Читать книгу Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ... Band 4 - Jörn Kolder - Страница 5
Vorbereitungen
ОглавлениеDa der Ministerpräsident nach dem unrühmlichen letalen Abgang von Bergmanns Vorgänger Krauswetter und dessen persönlicher Referentin in Bezug auf die Neubesetzung des Ministerpostens für Arbeit und Soziales sehr unter Druck gestanden hatte war es für Bergmann ein Leichtes gewesen, bestimmte Bedingungen zu diktieren. Neben der Vergütung von 25.000 Euro im Monat, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, 40 Tagen Urlaubsanspruch, üppigen Pensionszusagen, monatlichem Kleidergeld in Höhe von 300 Euro und anderen Annehmlichkeiten war es Frieder Bergmann sehr wichtig gewesen, seine Dienstzeiten zu optimieren. Darunter verstand er vor allem, seine Anwesenheit im Ministerium möglichst knapp zu halten, und „von zu Hause aus“ zu arbeiten, weil so seine Kreativität besser zur Geltung kommen würde, denn in ungestörter Atmosphäre wäre er besonders produktiv. Dies wurde ihm zwei Wochen nach seiner Vereidigung als Minister zugesagt und damit einher ging die Einrichtung eines Arbeitszimmers in seiner Eigentumswohnung, natürlich auf Kosten der Behörde, also des Steuerzahlers. Frieder Bergmann konnte mit einem Betrag von 10.000 Euro frei und ohne Nachweis disponieren und ließ sich bei der Einrichtung des Zimmers nicht lumpen. Edle Büromöbel kombinierte er mit modernster Rechen- und Drucktechnik, und da dafür kaum ein Drittel des Geldes draufging, erwarb er noch zwei Bilder aus der Leipziger Schule in der Hoffnung, dass sich deren Wert über die Zeit hin erheblich erhöhen würde. Der eigentliche Grund für die Einrichtung Bergmanns Homeoffice war aber ein ganz anderer gewesen und hatte mit seinem Job als Minister nur bedingt zu tun. Schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt musste er erkennen, dass er jetzt in Gefilde der Bürokratie vorgestoßen war, wo unter anderem akademische Titel eine große Rolle spielten und er mit seinem Diplom-Verwaltungswirt kaum protzen konnte. Keineswegs konnte man einen direkten Zusammenhang zwischen einem höherwertigen Titel als seinem und der Güte der fachlichen Kompetenz des entsprechenden Titelträgers herstellen, dies wurde Bergmann schon nach den ersten Gesprächen mit den Leitern bestimmter Bereiche schmerzhaft bewusst. Manche der schon älteren Beamten hatten schon vor Jahrzehnten über irgendwelche Themen promoviert, die weder damals noch heute kein Schwein interessierten. Allein durch ihre lange Verweildauer im Ministerium waren die Angestellten aber über die Jahre immer höher aufgestiegen und wer sich an bestimmte Regeln hielt, nicht negativ auffiel und dem Mechanismus der Bürokratie streng folgte, konnte eigentlich nichts falsch machen. Ob so brauchbare Ergebnisse entstanden oder nicht war nicht so sehr ausschlaggebend, entscheidend war die scheinbare Beschäftigung. So richtig wohl hatte sich Bergmann nicht gefühlt, als er einen schon leicht degenerierten Referatsleiter, der von der Materie, die in seinem Verantwortungsbereich zu bearbeiten war, augenscheinlich keine Ahnung hatte, zusätzlich noch als Doktor ansprechen musste. Diese Begegnung war eine Art Schlüsselerlebnis für ihn gewesen und so kam er auf die Sache mit dem Homeoffice, denn für ihn war die Richtung jetzt klar: er musste eine Dissertationsarbeit abliefern. Damit ergab sich die Frage nach dem Thema und dem Betreuer. Frieder Bergmann war nach den Enthüllungen auf Wikiplag sicher, dass er als Funktionsträger besonders unter die Lupe genommen werden würde und es sich keinesfalls leisten konnte, bei dieser Arbeit zu schludern. Wie er das aber neben seinem Amt als Minister alles unter einen Hut bekommen war ihm vollkommen unklar, und so besprach er die Sache mit seiner Frau Petra.
„Wo ist das Problem“ sagte sie „du bist jetzt seit mehr als 20 Jahren Behördenangestellter und kennst somit alle Schwachstellen in den Ämtern. Stelle eine Analyse über die Durchläufe der Vorgänge auf, nein, besser, lasse sie deine Leute aufstellen. Das kannst du gleich nutzen, um an die Presse zu gehen und ein bisschen Wind zu machen. Das Datenmaterial übergibst du an Claudia und Nils und die stricken dir eine Software, mit welcher es möglich werden wird, alle Bearbeitungsvorgänge zu rationalisieren. Rüdiger spannst du für den juristischen Kram ringsum um das Doktorthema wie Datenschutz und so weiter ein, der ist gut in solchen Sachen. Paula und ich basteln dir ein oder zwei Kapitel über die Auswirkungen von Veränderungen auf den Gesundheitszustand und die Arbeitsmotivation. Nils wird sich zusätzlich mit psychologischen Problemen von Umstrukturierungsprozessen in lange gewachsenen Organisationen beschäftigen, gerade nach seinem erfolgreichen Studium dieses Faches dürfte das für ihn kein Problem darstellen. Peter Petersen kann ein bisschen über Sicherheitsstandards für die Hardware zusammen tragen, als ehemaliger Polizist kennt der die Knackpunkte sicher. Und rufe mal wieder Axel Trost an, der soll als Sportlehrer irgendwas über rückengerechte Arbeitsplätze oder so was in der Richtung rausfinden. Deine Mutter als Mathematik- und Physiklehrerin kann mit ihrer klaren Logik die Arbeit strukturieren, das heißt, sie wird anhand deiner Informationen eine Gliederung vorgeben, die wir anderen dann für unsere Teile abarbeiten. So entsteht eine Arbeit, die eine Vielzahl von Gebieten beleuchtet und sie wird allergrößte Resonanz hervorrufen.“
„Und was mache ich“ fragte Bergmann verunsichert.
„Na nichts“ antwortete Petra erstaunt „du gibst deine Unterschrift und paukst mit den anderen vor der Verteidigung die Sachen durch, das war’s.“
„Aber ich habe doch zum Beispiel gar keine Ahnung vom Programmieren.“
„Na und, was ist schlimm daran? Weil Claudia so gut rational organisiert ist wird sie vieles Visualisieren, das heißt Strukturbilder erstellen, Ablaufpläne ausarbeiten, Diagramme entwickeln und anderes mehr, so also Masse für die Arbeit schaffen. Das wirst du doch wohl erklären können. Und der Clou wird sein, dass du die Software allen Behörden unseres Bundeslandes unentgeltlich zur Verfügung stellen wirst.“
„Und wer soll die Arbeit betreuen, demjenigen wird doch schnell klar werden, dass das alles nicht auf meinem Mist gewachsen ist.“
„Ach iwo, du hältst an der Uni einen Vortrag vor Verwaltungswissenschaftler, das Thema geht ja in diese Richtung, und siehst dir die Typen dort genau an. Dann suchst du dir einen alten und vertrottelten Professor aus, der seine Finger noch nie auf eine Tastatur gelegt hat und damit von Software rein gar nichts versteht und sprichst ihn an. Der wird sich gebauchmiezelt fühlen, dass sich ein Minister an ihn wendet und die Betreuung mit Freude übernehmen. Zuzugeben, dass er von Software keinen blassen Schimmer hat kann er sich nicht leisten, denn dann würde er sich furchtbar blamieren. Und weil du nur Mitglieder deiner Familie einspannst gibt es auch kein Problem mit eventuellen Plagiaten, denn Claudia, Nils, Rüdiger, Peter Petersen, Paula und ich sowie deine Mutter tauchen nirgendwo als Quelle auf, alles stammt also scheinbar von dir. Die Sache ist wasserdicht, in einem halben Jahr bist du Doktor, also noch vor dem Urlaub. Wenn wir wieder zu Hause sind wirst du den Rektor der Uni dann in einem Vieraugengespräch ein bisschen unter Druck setzen und ihm ankündigen, dass du wegen der finanziellen Situation im Lande gezwungen wärst, ihm die Haushaltmittel zu kürzen. Jag‘ ihm richtig Angst ein! Und deute an, dass du dem Ruf an einen Lehrstuhl offen gegenüber stehen würdest. Ja, du hast richtig gehört, Ende des Jahres bist du dann Professor, denn in der Zwischenzeit haben wir alle aus der Familie weiter nachgedacht und die Habilitationsschrift nachgeschoben. Worum es darin gehen soll klären wir im Urlaub, da haben wir genug Zeit zum Diskutieren. Und wenn du dich ins Homeoffice abmeldest nimmst du dir immer Akten mit die für die Dissertation wichtig sind. Die sehen wir uns dann an.“
„Aber ich muss mich doch erst einmal als Minister einarbeiten“ gab Bergmann zu bedenken.
„Sicher, mach‘ den lahmen Bürohengsten dort Feuer unter dem Arsch und sie werden bald feststellen, dass mit dir nicht gut Kirschen essen ist, wenn sie weiter so rumtrödeln. Delegiere Aufgaben so oft wie es möglich ist, dann gewinnst du auch Zeit für dein eigenes Projekt.“
Frieder Bergmann war nach diesem Gespräch verunsichert, zu viel scheinbar Unlösbares lag vor ihm. In der kommenden Woche sollte er sich auf einer Mitarbeiterversammlung vorstellen, das würde kein Problem sein. Der offizielle Einstieg in sein Amt war nahezu perfekt gelungen. Zu seiner Vereidigung im Landtag hatte es von der Zuschauertribüne lautstarke Kommentare gegeben und die Leute extra ein Transparent ausgerollt. „Sagt endlich die Wahrheit über den Fall Trautwetter“ konnte er lesen und der Ministerpräsident hatte offensichtlich kein Konzept gehabt, wie er dieser Sache begegnen sollte. Bergmann war kurzerhand nach einer kurzen Absprache mit ihm ans Rednerpult gegangen und hatte sich an die Zuschauer gewandt:
„Wie Sie selbst vor 3 Tagen in einer Pressemitteilung nachlesen konnten, handelte es sich um einen bedauernswerten Unglücksfall, der auf eine defekte Gasleitung zurückzuführen war. Alle von bestimmten Blättern gestreuten Vermutungen haben sich als haltlos erwiesen. Dass Herr Trautwetter und Frau Scholz ein Verhältnis gehabt haben ist ja gar nicht bestritten worden, aber dafür kann ja der Arbeitgeber wohl nichts. Oder soll der Ministerpräsident in seiner knappen Zeit auch noch abends unter die Bettdecken seiner Mitarbeiter schauen?“
Das rief Lacher hervor und die Zeremonie verlief ohne weitere Zwischenfälle und sorgte für gute Presse für Frieder Bergmann. Eine Zeitung titelte:
Bilder Zeitung – Eine für alle!
Minister Frieder Bergmann zeigt sich bei Vereidigung durchsetzungsstark
Die Vereidigung von Frieder Bergmann zum Minister wurde gestern durch einige Zuschauer gestört. Herr Bergmann ergriff die Initiative und stellte die Ordnung wieder her. Eigentlich wäre das Sache des Ministerpräsidenten gewesen, aber dieser reagierte nicht. Sehen wir hier Führungsschwäche? So musste Herr Bergmann selbst handeln und konnte dann in aller Form vereidigt werden. Wir begleiten Minister Bergmann nun schon einige Zeit auf seinem beruflichen Weg und sind von seiner geradlinigen und zupackenden Art immer wieder begeistert. Sehen wir hier schon den zukünftigen neuen Ministerpräsidenten? Oder empfiehlt sich Herr Bergmann für noch höhere Ämter, etwa in Berlin, in Brüssel? So wie sich Herr Bergmann immer wieder weiterentwickelt, dürfte ihm noch eine interessante Karriere bevorstehen, da sind wir uns ganz sicher.
Weiterer Steuerflüchtling enttarnt
Nachdem der bekannte Fußballfunktionär H. seine Steuerhinterziehung eingestehen musste, ist ein weiterer Prominenter mit in den Strudel dieses Skandals hereingezogen worden. Auch Wolfram Schäu. musste zugeben, dass er 23 Millionen in der Schweiz „vergessen“ hätte, weil er fortlaufend mit der Eurorettung zu tun gehabt hätte und deswegen in aller Welt unterwegs gewesen wäre. Nun, lieber Herr S., das nehmen wir Ihnen nicht ab! Wir denken, dass Sie in Ihrem hohen Alter wohl etwas überfordert sind. Außerdem erscheint uns Ihr ständiges Lamentieren, dass kein Geld für Steuerentlastungen der Bürger da wäre, unglaubwürdig. Für die Neubürger ist doch wohl auch genug da, oder? Also ziehen Sie endlich die Konsequenzen und treten unverzüglich zurück, besser gleich morgen!
Bergmanns Mutter hatte abends bei ihm angerufen und ihm gratuliert.
„Das hast du gut gemacht, mein Junge“ hörte er „und Petra hat mir eine E-Mail mit deinen Qualifizierungswünschen geschickt. Auch das begrüße ich sehr. Wir machen das schrittweise, erst den Doktor, dann den zweiten Doktor und noch vor Weihnachten den Professor. Wann treffen wir uns mal zur Abstimmung? Was, du hast keine Zeit, weil du jetzt Minister bist? Erzähle doch nicht so was! Du hältst dir den kommenden Sonnabend frei, wir kommen zu euch. Du brauchst jetzt gar nicht mit mir rumdiskutieren wollen, es bleibt dabei! Also, bis Sonnabend.“
Bis dahin konnte sich Bergmann noch in seinem Ministerium nützlich machen und die ersten Tage hielt er tatsächlich bis kurz nach 17 Uhr durch. Als er das Haus verließ waren die Leute noch immer an ihren Arbeitsplätzen und er staunte, was die um diese Zeit dort noch zu tun hatten. Ich muss rauskriegen was die hier so treiben, ob was rauskommt oder ob die bloß so tun, als würden sie schuften. Bergmann selbst hatte für seine Begriffe eine Menge geschafft und beschloss, am nächsten Tag ab 16 Uhr durch die Zimmer zu streifen und sich einen Überblick zu verschaffen. Als er um diese Zeit das erste Zimmer neben seinem Arbeitsraum betrat fand er einen verstört wirkenden Mann Mitte der 50 vor, der eine Akte studierte. Bergmann hatte vorher auf das Türschild gesehen und gelesen: „Jürgen Haber – Sachbearbeiter Referat III Vergabe behördeninterner Aufträge“.
„Guten Tag Herr Haber“ sprach ihn Bergmann freundlich an „ich möchte mich über Ihr Arbeitsgebiet informieren. Bitte erklären Sie mir kurz, worin Ihre Tätigkeit besteht.“
Haber druckste herum und sagte dann:
„Nun Herr Minister, ich kümmere mich um die behördeninternen Aufträge.“
„Das habe ich gelesen“ erwiderte Bergmann freundlich „was muss ich darunter genau verstehen?“
„Also das ist so: wenn hier irgendwo ein Wasserhahn oder eine Lampe kaputt geht bekomme ich eine Schadensmeldung auf Formular BIA-34/0034. Dieses werte ich aus. Dann schreibe ich eine Anforderung an die Zentralstelle auf Formular ZS_HA/k/889. Dieses wird mit der Post dorthin befördert. Ein paar Tage später bekomme ich eine Information, wer den Auftrag bearbeiten wird. Mit dem setzte ich mich mittels Formular 23-H76-00/56 in Verbindung und erhalte im Regelfall 2 Wochen später eine Auftragsbestätigung. Diese muss ich quittiert wieder zurück schicken und wenn alles klappt, kann der Schadensfall nach 3 Wochen beseitigt werden.“
„Wie bitte“ fragte Frieder Bergmann erstaunt „um eine Lampe aus der Fassung zu drehen und eine neue einzuschrauben werden 3 Wochen oder länger benötigt?“
„Da geben wir jetzt schon mächtig Gas“ freute sich Haber ehrlich „früher hat das manchmal ein viertel Jahr gedauert. Bei einer Lampe war das ja nicht so schlimm, aber wenn mal ein Klo verstopft war doch schon ziemlich übel. Das hat man dann einfach zugeschlossen und manchmal auch vergessen was da passiert war. Wenn dann doch irgendwann mal die Handwerker kamen sind die bald umgefallen, Sie verstehen sicher was ich meine.“
„Wie viele Schadensfälle gehen denn am Tag hier ein“ erkundigte sich Bergmann gespannt.
„Och, das ist verschieden. Mal stehe ich unter Druck, dann sind es 2 bis 3, manchmal gar keiner. Da kann ich ohne Stress die Formulare ablegen.“
„Aber an manchen Tagen haben Sie eigentlich gar nichts zu tun, oder?“
„Das kann man so nicht sagen“ entrüstete sich Haber „ich hab‘ hier n Haufen Verwaltungsaufwand, muss ständig irgendwas koordinieren und den Terminen hinterher rennen. Da weiß ich abends manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Gerade heute habe ich eine außergewöhnliche Schadensmeldung bekommen. Hier: 3. Etage, Zimmer 3.128, Papierkorb gesprungen. Ich muss jetzt entscheiden, ob dieser Papierkorb repariert werden kann oder ersetzt werden muss. Der Kollege aus dem Zimmer hat der Meldung ein Foto beigefügt, so dass ich mir ein erstes Bild machen kann. Morgen werde ich mir den Korb dann vor Ort ansehen und festlegen wie es weitergeht. Wenn er aber ersetzt werden muss wird es haarig. Dann muss ich nämlich einen Antrag an Ihr Büro stellen um die Genehmigung dafür einzuholen, und das kann dauern.“
„Wie bitte“ fuhr Bergmann hoch „wegen ein paar läppischen Euro muss sich mein Büro um solche Sachen kümmern? Das kann doch nicht wahr sein!“
„Doch Herr Minister, dafür gibt es eine Dienstanweisung.“
„Die setzte ich sofort außer Kraft“ regte sich Bergmann auf „und Sie übernehmen ab heute die Gesamtverantwortung für alle fälligen Reparaturen.“
„Wie soll ich das denn bloß schaffen“ jammerte Haber „ich komme doch jetzt schon kaum über die Runden. Dann würde ich doch die ganze Arbeit der Zentralstelle übernehmen müssen.“
„Hören Sie auf“ blaffte ihn Bergmann an „das ist eine Anweisung von mir, also des Ministers. In zwei Tagen bin ich wieder hier und informiere mich wieder über den Stand der Dinge.“
Kopfschüttelnd durchschritt Frieder Bergmann den Gang und wählte eine andere Tür, hörte dahinter lautes Lachen und trat ohne anzuklopfen ein. Ein Mann saß mit dem Rücken zur Tür vor seinem Monitor, der andere hatte sich hinter dessen Stuhl aufgebaut und sie bemerkten den Besucher eine Weile nicht, denn das Geschehen auf dem Bildschirm schien sie enorm zu fesseln. Bergmann hatte also einen hervorragenden Blick auf das was zu sehen war und erkannte, dass die beiden sich offensichtlich an einem Online Spiel beteiligten. Es schien darum zu gehen Panzer zu vernichten, und der Sitzende schien darin ausgesprochen geschickt zu sein, denn er brachte gerade einen Treffer bei einem Gegner an, so dass der Turm des feindlichen Kampffahrzeuges in einer gewaltigen Explosion in die Luft flog. Rechts oben am Monitor blinkte eine 250 auf, das war sicher die Belohnung für den Erfolg.
„Was geht hier vor“ kam Bergmann wie ein Donnerwetter über die beiden „gehört das etwa zu Ihren Arbeitsaufgaben?“
Die Männer standen wie zu Salzsäulen erstarrt vor Frieder Bergmann und waren nicht in der Lage sich zu erklären.
„Noch einmal“ brüllte er sie an „was treiben Sie hier?“
„Äh, äh, wir haben mal n kurze Pause nach dem vielen Aktenstudium eingeschoben“ sagte der eine kläglich „wir machen jetzt sofort wieder weiter.“
„Das wird Konsequenzen haben, wie lange treiben Sie schon diese Spiele? Und wagen Sie ja nicht, mich reinlegen zu wollen! Über den Systemadministrator kriege ich das sowieso raus. Also, wie lange und wie oft gibt es diese sogenannten Pausen schon?“
„Ähm, manchmal.“
„Werden Sie endlich konkret oder ich explodiere!“
„Seit 6 Wochen“ gab jetzt einer zu.
Bergmann zückte sein Smartphone, schaute in den Kalender und bellte:
„Übermorgen 10 Uhr bei mir im Büro. Überlegen Sie sich gründlich, wie Sie diese Sache vergessen machen können. Diesmal sehe ich noch von personellen Konsequenzen ab aber meine Geduld ist endlich. Ab jetzt stehen Sie unter besonderer Beobachtung. Haben Sie mich verstanden?“
„Jawohl Herr Minister“ stammelte einer mit Tränen in den Augen „es wird nie wieder vorkommen. Was können wir für Sie tun?“
„Lassen Sie sich was einfallen“ knurrte Frieder Bergmann und verließ das Zimmer.
Draußen schaute er auf das Türschild, Herr Franke und Herr Knöfel waren für das Referat III – Finanzen - tätig.
Wütend stapfte Frieder Bergmann den Gang weiter und besah sich die Türschilder. Dr. pol. Alfred Weiland – Referat II - Referatsleiter Revision – las er und weiter noch: Sprechzeit: Mittwoch letzte Woche im Monat von 14.00 Uhr bis 14.30 Uhr. Diesmal klopfte er an. Keine Antwort. Er wartete einen Moment, dann öffnete er die Tür. Dr. pol. Weiland saß vor einem fast gänzlich leeren Schreibtisch, lediglich ein Blatt Papier lag vor ihm, ansonsten waren die wenigen Dinge im Büro alle akkurat ausgerichtet. Frieder Bergmann zuckte zusammen, der Mann war in seinem Stuhl zusammengesunken, seine bleiche Gesichtsfarbe deutete auf Schlimmes hin, die Regungslosigkeit und die geschlossenen Augen des Mannes versetzten Bergmann einen Schock. Ein Speichelfaden zog sich aus dem rechten Mundwinkel des Referatsleiters über das Kinn hin. War Dr. pol. Weiland während des Aktenstudiums unbemerkt von den anderen Mitarbeitern wegen Überarbeitung an einem Herzinfarkt verschieden? Frieder Bergmann überlegte verzweifelt, was er jetzt tun sollte. Er musste erste Hilfe leisten! Mit entschlossenen Schritten eilte er auf Dr. pol. Weiland zu, rammte aber in der Hektik den kleinen Besprechungstisch und räumte die darauf stehende Blumenvase ab, die klirrend auf dem Fußboden aufschlug und zersprang. Mit einer einzigen ruckartigen Bewegung war der Referatsleiter aus dem Stuhl hochgekommen und starrte Frieder Bergmann wie eine Erscheinung an. Dieser war ebenfalls erschrocken und die beiden Männer standen sich schwer atmend gegenüber.
„Wer sind Sie“ fuhr Weiland Bergmann an.
„Der Minister“ erwiderte dieser verblüfft.
„Wie bitte, der Minister ist Herr Trautwetter, was soll der Quatsch!“
„Ich bin Frieder Bergmann, der neue Minister!“
„Niemals, das hätte ich doch irgendwie erfahren“ beharrte Weiland auf seinem Standpunkt.
„Ich bin seit voriger Woche Minister“ wiederholte Bergmann stur und zeigte seinen Dienstausweis vor „diese Tatsache ist allen hier im Ministerium Angestellten per Mail vor 4 Tagen mitgeteilt worden, morgen findet eine Mitarbeiterversammlung statt auf der ich mich richtig vorstellen werde. Lesen Sie denn außerdem keine Zeitung?“
„Natürlich, aber nur die „Frankfurter Allgemeine“, einzig die genügt meinen intellektuellen Ansprüchen. Da gibt es keine Nachrichten aus unserer Region.“
„Und die Mail haben Sie nicht gelesen?“
„Ich lehne die Arbeit an einem seelenlosen Computer ab, das habe ich dem Minister gegenüber ganz klar zum Ausdruck gebracht, ich konnte also keine Mail lesen.“
„Und haben Sie denn in den letzten Tagen gar keinen Kontakt mit Ihren Mitarbeitern gehabt, die eventuell mit Ihnen darüber gesprochen haben?“
„Warum, die Leute gehen ihren Aufgaben nach, was soll ich mich mit denen unterhalten?“
„Noch einmal“ fragte Frieder Bergmann nach „Sie besitzen keinen Computer, wie können Sie dann die Aufgaben der Revision erfüllen, da sind doch eine Menge von Daten auszuwerten?“
„Machen meine Leute.“
„Und Sie?“
„Ich koordiniere die Tätigkeiten.“
„Aber wenn Sie mit ihren Mitarbeitern keinen Kontakt haben, wie soll das denn funktionieren?“
„Na bestens! Wir treffen uns einmal im Quartal und da gebe ich die Revisionsaufträge aus.“
„Zeigen Sie mal einen her.“
Dr. pol. Weiland ging widerwillig zu einem Schrank in dem ein einziger dünner Ordner stand und nahm aus diesem ein Blatt heraus, welches er Bergmann hinreichte. Dieser las, was Weiland handschriftlich vor 8 Wochen formuliert hatte:
„Kollege Adler, geh‘ n Sie mal nach einer Vorbereitungszeit von zwei Wochen zu den Leuten vom Referat III und stellen Sie fest, wie viel Klopapier dort in einem Monat in den beiden Herrentoiletten verbraucht wird.“
„Was soll das bedeuten“ wurde Frieder Bergmann laut „heißt das etwa, dass sich dieser Adler 4 Wochen dort rumgedrückt und die Klopapierrollen gezählt hat? Und was ist dabei überhaupt rausgekommen?“
„Kollege Adler hat sich tatsächlich 4 Wochen dort aufgehalten und die Daten erhoben. Welches Ergebnisse er ermitteln konnte weiß ich noch nicht, er wird seinen Bericht in ebenfalls 4 Wochen vorlegen und ich werde dann natürlich die entsprechenden Änderungen veranlassen.“
„Moment mal“ rechnete der erregte Frieder Bergmann nach „vor 8 Wochen erhält der Adler den Auftrag den Klopapierverbrauch zu ermitteln, dann stimmt er sich zwei Wochen auf die Revision ein, ist 4 Wochen vor Ort, bereitet dann die Ergebnisse in einem Zeitraum von 4 Wochen auf und legt sie dann hier vor?“
„Korrekt“ erwiderte Dr. pol. Weiland.
„Das ist nicht doch Ihr Ernst“ wurde Bergmann laut „ich erwarte Sie und diesen Adler übermorgen mit dem Revisionsbericht 11 Uhr bei mir im Büro. Und bringen Sie eine Liste der anderen laufenden Revisionsthemen mit.“
Wutentbrannt stürmte Frieder Bergmann über den Gang zur Tiefgarage, auf dem Weg dorthin pickte er den in einem Bereitschaftszimmer wartenden Horst Hempel – seinen Fahrer – auf und ging mit diesem zum Auto.
„Na, wie war der Tag heute für Sie Herr Minister“ fragte Hempel freundlich „viel Aktenstaub geschluckt?“
„Hören Sie bloß auf“ erwiderte Bergmann genervt „ich habe Dinge erlebt, die ich nicht für möglich gehalten hätte.“
„Da werden Sie sicher noch ganz andere Sachen kennen lernen“ lachte Hempel „man hört ja so einiges, wenn ich auf Sie warte.“
„Ich will heute nichts mehr davon wissen“ stöhnte Bergmann „mir reicht es. Übermorgen habe ich ein paar Leute einbestellt, denen ich dann ordentlich Dampf machen werde.“
Der Chauffeur setzte Frieder Bergmann vor seiner Haustür ab und dieser fuhr mit dem Lift zu seiner Eigentumswohnung hoch. Petra erwartete ihn schon und fragte gespannt:
„Na, wie sind die neuen Eindrücke?“
„Katastrophal, das hat meine schlimmsten Erwartungen bei Weitem übertroffen. Es ist nicht zu fassen, was da abläuft, und die Leute dort halten das offensichtlich für normal“ und er erzählte von seinen Begegnungen in der Behörde.
„Beruhige dich doch“ besänftigte ihn Petra „du kannst diesen Laden nicht ein drei Tagen umkrempeln. Geh‘ Schritt für Schritt vor, schaffe dir Verbündete die qualifiziert sind und was leisten, drücke allen eine Arbeitsanalyse auf und du wirst sehen, nach und nach wird es besser werden. Rausschmeißen kannst du die Typen ja nicht, sind doch alles Beamte, aber du kannst versuchen, ihre Arbeitsweise zu verändern. Sei nicht allzu grob sondern lobe auch für kleine Fortschritte. Du brauchst ein eingeschworenes Kernteam, und das werden vor allem deine Büroleiterin und dein Fahrer sein.“
„Wieso der Fahrer“ fragte der verblüffte Bergmann.
„Weil der oft auf dich warten muss und so viel Zeit hat, sich umzuhören. Baue zu ihm ein Vertrauensverhältnis auf. Wie schätzt du ihn ein?“
„Macht einen patenten Eindruck.“
„Na bitte, der Mann ist genau der richtige Partner für dich. Dann packst du die von dir heute Ertappten morgen erst ziemlich hart an, aber reichst ihnen dann sozusagen symbolisch die Hand, damit sie den Mist, den sie verbockt haben, aus der Welt räumen können. Du musst sie motivieren, sich verändern zu wollen. Ich habe schon mal zwei Sektgläser ins Schlafzimmer gestellt. Hol‘ doch die Flasche aus dem Kühlschrank, denn ich will mit dir auf deine zukünftigen Erfolge anstoßen.“
„Warum denn im Schlafzimmer“ fragte Bergmann erstaunt.
„Aber Frieder, verstehst du nicht?“
„Ach so, ich fühle mich total ausgelaugt nach diesem Tag, bin richtig schlapp und außer Form.“
„Das las mal meine Sorge sein, ich werde dich schon wieder auf Trab bringen, komm‘ jetzt endlich.“
Punkt 9 Uhr rollte der Audi A 8 in den Innenhof des Ministeriums und Frieder Bergmann sah noch darin sitzend, dass sich hinter den Fenstern Schemen bewegten, er wurde also erwartet. Hempel riss die Tür auf und grinste Bergmann breit an, dann stieg der Minister aus. Bergmann stapfte durch die menschenleeren Flure zu seinem Büro und seine Schuhe erzeugten auf dem Steinboden heftig nachhallende Geräusche. Die Büroleiterin, Frau Wenzel, und Frau Meyer, die Sekretärin, sahen ihn an aber sagten nichts sondern beugten sich wieder über ihre Akten. Bergmann nahm Platz, beschäftigte sich noch ein wenig mit den Vorgängen und rief unwirsch, als Frau Wenzel die Tür öffnete und Franke und Knöfel ankündigte:
„Sollen reinkommen.“
Frieder Bergmann hatte zwei Stühle vor seinem Schreibtisch aufgebaut, auf diese deutete er jetzt wortlos und die beiden Männer setzten sich hin. Als er voriges Jahr immer mehr in die Rolle des Kaleun geschlüpft war hatte er eine Zeit lang dessen harten und unbewegten Blick trainiert und brachte ihn jetzt wieder zur Anwendung. Franke und Knöfel konnten dem nur kurz widerstehen, dann senkten sie die Köpfe.
„Was haben Sie mir zu sagen“ fragte Frieder Bergmann knapp.
„Herr Minister, wir möchten uns für unser Fehlverhalten entschuldigen und Ihnen versprechen, dass so etwas nie wieder vorkommen wird“ erklärte Franke demütig und Knöfel nickte beflissen.
„Ist das alles?“
„Wie meinen Sie das?“
„Nun, ich hatte mir vorgestellt, dass Sie mit einigen Vorschlägen bei mir erscheinen, wie Sie die Effektivität Ihrer Arbeit erhöhen können“ knurrte Bergmann.
„Da haben wir zwar einiges in petto“ sagte Knöfel „aber das würde Geld kosten, so ungefähr 500 Euro im Jahr, aber die Revision hat uns das Budget gekürzt, weil wir im vergangenen Jahr zu viel Klopapier verbraucht hatten.“
„Dr. pol. Weiland?“
„Ja. Und der hat dieses Jahr schon wieder eine Revision angesetzt um die Fortschritte bei der Verbrauchsreduzierung zu ermitteln“ sagte Franke.
„Warum haben Sie sich nicht dagegen zur Wehr gesetzt“ fragte Bergmann „das ist doch eine vollkommen sinnlose Aktion.“
„Mit Dr. Weiland zu diskutieren ist einfach nicht möglich, der hat ja nur einmal im Monat 30 Minuten Sprechzeit und dann ist er meist nicht in seinem Büro, jedenfalls ist es um diese Zeit. Das Büro ist dann immer verschlossen und ans Telefon geht er auch nicht. Da er nicht mit dem Computer arbeitet kann man ihn eigentlich gar nicht erreichen, nicht einmal mit einer Mail“ antwortete Knöfel.
„Das werde ich ändern, verlassen Sie sich darauf“ sagte Frieder Bergmann wütend „Sie können jetzt gehen.“
Dr. pol. Weiland und Herr Adler saßen vor Bergmann, und dieser studierte den Revisionsbericht. Er blickte auf ein A4 Blatt, das 31 Spalten und 4 Zeilen aufwies. Die Spalten stellten die Tage des Monats dar, die erste Zeile war von Adler per Hand mit den Bezeichnungen der Wochentage gefüllt worden, in der zweiten und dritten waren ebenfalls handschriftlich Zahlen eingetragen worden, die vierte war leer. Adler hatte eine Art Legende angefertigt, Zeile zwei stellte die Länge der Klopapierrollen zu Beginn des Tages dar, Zeile drei diese um exakt 17 Uhr. Zeile vier sollte die Differenz und somit den Verbrauch ausweisen.
„Warum ist Zeile vier noch leer und warum ist das alles mit Hand eingetragen“ erkundigte sich Frieder Bergmann noch freundlich bei Dr. pol. Weiland, aber dieser wies mit der Hand auf Adler.
„Bin noch nicht dazu gekommen das auszurechnen“ erklärte der Mann „aber morgen ist der Bericht dann komplett fertig.“
„Aber wenn das keine elektronisch zu bearbeitende Tabelle ist müssen sie das doch von Hand oder mit dem Taschenrechner machen“ staunte Frieder Bergmann.
„Das stimmt, ich bevorzuge das Kopfrechnen, das hält geistig fit“ bestätigte Adler stolz.
„Jetzt erzählen Sie mir mal, wie Sie die Daten erhoben haben“ forderte Bergmann den Mann auf.
„Das war ein komplizierter Prozess“ fing Adler an „ich habe also früh die vorhandenen Rollen auf dem Flur ausgerollt und mit einem Maßband deren Länge festgestellt. Dann habe ich die wieder aufgewickelt und auf jeder Rolle meinen Kontrollvermerk angebracht. Sie müssen wissen Herr Minister, die Leute sind erfinderisch, wenn sich die Revision ankündigt. Im vorigen Jahr hatte ich einen erwischt, der eine Rolle von zu Hause mitgebracht hatte und so den Verbrauch manipulieren wollte. Also bin ich dieses Jahr anders vorgegangen und habe eine doppelte Sicherung eingebaut. Da war auf der einen Seite der Kontrollvermerk auf der Rolle und auf der anderen Seite ich selbst im Einsatz.“
„Wie meinen Sie das“ fragte Frieder Bergmann verständnislos.
„Na ich habe mich selbst als Person mit in die Kontrolle eingebracht. Das war schon eine harte Sache, von früh bis abends im Vorraum der Toilette zu sitzen und aufzupassen, dass keiner dort schummelt. Lediglich zu meinen Pausen habe ich mich von dort entfernt, aber natürlich die Toilette abgeschlossen und kräftig gelüftet, wenn Sie verstehen warum.“
„Aber die Leute hätten doch ganz einfach eine andere Toilette benutzen können“ wunderte sich Bergmann „dann wäre Ihre Revision doch nutzlos gewesen.“
„Nein Herr Minister, das hätte nicht funktioniert. Sehen Sie, als Kontrollorgan muss man den Mitarbeitern gedanklich immer einen Schritt voraus sein und das bedeutet schon angestrengte Geistesarbeit. Ich habe lange gegrübelt wie ich diesen möglichen Fall vermeiden kann. Schließlich lag die Lösung klar auf der Hand: jeder Mitarbeiter erhält einen Schlüssel, der nur zu den Toiletten seines Referats passt. Wir haben also alle Schlösser austauschen lassen und somit ungenauen Untersuchungsergebnissen oder Manipulationsversuchen einen Riegel vorgeschoben.“
„Noch mal, was haben Sie den ganzen Tag über in der Toilette auf Ihrem Stuhl sitzend getan“ wollte Bergmann wissen.
„Die Kontrolle wahrgenommen. Aber nicht nur das, ich habe die Zeit genutzt, neben meinem eigentlichen Revisionsauftrag statistische Erhebungen vorzunehmen. Unter Nutzung eines Blattes und Stiftes konnte ich so festhalten, wer sich wie oft und wie lange dort aufhielt. Nach zwei Wochen musste ich schon gar nicht mehr aufsehen wenn ich wissen wollte wer eintrat, denn an den dann folgenden charakteristischen Geräuschen und Gerüchen konnte ich die Kollegen sehr gut identifizieren. Und das habe ich extra für Sie noch gestern Abend für Sie angefertigt, bitte sehen Sie selbst Herr Minister“ sagte Adler und schob Frieder Bergmann ein Blatt zu.
Auf Millimeterpapier war für jeden Tag eine lotrechte Linie gezeichnet worden und da das Blatt mit „Tägliche Besucherzahlen“ beschriftet war erklärte es sich selbst.
„Was meinen Sie zum Revisionsergebnis“ wandte sich Bergmann an Dr. pol. Weiland.
„Bis auf die eine noch fehlende Berechnung ist das eine ganz ausgezeichnete Leistung von Herrn Adler“ antwortete der Referatsleiter „er ist einer meiner fähigsten und engagiertesten Mitarbeiter. Nomen est Omen, Herrn Adler entgeht nicht die kleinste Kleinigkeit und deswegen ist er als Revisor auch so gefürchtet. Hier ist übrigens die Liste der laufenden Revisionen.“
Frieder Bergmann ahnte Schlimmes und begann zu lesen.
Feststellung der Brenndauer der Treppenhausbeleuchtung
Messung der Zimmerwärme im Referat IV
Ermittlung der Ebenheit des Fußbodens in der Kantine
Entmutigt ließ Bergmann das Blatt sinken, dann sagte er beherrscht:
„Herr Dr. Weiland, ich erwarte von Ihnen bis übermorgen die Vorlage von Revisionsthemen, die diese Bezeichnung verdienen. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind führe ich im Beisein der Personalvertretung ein Gespräch zu Ihrer weiteren Perspektive hier im Ministerium. Morgen wird in Ihrem Büro ein PC installiert und ein E-Mail Account eingerichtet und Ihre Sprechzeit ist jetzt von 11 bis 16 Uhr, und zwar täglich. Habe ich mich klar ausgedrückt? Ja? Gut, dann können Sie beide jetzt gehen.“
„Sie sollten noch berücksichtigen, dass ich zu 50 Prozent schwerbehindert bin“ sagte Dr. pol. Weiland lächelnd „dem Gespräch mit der Personalvertretung sehe ich also ganz locker entgegen. Übrigens habe ich mir die Behinderung hier im Dienst zugezogen, Sie sollten demzufolge besonders sensibel handeln.“
Weiland und Adler verließen das Zimmer, es war jetzt Mittagszeit und Frieder Bergmann brauchte dringend eine Zigarette und so begab er sich wütend über das Gespräch durch das Treppenhaus zur Raucherinsel in einer Ecke des Innenhofes. Jetzt war er sich ziemlich sicher, dass noch eine Menge Arbeit vor ihm lag, um diesen Laden hier auf Vordermann zu bringen.