Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ... Band 4 - Jörn Kolder - Страница 6

Vorbereitung der Mitarbeiterversammlung

Оглавление

Frieder Bergmann war sich keineswegs darüber im Klaren, wie er der über die Jahre hin verkrusteten und lahmen Behörde wieder Leben einhauchen sollte, und sie zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen umbauen könnte. An erster Stelle würde die Aufgabe stehen, die Mitarbeiter entsprechend zu motivieren. Dass diese nicht unwillig waren setzte er voraus, sie waren eben durch die bisherigen langandauernden Zustände in diesem Amt geprägt worden. Wie in seinen vorherigen beruflichen Etappen wollte Bergmann auf der einen Seite den Fachmann geben, auf der anderen aber auch den verständnisvollen Vorgesetzten. Eine knochentrockene Mitarbeiterversammlung ohne einen Funken Humor oder Lockerheit schied damit aus und er suchte nach einer Alternative. Franke und Knöfel aus dem Referat III – Finanzen – hatte er angewiesen zu ermitteln, wie viel Geld man für so eine Veranstaltung ausgeben könnte. Bald erhielt er die Meldung, dass die Haushaltordnung dafür bis zu 7.500 Euro vorsah, für die 138 im Ministerium beschäftigten Mitarbeiter würde das einen Betrag von gut 55 Euro pro Kopf ausmachen. Frieder Bergmann wollte jedem 15 Euro für Speisen und Getränke zubilligen (nach Recherche der Steuerabteilung war das zulässig) und die verbleibenden 40 (also 40 x 138 = 5.520 Euro) in eine Art kulturelle Umrahmung stecken. Auf der Suche nach einer Idee sprach er mit seiner Familie darüber.

„Geh‘ doch mit den Leuten in den Kulturpalast und sehe dir zum Beispiel irgendeine Show an“ schlug Petra vor.

„Ist doch öde“ meinte Rüdiger „das ist nichts Besonderes, schließlich soll die Sache den Leuten doch im Gedächtnis haften bleiben. Fahre mit Ihnen in einen Freizeitpark mit spektakulären Aktionen wie Achterbahnen und so weiter.“

„Das geht nicht“ erwiderte Frieder Bergmann „da sind schon einige Herzschrittmacherträger dabei. Wenn dort einer den Löffel auf der Achterbahn oder in der Gespensterbude abgibt wäre das kein guter Start für mich.“

„Westernstadt“ sagte Claudia knapp.

„Wie meinst du das“ fragte ihr Vater verwirrt aber die junge Frau hielt ihm den Laptop hin und Bergmann las:

„Lassen Sie sich in vergangene Zeiten wilder Schießereien und archaischer Faustkämpfe entführen, wo ein Mann noch etwas galt und die Colts locker saßen. Wir bieten einen umfangreichen Showteil mit jeder Menge Aktion! Für jeden ist etwas dabei. Ob man nun einen Banküberfall miterleben will oder lieber im Saloon einen Drink nimmt, tun Sie was Sie wollen. Kommen Sie in Ihrer Alltagskluft oder sehr gern auch verkleidet zu uns und reihen Sie sich in die spektakuläre Show selbst mit ein! Und zu guter Letzt: unsere Gastronomie ist hervorragend!“

„Na das ist doch eine Superidee“ freute sich Petra „dort können die Leute mal richtig die Sau rauslassen und müssen sich nicht in Anzüge oder Kostüme zwängen und sich eine langweilige Oper anhören oder was in dieser Richtung. Stell‘ dir vor, deine Mitarbeiter verkleiden sich und spielen mit! Das wird eine Mordsgaudi, so was haben die noch nicht erlebt. Und wer es ruhiger angehen lassen will kippt eben im Saloon ein paar Biere oder Schnäpse oder reitet gemütlich eine Runde. Genial, Claudia!“

„Das wird der Hammer“ bestätigte Rüdiger „die werden sich köstlich amüsieren. Und wie es sich für den Chef gehört wirst du der Sheriff sein.“

Bergmann war von dieser Vorstellung begeistert gewesen und schritt sofort zur Tat.

Da er auf Arbeit auch ausreichend Zeit hatte sich mit anderen Dingen als seinen Amtsgeschäften zu beschäftigen, war er ausdauernd im Internet unterwegs gewesen, um ein passendes Outfit zusammen zu stellen. Weil er auch nicht auf den Cent sehen musste und einen bleibenden Eindruck hinterlassen wollte hatte er großzügig Sachen geordert (natürlich vom Büro aus) und sich dort auch anliefern lassen. Seinem Rang angemessen besaß er eine erhebliche Bürofläche, die sich über zwei Zimmer verteilte. Der größere Raum war als Arbeitsbereich mit einem großen Beratungstisch zu erkennen, der kleinere, von diesem abgetrennte, sollte eine Art Ruhebereich sein. Dort konnte sich Bergmann auf einem Sofa niederlassen und eine nochmals abgetrennte und durchaus geräumige Toilette nutzen. An deren recht breiter Wand gegenüber dem Toilettenbecken war ein mannshoher Spiegel befestigt worden, so dass der Minister sein Outfit kontrollieren konnte, wenn er zu einer Beratung aufbrach oder vor die Presse trat. In den letzten Tagen hatte Frieder Bergmann lange vor dem Spiegel verbracht, denn er feilte unentwegt an der Perfektionierung seines Sheriffkostüms. Seine Hose war aus braunem Leder gefertigt worden und saß ziemlich knapp, was allerdings seinen immer noch knackigen Hintern gut zur Geltung brachte. Am Bauch zwickte es zwar etwas und Fleisch quoll über den Hosenbund, aber er nahm dies im Interesse des Gesamtbildes in Kauf, denn sein Stoffhemd ließ er lässig über die Hose hängen und kaschierte so diesen Makel. Die Jacke hatte ein Heidengeld gekostet aber war es wert gewesen. Lederfransen an den Ärmeln wehten bei jeder Bewegung und die feinen Nähte waren eine Augenweide. Auf dem Kopf trug Bergmann einen ausladenden Hut, welcher aus feinstem Stoff gefertigt worden war. Selbstredend hatte er sich für spitz zulaufende Cowboystiefel entschieden und deren dunkelrotes Leder spiegelte sich in der Sonne. Wenn er lief klirrten die Sporen an den Hacken leise. Mit dieser Grundausstattung war er ganz zufrieden aber wie er selbst wusste, lag die Perfektion eben im Detail. Unzählige Male hatte er sich Webseiten mit Halstüchern, Sheriffsternen, Halftern und Pistolen angesehen und seine Kaufentscheidungen immer wieder revidiert. Besonderen Wert legte er auf die Bewaffnung und nach langem Suchen stieß er auf eine halbseidene Webpage, die mit einem „ultrarealistischen Schusserlebnis dieses berühmten Revolvers“ warb. Bergmann ahnte, dass er sich hier auf dünnem Eis bewegte, denn weiter wurden noch eine „eindrucksvolle Lautstärke“ sowie eine „auf kurzen Raum begrenzte Partikelwirkung“ verwiesen. Wenn er es richtig verstand konnte das bedeuten, dass dieses Ding durchaus gefährlich sein könnte aber er wollte es darauf ankommen lassen, also bestellte er. Drei Tage später erhielt er ein Paket und öffnete es sofort. Eine chromblitzende Waffe lag in der Verpackung und als Bergmann diese näher betrachtete sah er, dass sie allein von der Fertigung her ihren Preis von 196 Euro allemal wert war. Die Trommel drehte sich leichtgängig, der Hahn ließ sich gut spannen und noch ohne Munition im Magazin war auch der Druckpunkt des Abzugs gut zu spüren. Munition lag in 4 Schachteln bei, und als Frieder Bergmann eine öffnete, war seine Verblüffung groß. Er hatte so etwas wie labbrige Zündplättchen erwartet aber hier hielt er scheinbar echte Patronen aus Kupfer in der Hand. Er drehte eine Patrone hin und her und war von der Akkuratesse der Herstellung beeindruckt. Es juckte ihn in den Fingern den Revolver zu laden, und so klappte er die Trommel zur Seite, schob diese eine Patrone in das Magazin hinein und ließ dieses spielerisch rotieren. Frieder Bergmann wusste, dass sich die Trommel bei jeder Betätigung des Abzugshahnes um eine Position vorwärtsbewegte, mit einem Blick auf das Magazin stellte er fest dass sich die Patrone in der dritten Kammer befand. Er klappte die Trommel wieder ein und ging davon aus, dass er jetzt zweimal abdrücken konnte, ohne dass etwas geschah. Was er nicht berücksichtigt hatte war allerdings, dass sich die Trommel beim Hereindrücken in die Waffe nochmals eine Position vorwärtsbewegte, um richtig arretiert zu werden. Hätte er die Bedienungsanleitung ordentlich studiert wäre ihm das bewusst gewesen, aber er brannte darauf die Waffe auszuprobieren und so hatte er dies unterlassen.

Frieder Bergmann postierte sich in voller Kluft vor dem Spiegel und betrachtete sich eingehend von allen Seiten. Er sah hervorragend aus! Nachdem er noch einige Posen eingenommen hatte stellte er sich breitbeinig auf und zog den Revolver aus dem Halfter. So wie er es aus Westernfilmen kannte ließ der Schütze die Waffe erst an seiner Hüfte pendeln, um diese dann ruckartig hochzureißen und abzufeuern. Das tat er jetzt auch selbst und die Gestalt im Spiegel sah wirklich blendend aus. Es klickte leise und die Trommel drehte sich eine Position weiter. Bergmann war mit seiner Geschwindigkeit des Waffe Ziehens und Abdrückens nicht zufrieden gewesen und wiederholte die Aktion. Als er den Abzugshahn erneut betätigte brach einen Wimpernschlag später das Inferno aus. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm wurden die Bestandteile der Patrone herausgeschleudert und Bergmann zuckte schockiert zurück, wobei ihm der Revolver aufgrund des heftigen Rückstoßes nach oben und dann aus der Hand gerissen wurde und über seine rechte Schulter hinweg nach hinten segelte. Unglücklicherweise endete seine Flugbahn im Toilettenbecken, wo er in den Abfluss hineinrutschte, aber sich aufgrund seiner länglichen Form darin verkantete, so würde ihn Bergmann eventuell noch herausholen können. Der Schütze stand noch immer fassungslos und wie in den Boden gerammt vor dem Spiegel und nahm jetzt – weil sich der Pulverdampf etwas verzogen hatte – wahr, dass der Spiegel wie mit Pockennarben übersäht war. Als er näher hinsah erkannte er, dass die Bestandteile der Patrone das Glas wie mit feinen Kratern gelöchert hatten und dieses nunmehr großflächig eingetrübt war. Er konnte zwar noch seinen Unterkörper und einen Teil des Oberkörpers (etwa bis zum Brustkorb) erkennen, aber darüber existierte nur noch eine milchige Fläche (so dass sich sein Gesicht nicht mehr spiegelte und er deswegen nicht mitbekam, dass sich einige Pulverspuren darin eingegraben hatten). Langsam löste sich Frieder Bergmann aus seiner Starre, wankte noch am ganzen Körper zitternd und mit dröhnenden Ohren aus dem Bad heraus und ließ sich auf das Sofa fallen. Er konnte davon ausgehen, dass niemand etwas von diesem Vorfall mitbekommen hatte, denn er hatte das Posen bei geschlossener Toilettentür geübt und außerdem war die Tür zum Sekretariat auch noch zu gewesen. So gesehen musste er niemandem etwas erklären was vorgefallen war, außer dass er eine Begründung für den in Mitleidenschaft gezogenen Spiegel zu finden hatte. Eine plausibel erscheinende Erklärung zu formulieren war nicht so einfach und so sehr Bergmann die Sache auch drehte und wendete, er kam zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Am Günstigsten erschien ihm dann, den Spiegel ganz zu demolieren. Er würde es so hinstellen, dass er selbst beim Toilettengang nicht auf das Aktenstudium hatte verzichten können, beim Erheben einen leichten Schwächeanfall erlitten und sich gerade noch so mit dem Aktenordner auf dem Spiegel habe abstützen können, wobei dieser leider zu Bruch gegangen wäre. Das würde zum einen seinen unermüdlichen Einsatz im Dienst unterstreichen und aufgrund der etwas delikaten Geschichte auch Grund genug dafür bieten, alles unter der Decke zu halten, um das Außenbild des Ministers nicht zu beschädigen. Also würde er seiner Büroleiterin das so verkaufen und sie die ganze Angelegenheit diskret abwickeln, in solchen Sachen war sie ausgesprochen geschickt.

Frieder Bergmann wollte jetzt Tatsachen schaffen und den Spiegel zerstören. Auf der Suche nach einem geeigneten Gegenstand fiel ihm plötzlich ein, dass der Revolver noch im Abfluss der Toilette steckte. Er war von Hause aus eigentlich sehr pingelig und stand jetzt vor der Aufgabe, die Waffe aus dem Klobecken herauszuholen. Also zog er seine Jacke aus, krempelte den Ärmel des Hemdes hoch und wollte mit abgewandtem Gesicht in das Toilettenbecken hinein greifen, als aus seinem Unterbewusstsein plötzlich zwei Szenen wieder auftauchten. Im Österreichurlaub hatte er angetrunken eine Toilettenanlage demoliert und war mit dem Fuß im Abfluss eines Klobeckens stecken geblieben, und in der Vorbereitungsphase dieses Urlaubs hatte sich er beim Schwimmen im Ablaufgitter des Bades mit seiner Hand verkantet. Bei der Bergung des Revolvers war also höchste Vorsicht geboten, um nicht wieder in die Bredouille zu kommen. Diesmal musste er einen todsicheren Plan entwickeln und der Ansatz war zunächst, ein geeignetes Bergeinstrument zu finden. Er durchstöberte seinen Arbeitsraum und inspizierte die dort befindlichen Gegenstände. Das dünne Plastiklineal schied sofort aus, es war viel zu lavede, um den Revolver aus dem Abfluss zu bewegen. Diverse Schreibgegenstände waren ebenfalls nicht geeignet und Bergmann ließ seine Blicke weiter kreisen. Der Brieföffner kam aufgrund seines stabilen Aussehens in die engere Wahl und der Minister begab sich wieder zum Toilettenbecken. Er stocherte dort etwas unentschlossen mit dem Öffner im Abfluss herum, aber der Revolver saß ziemlich fest und bewegte sich keinen Millimeter. Als Frieder Bergmann mehr Kraft in die hebelnde Bewegung setzte gab es einen kurzen Ruck, aber mehr passierte nicht. Langsam kam er in Brass und riss den Brieföffner hektisch hin und her was dazu führte, dass ihm dieser in einer schnellen Bewegung aus der Hand rutschte und jetzt ebenfalls im Abfluss versank. Fluchend erhob sich Bergmann und durchforstete erneut sein Büro. Warum hatte er bislang nicht daran gedacht? Der Regenschirm (der an der Garderobe hing) war das perfekte Werkzeug, um die Waffe heraus zu angeln, denn sein Griff war halbkreisförmig ausgeformt und konnte so unter den Revolver bugsiert werden. Dies gelang Bergmann im ersten Anlauf und er freute sich darauf, das Problem bald gelöst zu haben. Diesmal ging er vorsichtiger vor und zog anfangs ganz sacht, dann langsam kräftiger aber immer noch ohne jeglichen Fortschritt. Geduld redete er sich zu, in der Ruhe liegt die Kraft und so versuchte er es jetzt, den Regenschirm in unterschiedlichen Winkeln anzusetzen. Eine Position schien erfolgversprechend zu sein denn er glaubte eine Bewegung zu erspüren, aber bald wurde klar, dass er sich geirrt hatte. Zunehmend verlor Frieder Bergmann die Nerven und setzte den Regenschirm jetzt wie eine Brechstange ein. So ganz am Rande erinnerte er sich daran, in der Schule mal etwas von Kraftarm und Lastarm gehört zu haben, aber natürlich wusste er momentan nicht mehr, was das zu bedeuten hatte. Einen Augenblick später wurde ihm das Hebelgesetz in seiner praktischen Anwendung eindrucksvoll vor Augen geführt, denn da er viel zu viel Kraft eingesetzt hatte brach der Regenschirm ungefähr in der Mitte knirschend und mit einem Ruck durch. Bergmanns Halt war damit auch verloren gegangen, er taumelte zurück und prallte gegen die Türfassung, die ihm schmerzhaft in den Rücken stieß. Voller Erregung wollte er mit dem Rest des Regenschirmes auf den Spiegel einprügeln aber er bremste sich, denn dann hätte er auch noch Scherben auf dem Boden liegen und sein Problem war ja noch immer nicht gelöst. Mittlerweile befanden sich drei Gegenstände im Toilettenabfluss: der Revolver, der Brieföffner und ein Teil des Regenschirms, der sich so ungünstig verkeilt hatte, dass ihn Bergmann auch nicht mehr herausbekam. Er konnte keinen anderen zur Bereinigung der fatalen Situation heranziehen, man würde ihn kurzerhand für verrückt erklären oder noch schlimmer, ihm eventuell irgendwelche perversen Neigungen unterstellen, denn was machte ein normaler Mensch auf der Toilette schon mit solchen Gegenständen. Jetzt war er mit seinem Latein fast am Ende und suchte verbissen nach einem Ausweg aus dem Dilemma. Seine Nerven flatterten immer mehr und in Phasen hoher Erregung überfiel ihn oft einmal urplötzlich ein heftiger Stuhldrang (seine Hausärztin hatte ihm versichert, dass es sich um keine letale Krankheit handeln würde sondern nur eine psychosomatische Sache wäre), den er dann nicht auf die lange Bank schieben konnte sondern diesem sofort nachkommen musste. Zeit, sein Sheriffkostüm abzulegen, sich in den Anzug zu kleiden und draußen eine andere Toilette aufzusuchen blieb ihm nicht mehr (denn er musste mehr als dringend) und so hockte er sich verkrampft auf die Klobrille, wobei er nicht ganz sicher saß, denn hinter ihm ragte der abgebrochene Regenschirm ein Stück aus dem Abfluss hervor.

Als er fertig war erhob er sich und drückte gewohnheitsmäßig die Spültaste, ohne großartig darüber nachzudenken. Zwei Sekunden später sah er seinen Fehler ein, denn da der Abfluss durch die in ihm befindlichen Gegenstände nur noch wenig durchlassfähig war fand das Abwasser mit den darin schwimmenden Stoffwechselprodukten von Frieder Bergmann keinen anderen Weg, als im Toilettenbecken immer weiter hochzusteigen. Atemlos sah der Mann diesem Vorgang zu und betete darum, dass die Spülung ihr Werk bald einstellen würde. Er wurde furchtbar enttäuscht, denn die schmutzige Brühe ergoss sich jetzt in erheblichen Mengen über den Rand der Kloschüssel und schwappte auf den Boden des Raumes, so dass Frieder Bergman jetzt panisch aus diesem Raum floh und die Tür zuwarf. Erfahrungsgemäß wird heutzutage kein einziges Bauwerk so fertig gestellt, dass es mängelfrei wäre. Auch beim Verlegen der Fußbodenfliesen in der Toilette waren die Handwerker schlampig vorgegangen und so war ein Gefälle vom Toilettenbecken zur Tür entstanden, welchem die braune Brühe zwangsläufig folgte, um wenig später über den schwellenlosen Zugang zum Ruheraum in diesen einzuströmen. Frieder Bergmann hatte sich apathisch auf das Sofa sacken lassen und wusste nicht mehr weiter. Mit leerem Blick starrte er vor sich hin, bis sein Blick auf die Uhr fiel. Es war 5 Minuten vor 16 Uhr und für heute hatte er die Referatsleiterrunde angesetzt, die genau 16 Uhr beginnen sollte. Er musste also in mehr als knapper Zeit an seinem Schreibtisch sitzen und die Runde eröffnen. Im Ruheraum hatte sich mittlerweile ein übler Geruch breitgemacht der eine Mischung von Pulverdampf, Fäkalien und Schweiß darstellte, denn Bergmann war beim Hantieren mächtig in Hitze geraten. Er musste jetzt in höchstem Tempo folgende Dinge erledigen:

sich etwas zurecht machen, das hieß ein wenig Deo (welches auf dem Waschbecken in der Toilette stand) unter seine Achseln sprühen und sich das Gesicht abtrocknen

seine Kleiderordnung teilweise wieder herstellen und

sich entspannt geben.

Er riss Jacke und Cowboyhemd herunter, und um an das Deo und das Waschbecken zu gelangen, konnte er keinen anderen Weg als den durch die Brühe wählen, wobei einige der stinkenden Partikel an seinen Schuhen haften blieben. Er sprühte sich ein und fuhr mit dem Handtuch über sein Gesicht (dabei verschmierte er die Pulverspuren noch mehr), zog hektisch sein Anzughemd an, streifte das Jackett über und ließ sich noch immer schwer atmend in seinen Bürostuhl fallen. Zeit, die Lederhose und die Schuhe zu wechseln war ihm nicht mehr geblieben, und er war auch nicht auf den Gedanken gekommen, das Fenster im Ruheraum zu öffnen, um den Gestank nach außen ziehen zu lassen. Punkt 16 Uhr öffnete Frau Wenzel die Tür und die Referatsleiter strömten herein. Bergmann hatte sich etwas beruhigt und beschloss die Versammlung heute von seinem Platz aus zu leiten, und nicht wie üblich am Beratungstisch. Verwunderte Gesichter wandten sich ihm zu und Bergmann hörte auch, dass einige der Leute hörbar die Luft durch die Nase einzogen. Um sich wieder dem Problem widmen zu können fasste sich Frieder Bergmann sehr knapp, nach 15 Minuten war die Beratung vorbei.

„Sie können heute mal früher gehen“ informierte er seine Büroleiterin noch „ich hab‘ noch eine wichtige Vorlage für den Ministerpräsidenten fertigzustellen, da möchte ich vollkommen ungestört sein. Also, einen schönen Feierabend dann.“

Frau Wenzel nickte nur überrascht, dann schaltete sie ihren Computer aus und ging bald. Frieder Bergmann presste sein Ohr an die Tür als sie nach draußen ging und schloss diese dann sofort ab, als die Schritte seiner Büroleiterin verklungen waren.

Jetzt konnte er schalten und walten wie er wollte und insgeheim setzte er darauf, dass sich in den Schränken des Sekretariats noch irgendetwas Brauchbares finden lassen würde. Zunächst legte er sein Jackett und das Hemd ab, denn er ging davon aus, dass er wieder ins Schwitzen kommen würde. Zuallererst würde er die unangenehm riechende Brühe beseitigen müssen und dazu brauchte er Wischwerkzeuge und einen Eimer. Beides fand er in einem der Schränke und machte sich an die Beseitigung der entstandenen Schweinerei. Der Eimer füllte sich immer mehr und Bergmann musste ein Würgen unterdrücken, denn seine Stoffwechselprodukte verbreiteten einen nahezu unerträglichen Geruch. Trotzdem kam er ganz gut voran und versuchte durch den Mund zu atmen, um sich nicht diesem ekligen Gestank auszusetzen. Als der Eimer ziemlich voll war fiel Frieder Bergmann plötzlich ein, dass er dessen Inhalt ja nicht in das immer noch verstopfte Toilettenbecken entsorgen konnte. Verdammt, in seiner Aufregung hatte er daran überhaupt nicht gedacht. Aber es blieb ihm ja noch das Waschbecken. Dem stinkenden Eimer weit von sich weg haltend begab er sich dorthin und kippte einen Teil der Brühe hinein um gleich darauf entsetzt festzustellen, dass nun auch noch dessen Abfluss aufgrund der stückigen Stoffwechselprodukte im Nu verstopfte. Er war nahe dran loszuheulen und überdachte seine verbleibenden Möglichkeiten. Sein Büro zu verlassen und mit dem Eimer in der Hand eine an dem Gang liegende Toilette aufzusuchen um den Eimer dort zu entleeren schied aus, was wäre, wenn ihm jemand auf dem Flur begegnen würde und in den Eimer schaute? Er musste die Brühe loswerden! Zu keiner rationalen Handlung mehr fähig ging Bergmann zum Fenster des Ruheraumes und sah hinaus. Sein Büro lag im 5. Stock des blendend weißen Gebäudes (es hatte vor 4 Wochen einen neuen Anstrich erhalten) und er blickte auf die unter ihm liegende Fläche. Ihm war mittlerweile alles egal und er beschloss, den Inhalt des Eimers aus dem Fenster heraus auszuschütten. Dabei musste er ein Stück nach links zielen, um nicht den Eingangsbereich des Ministeriums zu treffen. Los jetzt spornte er sich an, hob den Eimer an, packte ihn mit beiden Händen und beförderte dessen Inhalt mit einer kräftigen Bewegung auf eine Luftreise. Dann machte er sich wieder an das Aufwischen und nach gut 10 Minuten war alles trocken. Auch diesen Eimer leerte er wieder so aus wie die erste Ladung. Er sackte auf dem Sofa zusammen, rauchte zur Nervenentspannung eine Zigarette und versuchte einen Plan zu schmieden. Noch steckten der Revolver, der Brieföffner und der Regenschirm im Toilettenbecken. Das krieg‘ ich schon hin redete er sich Mut zu, erhob sich und graste nochmals die Schränke im Sekretariat ab. Zu seiner Verblüffung fand er in einer Schreibtischschublade eine größere Zange und dann ging alles sehr schnell. Mit dem Werkzeug zog er zuerst den Rest des Regenschirmes aus dem Abfluss heraus, dann konnte er den Revolver packen und zu guter Letzt gelang ihm auch die Bergung des Brieföffners. Da sich der Stau im Waschbecken mittlerweile auch aufgelöst hatte spülte Bergmann diese Gegenstände dort gründlich ab und drapierte sie zum Trocknen auf dem kleinen Badschrank. Langsam gewann Bergmann seine Fassung wieder, wusch sich gründlich die Hände und zog sich dann komplett um. Mieft noch ein bisschen hier dachte er sich aber er ging davon aus, dass der Geruch bis zum nächsten Tag verflogen wäre, denn glücklicherweise war im Ruheraum kein Teppichboden verlegt worden sondern hochwertiges Parkett. Ich rauch‘ noch eine am Fenster und dann geht es nach Hause, für heute reicht es mir aber war sein Gedanke.

Er inhalierte genüsslich und schaute über die Stadt, als er die Asche von der Zigarette schnipste fielen ein paar Krümel auf das Fensterbrett und er pustete sie weg. Da sein Blick jetzt dadurch nach unten gerichtet war sah er, dass auf dem Fensterbrett des links unter ihm liegenden Zimmers (es musste das von Dr. pol. Weiland sein) einige Gegenstände lagen, die eine schwarzbraune Farbe aufwiesen. Frieder Bergmann fiel vor Entsetzen die Zigarette aus dem Mund und diese segelte abwärts. Er beugte sich weiter aus dem Fenster heraus und konnte nun so auch ganz deutlich erkennen, dass sich beginnend ab seinem Fenster ein nasser und schmutziger Streifen über die ansonsten makellose Fassade hinzog. Er musste einen Reflex, sofort aus dem Fenster zu springen, unterdrücken, denn wer vor dem Gebäude stand musste unweigerlich sehen, dass sich dieser Streifen wie ein Fingerzeig von Bergmanns Büro aus bis zum Boden erstreckte und damit klar wurde, wer für diese Sauerei zuständig gewesen war. Ich bin erledigt sagte er sich, wenn das die BilderZeitung spitz kriegt machen die mich fertig. Unfähig, noch klare Gedanken fassen zu können, verließ Frieder Bergmann mit bleiernen Beinen sein Büro und fuhr wie in Trance nach Hause. Petra hatte Nachtdienst, er wäre also allein zu Haus und das war heute auch gut so. Bergmann trank in schneller Folge einige Biere und drei, vier Jagertee, dann entschlummerte er, aber wurde in der Nacht mehrere Male munter, weil ein heftiges Gewitter tobte. Am nächsten Morgen erwachte er mit einem üblen Brummschädel und einem flauen Gefühl im Magen. Petra schlief noch und er schlich ins Bad, wo er als erste Handlung eine Kopfschmerztablette einwarf. Ich werde mich dieser Sache wie ein Mann stellen nahm er sich vor, schließlich geht es nicht wie bei den Cowboys um Leben oder Tod sondern nur um meinen Ruf.

Als er sich dem Ministerium näherte und die Gebäudeseite, an der sein Büro lag, in den Blick bekam stellte er verblüfft fest, dass der Streifen durch die Wirkung des Unwetters spurlos verschwunden war. Frieder Bergmann bekam sofort wieder Oberwasser und betrat nunmehr gut gelaunt sein Büro. Frau Wenzel begrüßte ihn heute auf eine Art, die er bei ihr noch nicht bemerkt hatte. Irgendwie war sie verstört und schaute ihn mit einem traurigen Blick an.

„Was ist denn los“ fragte Frieder Bergmann „ich erkenne Sie doch gar nicht wieder. Was bedrückt Sie denn?“

„Kann ich mit Ihnen reden?“

„Natürlich, gehen wir in mein Büro.“

„Also, Herr Minister“ druckste die Büroleiterin herum „ich weiß, dass es für einen Macher wie Sie sehr schwer ist, sich hier wohlzufühlen. Nein, bitte lassen Sie mich ausreden. Ich merke doch ganz genau, dass Ihnen diese lahmen Bürokraten auf die Nerven gehen weil sich nichts bewegt. Das habe ich gestern ganz deutlich wahrgenommen, als Sie die Referatsleiterrunde so schnell abgewürgt haben. Aber Sie sollen wissen, dass es ganz viele Mitarbeiter gibt, die hinter Ihrem neuen Kurs stehen, ich selbstverständlich auch. Bitte machen Sie weiter so und verzweifeln Sie nicht. Es gibt keinen Grund, unüberlegte Dinge zu tun. Denken Sie bitte auch unbedingt an Ihre Familie!“

„Was zum Teufel meinen Sie damit“ fragte Bergmann erstaunt.

„Nun, es fällt mir schwer darüber zu reden, aber die Reinemachfrau hat in Ihrem Ruhebereich einige Gegenstände gefunden, mit denen man sich, nun .., ähm, ..äh..“

„Was denn?“

„Nun, ähm, …. das Leben nehmen kann. Es wurden ein Revolver, ein Brieföffner, mit dem man sich die Pulsadern aufschlitzen kann und ein extrem spitzer Holzstab – der für Harakiri geeignet wäre –gefunden.“

An die zum Trocknen auf dem Badschrank ausgebreiteten Sachen hatte Bergmann gar nicht mehr gedacht und suchte krampfhaft nach einer Erklärung.

„Ihre Sorge berührt mich sehr, liebe Frau Wenzel“ fing er mit getragener Stimme an „und Sie haben Recht. Ich stehe gegenwärtig vor meiner größten beruflichen Herausforderung, nämlich diesen müden Laden hier auf Vordermann zu bringen. Da kann man in einem schwachen Moment schon einmal den Mut verlieren aber Sie haben mich wieder aufgerichtet. Sehen Sie“ schwadronierte er jetzt weiter „in meiner Familie gibt es eine genetische Disposition für Depressionen und Sie können sich sicher vorstellen wie verdammt schwer es ist, mit dieser Bürde auf den Schultern noch so eine verantwortungsvolle Aufgabe wie die meine zu meistern. Aber ich musste mich schon immer durchbeißen und werde es auch diesmal tun, auch wenn es manchmal nahezu unmenschlicher Kräfte dazu bedarf. Ich danke Ihnen, mit solchen Mitarbeitern wie Ihnen an der Seite wird uns gemeinsam Großartiges gelingen. Und die Sachen werde ich verschwinden lassen. Vertrauen Sie mir, ich werde nie wieder schwach werden. Das bin ich auch meiner Familie schuldig, denn die Kette der Selbstmorde in unserer Sippe soll durch mich nicht fortgesetzt werden.“

Frau Wenzel atmete erleichtert aus, der Minister hatte sich wieder gefangen und sie wollte seinen neu gewonnenen Tatendrang noch mit einer Information anfeuern.

„Sie sollten übrigens noch wissen, dass Herr Dr. Weiland sich zum Fürsprecher der Opposition hier im Haus gemacht hat und Ihnen eine unsoziale Mitarbeiterführung vorwirft. Man müsste ihn deswegen zur Rede stellen, da er das Klima in unserem Haus so empfindlich vergiftet.“

„Und genau das werde ich jetzt gleich tun“ brauste Bergmann auf „rufen Sie einen der Personalräte zu mir, denn ich möchte diesem sauberen Weiland nicht ohne einen Zeugen entgegen treten.“

Personalrat Richter war innerhalb von 5 Minuten zur Stelle und Frieder Bergmann schilderte ihm kurz die Situation, dann gingen sie zusammen zum Büro des Referatsleiters Revision. Dieser schmökerte gerade in einem Buch und legte es verärgert zur Seite, als Bergmann und der Personalrat eintraten.

„Was kann ich für Sie tun“ fragte er lustlos.

„Können Sie mir erklären was Sie dazu treibt, hier im Haus Gerüchte zu verbreiten, ich würde unsozial mit Ihnen umgehen“ blaffte ihn Frieder Bergmann an.

„Das entspricht leider der Wahrheit“ erwiderte Weiland süffisant.

Einen Stuhl hatte er seinen Besuchern nicht angeboten und Personalrat Richter lehnte sich haltsuchend am Fenstersims an, Bergmann stand neben ihm. Es entspann sich ein längeres Wortgeplänkel zwischen Weiland und Bergmann (in dem niemand die Überhand gewann) und Personalrat Richter verlor bald das Interesse an der Auseinandersetzung und schaute aus dem Fenster heraus, um im gleichen Augenblick zusammen zu zucken. Er stieß den erregten Frieder Bergmann an und dieser drehte sich auch in diese Richtung. Auf dem Fensterbrett lagen immer noch die sich in einem festen Aggregatzustand befindlichen Stoffwechselprodukte Bergmanns. Der nächtliche heftige Regen hatte zwar die Fassade abgewaschen aber nicht genug Kraft gehabt, diese Teile vom Fensterbrett hinunterzuspülen.

Frieder Bergmann kam einen Augenblick von der Rolle, denn die Erinnerung an den desaströsen Vortag spiegelte ihm sofort wieder die Bilder vor, als er den Eimer entleerte. Dann hatte er sich wieder im Griff und fuhr den gelangweilt dasitzenden Dr. pol. Weiland wie eine Furie an.

„Können Sie mir das hier erklären“ presste er heraus.

„Was bitte sehr“ erwiderte Weiland lässig.

„Kommen Sie her und erklären Sie mir diesen unglaublichen Vorfall“ erwiderte Bergmann erregt.

Weiland erhob sich gemächlich, trat an das Fenster heran und schaute nach draußen, um sofort zu erbleichen.

„Das ist mir unerklärlich“ stammelte er hilflos.

„Mir ist das nicht nur unerklärlich, ich bin geradezu entsetzt“ schaltete sich jetzt Personalrat Richter mit lauter Stimme ein „so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Mir fehlen einfach die Worte dafür um meine Empfindungen richtig ausdrücken zu können, aber eins steht fest: es handelt sich um einen Vorfall, da hat der Minister vollkommen recht, der unvorstellbar ist, zumindest für einen normalen Menschen. Welcher Teufel hat Sie bloß geritten, so etwas zu tun?“

„Es ist mir unerklärlich, wie die .. äh … die .. dorthin gelangt ist“ stotterte Weiland kläglich.

„Guter Mann“ sprach ihn Frieder Bergmann an „wir reden hier nicht über einen schlechten Scherz sondern über eine Tatsache, die ich die Nähe einer Perversion rücken würde. Ich bin schockiert und fassungslos! Allein die Vorstellung, wie Sie …“

„Ich war es nicht“ begehrte Weiland auf „warum sollte ich denn so etwas Ekliges tun?“

„Nun, dafür gibt es sicher viele Gründe dafür, aber diese dürften mit erheblichen psychischen Problemen zu tun haben. Es gibt ja Leute, für die es höchster Genuss ist, mit der … ähm ... bestimmte Dinge anzustellen. Es schüttelt mich wenn ich Sie mir bei solchen Dingen vorstelle! Was sagen Sie dazu Herr Richter“ sagte Frieder Bergmann.

„Herr Minister, ich muss sagen dass ich zutiefst schockiert bin, heute solche menschliche Abgründe kennen zu lernen. Wer weiß, was Herr Dr. Weiland in all den Jahren hier unbeobachtet noch so getrieben hat. Man sollte sein Büro einmal genauer unter die Lupe nehmen, ich bin sehr gespannt, was hier noch alles zu Tage kommt. Wirklich sehr gespannt!“

Dr. pol. Weiland sackte in sich zusammen. In den vergangenen Jahren hatte er ausreichend Zeit und Muße gehabt (da er ja nur eine halbe Stunde im Monat Sprechzeit hatte) sich einem ganz speziellen Hobby zu widmen: er sammelte Bilder abnorm gestalteter Menschen. Da er ja keinen Computer nutzte studierte er die Angebote einschlägiger Tauschbörsen ausschließlich über bestimmte Zeitungen und hinterließ somit auch keine verräterischen Spuren. Im Verlauf der Jahre war so eine beachtliche Sammlung zusammengekommen und Weiland fragte sich manchmal selbst, was ihn an diesen Bildern so faszinierte. Jedenfalls betrachtete er die missgestalteten Menschen mit einer Mischung von Ekel und Erregung und dies tat er natürlich vorzugsweise auf Arbeit, wo er ja Zeit zu Hauf hatte. Bei manchen Darstellungen musste er sich zwingen hinzusehen, so gewaltig und abstoßend waren die Abnormitäten, aber wenn er sich dazu durchgerungen hatte war es wie ein Rausch für ihn, er war stark! Dass mit ihm etwas nicht stimmte verdrängte er erfolgreich und die anfängliche Sammelleidenschaft wandelte sich immer mehr zu einer Obsession. Da er in all den Jahren arbeitsmäßig überhaupt nicht belästigt worden war hatte er auch keinerlei Aufwand getrieben, seine Mappe mit der Bildersammlung irgendwo aufwändig zu verstecken, sie lag immer griffbereit in der obersten Schublade seines Schreibtischs.

„Da“ sagte er und warf die Mappe auf den Tisch.

Bergmann und Richter sahen sich an, dann nahm Frieder Bergmann die Mappe in die Hand und schlug sie auf. Was er erblickte trieb ihm augenblicklich Schweißperlen auf die Stirn und beschleunigte seinen Herzschlag enorm. Er starrte auf das Gesicht eines Mannes, der wohl durch einen Unfall schrecklich verunstaltet worden war und dem noch extra zu der schon verstörend genug wirkenden Fratze Wucherungen auf dem Kopf saßen. Bergmann schluckte und unterdrückte einen Brechreiz, Richter schaute ihm über die Schulter und begann zu zittern. Die beiden Männer schauten Dr. pol. Weiland an, der bleich in seinem Stuhl hockte.

„Ich muss mich zusammenreißen, um Ihnen nicht gleich hier an die Gurgel zu gehen“ presste Bergmann heraus „Sie delektieren sich also während ihrer Dienstzeit an diesen widerwärtigen Bildern und dann schmieren Sie auch noch .. nun, ja, dieses Zeug da draußen auf das Fensterbrett. Was für Spiele Sie zu Hause treiben ist mir eigentlich egal, aber hier sind bestimmte Normen einzuhalten, und gegen diese haben Sie eindeutig verstoßen. Sie sind in dieser Funktion nicht mehr tragbar, was meinen Sie, Herr Richter?“

„Also ich kann es immer noch nicht fassen“ stotterte Richter „ich schlage vor, dass sich dieser feine Herr hier morgen vor den Betriebsräten und einigen ausgewählten Mitarbeitern erklären wird. Außerdem sollte der Amtsarzt anwesend sein.“

„Sehr gut, Sie“ sagte Frieder Bergmann scharf und nahm Dr. pol. Weiland in den Blick „finden sich morgen 10 Uhr im großen Beratungsraum ein und dann werden wir Sie in die Mangel nehmen, um das alles aufzuklären. Und vorher beseitigen Sie diese Schweinerei hier noch. Verstanden“ herrschte er Weiland noch an, dann verließ er zusammen mit Personalrat Richter den Raum.

Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ... Band 4

Подняться наверх