist noch was.“

Er legte dann immer eine Kunstpause ein und trat dicht an die Fahrertür heran, so dass die Insassen der Fahrzeuge seinen steifen Riemen nicht sehen konnten. Dann fuhr er fort:

„Leider, so leid es mir für Sie auch tut, sind Ihre Regelverletzungen so schwerwiegend, dass ich Ihnen ein Fahrverbot ankündigen muss. So über den Daumen gepeilt müssen Sie mit mindestens 3 Monaten rechnen, gehen Sie aber besser mal von einem halben Jahr aus, da sind Sie auf der sicheren Seite. Aber das wird der Richter entscheiden müssen, ich will Sie bloß schon einmal darauf vorbereiten. Sie werden also demnächst Post erhalten. Dort wird Ihnen das Strafmaß erläutert werden und Sie werden auch informiert, wo Sie Ihre Papiere abzugeben haben. Das Fahrverbot gilt übrigens ab sofort, mit der Einschränkung, dass Sie die Fahrt noch bis zu Ihrem Wohnort fortsetzen dürfen. Dort legen Sie das Fahrzeug sofort unverzüglich still. Sollten Sie das nicht tun, kann das zur Folge haben, dass Ihnen der Führerschein für eine unbestimmte Zeit entzogen wird und Sie eine Einladung zum Idiotentest, Sie wissen schon, was ich meine, erhalten werden. Mein Kollege ist gerade dabei, Ihre Kennzeichennummer in unsere Fahndungsdatenbank einzupflegen, das passiert in Echtzeit, da wir modernste Elektronik an Bord haben. Also, verhalten Sie sich bitte in Ihrem eigenen Interesse richtig.“

Lehmann hatte an dieser Stelle mächtig geflunkert. Zwar hatte das Polizeiauto durchaus moderne Überwachungstechnik mit Kameras an Bord, aber das war es auch schon. Seit Jahrzehnten wurde am Aufbau eines digitalen Polizeifunks herumgedoktert, aber das einzige Ergebnis war, dass etliche Millionen für die Entwicklung verbrannt worden waren und bislang nichts Praxistaugliches zustande gekommen war.

Immer wenn Lehmann seine Ansprache beendet hatte konnte er mit einem Gefühl allergrößter Befriedigung sehen, wie den aufgeblasenen Typen scheinbar der Stöpsel gezogen wurde, und sie im Sekundenschnelle zusammenschrumpften. In diesem Augenblick spürte er den Orgasmus nahen, und als er kam, lehnte sich der Kommissar mit vor Lust verzogenem Gesicht an die Fahrertür. Glücklicherweise standen die Fahrzeuginsassen im diesem Moment immer noch unter einem heftigen Schock und waren mit sich selbst beschäftigt, so dass sie den entrückten Gesichtsausdruck ihres Peinigers nicht wahrnahmen. Lehmann war bald zu der Überzeugung gekommen, dass er den Traumberuf gefunden hatte. Er durfte im staatlichen Auftrag hemmungslos rasen, konnte die Verkehrsteilnehmer maßregeln, und fand regelmäßig höchste sexuelle Befriedigung. Dass die Bezahlung nicht so berühmt war, spielte für ihn keine sonderlich große Rolle, er wurde durch die anderen Umstände im Dienst mehr als entschädigt. Er lebte zu diesem Zeitpunkt mit einer jungen Frau zusammen, die ihn anfangs mit wilden sexuellen Handlungen angefüttert hatte. Ihre Leidenschaft ließ aber schnell deutlich nach, und Lehmann war es bald leid, sich immer öfter anhören zu müssen, dass sie Migräne hätte, müde wäre oder von der Hausarbeit erschöpft sei. Letzteres stimmte nicht, denn Dennis Lehmann bediente die Waschmaschine und kümmerte sich um die Bekleidung, schon um nicht erklären zu müssen, warum seine Unterhosen ständig Spermaflecken aufwiesen. Auch ging er einkaufen und machte zu Hause klar Schiff. Eines Tages sagte er sich, dass er wohl mehr nur der Rundumversorger seiner Freundin wäre und diese sich einen schönen Tag machte, und er sie auch noch öfter erfolglos um Sex anbetteln musste. Nachdem sie 8 Monate zusammen gewesen waren, schmiss er sie hochkant raus und konnte sich nunmehr vollständig ausleben.

Mit der Zeit waren die Sitten auf der Autobahn rauer geworden, und die ertappten Verkehrssünder rabiater. Dazu kam, dass die Straßen seit 2015 zunehmend von lichtscheuen Elementen bevölkert wurden, die illegale Migranten schmuggelten oder sich im Waffenhandel versuchten. Eines Tages ging Lehmann und seinem Kollegen ein ziemlich dicker Fisch an die Angel. Ein Bulgare hatte sich überhaupt keine große Mühe gemacht, drei funktionstüchtige Kalaschnikow und die dazu passende Munition im Kofferraum seines PKW zu verstecken, er hatte die Waffen lediglich unter Decken und Gepäck verstaut. Wahrscheinlich war er davon ausgegangen, dass die unbeschreiblich naiven und permanent an das Gute im Menschen glaubenden Deutschen sowieso nicht so genau hinsehen würden, sie ließen ja ohnehin in dieser Zeit jedermann ohne nähere Kontrolle oder gar ohne Papiere ins Land. Als Lehmanns Kollege den Kofferraum untersuchte und die Sturmgewehre fand, war der Bulgare panisch geworden und wollte den Polizisten mit einem Messer attackieren. Dennis Lehmann fackelte nicht lange herum, und jagte den Angreifer drei Kugeln aus seiner Dienstwaffe ins rechte Bein. Bald darauf wurden die Autobahnpolizisten darin geschult, wie man gefährliche Situationen bewältigen konnte, und wie man vor allem auf Deeskalation setzte. Grundprinzip sollte sein, so wurde Ihnen erklärt, zunächst für die eigene Sicherheit und die der Kollegen zu sorgen. Wenn die Situation aber trotz aller Bemühungen aus dem Ruder laufen sollte, wäre der Einsatz der Dienstwaffe in höchster Gefahr zulässig. Vorzugsweise sollte durch Schüsse auf die Beine Bewegungsunfähigkeit bei einem Angreifer erreicht werden. Sollte dieser aber eine Schusswaffe einsetzen, wäre als Ultima Ratio ein letaler Schuss legitim.

Kommissar Dennis Lehmann war überwiegend auf einem besonders brisanten Autobahnbereich im Einsatz. Mit einem untrüglichen Gespür fischte er verdächtige Fahrzeuge heraus, bei denen er Unregelmäßigkeiten vermutete. Fast immer bestätigte sich sein Verdacht, und er geriet zunehmend an Leute, die Gewalt als einziges Argument akzeptierten. Die Polizisten hatten sich zum Selbstschutz angewöhnt, auch bei scheinbar harmlosen Fällen, stets ihre Dienstwaffen schussbereit zu haben. Allein vom Herbst 2016 bis zum Frühsommer 2017 musste Lehmann wegen bedrohlicher Situationen fünfmal seine Schusswaffe einsetzen. Demzufolge war sein Misstrauen immer mehr gestiegen, und die Pistole saß ihm jetzt tatsächlich locker. Frieder Bergmann wollte den Polizisten davon überzeugen, dass die Bremsverzögerung tatsächlich beeindruckend war und an das Manual gelangen. Mit einer von Lehmann vollkommen unerwarteten und schellen Bewegung beugte sich Bergmann nach rechts, um an das Handschuhfach zu kommen. Der Kommissar schlussfolgerte blitzschnell, dass der Mann vor ihm sich jetzt eine versteckte Waffe greifen wollte, um Widerstand leisten zu können. Die Schusssituation war denkbar ungünstig, würde er in den Innenraum feuern, könnte er den halb liegenden Mann eventuell tödlich treffen und womöglich würden Querschläger umherschwirren. Einen letalen Schuss hatte Lehmann bislang vermeiden können, und er war auch nicht scharf darauf, sich dann in einem langwierigen Disziplinarverfahren wiederzufinden. Zwar verschaffte ihm die Ballerei noch höhere Lüste als die reine Fahrzeugkontrolle und die Erniedrigung der Täter, aber er legte es nicht darauf an, jemanden umzulegen. Außerdem gab es bei dem Typen im Jaguar momentan auch keine begründeten Verdachtsmomente, vermutlich handelte es sich nur um einen gewöhnlichen Raser. Dennoch war Lehmann äußerst misstrauisch und ohne weitere Alternative gab er zwei Schüsse auf die rechte Seitenscheibe des Fahrzeuges ab, das sollte die beiden Insassen von weiteren unbedachten Handlungen abhalten. Das Sicherheitsglas konnte den 9 Millimeter Geschossen nicht standhalten, und zerbarst in tausend Stücke, die vor allem auf die schockierte Petra Bergmann herabregneten, sie rutschte noch tiefer in den Fußraum hinab. Ihr Mann blieb wie erstarrt liegen und war von dem Dröhnen in seinen Ohren wie paralysiert. Lehmann hatte tatsächlich erreicht, dass die beiden Verdächtigen keine Regung mehr zeigten und unverletzt geblieben waren. Jetzt zeigte sich die ganze Routine der beiden Autobahnpolizisten. Nahezu synchron rissen sie die beiden Fahrzeugtüren auf, zerrten Bergmann und seine Frau grob aus dem Auto heraus, warfen sie bäuchlings auf den Boden und knieten sich auf deren Rücken. Eine Sekunde später hatten sie die Arme der Verdächtigen auf den Rücken gebogen und legten ihnen Handschellen an. Dann packten sie ihre Gefangenen, bugsierten sie zur Kühlerhaube, spreizten ihnen mit kräftigen Fußtritten die Beine und pressten sie mit dem Oberkörper auf das Blech. Frieder Bergmann rief verzweifelt:

„Ein Missverständnis! Ich wollte Ihnen doch nur das Handbuch des Autos zeigen und beweisen, wie hoch die Bremsbeschleunigung ist, um das Fahrzeug schnell genug anhalten zu können. Der Wagen hat auch noch sehr wirksame Keramikbremsen. Außerdem bin ich Minister im Landeskabinett!“

Von den Polizisten und Bergmanns unbemerkt, hatte sich der gerade noch bis auf die letzte Parkbucht besetzte Rastplatz nach den Schüssen blitzartig geleert.

Kommissar Dennis Lehmann hatte schon viele Lügen und Ausflüchte gehört. Dass sich jemand als Minister ausgab war allerdings neu.

„Hören Sie doch auf mit dem Blödsinn“ sagte er giftig „dann bin ich der Kaiser von China. Peter, nimm ihm mal die Papiere ab.“

Der andere Polizist durchsuchte Bergmanns Jackentaschen, dann zog er mit spitzen Fingern dessen Portemonnaie heraus. Frieder Bergmann hatte seine Geldbörse schon lange einmal ausräumen wollen, aber das aus Faulheit immer wieder verschoben. Dunkel erinnerte sich, dass sich darin etliche Strafzettel wegen Falschparkens befanden, irgendwo mussten noch drei Mitteilungen der Bußgeldstelle über Geschwindigkeitsübertretungen stecken. Was ihm den Schweiß jetzt auf die Stirn trieb war, dass er, als Petra eine Woche zu einer Weiterbildung außerhalb war, einen Porno mit dem sinnigen Titel „Rammeln bis nur noch heiße Luft kommt“ bei einem Internetanbieter bestellt hatte und die Bestellbestätigung sicherheitshalber aufbewahrt hatte. Dieses Filmkunstwerk hatte er sich einige Male auf Arbeit, als er noch Referatsleiter war, reingezogen. Von einer Handlung zu sprechen wäre vermessen gewesen, aber zumindest verfügten die Darsteller über ausgesprochen ansehnliche Körper und simulierten ganz gut glühende Leidenschaft.

Lehmanns Kollege hatte die verdächtigen Stücke aus der Brieftasche fein säuberlich auf der Kühlerhaube nebeneinander gelegt, und übernahm jetzt die Bewachung der Verdächtigen. Dennis Lehmann ließ seinen Blick über die Asservate schweifen. Für ihn war die Sache klar, es handelte sich einerseits um einen undisziplinierten und rücksichtslosen Verkehrsteilnehmer, um einen Gauner, der seine Bußgelder nicht beglich, um einen alten Lustmolch, und zusätzlich noch um einen Hochstapler. Wie kam der Mann dazu, sich als Minister auszugeben? Bloß, weil er einen Jaguar fuhr? Er beschloss auf Nummer sicher zu gehen, und rief aus dem Polizeifahrzeug seine Dienststelle an.

„Rudi, du musst mir helfen“ sagte er am Telefon „wir haben hier einen gewissen Frieder Bergmann, geboren 1956, wohnhaft Paradiesstraße 8, der sich als Minister ausgibt. Kannst du mal bitte nachsehen, ich bleibe dran.“

Es dauerte eine Weile, dann kam es aus dem Hörer:

„Dennis, so einen Typen mit den von dir angegeben Daten gibt es tatsächlich. Allerdings ist er nicht Minister, sondern Behördenleiter vom Amt 3 in der Stadt. So was, sich als Minister auszugeben, obwohl er nur ein kleiner popliger Beamter ist. Auf welche Ideen die Leute heutzutage kommen.“

Dennis Lehmann war nun endgültig im Bild, und seine Wut auf den Mann stieg immer mehr.

„Sie können sich jetzt wieder umdrehen“ sagte er mit eisiger Stimme.

Frieder und Petra Bergmann kamen aus der unbequemen Lage wieder hoch, und konnten nun Lehmann und seinen Kollegen ansehen.

„Dass Sie ihren Zahlungsverpflichtungen aus den Bußgeldbescheiden nicht nachkommen, geschenkt, dass versucht ja jeder heutzutage. Dass Sie sich Pornos reinziehen, ist zwar eine schmutzige und perverse Sache, aber Ihre Privatsache“ sagte Lehmann noch einigermaßen ruhig.

Jetzt konnte der Mann seine Erregung nicht mehr zügeln und schrie Bergmann an:

„Aber dass Sie mich und meinen Kollegen mit einer scheinbar hohen politischen Funktion unter Druck setzen wollten, das lasse ich Ihnen nicht durchgehen. Sie sind ein ganz gewöhnlicher Sesselfurzer, der sich als Minister ausgibt. Das nenne ich Angabe einer falschen Identität, um die Sicherheitskräfte zu täuschen. Aber mit ein paar beschränkten und geistig minderbemittelten Bullen kann man das ja machen, so haben Sie sich es doch gedacht, oder?“

„Keineswegs“ antwortete Bergmann schüchtern „niemals würde ich…“

„Diesen Ärschen, die für andere Berufe viel zu blöd sind, selbstständiges Denken zutrauen“ brüllte Lehmann jetzt wie enthemmt los „das waren doch Ihre Überlegungen, nicht wahr. Und diese Tussi hier, die haben Sie doch mit Ihren Münchhausengeschichten ebenfalls getäuscht, weil sie sie irgendwo in einer Absteige langlegen wollten.“

„Das ist meine Frau“ warf Bergmann leise ein.

„Geht das schon wieder los“ tobte Lehmann „welche Märchen aus tausend und einer Nacht sollen wir uns heute noch anhören müssen.“

„Petra“ sagte Bergmann zu seiner Frau „zeig dem Herrn deinen Ausweis.“

„Erstens kann ich das wegen der Handschellen nicht, zweitens habe ich den Ausweis nicht mit dabei.“

„So ein Zufall, nein, so ein Zufall“ schrie Lehmann „jetzt ist das Maß voll. Frank“ sprach er seinen Kollegen an „fordere mal einen Streifenwagen an. Wenn die Jungs da sind, wird einer den Jaguar zur Dienststelle fahren, schließlich können wir die Karre hier nicht mit kaputter Seitenscheibe rumstehen lassen. Dieses durchtriebene Hochstaplerfrüchtchen hier“, er schaute Bergmann durchdringend an, „und seine Konkubine…“

„Seine was“ fragte Frank.

„Na seine Nutte, oder seine Mätresse, ganz wie du willst“ klärte ihn Lehmann wütend auf „die nehmen wir natürlich auch mit. Die beiden werden erst mal vorsorglich in Haft genommen, wer weiß, was noch so alles zu Tage kommt. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser miese Typ noch viel mehr Dreck am Stecken hat, viel, viel mehr. Vielleicht tarnt er sich nur mit der fetten Karre, um den erfolgreichen Biedermann zu mimen, aber in Wahrheit arbeitet er für den Mossad oder gar für den IS. Möglicherweise ist er ein Konvertit. Schau dir die Karre noch mal gründlich an, Frank.“

Frank durchsuchte den Kofferraum, dort war nichts Verdächtiges. Aber ganz unten im Handschuhfach fand er einen mit arabischen Schriftzeichen bedruckten Zettel.

„هل ترغب في أن تقدم أنت أيضا لزوار موقعك نفس الخدمة جزءًا من صفحتك؟ فأدرج لوحة المفاتيح هذه فيها بلا تكلف! انقر على زر وانسخ الكود الذي يظهر بعد ذلك وضعه في الموضع المفضل في كود صفحتك.“

„Wir haben ihn Dennis“ brüllte Frank begeistert und reichte seinem Kollegen den Zettel. Kommissar Dennis Lehmann starrte wie gebannt auf die arabischen Schriftzeichen. Nachdem er Weile verständnislos auf die Hieroglyphen geblickt hatte ahnte er, dass er an einer ganz großen Sache dran war.

„So Herr Bergmann“ sprach er den blassen Frieder an „oder sollte ich Sie besser Abdul Abdel Fattah, Mustafa Aziz, Mohammed Sharif oder Ali Hussein nennen? Der Phantasie sind ja in dieser Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Egal wie Sie sich auch immer nennen, die Jungs vom Staatsschutz werden die Wahrheit schon aus Ihnen herausholen. Ich möchte nicht verschweigen, dass es bei den Verhören, nun ja, wie soll ich es sagen, nicht wie im Mädcheninternat zugeht. Mein Kollege veranlasst jetzt, dass Sie und Ihre Gespielin in Bälde abgeholt werden. Ein normaler Streifenwagen ist für einen Typen Ihres Kalibers nicht das geeignete Transportmittel, den hat er abbestellt.“

„Ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen“ sagte der den Tränen nahe Frieder Bergmann „ich war zu schnell, bin zu dicht aufgefahren, das ist doch kein Grund für eine Haft.“

„Sie vergessen den Zettel aus Ihrem Handschuhfach.“

„Das kann ich Ihnen erklären. Mein Admin hatte mich gedrängt, unsere Homepage auch für unsere neuen Bürger zugänglich zu machen und hat zu Testzwecken diesen Text eingestellt. Er enthält, glaube ich, Codezeilen für den Befehl „Tastatur einbetten“.

„Sie denken wohl, Sie können mich mit Ihrer Klugscheißerei beeindrucken“ erregte sich Lehmann schon wieder „Codezeilen. Klingt schön kompliziert, aber in Wahrheit schmeißen Sie doch bloß mit Ihrem Halbwissen um sich, um andere zu verunsichern. Aber das Grinsen wird Ihnen bald vergehen. Ah, da kommt der Transporter vom Staatsschutz.“

Ohne große Worte wurden Bergmann und seine Frau in das Fahrzeug gezerrt und jeweils in eine rundum mit Stahlwänden abgeschlossene Zelle gesperrt. Nach einiger Zeit hielt das Auto an, jetzt wurden beide wortlos gepackt und in einem düsteren Gebäude in Zellen eingeschlossen. Vorher hatte man eine Leibesvisitation durchgeführt aber nichts Verdächtiges gefunden, ihnen allerdings etliche Dinge, vor allem die Handys, abgenommen. Niemand kümmerte sich in den folgenden Stunden um sie, erst gegen Abend wurde Ihnen etwas zu essen und zu trinken gebracht. Danach lag Bergmann unruhig auf seinem harten Bett und fragte sich die ganze Nacht durch, was er denn so Schwerwiegendes getan haben sollte. Punkt 6 Uhr wurde er vom Rasseln der Türschlösser geweckt, dann donnerte ein Beamter das Frühstück auf den kleinen Tisch. Frieder Bergmann war nicht in der Lage, vor Nervosität etwas zu sich zu nehmen. Nach endlosen Minuten wurde er geholt und in einen mittelgroßen Raum geführt. Dort musste er vor einem leeren Tisch Platz nehmen, rechts und links von ihm saßen zwei Beamte, die jede seiner Regungen aufmerksam beobachten. Nachts hatte man ihm die Handschellen abgenommen, aber jetzt wieder angelegt. Eine Tür ins seinem Rücken öffnete sich, ein Mann trat an den Tisch heran und nahm gegenüber Bergmann auf einem Stuhl Platz.

„Frieder“ fragte er total verblüfft „was machst du denn hier?“

„Hartmut, Gott sei Dank“ stammelte Bergmann „du musst das alles aufklären, es ist ein einziges großes Missverständnis. Bitte, bitte hilf mir, ich bin am Ende meiner Kräfte und Nerven!“

Bergmann hatte sich als Amtsleiter gern auf diversen Veranstaltungen der haute volée der Stadt herumgedrückt. Erstens gab es immer erlesenes Essen, Getränke der Spitzenklasse und jede Menge scharfer Weiber. Da er ohne Petra dort hin ging (“Das würde dich nur langweilen, ist vor allem Lobbyarbeit mit trockenen Fachgesprächen“) verhielt er sich nicht gerade zurückhaltend. Er kippte ordentlich und stopfte sich mit den Köstlichkeiten voll. Als er leicht angetrunken und mit vollem Bauch vor der Tür eine Zigarette rauchte, kam er mit Hartmut Drechsler ins Gespräch, der ebenfalls eine dampfte.

„Ist sicher ein hartes Brot, mit all diesen Gaunern und Galgenvögeln als Haftrichter umzugehen, oder“ hatte er gefragt.

„Es ist sehr fordernd“ hatte Drechsler bestätigt „sich täglich mit diesem Abschaum beschäftigen zu müssen. Aller zwei Stunden muss ich mir die Hände waschen weil ich das Gefühl habe, mich mit dem Schmutz aus der Gosse besudelt zu haben.“

Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch und setzten ihre Konversation an der Bar fort. Bergmann erlitt infolgedessen einen Filmriss, und musste am nächsten Abend eine fürchterliche Standpauke seiner Frau überstehen.

„Bei uns ist die Bude bis zur letzten Zelle voll“ sagte Drechsler „den Tatbericht konnte ich noch gar nicht lesen. Den komischen Zettel habe ich allerdings schon übersetzen lassen. Harmloses Zeug: „Öffnen Sie das Menü Geräteverwaltung. Wählen Sie „Tastatur“ und so weiter. Ich überfliege den Bericht mal schnell.“

Drechsler las, dann schaute er hoch.

„Alles klar. Herr Bergmann, ich hebe die Haft gegen Sie unverzüglich auf und übergebe den Fall in die Hände der Autobahnpolizei. Von dort wird Ihnen das Strafmaß für Ihre Verkehrsvergehen per Brief mitgeteilt werden. Wachtmeister, sorgen Sie dafür, dass Herr Bergmann seine persönlichen Dinge zurückerhält.“

„Ähm, Hartmut“ sagte Bergmann „Petra sitzt auch noch hier ein.“

„Wachtmeister, gleiches gilt für Frau Petra Bergmann. Beide zu Unrecht inhaftierten Personen sind mit einem Fahrzeug der Dienststelle zu Ihrem Wohnort zu verbringen. Fertigen Sie für Herrn Frieder und Frau Petra Bergmann einen Antrag auf Haftentschädigung aus. Herr Bergmann, der Wachtmeister wird Sie und Ihre Frau jetzt begleiten, und alles Erforderliche veranlassen.“

„Das war der blanke Albtraum“ sagte Frieder Bergmann zu seiner Frau, als sie zu Hause auf dem Sofa saßen „so was möchte ich so schnell nicht wieder erleben.“

„Wir haben es überstanden, Frieder. Und du hast dich ganz wacker gehalten. Dafür hast du dir eine Belohnung verdient.“

„Oh“ freute sich Bergmann „auf ein paar kühle Biere habe ich mich schon die ganzen Stunden gefreut.“

„Du Blödmann, Bier kannst du später trinken. Komm mit ins Schlafzimmer.“

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