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Oh Gott, trägt er einen Ehering?

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Tiffy öffnete vorsichtig ihre Augen. Okay, das war hell. Viel. Zu. Hell.

Jetzt hab dich nicht so, befahl sie sich selbst und machte noch einen Versuch. Na bitte, geht doch. Sie blinzelte. Warum kam ihr hier nichts bekannt vor? Was war das für eine dunkelblaue Bettwäsche? Die war nicht nur einfach kuschlig, sondern fühlte sich an, als wäre sie aus Zuckerwatte gemacht worden. Die ägyptische Baumwolle schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper. Einfach nur himmlisch! Richtig teuer musste die gewesen sein. Also das war definitiv nicht ihre Star-Wars-Bettwäsche, auf der Yoda mit gezücktem Lichtschwert finster auf den Todesstern starrte. Man erkannte auf der Bettdecke, dass Yoda einen Plan hatte – ganz im Gegensatz zu ihr. Und die Macht war auch nicht mit ihr, so viel stand fest.

Da dämmerte es Tiffy: Verdammt! Das hier ist nicht mein Bett – und ich bin nackt!

Instinktiv zog sie sich den himmlischen Bettdecken-Traum bis unter ihre Nase hoch. Tiffy schaute verstohlen auf die andere Hälfte des riesigen Bettes, doch da lag niemand. Allerdings war alles ziemlich zerwühlt. Konnte sie wirklich allein so viel Chaos anrichten?

Tiffy schreckte hoch – vielleicht einen Tick zu schnell, denn jetzt durchfuhr ein Blitz ihren Kopf. Langsam stieg Angst in ihr herauf. Wo war sie gelandet? Sie blickte sich um, und was sie sah, beruhigte sie nicht gerade. Außer der Decke und dem Bett hatte sie auch den Rest des Zimmers noch nie in ihrem Leben gesehen. Naja, Zimmer war auf jeden Fall untertrieben: Das hier war ein Loft, und was für eins!

Das Bett stand inmitten eines riesigen Raums. Wie weit war es wohl bis zur Decke? Gut und gerne vier Meter. Bei ihr Zuhause hatten schon große Handwerker manchmal Schwierigkeiten – ihr Türrahmen hatte sich als echter Kopf-Beulen-Macher für jeden über 1,95 Meter herausgestellt. Dagegen war das hier eine echte Kathedrale. Die Wände bestanden aus den gerade angesagten unverputzten Backsteinen, alles war spartanisch eingerichtet und überall dominierte die Farbe Weiß. Okay, das hier war anders als ihre kuschlige 52-qm-Wohnung in Berlin-Reinickendorf, wo sie und ihre Katze Garfield es sich seit Jahren gemütlich gemacht haben. Hier aber sah es ein bisschen aus wie in einem Studio: Da stand ein irrsinnig langer Esstisch, der es leicht mit dem Durchmesser ihres Wohnzimmers aufnehmen konnte. Wie viele Leute können wohl daran sitzen? 16? Oder sogar 20? Sie staunte: Wer bitte braucht denn sowas?

Es gab eine bombastische schneeweiße Couch-Landschaft aus feinstem Leder, die sich nicht um eine, sondern um zwei Ecken räkelte. Und am anderen Ende des Raums stand ein Schreibtisch, dessen Platte von unten beleuchtet war. Wohnte hier ein Architekt oder ein Maler? Für einen Künstler sprachen die abstrakten Gemälde an den Wänden. Tiffy hatte sich nie erklären können, wie manche Leute in ein paar dahin gepinselten Strichen einen Sinn erkennen konnten und dafür dann auch noch viel Geld zahlten.

Wo zur Hölle war sie hier gelandet?

„Wow, du bist ja schon wach. Guten Morgen!“, rief plötzlich eine tiefe und sehr warme Stimme im Hintergrund. Tiffy zuckte, denn mit so viel Lautstärke hatte sie nicht gerechnet. Sie drehte sich um: Am anderen Ende des Lofts kam ein Fremder langsam auf sie zugelaufen. Aber war er wirklich ein Fremder? Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Die Angst war weg. Dafür begann sie sich zu schämen. Oh Mann, ich hab bei diesem Typen übernachtet! Ich bin nackt! Und er sieht auch noch verdammt gut aus…

„Ich bin übrigens Tom – falls du dich nicht erinnerst…“ Er lächelte einen Tick zu anzüglich, aber das merkte sie gar nicht. Tiffy starrte auf seine makellosen weißen Zähne, seine bronzene Haut und seine dichten rabenschwarzen Haare, in die man sich festkrallen könnte. Du liebes bisschen, hatte sie das letzte Nacht wirklich getan? Dieser Tom war groß, bestimmt 1,85 Meter oder noch mehr. Sein bordeauxfarbenes Hemd über der weißen Hose trug er offen und auf seiner Brust zeichnete sich ein gut trainiertes Sixpack ab.

Auch das noch, der sieht ja aus wie Superman! Tiffy nahm den Anblick zum Anlass, die Bettdecke noch ein bisschen höher zu ziehen, denn sie musste an ihre eigenen Fettpölsterchen und Problemzonen denken. Da konnte ihr ihre Mutter noch so oft versichern, dass es sich hier nur um „Babyspeck“ aus Kindertagen handelte – nein, mit 26 war das definitiv kein Babyspeck mehr, sondern ein Beweis für Tiffys Vorliebe für Nougat-Pralinen, Käsekuchen und Spaghetti Carbonara. Der verdammte Käse lag wie ein Fluch über ihren Hüften.

Tom kam ans Bett und setzte sich elegant auf die Kante, was gar nicht so einfach war: Erstens war das Bett relativ niedrig und zweitens balancierte er ein kleines Tablett in der rechten Hand. Darauf standen zwei kantige Espresso-Tassen – und ihr Inhalt duftete verführerisch. Dieses volle Aroma kannte sie nur von professionellen Café-Ketten.

Er lächelte, dieses Mal nicht so anzüglich, sondern etwas besorgt: „Geht es Dir gut? Du sagst ja gar nichts.“ Langsam fing Tiffy sich wieder. Sie wollte etwas sagen, doch sie hatte einen seltsamen Kloß im Hals. Verdammt, wenn ihr nur irgendetwas in diesem Schickimicki-Loft bekannt vorkäme – oder wenn sie wenigstens irgendwo einige ihrer Klamotten entdecken könnte. Sie räusperte sich ein bisschen, dann versuchte sie es noch einmal und wollte dabei besonders sachlich klingen: „Ich bin Tiffy. Tiffy Thielemann. Wo bitte bin ich hier?“ Okay, das klang jetzt etwas kühler, als sie beabsichtigt hatte, aber sie war auch verdammt wütend – vor allem auf sich selbst. Tom runzelte seine Stirn. Aus seiner Stimme war die Selbstsicherheit verschwunden: „Heißt das, du erinnerst dich an gar nichts? Weißt Du nicht mehr – die Fashion-Week-Party gestern Abend im ‚Adagio‘? Wir hatten uns an der Bar unterhalten.“

Tiffy kniff die Augen zusammen. Wie durch eine Nebelwand tauchten langsam die Bilder des gestrigen Abends auf. Und dann lichtete sich der Vorhang: Tiffy hatte ihre Freundinnen Vicki und Josie auf die After-Show-Party des angesagten Berliner Labels „Fashion4U“ begleitet. Vicki arbeitete als Modebloggerin und seit ihre Followerschaft auf Instagram die 100.000-er-Marke geknackt hatte, wurde sie auf alle wichtigen Mode-Events eingeladen und hofiert. Und das nicht nur in Deutschland. Vicki war vergangenen Herbst sogar auf der New Yorker Fashion Week zu Gast, demnächst standen Mailand und Paris auf dem Plan. Man hielt sogar einen Platz in der allerersten Reihe für sie frei und sie saß neben Ikonen wie der gefürchteten „Vogue“-Chefin. Manchmal beneidete Tiffy ihre Freundin für deren Lebensstil, dann aber fiel ihr wieder ein, wie einsam Vicki trotz all des Glamours war – vielleicht einsamer als sie selbst.

Josie wiederum wartete noch auf ihren großen Durchbruch. Sie hatte sich gerade als Hochzeits-Planerin selbstständig gemacht. Obwohl sie jeden Tag 18 Stunden schuftete, hatte sie sich noch keinen großen Kundenstamm aufbauen können und so kämpfte sie sich von Monat zu Monat. Tiffy bewunderte ihre Freundin für deren Durchhaltewillen und trotzdem war sie froh, dass sie selbst einen ruhigen und relativ sicheren Job als Assistentin bei einem Lifestyle-Magazin hatte. Da war sie zwar nur ein kleines Licht, aber dafür musste sie sich auch nicht dauernd neue Themen ausdenken und Abgabetermine einhalten. Nein danke, sollen sich doch die Redakteure, die sich für superwichtig hielten, auf diese Art Stress einlassen. Darauf konnte sie gern verzichten.

Und trotzdem: Wenn sie wirklich jemand war, der jedes Risiko vermied – wieso lag sie dann im Bett eines Mannes, den sie erst gestern Abend kennengelernt hatte? Eigentlich war sie kein Aufreißer-Typ. Tiffy war immer ein bisschen stolz darauf gewesen, sich die windigen Exemplare vom Leib halten zu können, die die angesagten Berliner Locations bevölkerten. Nein, in ihrem Freundinnen-Trio war sie immer die verlässlichste. Die Vernünftige. Und jetzt das. War ihr Instinkt verloren gegangen?

Verstohlen musterte sie diesen Tom. Jetzt erst fielen ihr seine schönen grünen Augen auf, die sie großherzig anblickten. Waren das wirklich die Augen eines miesen Aufreißers? Tiffy wurde unsicher. Tom hatte ihre Unsicherheit bemerkt und ehe sie sich versah, hatte er ihre Hand gegriffen. Seine Hand war riesig, Tiffys eigene verschwand darin komplett, wie ein Wollknäuel in einer bequemen Lederhandtasche. „Du musst dir keine Sorgen machen, wir hatten doch einen tollen Abend. Vielleicht erinnerst du dich ja: Ich war dieser Fotograf und wir kamen ins Gespräch über die letzte Show an diesem Tag. Ich fand eigentlich, dass wir einen guten Draht zueinander hatten.“

Jetzt erinnerte sie sich: Der Abend hatte mit Hugo-Cocktails mit ihren Freundinnen begonnen, als ihr dieser blendend aussehende Typ an der Bar aufgefallen war, der sie permanent anstarrte. Sie! Und nicht ihre selbstbewussten und superhübschen Begleiterinnen. Als er ihr dann am Tresen noch von seiner kürzlich verstorbenen Katze und seiner Trauer um „Whiskers“ erzählte, war es um sie geschehen: Das hier war ein einfühlsamer, netter Mann, der sich unter all den oberflächlichen Mode-Püppchen ein bisschen einsam fühlte – genauso wie sie… Die vielen Cocktails hatten wohl zum Rest der Nacht beigetragen.

Auf einmal tat Tiffy ihr strenger Tonfall von vorhin ein bisschen leid. Dieser Tom schien doch ein ganz netter Kerl zu sein. Er hielt noch immer ihre Hand fest. Plötzlich streichelte er mit seinem Daumen die Innenseite ihrer Hand. Tom starrte sie an. Damit änderte sich irgendwie die Chemie zwischen den beiden, es war, als ob die Luft flirrte. Tiffy fand das schon anzüglich, aber sie wollte ihre Hand nicht zurückziehen. Zu schön, zu vertraut fühlte sich dieses Streicheln an.

Sie fand es seltsam, dass ihre ganzen vernünftigen Abwehrmechanismen nicht mehr zu gelten schienen. Sie wollte mehr von diesem Streicheln, sie wollte es an ihrem ganzen Körper spüren. Und ihr Körper zitterte. Er ahnte ihr stilles Einverständnis. Sanft stellte Tom das Tablett mit dem Espresso ab. Es war totenstill. Als ob die Zeit angehalten hätte. Während er weiter ihre Hand hielt, nutzte er den nun freien Arm, um sie an seinen Körper zu ziehen. Da erst fiel Tiffy sein Geruch auf. Du lieber Himmel, dieser Duft war zu verführerisch. Kann ein Mann wirklich wie eine Mischung aus Sommerregen und Zedernholz riechen? Nun, dieser hier konnte es. Doch sie hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Tiffy schloss ihre Augen. Ohne Vorwarnung näherte er sich ihrem Ohr und atmete immer schwerer – als hätte er eine Witterung aufgenommen. Mit einer schnellen Bewegung biss er ihr zärtlich ins Ohr, als wollte er seine Beute markieren. Erst ganz vorsichtig, dann immer drängender.

Tiffy hatte diese schnelle, diese animalische Seite an ihm nicht erwartet, sie fühlte sich angenehm überrumpelt. Doch all die Ängste und die Unsicherheit dieses Morgens waren verschwunden. Sie warf ihren Kopf in den Nacken und ließ sich fast mechanisch zurück auf das Laken gleiten.

Ihr Atem wurde immer schwerer. Sie wollte ihm jetzt und sofort jede Kontrolle über ihren Körper geben. Er sollte sie einfach besitzen, durch und durch. Plötzlich ließ er von ihr ab, um sich sein Hemd und seine Hose abzustreifen. Sie zitterte, denn sie wollte seine Hände spüren, sie wollte seinen Atem in ihrem Gesicht. Endlich schob er sanft ihre Schenkel auseinander, und sie fühlte, wie seine Wärme ihren ganzen Körper durchströmte. Er liebte sie erst sanft und zärtlich, dann immer drängender. Tiffy krallte sich in seinem Rücken fest und überließ ihm völlig die Kontrolle über sich.

Erschöpft lagen sie sich nach dem Sex in den Armen. Tiffy konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal so sicher und geborgen gefühlt hatte.

Während Toms gleichmäßiger Atem ihr verriet, dass er kurz eingenickt war, begannen sich ihre alten Zweifel zu regen. So wohl sie sich auch in seinen Armen fühlte – war dieses Abenteuer wirklich eine gute Idee? Ja, sie und Tom schienen einen guten Draht zueinander zu haben, wie verwandte Seelen. Naja, zumindest sprang sie auf sein Aussehen und auf seinen Geruch an. Aber das war ja nur Körper-Chemie. Doch, Herrgott nochmal, sie kannte ja nicht einmal seinen Nachnamen! Und jetzt hatte sie glatt noch einmal mit ihm geschlafen! War es zu spät, jetzt noch rot zu werden?

Tiffy musste es sich eingestehen: Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser großartige Sex mit einem Unbekannten ein One-Night-Stand bleiben würde, war ganz schön hoch. Und trotzdem: Sie sah ihn in ihren Armen liegen und musste auf einmal lächeln. Süß sah er ja aus, so wie er sich eingekuschelt hatte. Aber was hatte sie, eine kleine Assistentin, die für Abrechnungen und Terminplanungen verantwortlich war, schon mit einem erfolgreichen, kreativen und reichen Fotografen gemeinsam? So rein gar nichts, gestand sie sich ein. Sie war nur ein kleines Licht und er schien in seinem Job super erfolgreich zu sein. Und sein Aussehen erst! Am besten wäre es, wenn sie sich davon schleichen würde.

Zumindest bestand keine Eile, diesen Plan umzusetzen. Heute war Sonnabend und sie konnte sich Zeit lassen, um sich aus dieser peinlichen Situation zu befreien. Vorsichtig setzte sie sich aufrecht hin, um sich erneut umzuschauen: Verflixt nochmal, wo waren eigentlich ihre Sachen? Da endlich entdeckte sie ihr schwarzes Ich-geh-dann-mal-in-den-Club-Kleid mit den angesagten Fransen – es lag zusammen mit ihrer Clutch am Rande des monströsen Ecksofas. Während von ihren schicken Stilettos jegliche Spur fehlte, sah sie zumindest ihren Spitzen-BH auf halbem Weg zwischen Sofa und Bett auf dem Boden liegen. Soweit, so gut. Auf das Wiederauffinden ihres Slips würde sie notfalls verzichten können, schließlich wollte sie erst einmal nach Hause.

Vorsichtig zog sie ihren Arm unter seinem Nacken weg. Kurz dachte sie, er würde wach werden, doch sein Atem ging sofort wieder gleichmäßig. Tiffy wandte sich katzenartig aus dem Bett und doch konnte sie nicht anders – sie starrte ihn erst einmal an: Mein Gott, was für ein schöner Mann. Eigentlich wäre sie gern hier geblieben, in seinen starken Armen, an denen kleine goldene Härchen schimmerten. Aber an diesem Morgen hatte sie irgendwie alle ihre Prinzipien über Bord geworfen und damit musste sie erst einmal klar kommen.

Außerdem spürte sie, wie ihr Schamgefühl von heute Morgen zurückkehrte. Einfach so mit dem erstbesten Typen mitzulaufen – das passte so gar nicht zu ihr. Sie seufzte, drehte sich um, näherte sich, nackt, wie sie war, ihrem BH, den sie in der stürmischen Leidenschaft des gestrigen Abends achtlos auf den Boden geworfen hatte. Das hatte dieses edle Modell von La Perla nun wirklich nicht verdient, aber gestern Nacht war es wohl hoch hergegangen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt dermaßen vergessen hatte.

Sie hatte gerade das gute Stück aufgehoben, als ein lautes Surren die Stille schlagartig beendete. Um Himmels Willen, was war denn das? Tiffy spürte Panik in ihr aufsteigen, während Tom weiter den Schlaf der Gerechten schlief. Da, noch einmal das penetrante Summ-Geräusch! Oh je, das ist die Türklingel! In diesen superteuren Lofts hörte sich sogar die Türglocke wie das kontrollierte Brummen eines gut dressierten Bären an. Da passierte es: Toms Atem wurde unregelmäßig, er wachte auf!

Tiffy schaltete in den Panik-Modus: Mit einem Satz war sie bei ihrem BH und fummelte ihn sich an. Da brummte es ein drittes und ein viertes Mal, und zwar richtig lang. Wer auch immer draußen stand – er wurde ungeduldig. Auf einmal wurde ein Schlüssel im Türschloss umgedreht.

Nein, nein, nein, das darf doch nicht wahr sein!

Schlagartig wurde Tiffy klar, in welcher unmöglichen Situation sie sich befand. Nicht nur, dass Tom von dem Lärm erwachte und sich ihr ganzer schöner Fluchtplan damit in Luft auflöste. Nein, jetzt kam auch noch ein Fremder in die Wohnung – und das einzige, was sie anhatte, war ein schwarzer Spitzen-BH!

Da durchzuckte Tiffy ein erschreckender Gedanke: Was, wenn da gerade Toms Freundin auftauchte und ihnen gleich eine Szene machte? Oder vielleicht sogar seine Ehefrau, die Mutter seiner drei Kinder! Hatte Tom eigentlich einen Ring am Finger gehabt? Nicht einmal darauf hatte sie geachtet. Tiffy verfluchte sich selbst: Warum war sie nicht gleich heute Morgen abgehauen? Warum war sie überhaupt erst mit dem charmanten Kerl mitgegangen, den sie quasi gar nicht kannte? Was wusste sie schon über diesen Tom, außer dass er verteufelt gut aussah? Ob ihr ein Ehering an seinem Finger gestern Abend überhaupt aufgefallen wäre – bei all den Cocktails?

Tausend Fragen und Millionen Horror-Szenarien schossen Tiffy zeitgleich durch den Kopf. Doch jetzt ging es nur noch um Schadensbegrenzung. Okay, der Slip war unauffindbar, sie musste ihn zurücklassen. Ein echter Kollateralschaden, denn er passte zum BH. Blieb nur noch das kleine Schwarze, das musste jetzt als Schutzschild her, aber schnell!

Gerade als Tiffy nach dem Kleid griff, öffnete sich die Tür. Ein Mann kam herein – zumindest war damit die Freundin/Ehefrau-Krise abgewendet, dachte Tiffy ein wenig erleichtert. Trotzdem war ihr Fluchtweg durch die Wohnungstür erst einmal versperrt. Fürs Anziehen des Kleides war es zu spät, sie konnte sich das gute Stück nur noch vor den Leib halten. Gott, wie lächerlich sie aussehen musste!

„Tom! Tom? Bist du nicht da?“ Der andere Mann hatte jetzt das Loft betreten. Er war blond, nicht so groß wie ihr One-Night-Stand und spielte mit dem Schlüssel in seiner Hand. Als er Tiffy sah, wie sie halbnackt vor ihm stand, prustete er los vor Lachen. Na toll, sie war den Blicken eines aufgeblasenen Idioten ausgeliefert. Der kniff seine Augen zusammen und bellte in einer Mischung aus Überheblichkeit und Belustigung: „Hey, wer bist du denn? Und wo ist Tom?“

Halbnackt hin oder her – Tiffy fand, der Typ, der sie nicht aus den Augen ließ, verhielt sich wie ein Ekel. „Entschuldige mal, was fällt DIR ein, hier einfach reinzuplatzen?“, fragte sie patzig zurück. Jetzt war sie doch froh, dass Tom von dem ganzen Lärm aufwachte. Er blinzelte kurz, erfasste die Situation, dann schnellte er hoch, wobei er sich geschickt unterhalb der Hüfte in ein Laken wickelte. Tiffy erwischte sich dabei, dass sie sich einen klitzekleinen Augenblick lang wünschte, er würde dieses Laken wieder fallen lassen.

„Mensch, Paul, was machst du denn hier? Wir sind doch erst heute Nachmittag zum Fußball verabredet, oder?“ Hektisch blickte Tom zwischen den beiden hin und her. Beherzt griff er die übergroße Bettdecke, ging damit zu Tiffy rüber und breitete sie als Blickschutz vor ihr aus. Auch das noch – er ist ein echter Gentleman, dachte sie. Rasch warf sie sich das Kleid über und schickte einen „Ich hab gewonnen“-Blick in Richtung Paul, dessen Grinsen schon viel kleiner geworden war. Und dort an der Tür entdeckte sie auch endlich ihre Pumps! Okay, vielleicht kam sie ja doch noch nach Hause, ohne öffentliches Aufsehen zu erregen. Immerhin.

Paul beendete die peinliche Stille: „Eigentlich waren wir vor zwei Stunden verabredet, aber du hattest wohl was Besseres vor…“ Toms Gesicht bekam hektische rote Flecken, was Tiffy eigentlich ganz schnuckelig fand. „Paul – das ist Tiffy, wir haben uns gestern Abend bei der Aftershow-Party kennen gelernt. Tiffy – das ist Paul, mein bester Freund seit der dritten Klasse.“ Bei so viel Förmlichkeit in der Luft beschloss auch Paul endlich, ein ernstes Gesicht zu machen: „Sorry, ich wollte da in nichts hinein platzen“, stammelte er. Tiffy hörte es mit Genugtuung, doch sie beschloss, der ganzen unwürdigen Szene endlich ein Ende zu machen.

„Okay, ich muss dann jetzt auch los – ich bin mit meinen Freundinnen im ‚Cheesecake Heaven‘ verabredet.“ Noch während sie es aussprach, bereute sie ihre große Klappe. Toll, jetzt hab ich dem One-Night-Stand und seinem aufdringlichen Kumpel auch noch mein peinliches Lieblings-Gericht verraten. Saubere Leistung, Tiffy!

Pauls Grinsen kehrte nach dieser Vorlage schlagartig zurück und Tom versuchte zu retten, was zu retten war. Mit seinen großen grünen Augen blickte er sie an: „Ich dachte, ich mach uns jetzt ein schönes Frühstück? Ich könnte uns Croissants aufbacken und neuen Espresso machen – der andere ist ja kalt geworden.“ Doch Tiffy hatte ihre energische Seite wiedergefunden: Bloß raus hier, bloß weg aus dieser peinlichen Szene mit den unbekannten Typen. „Nein, lass mal – ist schon okay. Ich will deine Pläne für heute nicht noch mehr torpedieren“, sagte sie und blickte in Pauls Richtung.

Mit dem Rest Selbstbewusstsein, der ihr noch geblieben war, ging sie zur Tür. Tom, der sich noch immer das Laken um die Hüfte hielt, tapste ihr hinterher. Paul beschloss, die Tür zu räumen und sich das ganze Theater aus der Nähe anzusehen. Als Tiffy sich an der Tür die Schuhe angezogen hatte und hinaustreten wollte, hielt Tom sie am Arm fest: „Wir sehen uns doch bald wieder, oder?“

Für einen Moment stockte ihr der Atem. Sie vergaß die ganze Peinlichkeit der vergangenen Augenblicke, sie vergaß, dass sein Kumpel gestört hatte. Tom stand wieder ganz dicht vor ihr und erneut wurde sie von seinen dunkelgrünen Augen fixiert. Verdammt, warum roch er bloß so gut? Dann fasste sich Tiffy wieder: „Naja, wir werden sehen. Irgendwie ist ja Berlin doch ein Dorf – da läuft man sich früher oder später über den Weg, denkst du nicht?“ Sie wollte los, doch er hielt sie noch immer am Arm fest. „Ich dachte, wir könnten uns ja heute wieder über den Weg laufen. Wie wäre es um neun im ‚Weekend‘?“, hauchte er.

Tiffy war verunsichert. War das hier doch kein One-Night-Stand? Oder wollte sich Tom vor seinem Freund über sie lustig machen? Ach Quatsch! Sie beschloss, in die Offensive zu gehen: „Sorry, ich bin heute schon verabredet. Aber ein anderes Mal klappt es bestimmt. Ciao!“

Mit einem sanften Ruck machte sie ihren Arm los und stakste die Treppe herunter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Tom blieb wie angewurzelt in der Tür stehen. Das war jetzt irgendwie schief gelaufen.

Der Liebesschuft

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