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Gegenwart

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Auf der Toilette der Kneipe checkte ich kurz mein Handy. Nicht gerade meine hygienischste Angewohnheit, aber nur hier fand ich an so einem Abend die Ruhe dazu, ohne direkt anti-social zu wirken. So wie ich den weiteren Verlauf des Abends einschätzte, würde ich in nächster Zeit meine beste Freundin an einen Flirt mit Felix und meinen besten Freund an ein noch nicht namentlich bekanntes, aber sicher sehr süßes Girl verlieren. Ein typischer Freitag in der Eckkneipe und der Grund, wieso ich bereits vor ein paar Tagen eine Nachricht an Jan geschickt hatte. Jan, der Sänger aus Alex’ Band, war eine sichere Bank für durchzechte Nächte, den ersten Milchkaffee des Tages auf dem Weg von der Kneipe vorbei am Bäcker und eine letzte geteilte Zigarette auf den Stufen vor meinem Haus. Für Alex war er eine der wichtigsten Bezugspersonen und mit seinen zehn Jahren Altersunterschied so etwas wie ein großer Bruder. Er war Alex in manchen Dingen sehr ähnlich, voller Übermut und Unvernunft und konnte gleichzeitig sehr erwachsen und überlegt sein. Immer wieder hatte die Vergangenheit bewiesen, dass Gespräche mit ihm, auch über heikle Themen, nie ins Unangenehme abdrifteten.

Mittlerweile war es schon länger her, dass Jan und ich zuletzt einen Abend gemeinsam an der Theke verbracht hatten. Einerseits eine typische Nebenwirkung der Menschen, die im Musikbusiness arbeiteten. Heute waren sie hier, morgen dort. Andererseits tauchte er, auch wenn er sich in Berlin aufhielt, eher selten auf, sondern nutzte die freie Zeit zu Hause um sich der »Rettung seiner Beziehung« zu widmen, wie Alex nicht müde wurde zu betonen. Es war ein offenes Geheimnis, dass er und Jans Freundin sich nicht ausstehen konnten und es bisher nur deshalb nicht geknallt hatte, weil Alex mit seinem ganzen Herz an Jan hing und in ihrer Anwesenheit eine derart zuckersüße Freundlichkeit an den Tag legte, die mich jedes Mal etwas gruselte.

Irgendetwas fehlte, wenn Jan nicht dabei war und langsam fing ich an, ihn zu vermissen. Enttäuschender Weise zeigte mein Telefon weiterhin nichts anderes als den üblichen Sperrbildschirm. Keine neuen Nachrichten. In einem Anflug von akutem Masochismus ließ ich mein Finger über den Touchscreen gleiten und öffnete die Messenger-App. Vielleicht gab es einfach nur ein Problem mit den Push-Benachrichtigungen. Natürlich gab es kein Problem damit. Der Verlauf lag einseitig-kommunikativ vor mir, wie eh und je. Geknickt steckte ich das Telefon wieder weg.

Als ich mir die Hände wusch, starrte ich mein Spiegelbild unzufrieden an. Es war mal wieder einer dieser Abende, an dem ich alles infrage stellte. Was machte ich hier eigentlich? Wieso wartete ich sehnsüchtig darauf, dass mir jemand auf eine drei Tage alte Mitteilung antwortete, statt mich in der Kneipe mit den Anwesenden zu amüsieren? Ich kam mir armselig vor. Armselig und schwach. Nachdenklich ließ ich kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen, was zumindest meinen Kreislauf wieder etwas in Schwung brachte, aber mein Gedankenkarussell trotzdem nicht stoppen konnte. Der ausgeblichene, ehemals neongelbe Aufkleber, der einsam auf den Fliesen neben dem Waschbecken prangte, proklamierte GRL PWR. Ich seufzte. Sehr weit her war es damit bei mir gerade nicht.

Als ich zurück in den von lauter Musik und fröhlichen Stimmen erfüllten Raum trat, genügte ein Blick, um zu erkennen, dass sich bereits eine meiner Vermutungen bestätigte. Wie an jedem Wochenende, das wir hier verbrachten, lehnte Alex lässig an der Bar und war dabei seine volle Aufmerksamkeit zu verschenken. Die Frau mit der er sich mehr als angeregt unterhielt, strahlte eine souveräne, aber unangestrengte Coolness aus, die langen, dunklen Haare fielen ihr locker über die Schultern und ihre blitzenden Augen wurden von tadellosem Make-up dezent in Szene gesetzt. Kurz: Sie war sowas von sein Typ. Für einen kurzen Moment verharrte ich neben dem Zigarettenautomaten am Eingang zur Toilette und beobachtete meinen besten Freund. Es war verrückt. Mittlerweile kannte ich diesen Menschen so gut, dass ich sogar auf diese Entfernung von seinem Gesicht ablesen konnte, wie sehr es ihm sein Gegenüber angetan hatte. Das deutlichste Indiz war sein verklärter Blick, der nicht wie sonst desinteressiert, aber nickend durch sie hindurch ging, sondern ehrlich interessiert an ihren Lippen hing, während seine Finger sich auf der Theke langsam in die Nähe ihres Handrückens schoben – natürlich völlig unbeabsichtigt. Auf seinen Wangen zeichneten sich die für ihn so typischen Grübchen ab, als er über etwas schmunzelte, dass sie kurz zuvor gesagt zu haben schien. Ich musste unwillkürlich lächeln, denn so grotesk es auch klingen mochte, ich war immer froh, wenn er die Leere, die es in seinem Inneren von Zeit zu Zeit gab, statt mit Alkohol doch lieber mit Gefühlen auffüllte.

Selbst wenn es dabei nur um eine Nacht ging.

Das war nicht immer so gewesen. Als man Alex und mir kurz nach unserem Kennenlernen konsequent eine romantische Beziehung unterstellte, waren mir diese »kleinen Flirts«, wie er sie nannte, weil ihm die Vokabel besser erschien als »durch-die-Gegend-bumsen«, von Zeit zu Zeit ziemlich auf die Nerven gegangen. Nicht etwa, weil ich es Alex nicht gönnte, sondern viel mehr, weil mir alle in meinem Umfeld einreden wollten, dass ich ein Problem damit hätte. Ich konnte noch jetzt die beruhigenden Hände auf meinen Schultern spüren, die mich unnötigerweise hatten trösten wollen, wenn er von einer Party oder nach einem Gig plötzlich und grußlos verschwunden war. Unsere Beziehung zueinander war anders. Irgendwie hatte es irgendwann zwischen uns geklickt. Sein Penis und meine Vagina hatten zu dieser Verbundenheit jedoch nicht beigetragen.

Ihn am Tresen mit einer Frau zu sehen, die sein ehrliches Interesse weckte, löste in mir keinerlei negative Gedanken aus. Vielmehr drückte ich innerlich die Daumen, dass er endlich seine hanebüchenen Schutzmauern einreißen würde, die mit einer Mischung aus Arroganz und Charme, aus dem unsicheren Dude, einen zuweilen sehr blöden Aufreißer machten.

Seit vor gut vier Jahren seine letzte ernsthafte Beziehung live vor meinen Augen zerbrochen war, jagte bei meinem besten Freund in Sachen Liebe, ein Trauerspiel das nächste.

Nach einem letzten Blick auf die Szene bahnte ich mir einen Weg zurück zum Tresen, an dem Sophie mich bereits erwartete. Auch ihr war Alex’ neuste Eroberung nicht verborgen geblieben. »Ich wette einen Zehner, dass sie rummachen, bevor mein nächstes Getränk fertig ist«, lachte sie und gab ihre Bestellung auf. Ihre Chance tatsächlich zu gewinnen, stand ziemlich gut, denn die beiden Wettkandidaten waren bereits ein ganzes Stück näher aneinandergerückt.

Ruhm und Cola

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