Читать книгу Ruhm und Cola - Julia Born - Страница 8
Vier Jahre zuvor
ОглавлениеDie nächsten Tage im schwülen Berliner Hochsommer vergingen mehr oder weniger schleppend. Die Koffer, das restliche Gerümpel sowie der charmante Besitzer waren mittlerweile Gott sei Dank in der Wohnung gegenüber verschwunden. Als ich am Samstagnachmittag von der Arbeit nach Hause kam, schien es schon fast so, als hätte ich mir den neuen, alten Nachbarn nur eingebildet. Ich hetzte zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch – pünktlich Feierabend zu machen, gehörte nach wie vor nicht zu meinen Kernkompetenzen – um die verlorene Zeit aufzuholen. Meine frisch aus dem Urlaub zurückgekehrten Freunde warteten bereits im Park auf mich und das von mir versprochene Bier, das sich noch im Kühlschrank befand. Als ich das erste Stockwerk erfolgreich hinter mir ließ, hörte ich plötzlich laute Stimmen, von denen ich zumindest eine meinem Nachbarn zuordnen konnte. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Augenblicklich blieb ich wie angewurzelt stehen. Einerseits wollte ich wirklich nicht lauschen, sondern nur so schnell wie möglich wieder los, andererseits konnte ich mich nicht dazu überwinden, mitten in diesen Streit zu platzen, der natürlich – wo auch sonst – vor meiner Tür ausgetragen wurde. Also verweilte ich am Fuß des Aufgangs und wartete, während eine aufgebrachte Frauenstimme: »Du kannst mich mal! Du kannst mich so dermaßen mal kreuzweise!«, keifte. Sie bekam darauf keine weitere Antwort, was sie offenbar noch mehr in Rage versetzte. »Immer, wenn ich mein Zeug holen will, bist du nicht da, das kann doch nicht dein scheiß Ernst sein!« Stille. Dann hörte ich Alex, der mit kontrolliert ruhiger Stimme entgegnete: »Ich war arbeiten, das weißt du.« Sein emotionsloser Tonfall trieb seine Streitpartnerin weiter an und mir schoss durch den Kopf, dass er vielleicht einfach besser gar nichts gesagt hätte. »Ja, das weiß ich. Du bist ja nie da und du warst nie da. Immer war alles wichtiger als ich und jetzt hast du nicht mal den Anstand dir zehn Minuten Zeit zu nehmen, damit ich meine Sachen zurückbekomme. Nicht mal das. Fahr’ doch einfach zur Hölle.« Rums. Das saß. »Maja … ich … lass uns …«, setzte Alex deutlich zerknirschter an, aber seine Gesprächspartnerin schnitt ihm energisch das Wort ab. »Nein. Spar’ dir deine Worte. Ich will sie nicht mehr hören. Ich bin das alles so leid, Alex. Ich will nicht mehr vertröstet werden, nicht mehr glauben, dass du einen Platz in deinem Leben für mich findest. Ich kann nicht mehr warten, während du einem Traum hinterherläufst, der sich am Ende doch nur als Sackgasse entpuppt. Ich hab’ an dich geglaubt; ich hab’ wirklich mal an dich geglaubt.« Aufkommende Tränen schwangen in ihren Worten mit, als sie fortfuhr. »Aber langsam musst du aufwachen, bevor du daran kaputt gehst. Mich hast du schon verloren. Verlier’ dich nicht auch noch selbst.« Eine schier ewig dauernde Pause trat ein, ich traute mich kaum zu atmen und biss nervös auf meine Unterlippe. Vielleicht sollte ich in den Innenhof zurückgehen und warten, bis die beiden ihren emotionalen Kampf ausgefochten hatten? Leider blieb zur Umsetzung dieses Plans keine Zeit mehr, denn kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, näherten sich schnelle Schritte auf den knarzenden Altbaustufen. Die junge Frau mit den dunklen Zöpfen nahm mich gar nicht war, sondern rannte tränenblind an mir vorbei. Ich wartete darauf, dass sich die Tür der Nachbarwohnung schloss, doch nichts passierte. Als sich nach einer, wie ich fand, angemessenen Anstandszeit immer noch nichts tat, nahm ich all meinen Mut zusammen und trat den Weg nach oben an. Wider Erwarten stand Alex nicht völlig aufgelöst im Türrahmen oder saß zusammengesunken herum. Seine Tür stand sperrangelweit offen, doch von ihm fehlte jede Spur. Kritisch zog ich die Augenbrauen zusammen. Hatte er seine Ex kommentarlos stehen lassen und war einfach in seine Wohnung gegangen, ohne die Tür zu schließen? Vielleicht still darauf gehofft, sie würde ihm folgen? Ich wusste nicht, woran ich es festmachte, aber irgendwie war es genau das Verhalten, was ich von ihm erwartete.
Und da war noch etwas, was ich nicht genau zu deuten vermochte: Der Umstand, dass es mir von jetzt auf gleich nicht mehr egal war, wie es ihm ging. Bisher war ich diesem Typen von gegenüber ganze zwei Mal begegnet, nicht gerade erfreuliche Treffen und trotzdem zog sich bei den Worten, die ich eben gehört hatte, in mir alles unangenehm zusammen. Bevor mein Verstand realisierte, was mein Herz gerade tat, klopfte ich zögerlich gegen das alte Holz des Türrahmens und wartete. Keine Reaktion. Okay. Das war ein Zeichen. Der perfekte Zeitpunkt, sich umzudrehen und meine Nase nicht weiter in seine Angelegenheiten zu stecken. Was gingen mich die Streitigkeiten von fremden Nachbarn an. All diese fantastischen, klugen Gedanken schossen durch meinen Kopf, als ich erneut klopfte. Diesmal bestimmter. »Was willst du noch? Du hast deinen Kram doch!«, kam es mit aggressivem Unterton von Drinnen. »Ich …«, meine Stimme bröckelte, als ich mir der Idiotie der Situation schlagartig bewusst wurde. Ja, was genau wollte ich hier eigentlich? »Ich … Ist alles okay bei dir?« Bevor ich mich versehen konnte, stand ein ziemlich mitgenommen aussehender Alex vor mir. Seine stechend blauen Augen funkelten mich eisig an. »Was geht’s dich denn an? Ich wohne nicht in Berlin, damit sich meine neugierigen Nachbarn in alles einmischen. Da hätte ich auch nach Brandenburg ziehen können.« Er schleuderte mir die Worte mit einer solchen Kälte in der Stimme entgegen, dass mir trotz der warmen Temperaturen eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief. Gleichzeitig wusste ich, dass er recht hatte. Völlig recht. Peinlich berührt von mir selbst, stotterte ich nur ein: »Okay«, und drehte mich um. Seine direkte Art war frontal auf meinen blinden Aktionismus geprallt. Autsch. Ich brauchte einen Moment, um mit zittrigen Fingern den Schlüssel in mein Türschloss zu bekommen. Je länger es dauerte, desto heftiger rasten meine Gedanken. Stand ich noch in seinem Blickfeld? Wieso hörte ich seine Tür nicht? Warum konnte ich mich nicht ein einziges Mal wie ein normaler Mensch benehmen? Reiß dich zusammen, flüsterte meine innere Stimme erbost. Gestern hat das doch auch wunderbar geklappt. Doch meine Finger gehorchten nicht. Statt dem Klacken des Türschlosses, hörte ich nun ein resignierendes Seufzen hinter mir. Er hatte sich also tatsächlich nicht in Luft aufgelöst. »Sorry … Du kannst ja nichts dafür.« Unbeeindruckt von seinem Geständnis, versuchte ich weiter, meine Tür aufzuschließen. Auf keinen Fall würde ich mich umdrehen, viel zu peinlich war mir meine eben dargebotene Fürsorge. Und da war noch etwas: die altbekannte Schamesröte, die mein Gesicht heiß werden ließ. Verdammt nochmal. Konnte ich stattdessen nicht lieber jetzt und gleich im Erdboden versinken, statt wie eine Ampel meine Emotionen nach außen zu spiegeln? Ohne dass ich seine Bewegung wahrgenommen hatte, umschloss Alex plötzlich meine Hand mit seinen langen, kalten Fingern. Das Zittern stoppte und meine Tür sprang auf.
Mein Herz klopfte bis zum Hals und gleichzeitig fraß sich ein wütender Feuerball durch meinen Magen. Übergriffiger Scheißtyp. Ich hatte ihn nicht um Hilfe gebeten. Fairerweise musste man sagen: Er mich allerdings auch nicht. Erneut nahm ich am heutigen Tage all meinen Mut zusammen und drehte mich zu ihm um. Durch die Aktion mit dem Schlüssel stand er so nah hinter mir, dass ich fast gegen seine Brust prallte. Konnte es noch unangenehmer werden? »Das ist jetzt der Augenblick in Kitschromanen, in denen sie sich immer verlieben«, vernahm ich plötzlich meine eigene Stimme. Hatte ich das gerade wirklich laut gesagt? Ja. Hatte ich. Ich selbst wusste natürlich, dass diese speziellen Anmerkungen meinerseits stets als Scherz gemeint waren und dem Umstand geschuldet, dass ich meine Umwelt gerne mit literarischen Fakten nervte. Bei Fremden, wie Alex einer war, kam diese Marotte jedoch meistens eher semi-gut an. Richtig getippt. Als hätte ich ihm einen Schlag versetzt, wich er einen Schritt zurück und legte die Stirn in irritierte Falten. »… ich arbeite in einer Buchhandlung.« Ergänzte ich, als wäre das eine plausible Erklärung. Wow. Das war noch eloquenter als der Satz davor. Was war denn los mit mir. Mein neuer alter Nachbar stand immer noch leicht fassungslos zwei Schritte von mir entfernt, schob nervös die Ärmel seines schwarzen Longsleeves nach oben, als würde er sich für einen Kampf wappnen und schien mit der Situation ebenso überfordert wie ich. Eine Lösung musste her, sonst würden wir sicher noch übermorgen hier stehen und uns anglotzen. »Okay. Nochmal von vorne«, drückte ich die verbale Reset-Taste. Mein Tonfall war entschlossen. Ich konnte das hier nicht so stehen lassen und schlimmer konnte es kaum werden. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens die seltsame Alte von gegenüber sein, an der man seine Freunde grußlos und tuschelnd vorbeischob.
Alex hob erwartungsvoll eine Augenbraue, aber der Rest seines Gesichts war immer noch angespannt, sein Kiefer mahlte und die Hände hatte er mittlerweile vor der Brust verschränkt, als hätte er Angst davor, ich würde danach greifen und ihm im Anschluss in einem Stück auffressen oder noch schlimmer: direkt einen Ring an den Finger stecken. Ich verdrängte den spontanen Impuls, ihn zur Klärung in meine Wohnung zu bitten, denn in Anbetracht meiner Konversations-Entgleisung wenige Sekunden zuvor, schien mir der Hausflur deutlich unverfänglicher. »Eigentlich nennen mich alle Lizzy. Das nur zur Info. Ich bin wirklich kein völliger Creep, ich kann nur manchmal meine Klappe nicht halten. Ich bin ein Nerd, wenn es um Bücher geht und würde Nudeln immer Kartoffeln vorziehen.« Meine Mundwinkel verzogen sich zu etwas, was ein entschuldigendes Lächeln darstellen sollte, während ich darauf wartete, dass er mich endlich kommentarlos stehen ließ. Doch das tat er nicht. »Also … ähm … Ich mag keine Tomaten. Viel zu glibberig«, kam es zögerlich über seine Lippen. Das alles hier war so skurril, dass mir nichts anderes übrigblieb als laut aufzulachen. Das Eis zwischen uns war gebrochen. Alex fuhr sich verlegen mit der Hand durch die blonden Haare und strich sich dabei eine eigensinnige Strähne hinters Ohr. »Was denn? Wer hat denn angefangen?« Nun konnte er sich auch nicht mehr zurückhalten und ein verschmitztes Grinsen legte sich auf seine Lippen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Oh Mann, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich heute nochmal lache.« Nicht ohne ein bisschen beeindruckt von mir selbst zu sein, wandte ich mich zum Gehen: »Gern geschehen, Herr Nachbar.«