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Wege nach Südafrika LABOE

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Einige Monate vor Beginn des Sommers kam jedes Jahr für unsere Familie, Mama Juliana, Papa Jürgen und die Töchter Marie und Anna, die Frage nach dem Urlaubsziel unserer nächsten Sommerreise auf. Nach Öffnung der innerdeutschen Grenze für uns ehemalige DDR-Bürger haben wir diese neue Freiheit permanent genutzt und diverse interessante Urlaubsziele in aller Welt angesteuert. Sommerurlaub bedeutete für uns meist strahlende Sonne, breite Sandstrände, blaues Meer, einsame Buchten, warme und beständige Witterung, Kennenlernen verschiedenster Architekturen und Kulturen, mediterranes Lebensgefühl – einfach das südländische Flair »aufsaugen« und Kraft für den stressigen Alltag tanken.

Ende 2001 kam mir die Idee den Urlaub fürs nächste Jahr innerdeutsch zu planen. Stürmischer Protest meiner mitreisenden Familienmitglieder, d.h. meiner besseren Hälfte Jürgen und meiner jüngsten Tochter Anna raste mir in Form von meterhohen Protestwellen entgegen. Guter Rat war mir nun teuer – wie immer so gesagt wird …, d.h. erst mal Ratlosigkeit meinerseits. Dabei hatte ich mir schon Hamburg und im Anschluss die Kieler Bucht – dort speziell den Ostseeort Laboe für die Reisezeit Ende Juni 2002 ausgewählt. Ich wollte endlich auch den westlichen Teil unserer landschaftlich so abwechslungsreichen Ostsee kennen lernen. Nach dem Motto »steter Tropfen höhlt auch den härtesten Stein« blieb ich gefestigt in meiner Argumentation dieses Urlaubsziel anzupreisen. Irgendwann hatte ich meine beiden »weich geklopft« – sie waren sicherlich nicht von der Richtigkeit dieses Urlaubsziels überzeugt, doch zumindest konnte ich Jürgen und Anna überreden, denn ich glaube, es wurde nie der beiden innigster Wunsch nach Laboe zu reisen. Unsere Große war 2002 bereits zweiundzwanzig und hatte uns Eltern und ihre Schwester als Urlaubsbegleitung gegen ihren Schatz eingetauscht.

Nachdem ich nun endlich von meiner Reisegruppe grünes Licht erhielt, buchte ich drei Übernachtungen in einem zentral gelegenen Hotel in Hamburg und zehn Tage eine gemütliche Ferienwohnung in Laboe. Einige Wochen vor Reisebeginn ergaben sich für uns unliebsame Änderungen, denn Jürgens Firma hatte eine teambildende Maßnahme mitten in unsere Urlaubszeit gelegt und eine Entfernung von der Truppe war für Jürgen einfach unmöglich. Die teamstabilisierende Freizeitgestaltung Jürgens Firma sollte in Form eines Segeltörns von Wilhelmshaven nach Helgoland und zurück stattfinden, um aus den Landratten echte Seemänner zu küren …

So starteten wir gemeinsam per Auto nach Hamburg und verbrachten dort drei ausgesprochen erlebnisreiche Tage mit einem hohen Kennenlernzuwachs an Flair dieser recht offenen und architektonisch interessanten Großstadt. Wir atmeten den Hauch längst vergangener Zeiten in der Speicherstadt, bestaunten den über hundert Jahre alten Autofahrstuhl zum Tunnel unter der Elbe, erlebten abgewrackte Fans auf der Reeperbahn und Fußballmeile (es war gerade Fußball-WM) und besuchten eine 1989 aus der DDR ausgereiste Familie aus unserem damaligen Wohnhaus. Wir haben viel gemeinsam erlebt bei dieser recht angenehmen Citytour, doch nun hieß es Abschiednehmen von Jürgen, denn sein Vertriebsteam wies den Weg nach Wilhelmshaven. Anna und ich fuhren mit der Bundesbahn weiter nach Kiel. Unser Riesenkoffer, der aussah wie das Gepäck einer Auswandererfamilie wurde nun zu einem echten Blockadegepäckstück im Überlandzug. Auf Grund des Gewichtes unseres Koffermonsters konnten wir selbigen nicht auf die völlig unterdimensionierten Gepäckablagen oberhalb der Fenster verfrachten und so stand das »gute Stück« im Gang, denn zwischen den Sitzreihen fand sich auch kein Platz. Da der Regionalzug sehr oft hielt und neue Reisende zustiegen, mussten Anna und ich den Überseekoffer laufend aus dem Gang zerren und so halb auf uns verstauen. Zu unserer Erbauung bot in dem Regionalzug auch ein mobiler Speisen- und Getränkeservice in Form eines Serviceboys mit Servierwagen, der sich während der Fahrt mehrmals durch den Mittelgang schlängelte, seine Waren an. Der Stopp dieses Servicefahrzeuges erfolgte nun jedes Mal vor unserem Megagepäckstück und wieder und wieder mussten wir das Teil auf uns zerren. Froh, endlich Kiel erreicht zu haben, fanden wir auch zügig die Haltestelle des Linienbusses, welcher uns zum Ziel unserer Reise – nach Laboe – bringen sollte. Doch leider benutzten außer uns viele weitere Reisende diesen Bus am frühen Nachmittag, teils quirlige Schüler und Frauen mit riesigen Einkaufstüten auf der Heimfahrt in ihre Dörfer. Zwischendrin drängelten wir uns mit unserem viel zu großen und zu schweren Reisegepäck und standen mehr schlecht als gut in dem ständig anfahrenden und abrupt bremsenden Linienbus. Nach einer Stunde recht unbequemen Fahrens leerte sich der Bus allmählich und auch wir erreichten völlig durchgeschwitzt und erschöpft unser Reiseziel Laboe und bezogen endlich unsere gemütlich eingerichtete kleine Ferienwohnung. In Laboe wehte uns zur Begrüßung ein kalter Wind entgegen und ließ uns wenig Hoffnung auf ein Sonnenbad am Strand an diesem Nachmittag. Doch wir erwarteten die kommenden Tage und träumten von erholsamen Stunden am Strand und im Wasser der guten Ostsee. Leider belehrte uns die folgende Urlaubswoche eines anderen. Als Anna und ich am nächsten Morgen erwachten, rauschte es draußen ganz fürchterlich – es hörte sich wie Sturm an. Mit verschlafenen Augen lugten wir durch die Vorhänge und zu unserem großen Entsetzen goss es in Strömen und heftigster Sturm tobte. Diese Wettersituation bewog uns zum Weiterschlafen. Am späten Vormittag rafften wir uns zum Frühstück auf. Der Wetterbericht aus dem Fernsehen verhieß nichts Gutes für die nächsten Tage – Regen, Sturmwarnung, Tageshöchsttemperaturen von vierzehn Grad und so blieb das Wetter auch.

Ängstlich dachten wir an Jürgen, unseren Teamsegler, denn zwischenzeitlich müssten die Herren an Bord gegangen und in See gestochen sein. Der Handykontakt zu Jürgen war erloschen – gespannt erwarteten wir von ihm ein Lebenszeichen.

Unser Tagesprogramm in Laboe bestand nun im ausgiebigen Ausschlafen, täglichem Besuch der Meeresschwimmhalle, kurzen Einkäufen, Fußballweltmeisterschaftsspiele ansehen und essen gehen. Für den heutigen Abend hatten Anna und ich einen Besuch in der Pizzeria geplant. Nass und vom Wind zerzaust kamen wir am späten Nachmittag dort an. Wir aßen gemütlich und plötzlich sagte Anna zu mir: »Mama – ich möchte mich unbedingt für so ein Schuljahr in Amerika bewerben ...« Mich durchfuhr dieser Satz wie ein Blitz und mir blieben die Worte weg, was, glaub ich, noch nie zuvor passiert ist. Schlagartig wurde ich traurig und Mama Glucke meldete sich in meinem Innersten. Schließlich wusste ich genau, wenn Anna etwas sagt, dann meint sie die Sache ernst und sie hat bereits mit sich alle Für und Wider abgewogen. Es bedeutet, dass meine Anna, dann gerade mal siebzehn Jahre für zehn Monate weit weg von Leipzig sein würde in einem mir fremden und sehr fernen Land.

Unsere weiteren Urlaubstage in Laboe verliefen entsprechend der weiterhin ungeliebten Wetterlage. Gespannt warteten wir auf einen Anruf von unserem Teamsegler, der ja längst auf Helgoland angekommen sein müsste. Wir hatten uns schon viele Sorgen gemacht, doch als dann endlich das Handy läutete und Jürgen sich meldete, legte sich unsere Besorgnis. Jürgen berichtete kurz, dass die Herren und eine Dame bei schrecklichem Wellengang nach neun Stunden auf Helgoland angekommen waren und er während der Fahrt mehrmals »die Fische gefüttert hatte«. In zwei Tagen wird er dann endlich zu uns nach Laboe kommen und alles weitere berichten. Wir wünschten ihm noch eine gute Reise und Anna stimmte mir zu, dass der Segeltörn schrecklich gewesen sein muss, denn wir haben noch nie erlebt, dass Jürgen sich übergeben hatte.

Am nächsten Tag sprach ich erstmals ausführlich mit Anna über das angestrebte Schuljahr in Amerika. Sie hatte sich bereits viele Gedanken über ihr Vorhaben gemacht. Zunächst schwebte ihr vor, sich für das Parlamentarische Jahr zu bewerben. Dies ist eine Möglichkeit für gute Schüler, von einer Partei des Bundestages einen finanziellen Zuschuss für dieses Schuljahr im Ausland zu erhalten. Mir war immer noch mau in der Magengegend, wenn ich an dieses Thema dachte, doch der rege Gedankenaustausch mit meiner Anna beruhigte mich etwas, denn sie hatte sich schon ergiebig Gedanken gemacht und die Idee war in ihr offensichtlich bereits gut ausgereift. Nach unserem Urlaub wollte Anna die Bewerbungsunterlagen für das Parlamentarische Jahr zusammenstellen.

Einige Jahre zuvor hatte Jürgen oft mit unserer Marie über die Möglichkeit gesprochen, ein Auslandsschuljahr zu absolvieren, doch Marie zeigte daran zu keiner Zeit Interesse. Sie war über ihre Reisen mit einer Pfadfindergruppe innerhalb Deutschlands oder nach Österreich glücklich und zufrieden und ich schwebte in meinem Seelenfrieden, mein Töchterchen im Land zu behalten. Doch auch als Mutter wuchs ich mit meinen Aufgaben und stellte mich darauf ein, dass in vielen Dingen meine beiden Mädels verschieden waren und jede ihren eigenen Weg zu gehen hatte.

Wie angekündigt, erschien Jürgen zwei Tage später bei uns in Laboe. Er hatte einen mehrere Tage alten Stoppelbart und brachte einige Beutel, reichlich gefüllt mit Lebensmitteln, für uns mit. Die Segeltruppe hatte sich offensichtlich auf eine recht gefährliche Reise begeben, denn selbst die offizielle, große Fähre nach Helgoland hatte an diesem Tag ihren Fährbetrieb einstellen müssen. Nur diese winzigen Segelnussschalen mit jeweils acht Persönchen an Bord, wovon nur ein Segler echte Segelerfahrungen mitbrachte, hatten sich in dieser Sturmesnacht auf die offene See bei Windstärke acht begeben. Jürgen und seine Reise- oder besser gesagt Leidensgefährten, hatten sich mit Seilen und Karabinerhaken am Schiff befestigen müssen, um nicht in der tobenden Nordsee zu landen. Die permanenten kurzen Wellen machten diese Fahrt zu einem echten Höllentrip. Aus diesem Grund war von dem reichlich erworbenen Reiseproviant nichts verzehrt worden, daher die prall gefüllten Beutel. Jürgen schilderte uns die Seereise und sowohl Anna als auch mir stand das Entsetzen im Gesicht. Jürgen berichtete, dass auf Helgoland außer dieser beiden kleinen Segler an jenem Tag kein Schiff angekommen sei und die dortigen Bewohner sich außerordentlich über diese gestrandeten Landratten gewundert haben. So schnell hätte Jürgens Firma das gesamte Vertriebsteam loswerden können und wir als Außenstehende fanden die Sache schon sehr wagemutig und verantwortungslos.

Von jetzt an bestand unser Urlaub aus einem erweiterten Programm, da uns nun Jürgens Auto als Fortbewegungsmittel zur Verfügung stand. Jeden Tag unternahmen wir bei strömenden Regen einen Ausflug. Unsere Tagestouren führten uns nach Lübeck, Kolding in Dänemark, nach Flensburg und Wilhelmshaven. Interessant fanden wir das U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg und die gigantische Gedenkstätte in Laboe für alle auf dem Meer gebliebenen Seeleute.

Irgendwann endete dieser nasskalte Ostseeurlaub und wir reisten, diesmal wie gewohnt bequem, mit unserem Auto zurück nach Leipzig in unser schönes Zuhause.

In den folgenden Wochen stellte Anna die Bewerbungsunterlagen für das Parlamentarische Jahr zusammen und eines Tages lag er da, der entscheidende Brief und wartete darauf, in den Briefkasten zu flattern. Anna sagte zu mir, ich soll ihr Glück wünschen und das tat mein Verstand auch, doch mein kleines Mutterherz tickte einfach anders und das konnte ich nicht abstellen. Mir war klar, dass eine schwere Zeit auf mich zukommen würde.

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