Читать книгу Der Liebesschuft - Juli Bennet - Страница 5
Das Käsekuchen-Verhör
Оглавление„Also ich fang nicht an!“ Vicki rollte mit den Augen. Dass Josie sich immer so haben musste! Die beiden sahen die Etagere auf dem Tisch wie einen Koffer voller Plutonium an. Dabei dufteten auf den drei zauberhaft angerichteten Etagen nur zartschmelzende Käsekuchen-Törtchen mit Erdbeer-Garnierung, Trüffel-Klecksen und Mandel-Creme vor sich hin. Schon der Geruch der frisch gebackenen Köstlichkeiten hatte am Tisch zu wilden Panik-Kalorien-Kalkulationen geführt, die ihre alten Mathe-Lehrer stolz gemacht hätten. Dabei hatte der Plan doch so gut ausgesehen: Statt der großen Käsekuchen-Stücke bestellen wir einfach mehrere kleine, das wird schon nicht so schlimm werden! Außerdem bestand damit noch die zumindest theoretische Möglichkeit, dass die anderen Mädels mehr aßen als man selbst. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt.
Fast jeden Samstag wiederholte sich dieses Ritual: Tiffy, Vicki und Josie trafen sich nachmittags im „Cheesecake Heaven“, um die Woche auszuwerten: Wer hatte einen tollen Kerl kennen gelernt? Wessen Job glich am meisten der Arbeit in einem Irrenhaus? Und wessen Familie stellte sich als größte Ansammlung von neugierigen Nervensägen heraus? Vicki und Josie hatten sich für die „Strawberry Surprise“ entschieden, doch die größte Überraschung war eigentlich, dass die stets zuverlässige Tiffy sie nun schon seit einer geschlagenen Stunde warten ließ und nicht einmal an ihr Handy ging.
Vicki hatte schnell eine Erklärung parat: „Die hatte sich doch mit dem süßen Kerl an der Bar unterhalten, mit dem wird sie mitgegangen sein. Pass mal auf, die hatte eine heiße Nacht!“ Josie kräuselte die Stirn und bearbeitete ihren Americano missmutig mit dem Löffel: „Quatsch. Unsere Tiffy doch nicht. Bevor die mit jemandem mitgeht, war sie erst fünfmal mit ihm Essen, zweimal im Kino und hat ihm dabei jedes Mal ihre neuen Postings von Garfield auf Instagram unter die Nase gehalten. Der arme Kerl muss also einige Hürden überwinden.“
Als sie das ausgesprochen hatte, schämte sich Josie für diesen Anflug von Gehässigkeit, doch sie hatte eine harte Woche hinter sich, in der sie die Hochzeit für die superzickige Personalchefin eines Pharmakonzerns ausrichten musste. Die hatte sich einen langweiligen Banker mit Geheimratsecken und Bauchansatz geangelt, tat aber so, als würde sie mit Prinz William persönlich vor den Traualtar treten. Zumindest glich das maßgeschneiderte Hochzeitskleid auffallend dem Modell von Herzogin Kate.
Die Braut hatte es sich denn auch nicht nehmen lassen, sich am Kudamm 50 Zentimeter lange, brünette Extensions anschweißen zu lassen, und neben Josie auch einen Visagisten und zwei Stylisten in den Wahnsinn zu treiben. Josie fasste zusammen: „Die Tischdecken passten angeblich farblich nicht zum Festzelt und waren auf einmal zu ‚eierschalig‘. Der Saxophonist der Hochzeitsband hatte einen ‚komischen‘ Haarschnitt und statt 30 weißer Tauben waren nur 10 geliefert worden, weil angeblich irgendeine obskure Vogelkrankheit kursiert.“ Vicki kicherte: „Na besser, als wenn eine Vögelkrankheit ausgebrochen wäre, meinst du nicht?“
Josie stöhnte. Normalerweise mochte sie es, wenn ihre wortgewandte Freundin einen zotigen Witz riss. Heute aber hatte sie noch immer die Horror-Hochzeit in den Knochen. Sie hatte zwar gestern Abend versucht, mit Vicki und Tiffy bei der Aftershow-Party abzuschalten, aber eigentlich war sie schon dafür viel zu müde gewesen.
Vicki nahm den lautlosen Untergang ihres Witzes gelassen hin und löffelte den Schaum von ihrem Macchiato. Man, wie ihr das Rauchen fehlte! „Den kannte ich irgendwo her, nicht nur von der ‚Fashion4U‘-Show. Ich glaub, das ist ein ganz berühmter Knipser.“ „Wer knipst was…?“ Josie war heute nicht wach zu kriegen und Vickis Gedankensprünge überforderten sie jetzt einfach.
„Na der Typ, mit dem Tiffy den ganzen Abend an der Bar geflirtet hat. Ein Knipser. Ein Fotograf eben! Meiner Erfahrung nach sollte man sich von denen allerdings fernhalten, die sind wie früher die Matrosen – in jedem Hafen eine andere, nur dass es heute Flughäfen sind“, erläuterte Vicki geduldig. Josie grummelte zurück: „Jetzt mach dir mal keine Sorgen, unsere Tiffy ist dafür viel zu vernünftig.“
„Tja, ich wünschte, das würde stimmen!“ Von den anderen unbemerkt hatte Tiffy das Café betreten. Sie ließ sich auf den Stuhl plumpsen und konnte die Neugier ihrer Freundinnen fast mit den Händen greifen. „Ich brauch jetzt erst mal einen großen Cappuccino.“ „Quatsch, Cappuccino! Erzähl uns sofort, wen du gestern Abend abgeschleppt hast. Er ist ein Fotograf, oder? Auf jeden Fall sieht er suuuuper aus!“ – Vicki war nicht mehr zu stoppen und auch Josie war wieder völlig wach. Die Aussicht auf eine gute Geschichte wirkte schneller als jedes Red Bull.
Tiffy holte tief Luft: „Also das mit dem Fotografen stimmt. Er heißt Tom und wir haben uns gestern halt ganz toll miteinander unterhalten. Wisst ihr, seine Katze ist nämlich vor kurzem gestorben.“ Vicki war ganz in ihrem Element: „Schön und gut, Schatz, das war aber eigentlich nicht die Muschi-Geschichte, die wir jetzt hören wollten.“ Panisch blickte Josie sich um – guter Gott, hoffentlich hatte das hier niemand mitbekommen! An den Wochenenden war der Kinder-Anteil im „Cheesecake Heaven“ nämlich deutlich höher als unter der Woche und als Hochzeits-Planerin waren ihr die Kontakte zu Kerstin, der Inhaberin des Cafés, heilig.
Tiffy seufzte und druckste herum, dann rückte sie endlich mit der Sprache heraus: „Okay, ich bin heute Morgen irgendwie in seinem Loft in Mitte aufgewacht. So richtig kann ich mich gar nicht erinnern, wie ich da hin gekommen bin, und Tom und ich konnten hinterher auch gar nicht in Ruhe reden, weil sein Freund aufgetaucht ist und ihn zum Fußball mitnehmen wollte.“
„Was meinst du mit hinterher? So richtig scheint deine Erinnerung an letzte Nacht ja doch nicht verschwunden zu sein. Oder habt ihr heute Morgen etwa eine Ehrenrunde hingelegt?“ Damit hatte Vicki nicht gerechnet: Ihre ach so schüchterne Freundin Tiffy schien ja zum Luder geworden zu sein, und ihr war es nicht einmal aufgefallen! Tiffys Schweigen, das von ihrem tomatenrot anlaufenden Gesicht begleitet wurde, verriet den beiden anderen jedenfalls, dass ihre Freundin heute Morgen mehr als nur Katzenbilder ausgetauscht hatte.
Vicki versuchte, Ordnung ins Chaos zu bringen: „So, jetzt nochmal von vorne. Er heißt Tom und ist Fotograf. Er wohnt in einem Loft, spielt Fußball und er hat nervende Freunde. Okay. Hat er auch einen Nachnamen? Ich muss ihn googeln!“ Tiffy schien auf dem Stuhl zu schrumpfen: „Ich kenn ihn nur als Tom…“ Nach dieser Bombe musste sogar Josie glucksen und Vicki kam erst richtig in Fahrt. „Das glaub ich ja nicht! Unsere kleine Tiffy hat’s faustdick hinter den Ohren! Es stimmt schon, was meine Oma immer gesagt hatte – stille Wasser sind wirklich tief. Aber warte mal, ich glaube, da kann ich dir helfen!“
Vicki zückte ihr Smartphone wie einen griffbereiten und stets geladenen Colt und legte los. Eine gute Bloggerin musste schließlich auch eine begnadete Spionin sein – zumindest wenn die eigenen Freundinnen die Recherche in den Sand gesetzt hatten. Wie ein guter Detektiv setzte sie alle Hinweise zusammen: „Also ich hab ihn auf der Vogue-Party in Mailand gesehen – ziemlich wahrscheinlich also, dass er auch für dieses Magazin gearbeitet hat. Dann stand er gestern mit dem ‚Fashion4U‘-Chef zusammen und ist mit ihm die Aufnahmen auf seinem Laptop durchgegangen – dabei fiel mir übrigens zum ersten Mal auf, dass dieser Tom für einen Knipser ganz schön heiß aussieht. Und dann wissen wir ja, dass er sein Loft in Berlin-Mitte hat.“ – Ihr Seitenblick auf Tiffy war von einem unterdrückten Kichern begleitet.
Hektisch flitzten ihre schlanken Finger über das Smartphone und schon nach wenigen Sekunden hielt sie das Gerät wie eine Siegestrophäe in die Luft: „Ich hab ihn!“ Die beiden anderen rückten an sie heran – ja, der Typ auf dem Foto, das sie gefunden hatte, das war definitiv ihr Tom. Vicki legte ihre Wichtig-wichtig-Stimme auf: „Sein Name ist Thomas Weingardner. Er ist Deutsch-Amerikaner, geboren in New York. Seit den 1990-ern ist er in der Modebranche bekannt, und er hat für alle großen Magazine und Labels gearbeitet. Außerdem ist er bei vielen Charity-Aktionen dabei, er hat Bildbände von den Erdbebenopfern in Haiti gemacht und die Einnahmen gespendet. Und er unterstützt mit seinen Fotos alle wichtigen Organisationen, von Greenpeace bis ‚Save the Animals‘. Und lasst uns mal das Allerwichtigste nicht vergessen – er sieht verdammt heiß aus.“
Tiffy war baff: Dieser zärtliche Tom von heute Morgen schien tatsächlich nicht so oberflächlich zu sein, wie sie zunächst befürchtet hatte. Sie nahm Vicki das Handy weg und las sich nun Punkt für Punkt seinen Lebenslauf durch. Auf einmal bewölkte sich ihr Gesicht und ihre Befürchtungen kamen wieder hoch: Was hatte sie schon mit so einem erfolgreichen Traumtypen gemeinsam? Tom bereiste die ganze Welt und sie kam seit Jahren nicht aus Berlin raus. Er unterstützte Hilfsaktionen für Elefanten und Tiger und sie war schon froh, wenn sie Garfields Impf-Termine beim Tierarzt rechtzeitig einhielt.
Josie und Vicki kannten nach all den Jahren ihre Freundin gut genug, um ihre Gedanken zu erraten. Josie legte ihre Hand auf die ihrer Freundin: „Hast du dich denn ernsthaft in ihn verguckt?“ Sie befürchtete das Schlimmste, denn von den dreien war Tiffy diejenige, deren Herz am leichtesten gebrochen wurde. In den vergangenen Monaten hatte sie sich sowieso schon immer mehr in ihr Schneckenhaus verkrochen und ihre Abende zumeist damit zugebracht, Garfield um den Verstand zu kraulen. Was würde so ein One-Night-Stand bei Tiffy anrichten?
Während Josie sich schon ernsthafte Sorgen machte, versuchte Vicki erst einmal die Lage abzuschätzen: „Was hat er denn gesagt? Seht ihr Euch wieder? Hast Du seine Nummer?“ Mit diesem Frage-Feuerwerk war Tiffy überfordert: „Naja, er hat was von Wiedersehen gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt meine Nummer gegeben habe.“ „Oder deinen Nachnamen“, ergänzte Vicki grinsend, was ihr einen kleinen Tritt von Josie unter dem Tisch einbrachte. Die wiederum versuchte, den Stress zu verarbeiten, in dem sie nun doch als erste bei den Mini-Käseküchlein zugriff. Nachdem der Bann erst einmal gebrochen war, langten auch die anderen beiden endlich zu.
Tiffy brach das schmatzende Schweigen zuerst: „Ich hab mich gut mit Tom verstanden, und damit meine ich nicht nur den Sex. Ich finde schon, dass wir einen Draht zueinander hatten. Aber ich mache mir nichts vor. Tom ist ein Globetrotter, er ist erfolgreich und sieht selbst aus wie ein Model. Ich glaub, den sehe ich nie wieder.“ Vicki widersprach ihr: „Quatsch, jetzt warte erst mal ab“ – sie deutete auf ihr Smartphone –, „du hast ja gesehen: Wer dich heutzutage finden will, wird dich schon finden. Und du hast ja gesagt, dass er sich eigentlich noch mit dir verabreden wollte, als sein Kumpel dazwischen funkte. Männer! Aber weißt du was: Ich glaube, von diesem Tom hören wir noch.“ Tiffy hatte das wöchentliche Käsekuchen-Meeting eigentlich absagen wollen, weil sie noch ganz durcheinander war. Jetzt aber war sie doch froh, hier zu sein.