Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ... Band 4 - Jörn Kolder - Страница 7

Das Tribunal

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„Bitte sagen Sie uns, dass das alles nicht wahr ist“ sagte Personalrat Baumann mit zitternder Stimme zu Frieder Bergmann „was Sie uns berichtet haben ist in seinem ganzen Ausmaß nicht zu ertragen. Unser Kollege Richter hatte uns bereits kurz einiges angedeutet, aber die ganze Sache ist ja viel monströser als wir jemals angenommen hatten. Wie haben Sie diese Situation denn überhaupt aushalten können?“

„Wissen Sie“ antwortete Frieder Bergmann „ich verstehe sehr gut, dass Personalrat Richter gestern zusammengebrochen ist, es war zu schlimm. Ja, es hat sich alles so zugetragen und ich möchte Herrn Richter heute schonen, nur wenn Sie an meinem Bericht etwas zu korrigieren haben schalten Sie sich bitte ein, einverstanden Kollege Richter?“

Dieser nickte nur schwach.

„Ihre Rücksichtnahme ist sehr beeindruckend Herr Minister“ meldete sich Frau Krüger, eine gut aussehende Frau aus dem Referat Öffentlichkeitsarbeit, zu Wort.

„Jetzt zu Ihnen“ wandte sich Personalrat Haufe an Dr. pol. Weiland „mir fällt es außerordentlich schwer das alles zu verstehen, wie Sie zu solchen Handlungen fähig gewesen sind. Es liegt ja völlig außerhalb des Vorstellbaren sich diese Situation vor Augen zu rufen, als Sie die …, ähm, ich schlage vor, dass wir die, die, ähm … in der Folge als „Masse“ bezeichnen, also als Sie die Masse auf dem Fensterbrett drapierten, wenn ich das mal so sagen darf. Was hat Sie dazu veranlasst?“

„Ich war es nicht“ sagte Dr. pol. Weiland mit schwacher Stimme „ich schwöre, dass ich die …. Masse nicht auf das Fensterbrett gelegt habe.“

„Das können Sie ihrer Großmutter erzählen“ erregte sich Frieder Bergmann „wer sonst sollte es gewesen sein?“

„Ich bitte zu bedenken, dass die .. Masse durchaus von einer höheren Etage aus auf das Fensterbrett meines Zimmers befördert worden sein könnte“ gab Weiland zurück „das sollte erst einmal untersucht werden. Es erscheint mir sehr logisch, dass irgendjemand aus der über meinem Zimmer liegenden Ebene dafür verantwortlich sein könnte.“

Frieder Bergmann bekam schlagartig kalte Füße und es blieb einen Moment totenstill.

„Wollen Sie damit etwa sagen, dass die .. Masse aus den Diensträumen des Ministers oder seines Sekretariats stammen soll“ fuhr Personalrat Richter Dr. pol. Weiland lautstark an „das ist ja eine ungeheuerliche Anschuldigung! Wissen Sie überhaupt, was Sie gerade behauptet haben? Ich bin fassungslos! Nur um Ihre Haut zu retten maßen Sie sich an, so einen Verdacht zu äußern. Sind Sie denn noch bei Trost?“

„Auch meine Empörung ist grenzenlos“ pflichtete Personalrat Haufe zu „bei mir setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass Sie nicht nur gern perverse Dinge treiben, sondern dass auch Ihr Denken von Perversität durchsetzt ist. Den Minister oder seine Büroleiterin oder die Sekretärin hier ins Spiel zu bringen beweist eindeutig, dass Ihnen einige Schrauben fehlen. Was sagen Sie denn dazu, Herr Amtsarzt Dr. Beyer?“

„Nun, man hat mir die Mappe mit der „Sammlung“ von Herrn Dr. Weiland zur Verfügung gestellt und ich muss schon sagen, dass hier von einer psychotischen Störung auszugehen ist. Was ich allerdings ausschließen kann ist das Vorhandensein eines „Fäkalkomplexes“, ähm, das möchte ich hier nicht näher erläutern, aber wer von Ihnen „Feuchtgebiete“ gelesen oder im Kino gesehen hat kann sich sicher etwas darunter vorstellen. Aus meiner Sicht ist Herr Dr. Weiland nicht in der Lage, mit der .. ähm Masse zu hantieren, da er nur seine gestörte Phantasie anregen will und nicht ….

Weiter kam er nicht, denn jetzt ergriff Frieder Bergmann hektisch die Flucht nach vorn.

„Herr Dr. Beyer, ich muss schon bemerken, dass mich Ihre Ausführungen sehr verwundern“ sagte er scheinbar ruhig aber suchte krampfhaft einen Weg, wie er sich noch aus der Affäre ziehen konnte.

„Ich schätze Sie als Amtsarzt außerordentlich, aber bei der Schwere des Vergehens ist doch wohl ein psychiatrisches Gutachten durch einen Fachmann erforderlich, um den Fall lückenlos aufklären zu können. Wie sagt man so schön: lieber eine zweite Meinung eines anderen Arztes einholen wenn man im Zweifel ist. Und so werden wir es auch praktizieren und die Sache bis dahin auf Eis legen. Ich kümmere mich persönlich um den Gutachter und werde alle erforderlichen Dinge selbst in die Wege leiten, das bin ich dem Betriebsfrieden unseres Hauses schuldig. Glauben Sie mir, ich platze fast vor Erregung und Wut ob dieser kaum fassbaren Anschuldigungen aber ich bin auch kein Unmensch. Sollte Herr Weiland noch einmal in Ruhe überlegen und seine Behauptungen zurück nehmen, will ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, ihm eine Abmahnung aussprechen und die ganze Sache nicht an die große Glocke hängen.“

Bergmann hatte jetzt seine Strategie gefunden und baute diese jetzt Schritt für Schritt aus.

„Gehen Sie mal raus und warten vor der Tür bis wir Sie wieder hereinrufen“ blaffte er den verdutzten Weiland an, als dieser verschwunden war fuhr er fort.

„Sie werden sich jetzt sicher fragen, warum ich trotz der tief sitzenden persönlichen Verletzung so nachgiebig sein will. Es gibt mehrere Gründe dafür. Stellen Sie sich bitte vor, es sickert etwas von dieser Sache nach außen. Ich sehe schon die Schlagzeilen der BilderZeitung vor mir: “Leitender Angestellter im Ministerium spielt mit eigener …“ oder „Werden wir denn von Perversen regiert?“. Wollen Sie so eine Presse haben? Nein, natürlich nicht. Wir müssen diese Angelegenheit unter der Decke halten, unter den Teppich kehren und wenn ich es mir recht überlege, sollten wir den ganzen Vorfall unverzüglich zu den Akten nehmen, bildlich gesprochen natürlich. Niemand darf davon Wind bekommen. Und Weiland werde ich auch keine Abmahnung erteilen, wer weiß, was dann in diesem kranken Gehirn noch so passiert. Ich denke, dass der Mann ohnehin genug mit seiner perversen Ader gestraft ist, und warum soll ich ihn jetzt noch endgültig fertig machen? Auf einen schon am Boden liegenden Mann noch einprügeln? Ich halte es da mit dem Christentum, obwohl ich selbst nicht gläubig bin. Man muss auch verzeihen können, einem anderen einen Fehler nachsehen. Das ist für mich gelebte Menschenführung“ redete sich Frieder Bergmann jetzt in Rage „ja, es brodelt in mir wie in einem Vulkankegel der kurz vor dem Ausbruch steht und am liebsten würde ich handgreiflich werden, aber ich werde meine persönliche Betroffenheit in Interesse unseres Hauses und aller seiner Mitarbeiter ganz weit hinten an stellen. Ich sehe mich als Diener an unserem Volk und will und muss meine Mitarbeiter vor Anfeindungen schützen, deswegen spielen meine eigenen Befindlichkeiten in diesem Fall keine Rolle. Es kann nicht angehen, dass wir durch das fehlerhafte Handeln eines Einzelnen alle, ja alle, auch Sie, liebe Frau Krüger, in Verruf kommen. Das Wohlergehen meiner Mitarbeiter liegt mir sehr am Herzen und wenn es Ihnen, verehrte Anwesende, gut geht, Sie Ihre Arbeit gern verrichten, wir gemeinsam nach vorn blicken, dann, ja nur dann, bin ich glücklich!“

Es blieb eine ganze Weile still und Bergmann musste aufgrund seiner eigenen Ergriffenheit eine Träne unterdrücken. Unterdrücktes Schluchzen war zu hören, Frau Krüger weinte leise vor sich hin und auch Personalrat Richter wischte sich verlegen mit dem Taschentuch über die Augen. Dann sagte Frau Krüger mit zitternder Stimme:

„Lieber Herr Minister Bergmann, diesen Tag werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Ich kann nur schwer zum Ausdruck bringen, wie mich Ihre Ausführungen bewegt haben. Noch jetzt habe ich Gänsehaut und diese wird auch nicht so schnell vergehen. Sie sind ein hervorragender Fachmann aber auf der anderen Seite auch so einfühlsam, solch einem Mann begegnet man nur selten. Mir fehlen im Moment einfach die Worte um noch etwas sagen zu können.“

„Ich kann mich Frau Krüger nur anschließen“ fuhr Personalrat Richter gerührt fort „es hat nicht viel gefehlt und ich wäre in Tränen ausgebrochen. Nein, ich hätte mich dafür nicht geschämt, denn Ihre Rede war einerseits so emotional und zeugte zutiefst von Ihrer menschlichen Art, aber auch aufgrund des von Ihnen vorgeschlagenen Weges, wie mit diesem unappetitlichen Vorfall umzugehen ist mir jetzt erst aufgegangen, wie durchdacht Sie eigentlich an die Problemlösung herangegangen sind. Ich bin zutiefst von Ihrer brillanten Art, Steine aus dem Weg zu räumen, zutiefst beeindruckt. Wie Sie sich selbst zurücknehmen und diesem Schw…, ähm, diesen fehlgeleiteten Mitarbeiter auch noch die Hand reichen sucht seinesgleichen. Ich stimme allem zu, was Sie vorgeschlagen haben.“

Alle anderen nickten als Bergmann in die Runde blickte und jetzt war es für ihn an der Zeit, den Höhepunkt der Vorstellung zu zelebrieren. Dr. pol. Weiland nahm mit kreidebleichem Gesicht auf seinem Stuhl Platz.

„Wir haben uns ausgiebig beraten und ich will Sie zuerst fragen, ob Sie bei Ihren unerhörten Anschuldigungen bleiben“ fragte Frieder Bergmann den schlotternden Mann.

„Ich habe mich zweifellos geirrt“ stotterte Weiland hilflos „meine Behauptung war falsch, grundfalsch. Ich entschuldige mich vielmals.“

„Na bitte“ freute sich Bergmann „warum nicht gleich so. Wir sind geschlossen der Auffassung, dass Ihr Handeln unbedingt Verurteilens wert ist aber wir wollen Ihnen noch eine letzte Chance geben. Hören Sie jetzt genau zu, was ich Ihnen auftrage. Sie werden ab sofort mit Ihren Leuten eine Revisionsarbeit leisten, die diesen Namen wirklich verdient. Ich erwarte von Ihnen binnen einer Woche eine genaue Analyse des Durchlaufs der Vorgänge hier im Haus (denn Bergmann benötigte dieses Material ja bekannter weise für seine Doktorarbeit) und zwar in einer solchen Art und Weise, dass man diese Erhebungen elektronisch bearbeiten kann. Wenn Sie Ihre Sache gut machen will ich diesen Vorfall ein für alle Mal vergessen und auch alle anderen werden darüber Stillschweigen bewahren.“

Bergmann legte eine Kunstpause ein, denn er wollte jetzt auf eine Szene aus dem Film „Das Boot“ zurückgreifen. Der Obermaschinist in dem U-Boot hatte während eines Wasserbombenangriffs durch einen britischen Zerstörer total die Nerven verloren, seine Gefechtsstation verlassen und sich in die Zentrale begeben, weil dort der Ausstieg über das Turmluk möglich wäre. Der Kaleun brüllte den Mann an, aber dessen Angst war zu groß, um wieder in den Dieselraum zu gehen. Mit einem Ruck war der Kaleun auf den Beinen, stürmte in seine Kammer und holte die einzige an Bord befindliche Pistole, um den Mann umzulegen. Andere Leute in der Zentrale hatten den Obermaschinisten aber inzwischen nach hinten in Richtung Dieselmotorenraum gedrängt und versperrten dem Kaleun mit ihren Körpern den Weg. Jedenfalls stank der Kaleun aufgrund dieses Vorfalls mächtig auf den Obermaschinisten ab, aber als das Boot später in eine fast aussichtslose Situation geriet ackerte dieser bis zum Umfallen, um den kaputten und auf dem Meeresgrund liegenden Schlitten wieder an die Oberfläche zu bringen. Als der vollkommen erledigte und total durchnässte Mann dem Kaleun Meldung erstattete, dass die Diesel wieder einsatzbereit wären und die Lecks abgedichtet seien hatte der Kommandant ihn angelächelt und gesagt: „Aber jetzt erst mal raus aus den nassen Klamotten“. Der Mann grinste schief zurück, versuchte eine zackige Kehrtwende zum Dieselraum und flog dabei fast hin.

Frieder Bergmann lächelte Dr. pol. Weiland an und sagte:

„Aber jetzt erst mal Schluss damit. Ziehen Sie Ihre Lehren aus dem Vorfall und schlafen Sie eine Nacht darüber. Von einer Abmahnung sehe ich heute noch ab, aber ich ermahne Sie jetzt mündlich. Eigentlich müsste ich Sie sofort vom Dienst suspendieren lassen aber Sie können all das Vorgefallene mit besten Arbeitsergebnissen vergessen machen. Sie können jetzt gehen.“

Dr. pol. Weiland grinste schief zurück, erhob sich und wäre bald gestürzt, als er auf schwachen Beinen den Raum verließ.

„Herr Minister, Ihre Großzügigkeit ist nicht zu übertreffen“ meinte Personalrat Haufe „ich bin stolz, so einen Vorgesetzten zu haben, der vorbildhaft das Große und Ganze sieht und sich nicht in den Vordergrund spielt. Ich darf Ihnen im Namen der Belegschaft versichern, dass wir uns jetzt noch mehr in die Seile legen werden, um weiter voran zu kommen. Verlassen Sie sich darauf!“

„Ich danke Ihnen“ antwortete Frieder Bergmann bescheiden „ja, es ist schwer, die Balance zwischen der erforderlichen Härte zur Bewältigung der Aufgaben und dem Verständnis für die Fähigkeiten und Befindlichkeiten der Mitarbeiter zu finden.“

Irgendwie hatte aber einer der Teilnehmer an der Veranstaltung dann doch nicht richtig dicht gehalten und Personalrat Richter wurde fortlaufend von den Mitarbeitern gelöchert, doch etwas zu erzählen. Er wandte sich hilflos an Bergmann und dieser gestattete ihm, um mit den Gerüchten aufzuräumen, wenigstens ein paar Andeutungen zu geben. Der immer noch unter Schock stehende Personalrat Richter stellte Frieder Bergmanns Auftreten in dieser extrem angespannten Situation (als sie Dr. pol. Weiland auf die Schliche gekommen waren) als enorm beherrscht, ja geradezu kaltblütig dar, blieb dabei allerdings im Vagen was denn nun tatsächlich passiert war, und erwähnte aber auch, dass der Minister ihm selbst, weil er durch das Gesehene und Erlebte vollkommen fertig gewesen wäre, sofort psychologischen Beistand geleistet hätte und dabei sehr einfühlsam vorgegangen wäre. Im Ergebnis dieser Aktion wurde Frieder Bergmann von seinen Mitarbeitern jetzt nicht nur als fähiger Verwaltungsexperte angesehen, sondern auch als Mensch mit Gefühlen, der aber eben auf der anderen Seite zusätzlich noch als harter Hund galt und durchgriff, wenn es erforderlich war. Von diesem Tag an begründete Bergmann seinen Nimbus als kommender Star im Verwaltungsapparat des Landes und für seine Mitarbeiter war es nur eine Frage der Zeit, bis er ganz an die Spitze aufrücken würde.

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