Читать книгу Der Liebesschuft - Juli Bennet - Страница 6
Wattepads in Diät-Cola
Оглавление„Junge, hast du sie noch alle? Wieso gibst du denn ohne Not den Ball ab? PASS DOCH MAL AUF!“ Lukas war sauer, und er wollte, dass das auch alle mitbekamen. Ja, das hier war nur ein Trainingsspiel gegen die Marketing-Typen aus dem Internet-Gründer-Zentrum nebenan. Aber sie verkackten, und zwar richtig. Zu seiner Mannschaft gehörten seine Kumpels aus der Kreativszene – alles Fotografen, Grafiker oder Art Directors. Dass es seine künstlerisch angehauchten Freunde auf dem Fußballplatz nie leicht hatten, war die eine Sache. Am Ende der ersten Halbzeit aber schon 0:4 gegen ein paar Schlipsträger zurückzuliegen, war dann doch mehr Schande, als Lukas ertragen konnte. Vor allem Tom schien heute irgendwo zu sein, nur nicht auf dem Spielfeld.
Am Ende hatten die Spieler von „BerlinPic 05“ die Niederlage auf ein 2:4 verringern können, trotzdem war ihr Ego mächtig angekratzt. Während die anderen ihr Schicksal bei einem Craft Beer beweinen wollten, hatte Tom keine Lust auf eine große Runde, er ging mit Paul in die Strandbar an der Museumsinsel und genoss den Ausblick auf die vorbeiziehenden Touri-Dampfer.
Die Dämmerung hatte schon eingesetzt und es war Tangoabend. Die Gast-Band bestand nur aus einem Geiger, einem Schlagzeuger und einem Akkordeonspieler, doch das reichte: Gleich als die ersten leidenschaftlichen Töne erklangen, schlichen sich erst zwei, dann fünf Pärchen auf die kleine Tanzfläche. Die festlich beleuchtete Museumsinsel am anderen Ufer der Spree stand erhaben über dieser Sommer-schwülen Szenerie. Tom sah den eng umschlungenen Tanzpaaren zu und schien mit seinen Gedanken weit, weit weg zu sein. Paul nutzte die Gelegenheit zu einem ausführlichen Verhör.
„Erzählst du mir jetzt endlich, wer die Schnecke heute früh bei dir war, die da nackt durch dein Loft irrte? Was mich interessiert: Warst du gestern hackedicht – oder hast du plötzlich deinen Geschmack geändert?“ Toms Augen verengten sich zu engen Schlitzen: „Was soll denn der blöde Quatsch jetzt? Was meinst du damit, ob ich meinen Geschmack geändert hätte?“
Pauls Selbstsicherheit war mit jedem Wort ein bisschen zusammengeschrumpft. Auch ohne Spürhund war das Minenfeld, das er betreten hatte, deutlich zu riechen. Er schlug einen versöhnlicheren Tonfall an: „Naja, ich meine ja nur. Die Kleine heute Morgen scheint ja nicht deinem üblichen Beuteschema zu entsprechen. Sie war niedlich, aber eigentlich bevorzugst du doch einen ganz anderen Typ, oder nicht?“ In diesem Punkt musste Tom seinem Freund recht geben. Tiffy war ganz anders als die Frauen, mit denen er bisher zusammen war.
Da war zum Beispiel Joy, die superheiße Start-up-Gründerin aus dem Silicon Valley, ein echtes California Girl. Sie war diese seltene Westküsten-Mischung aus Baywatch-Bademeisterin und Nerd. Joy hatte das College geschmissen und zusammen mit ihren Computer-Kumpels eine neue Software entwickelt, die sie schon nach wenigen Monaten an Google verkaufen konnten. Joy hatte diesen typischen kalifornischen Optimismus, dazu lange blonde Haare bis zur Hüfte. Er hatte sie bei einer Fotosession kennen gelernt, bei der er für ein Business-Magazin die coolsten IT-Frauen der USA porträtierte. Wochenlang hatten sich die beiden in Joys Art-Deco-Strandhaus in der Bay Area verkrochen und nur von Luft und Liebe gelebt.
Aber mit Joy war man nie allein. Es gab keine Stunde, nicht einmal am Strand oder an Bord ihrer gecharterten Jacht, in der sie nicht ihre Mails checkte oder Updates in den sozialen Netzwerken postete. Irgendwie lebte Joy ganz in ihrer vernetzten Welt, teilte alles mit allen. Das war nichts für Tom, der manchmal einfach nur den Sonnenuntergang genießen wollte, ohne dass er den Drang fühlte, das gleich dem ganzen Planeten mitteilen zu müssen. Er dachte manchmal noch immer an sie, aber Joy war ihm dann doch immer ein bisschen fremd geblieben. Und ein Typ für One-Night-Stands war Tom ohnehin noch nie. Natürlich wusste er, dass seine Freunde da weniger Hemmungen hatten, allen voran Paul, der noch nie etwas anbrennen ließ.
Nach Joy hatte Tom dann Kristina kennen gelernt, ein norwegisches Unterwäsche-Model. Kristina war so groß wie er, hatte lange schwarze Haare und dazu eisblaue Augen. Eine Wahnsinns-Braut. Und das in gleich mehrfacher Hinsicht…
Sie lief auf allen wichtigen Schauen, die beiden hatten sich am Rande der „Victoria’s Secret“-Show in New York getroffen. Kristina sah aus wie ein skandinavischer Weihnachtsengel, und das in der heißesten Unterwäsche, die er je gesehen hatte.
Alle seine Freunde beneideten ihn um Kristina. Doch sie stand nur allzu gern im Rampenlicht – das galt auch für die Aufmerksamkeit anderer Männer. Sie genoss die hungrigen Blicke, die man ihr zuwarf. Sie kokettierte mit den teuren Geschenken, die fremde Männer ihr machten. Für Toms Eifersucht hatte sie gar kein Verständnis, sie machte sich vor anderen darüber lustig. Trotzdem war das Entsetzen in seinem Freundeskreis groß, als er Kristina den Laufpass gab. Es ging einfach nicht mehr. Nicht nur, dass er sie mit anderen teilen musste. Sie hatte auch eine gewisse Grausamkeit an den Tag gelegt, als sie ihm genüsslich davon berichtete, welche anzüglichen Botschaften man ihr Tag für Tag über WhatsApp schickte. Auch von den nicht jugendfreien Bildern, die sie über Snapchat erreichten, konnte sie gar nicht aufhören zu schwärmen.
All diese Spielchen waren nicht Toms Welt. Als Ausgleich zu dem ganzen Modezirkus bereiste er Krisengebiete und engagierte sich bei Hilfsprojekten rund um den Globus. Doch er wollte mit seiner Arbeit nicht nur Menschen in Not helfen, er hatte auch ein großes Herz für Tiere. Er machte sich Vorwürfe, dass er seiner alten Katze Whiskers immer wieder Umzüge rund um die Welt zugemutet hatte. Als er dann vor einem halben Jahr endlich in Berlin, der Heimatstadt seiner Mutter, Wurzeln geschlagen hatte, konnte oder wollte sich Whiskers nicht mehr in die neue Wohnung einleben. Toms Herz war gebrochen, als er seinen alten Kater einschläfern lassen musste, doch der Tierarzt hatte alle Hoffnung in ihm zunichte gemacht.
Jetzt hatte er sich also ein Heim in Berlin geschaffen, lebte und arbeitete, wenn er keine Aufträge Gott weiß wo hatte, in seinem Atelier in Mitte. Aber dieses große Loft konnte auch verdammt einsam sein. Es gab keine Frau, mit der er wirklich sein Leben und seine Gedanken teilte. Es gab nicht einmal ein Haustier, das seine Aufmerksamkeit wollte. Tom musste es sich eingestehen: Er war einsam.
Paul unterbrach Toms düstere Gedanken: „Weißt du was? Wir mischen heute Abend diesen neuen Untergrund-Club in Lichtenberg auf, von dem ich gehört habe. Durch die Fashion Week ist die Stadt noch immer überschwemmt mit Models. Das sind dann ganz andere Kaliber als diese, naja, kleine Schnecke von heute Morgen. Wir checken die Clubs ab und mit ein bisschen Glück finden wir eine ganz neue Kristina für dich, was denkst du?“
Tom sah ihn entgeistert an. „Glaubst du wirklich, DAS ist es, was ich wollte? Eine neue Kristina?“ Er wurde richtig ärgerlich: „Und wieso beleidigst du das nette Mädchen aus meiner Wohnung, die war doch sehr süß. Du erinnerst dich vielleicht: Sie heißt Tiffy.“ Paul verdreht die Augen: „Tiffy? Wie der nervige Vogel aus der Sesamstraße?“ Langsam verlor Tom die Geduld mit seinem Freund: „Ich hab Tiffy wirklich gern. Sie ist ehrlich, lieb, mag Tiere – und ich glaube, sie hat ein sehr großes Herz.“
Paul sah die Chancen auf ein cooles Club-Hopping am Abend schwinden, also ging er in die Offensive: „Auf jeden Fall hat sie einen großen Hintern – soweit ich das erkennen konnte. Jetzt mal ehrlich, auf welchem Trip bist du denn? Ich erkenn dich gar nicht wieder. Du weißt doch als Fotograf besser als ich, was heute Model-mäßig in der Stadt abgehen wird. Das ist doch bisher immer dein Typ gewesen – große, heiße Traum-Mädchen, um die dich jeder Normalo beneidet. Die liegen doch dir und deiner Kamera und deiner Künstler-Masche immer sofort zu Füßen. Ich wunder mich halt nur. Diese Taffy heute früh war nun mal ein ganz anderer Typ – nach allem, was ich von ihr erkennen konnte. Und das war ja nicht gerade wenig.“
Tom verdreht die Augen. Paul war sein bester Freund, aber manchmal fand er sein hohles Macho-Gequatsche einfach nur zum Kotzen. „Erstens: Sie hieß nicht Taffy, sondern Tiffy. Zweitens: Ich wünschte, du würdest etwas weniger großzügig mit deinem Schlüssel zu meiner Wohnung umgehen. Mal ehrlich, soll ich eine Krawatte an meine eigene Wohnungstür binden, wenn ich Damenbesuch habe – nur um etwas Privatsphäre zu erhalten? Und drittens: Diese Tiffy war etwas ganz Besonderes. Mag ja sein, dass sie keine Modelmaße hat. Mag ja sein, dass sie keine geheimnisvolle Aura um sich errichtet, um alle auf Abstand zu halten. Ich weiß nur, dass ich mich ganz wunderbar mit ihr unterhalten habe.“
Mit dieser Standpauke hatte Paul nicht gerechnet. Wer hätte denn ahnen können, dass diese Tiffy seinen Freund so beeindruckt hatte? Die Chancen auf eine heiße Club-Nacht waren auf jeden Fall beträchtlich geschrumpft. Doch Tom war mit seinem Vortrag noch gar nicht fertig.
„Weißt du, ich habe sie satt, all diese Kristinas mit ihren komplizierten Diät-Plänen am Rande des Wahnsinns. Du schwärmst noch immer von ihr, aber weißt du was? Es gab kein Dinner, nach dem sie sich nicht auf dem Klo verschanzte und den Finger in den Hals steckte. Und ich rede hier nur von den Zeitfenstern, bei denen keine großen Schauen in New York oder Paris anstanden. Denn wenn erst einmal irgendwo eine Fashion Week oder eine wichtige Schau vor der Tür stand, gab’s nicht mal mehr ein gemeinsames Dinner. Dann haben Kristina und ihre Freundinnen ihren Hunger gestillt, in dem sie Baumwoll-Wattepads in Diät-Cola tunkten und dieses Gemisch dann runter würgten. Mal ehrlich, Paul, wie sexy, glaubst du, war das?“
Paul hatte sich eigentlich nie um die Tricks der Models geschert. Sie sahen schön aus – mehr musste er nicht wissen. Moderne Göttinnen eben. Da er selbst Art Director war und mit der Model-Branche zunächst mal nicht direkt zu tun hatte, war er einfach nur fasziniert von diesen graziösen Geschöpfen. Er hatte Tom immer wieder um dessen Job beneidet, schließlich kam er mit den schönsten Frauen des Planeten in Berührung und war immer wieder von diesen Elfen umgeben. Die Sache mit den Baumwoll-Pads fand er jetzt aber doch zu eklig.
Tom nutzte Pauls baffes Schweigen, um seinem Freund zu erklären, was ihn an Tiffy so faszinierte: „Weißt du, sie ist ein ganz normales Mädchen. Sie hat, soweit ich das sehen konnte, keine Allüren. Sie will nicht im Mittelpunkt stehen. Doch sie ist klug und aufgeweckt und als sie von ihrer Katze erzählte, hättest du ihre Augen sehen sollen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so etwas Strahlendes gesehen habe. Irgendwie ist es doch toll, mal jemanden zu treffen, mit dem man sich ganz normal unterhalten kann, denkst du nicht?“
Paul stöhnte leise. Das hier würde eine härtere Nuss werden, als er gedacht hatte. Sein Kumpel hatte sich tatsächlich in dieses Pummelchen verguckt. Auch das noch… Das letzte, was er brauchen konnte, war ein bester Freund, der zwar Zugang zur Model-Szene hatte, aber kein Interesse mehr an heißen Schnecken zeigte. Dass Tom auf der Suche nach einem Heimchen am Herd war, passte ihm so gar nicht in den Kram.
Er versuchte es jetzt einfach mal anders: „Finde ich toll, dass du ein einfaches Mädchen von nebenan getroffen hast. Ich weiß halt nur nicht, wie lieb und unkompliziert eine Lady ist, die am ersten Abend einen Wildfremden nach Hause begleitet – oder hab ich das falsch verstanden? Das hört sich für mich nicht gerade nach einem treuherzigen Naivchen an. Ich kann ja verstehen, dass du nach den anstrengenden Models auf der Suche nach einer Frau bist, die unkomplizierter rüberkommt. Mir ist nur nicht klar, wieso du ausgerechnet heute damit anfängst.“
Tom legte die Stirn in Falten. Okay, wenn man es so herum drehte, klang das gestrige Erlebnis eher nach einem x-beliebigen One-Night-Stand. Aber dass Tiffy noch am selben Abend mit ihm nach Hause gegangen war, stellte für ihn noch kein Ausschlusskriterium dar. Schließlich hatten sie beide gestern Abend ordentlich getrunken und sich doch gut miteinander unterhalten. Und der heutige Morgen war ja schließlich auch eine ganz wunderbare Erfahrung. Dieses Mädchen war so sanft, schüchtern und doch so liebevoll, wie er es sich bei seinen Partnerinnen in den vergangenen Jahren vergeblich erhofft hatte.
Alles Weitere lag ganz klar vor ihm: Er musste einfach wissen, ob Tiffy und er zusammen passten, ob sie die fehlende Hälfte war, nach der er schon so lange suchte. Bevor er sich darüber nicht klar wurde, wollte er von anderen Dates oder Model-Geschichten überhaupt nichts mehr wissen. Gott sei Dank hatte sie ihm verraten, dass sie als Assistentin bei einem Lifestyle-Magazin hier in Berlin arbeitete. Alles andere würde er schon hinbekommen. Himmel nochmal, er hatte 2007 den Kilimandscharo mit einem alten Rucksack und zwei Kameras bestiegen – da wird er ja wohl abklären können, ob dieses wunderbare Geschöpf von letzter Nacht wirklich die Frau war, nach der er sich schon so lange sehnte.