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ANNA IN JOHANNESBURG

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Dieser dreizehnte August begann wie immer: Weckerklingeln, aufstehen, Morgentoilette erledigen und ankleiden, etwas trinken, Frühstückspaket einstecken und nach kurzer Verschnaufpause den Weg zur Arbeit antreten. Doch trotzdem war alles ganz anders an diesem Tag, denn ich hoffte darauf, dass es schnell Abend wird und wir dann mit Anna per Telefon sprechen können, um Gewissheit darüber zu bekommen, dass sie gut in Johannesburg gelandet und bei ihrer Gastfamilie in Kagiso angekommen war.

Am Tage versuchten wir mehrmals eine Telefonverbindung nach Südafrika herzustellen, doch jedes Mal vergebens. Einen Tag später kontaktierte ich die zuständige Bearbeiterin der Organisation, bei welcher wir dieses Auslandsschuljahr gebucht hatten. Frau Meyer – Wildenhain sagte mir, dass ich doch mal versuchen soll, den örtlichen Betreuer von Anna – Herrn Hope, welcher auch immer die Gastschüler vom Flugplatz abholt – telefonisch zu kontaktieren. Der positive Name dieses Herren gab meinem weiteren Handeln mehr Optimismus, bald schon unsere Anna sprechen zu können. Jürgen und ich wählten die Rufnummer des Herrn Hope und es meldete sich auch eine männliche Person am anderen Ende. In meinem ungeschliffenen »Babyenglisch« stammelte ich aufgeregt, dass ich dringend Anna sprechen muss. Ich sagte es sehr oft und offensichtlich so aufgeregt, dass Herr Hope unser Anliegen augenscheinlich sehr ernst nahm. Er wolle Anna holen und ich soll in ein bis zwei Stunden noch mal anrufen, was wir auch taten. Und – oh welche Freude stellte sich bei uns ein, als wir endlich nach zwei Tagen unsere Anna persönlich am anderen Ende der Telefonverbindung hören konnten. Sie berichtete kurz von ihrem Flug, dass sie nun bei der Gastfamilie angekommen sei und mit Brenda, ihrer Gastschwester, ein recht kleines Zimmer teilte. Annas Stimme klang fröhlich und so wurden auch wir zu Hause glücklich und zufrieden. Der Grund für unsere misslungenen Versuche, Anna im Hause ihrer Gastfamilie zu erreichen, war einfach ein defekter Telefonanschluss. Ja, Anna lebte jetzt für zehn Monate in Afrika und wir mussten uns damit vertraut machen, dass die Technik bei einer relativ armen Großfamilie nicht so perfekt funktioniert, wie bei uns zu Hause gewohnt, und die Menschen dort das wohl auch nicht so ernst nehmen. Einige Tage später funktionierte das Telefon der Gastfamilie wieder, sodass wir ab sofort regelmäßig mit Anna in Verbindung stehen konnten. Anna hatte inzwischen einen Großteil ihrer Gastfamilie kennen gelernt und ihre umfangreichen, im Vorfeld der Reise von unserer Familie sorgfältig ausgewählten Gastgeschenke – Jeans, Trägertops und Blüschen für die Mädchen, T-Shirts, Schreibmaterialien und Basecaps für die Jungen, für die Gastmama eine Armbanduhr sowie reichlich Schokolade und einen Sandwichbereiter für alle, überreicht.

Ende September 2003 hatten Jürgen und ich einen vierzehntägigen Urlaub auf der landschaftlich einmalig schönen Insel Korcula in Kroatien geplant und so flogen wir in der letzten Septemberwoche nach Dubrovnik. Da inzwischen Kommunikation von überall auf der Welt nach fast überall auf unserem Planeten möglich ist, kauften wir gleich zu Urlaubsbeginn eine Telefonkarte, um mit unserer Anna in Südafrika und unserer Familie in Deutschland in Verbindung treten zu können. Während unserer letzten Telefonate mit Anna, hatte sie berichtet, dass es an der Mosupatsela Secondary School in Kagiso sprachliche Schwierigkeiten gab. Die dortigen Lehrer unterrichteten so gut wie nie in englischer Sprache, wie es angekündigt war, sondern sprachen im Unterricht in verschiedenen afrikanischen Sprachen. Sicherlich kann es interessant sein, ab und zu einer Unterrichtseinheit mit diesem Sprachinhalt zu lauschen, doch als immerwährendes Unterrichtsangebot konnte es Anna nichts nützen, denn schließlich wollte sie ihre Englischkenntnisse vervollkommnen und auch in die Lage versetzt werden, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Gespräche mit den dortigen Lehrern führten zu keiner Änderung der Unterrichtsdarbietung und Anna wollte sich an die örtliche Betreuerin der Organisation wenden. Zudem kam es an der Mosupatsela Secondary School zu Gewaltübergriffen auf Schüler.

In unserem letzten Telefonat hatten wir über diese Probleme gesprochen und Anna bestärkt, die verantwortliche Betreuerin zu informieren. Anna kontaktierte telefonisch die Betreuerin namens Romy und bat nachdrücklich um deren Unterstützung bei der Suche nach einer Schule, wo englischsprachiger Unterricht stattfand. Zu keiner Zeit wurde Anna von dieser Romy in Kagiso besucht und niemand schaute nach, ob sich Anna gut eingelebt hat. Romy war eine weiße Frau und hatte offensichtlich Scheu davor in ein schwarzes Township zu fahren ...

Einige Wochen später, nach vielen Telefonaten unserer Anna mit der Organisation vor Ort, hatte sie sich einen Platz an der Krugersdorp Highschool erkämpft und endlich konnte Anna die Schule wechseln. Die nächste Schwierigkeit bestand darin, den nun viel weiteren Schulweg nach Krugersdorp zu organisieren. Wieder musste Anna sich selbst darum kümmern, einen Platz in einem Sammeltaxi zu reservieren, welches ausschließlich von der schwarzen Bevölkerung benutzt wurde.

Der Unterricht an der neuen Schule sagte Anna ausgesprochen gut zu, die Lernverhältnisse gestalteten sich anspruchsvoll, es waren weniger Schüler in einer Klasse (an der Mosupatsela Secondary School in Kagiso saßen bis zu sechzig Schüler in einer Klasse), ein niveauvoller Unterricht in Englisch wurde angeboten und Anna gewann schnell viele gute Freunde.

So richtig wollte sich während unseres Kroatienurlaubs bei mir keine Erholung einstellen, denn meine und natürlich auch Jürgens Gedanken weilten ziemlich oft bei unserer Anna. Während unseres letzten Telefonats hatte sie uns viele Schwierigkeiten angedeutet, die sie in ihrem Umfeld bei der Gastfamilie aushalten musste. Wir bemerkten an all ihren Berichten, dass sie in dieser Familie nicht glücklich war und elementare Defizite, wie fehlende Lebensmittel, immer öfter auftraten. Die Gastfamilie bettelte unsere Anna einige Male an, bat sie gezielt um Bargeld. Nicht nur, dass die Gastschwester Brenda fragte, sondern sogar der Vater der Muenda-Familie verhielt sich so. Anna war mit ihren siebzehn Jahren Dingen ausgesetzt, die für sie einfach unerträglich wurden. Seit Anna die Krugersdorp Highschool besuchte, gestaltete sich das Zusammenleben seitens der Gastfamilie sehr unfreundlich. Die Muendas waren der Meinung, dass ihre Tochter Brenda das Abitur (südafrikanisch »Matric«) an der Mosupatsela Secondary School in Kagiso absolvieren soll und dies auch für Anna nur richtig sein kann. Diese Familie verstand nicht den Sinn und das Ziel eines Auslandsschuljahres für Anna. In erster Linie müssen wir hier wohl den Reiseorganisatoren aus Deutschland den Vorwurf machen, die die Familie Muenda in keiner Weise auf eine Gastschülerin vorbereitet hatte.

Nicht einmal in all diesen, für Anna sehr schweren Wochen, hatte ein Betreuer oder eine Betreuerin dieser Organisation Anna aufgesucht und ihr menschlich und organisatorisch zur Seite gestanden. Wir fragten uns immer mehr, wofür diese Organisation eigentlich das viele Geld bekommen hatte, denn ihrer Betreuungsaufgabe minderjähriger Schüler und Schülerinnen wurde sie in keiner Weise gerecht.

Anna lebte mit Brenda in einem etwa fünf Quadratmeter kleinem Zimmer und sie ging an vielen Tagen mit knurrendem Magen in die Schule oder auch ins Bett. Es gab nur ein Bett in diesem Minizimmer, in welchem Anna schlief und Brenda lag auf einer Matte davor.

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