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Vier Jahre zuvor

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An einem Abend wie diesem mit unsäglichen Treppenhausbekanntschaften und einem Fast-Todessturz half nur eins: eine Familienpizza mit doppelt Käse, dazu extra Pizzabrötchen und Sour Cream. Mein Standard-Menü gegen Scheißtage vom Imbiss um die Ecke. Es lagen wohl einige eher schlechte Tage hinter mir, denn man kannte mich dort bestens. Bereits als ich in Sichtweite der Bude kam, begrüßte mich der freundliche Besitzer mit einem fröhlichen: »Wie immer?«, schnippte seine Zigarette umgehend in den nächsten Mülleimer, um sich ans Werk zu machen, ohne meine auch Antwort auch nur abzuwarten. Während er mit voller Hingabe den Pizzateig durch die Luft wirbelte, stellte ich am Stehtisch vor dem Laden bei einem mehr als verdienten Bier diesen verfluchten Sommer zum hundertsten Mal infrage. Ja, ich wollte diesen Job. Und vor allem: endlich einen Ausweg aus diesem ewigen MacBook-auf-den-Knien-Agenturleben. Weg von Thinktanks und Cold Brew. Nie mehr sonntagabends noch schnell einen Pitch optimieren. Der Buchladen, in dem ich seit ein paar Monaten arbeite, war nicht nur im Viertel, sondern auch bei den Touristen sehr beliebt. Ich mochte es, den ganzen Tag von Büchern umgeben zu sein. Da wir fast ausschließlich aus zweiter Hand verkauften, hatten viele dieser Werke schon einen oder sogar mehrere Vorbesitzer gehabt, was das Ganze noch spannender machte. Oft fanden sich Notizen und kleine Anmerkungen darin. Ich liebte das »Books«, wie der großväterliche Besitzer seinen Laden zu einer Zeit genannt hatte, als der Krieg zu Ende, die Angst davor seinen jüdischen Nachnamen zu benutzen aber immer noch groß genug gewesen war. Im Books gab es Bücher, darauf legte er großen Wert. Keine Ansichtskarten, keine Schreibwaren, keinen Tand. Alles war simpel und gut. Und für mich das Paradies: Genau so hatte ich mir meinen Traumjob immer vorgestellt, als ich im ersten Semester Publizistik studierte und das Klischee der naiven Studentin erfüllte, die »irgendwas mit Büchern« ganz oben auf ihren Karrierezettel schrieb. Dass ich nach dem Studium in einer Werbeagentur nach der anderen landete, hatte mich eher sehr unsanft auf den Boden der Realität zurückgeholt. Arbeitszeiten bis tief in die Nacht und kaum eine Minute, in der man nicht noch superdringend irgendetwas machen musste, kickten mich zwar anfangs, raubten mir aber nach und nach, neben dem Schlaf, auch die Kreativität. Gemessen an diesen doch sehr unangenehmen Begleiterscheinungen, dauerte es ziemlich lang, bis ich den Absprung fand und hätte ich nicht auf der Suche nach einer Faulkner-Gesamtausgabe den Zettel an der Ladentür des Books entdeckt, vermutlich säße ich noch heute in einem klinisch-weißen Büro auf der verzweifelten Suche nach meiner Motivation. Es ging mir gut. Es waren nicht der neue Job oder das Wetter, die mir den Sommer verhagelten. Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, lag das Problem viel tiefer: Egal, wie sehr ich aufblühte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass mein engster Freundeskreis es als eine Niederlage ansah, dass ich nun Tag für Tag, Bücher katalogisierte und Kunden beriet, statt mich – in ihren Augen – im Marketing selbst zu verwirklichen. Meine ehemalige Kollegin Ellen nannte mich scherzhaft «die Verkäuferin mit akademischer Laufbahn« und merkte dabei gar nicht, wie sehr sie meine Gefühle verletzte, denn ganz Unrecht hatte sie auch wieder nicht. In meinem Vorstellungsgespräch war es nur wichtig gewesen, drei Autoren zu nennen, die mich berührten. Keine Zeugnisse. Keine Referenzen. Ich redete eine halbe Stunde mit glühenden Wangen über Rilke und hatte nicht nur den gesuchten Aushilfsjob, sondern auch gleich einen so großen Stein im Brett, dass mir eine Festanstellung auf Probe angeboten wurde.

Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag, diesmal mit der Pizza im Arm und mit immer noch nassen Haaren vom Sommerregen, das Treppenhaus hinaufpolterte, war ich gewappnet. Vorsichtig schob ich mit einem Fuß, eine der Taschen zur Seite und drückte mich an der Wand entlang zu meiner Tür. »Siehst du, geht doch.« Da war er also wieder. Es klang wie ein Spaß, aber Alex’ Mundwinkel zuckten nur einmal kurz und seine auffallend blauen Augen erreichte dieses zögernde Lächeln gar nicht. Vermutlich war er einfach viel zu cool für Scherze. Eine Eigenschaft, die mir grundsätzlich massiv auf die Nerven ging und mich eigentlich immer direkt zu einem Konter verleitete. Doch ich besann mich, atmete kurz durch und sprang, als ginge es um die Qualifikation zur Olympiade, mit einem großen Satz über meinen Schatten. »Okay. Unser Start war mies«, begann ich und verlor bereits schon wieder einiges an Mut, als Alex überrascht beide Augenbrauen hochzog, während seine Lippen weiterhin eine emotionslose, schmale Linie bildeten. Alles in mir verkrampfte sich, doch ich hatte bereits genug unangenehme Präsentationen in meinem Leben gehalten, um meinen gefassten Plan weiter durchzuziehen. »Aber bevor du hier im Treppenhaus noch Wurzeln schlägst: Ich denke, ich habe genug Essen für zwei bestellt. Du kannst also gerne auch bei mir auf den Schlüsseldienst warten, der vermutlich sowieso erst übermorgen vorbeikommt.« Ich lächelte aufmunternd, was meinen neuen, alten Nachbarn offensichtlich noch misstrauischer machte, denn er musterte mich nun noch intensiver mit leicht zusammengekniffenen Augen, als wolle er ergründen, ob hinter meinem Angebot eine List steckte. Schließlich schüttelte er den Kopf und winkte mit seiner linken Hand betont lässig ab. »Nee, lass mal.« Die undurchdringlich coole Miene kehrte auf sein Gesicht zurück und löste bei mir ein Gefühl von Erbärmlichkeit aus. Da stand ich nun, wie jemand, der es nötig hatte, fremde Menschen zum Essen einzuladen. Angewiesen auf die Gesellschaft von irgendeinem Spinner aus dem Treppenhaus. Gleichzeitig ärgerte ich mich darüber, dass er das Angebot nicht angenommen hatte. Ich kratzte meine letzte Restwürde zusammen und zuckte kurz mit den Schultern. »Na dann …« Einen Tick zu hektisch für einen coolen Abgang, drehte ich mich zu meiner Tür und verbarg dabei geschickt die Schamesröte, die mir bereits ins Gesicht stieg. Zum Glück fand ich meinen Schlüssel verhältnismäßig schnell und war schon fast in der Wohnung verschwunden, als ich hinter mir ein zögerliches »Du könntest ja vielleicht mal mit deinem Vornamen anfangen …« vernahm. Nun war es endgültig vorbei mit meiner Gelassenheit und ich spürte das Blut in meinen Wangen pulsieren. Hatte ich wirklich vergessen, mich ihm vorzustellen? »Elisabeth«, hörte ich mich monoton sagen, unfähig meine eigenen Worte zu fassen. Ich konnte mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt irgendwem meinen vollen Namen genannt hatte. Alle Menschen in meinem Leben, meine Eltern ausgenommen, nannten mich Lizzy. Aber irgendetwas in mir verbot sich, diesem Typ meinen Spitznamen zu verraten. »Ihre Majestät. Das erklärt Einiges.« Aha, doch nicht zu cool für Witze. Eine neue Welle der Abneigung durchflutete mich und ich funkelte ihn wütend an. Unbeeindruckt davon, lümmelte Alex sich zurück auf die Treppenstufen. Meine Fantasie sehnte sich danach, ihm das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln, doch in der Realität musste ich mich damit begnügen, meine Wohnungstür etwas lauter als nötig ins Schloss zu knallen. Verarschte der mich?

Ruhm und Cola

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